Wir blieben ungefähr vier Tage in dieser Ruine und in diesen vier Tagen gab es genau drei Tote: Deborah und die Jungs aus Distrikt drei und fünf, die ich sogar persönlich umgebracht hatte.
Folglich blieben nur noch wir drei, die drei Karrieros und die Jungen aus Distrikt zehn und elf.
Noch acht waren übrig.
Das waren verdammte viele! Nach einer Woche waren noch nie so viele Tribute noch am Leben gewesen.
Es sollte langsam einmal ein Ende nehmen. Ich wusste nicht wie lange die Spielemacher uns noch so machen liessen. Schliesslich waren seit den letzten Toten ganze drei Tage vergangen.
Noch am selben Abend, als ich mir diesen Gedanken über die Spielemacher machte, passierte es...
Die Arena brach zusammen.
So ganz 100 prozentig war ich mir nicht sicher, aber nach den Erzählungen von meinen Mentoren traf genau das gerade ein.
In der Ferne, gegen den Rand der Arena, konnte ich hören, wie scheinbar das Ende der Arena abbrach.
Lucas und Hektor schliefen noch, als ich aufsprang und schrie:„Sofort aufstehen! So wie es aussieht, findet heute das Finale der 73. Hungerspiele statt!"
Wie von der Tarantel gestochen schossen die beiden in die Luft und begannen unsere Sachen zusammenzupacken, während ich hingegen nach unten rannte, zu einer anderen Ruine sprintete und hochkletterte, um mir einen Überblick über das Ganze zu verschaffen.
Und tatsächlich: die Arena brach auseinander!
Gestern konnte ich mindestens noch zwei Kilometer weit sehen und der Rand war nicht zu erkennen.
Jetzt jedoch konnte ich gerade noch einen Kilometer weit sehen und dann kam der Abgrund.
Zu allem Überfluss merkte ich, dass sich die Arena selbst auch noch etwas verändert hatte: Sie war jetzt nicht mehr eben und gerade wie eine Pizza, sondern sie sah aus wie ein Krater. Das Füllhorn markierte die Mitte und bis zum Füllhorn ging es abwärts. Es war kaum zu erkennen, dass die Arena nun eine Art Krater war. Im Wald hätte ich es nicht sehen können. Ich spürte aber auch, dass der Krater wuchs. Nicht schnell, aber immerhin.
Lucas und Hektor kamen gerade aus der Tür des alten Hauses, als ich sie holen wollte. Hektor hielt mir meinen Gürtel mit meinen Peitschen und Wurfmessern hin, den ich mir ohne ein Wort des Dankes um die Hüfte schlang.
„Und? Wie ist der Lagebericht?", wollte Hektor wissen.
„Nunja... Die Arena fällt auseinander und verbiegt sich, als würde sie aus Plastik bestehen und über einer Feuerkugel schweben", erklärte ich schnell.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Leute aus dem Kapitol es zum Totlachen fanden, wie ich mich ausdrückte. So bescheuert die waren.
„Oh. Und was heisst das in der Sprach, die ich auch verstehe?", mischte sich nun auch Lucas mit ein.
„Es bedeutet: Der Rand der Arena bricht stückchenweise ab und die Arena verwandelt sich in einen Krater."
„Klingt rosig", murmelte Hektor.
„Möge das Glück stehts mit euch sein, meine lieben Verbündeten."
„Vielen Dank, Lucy, für diese aufmunternden Worte."
„Es ist mir immer wieder ein Vergnügen, Mister Kingston."
„Könntet ihr eures reizendes kleines Gespräch bitte auf später verschieben? Ich habe gerade keine besonders grosse l**t darauf vom Ende der Arena zu stürzen!", maulte Lucas.
„Das tut mir aber leid! Armes kleines Prinzesschen! Natürlich können wir das, wenn das Euch so besser passt", entgegnete Hektor schnippisch und machte sogar noch einen kleinen Knicks.
Kopfschüttelnd lachte ich und während ich an den Jungs vorbei lief, boxte ich Hektor noch in die Schulter.
„Aua!" Hektor machte ein gespielt verletztes Gesicht, lief aber trotzdem los, als ich keine Anstalten machte mich zu entschuldigen oder mich noch einmal umzudrehen. Er murmelte noch etwas Unverständliches von wegen ungezogene Göre aber das ignorierte ich einfach.
'Armes kleines Prinzesschen!'
Wir mussten mehr klettern, als uns lieb war. Von unserer Ruine sah der Weg zum Füllhorn kürzer und ebener aus als er wirklich war.
Nach ungefähr einer halben Stunde nahm ich den spitzen Schrei von Dana- ich nahm jedenfalls an, dass es Dana war, da wir noch die einzigen übrigen Mädchen waren- war und dann ein Kanonenschuss.
„Mutationen?", fragte ich ängstlich.
„Schön möglich", sagte Lucas nachdenklich.
„Aber keine Angst Prinzessin. Wir passen schon auf dich auf!", munterte Hektor mich auf und Lucas nickte zustimmend.
„Das hoffe ich für euch zwei! Aber hat einer von euch ein Ahnung, von wo der Schrei kam?"
„Ziemlich sicher vom Wald", meinte Lucas.
„Na dann, sorgen wir dafür, dass wir nicht mehr in diesen verdammten Wald gehen", sagte ich mit einem optimistischen Unterton. Ich fragte mich nur, woher dieser Optimismus plötzlich herkam. Schliesslich könnte ich noch heute tot sein!
Keine 20 Minuten später erreichten wir endlich die grosse Wiese, auf der sich das Füllhorn befand. Wir erlaubten uns eine kleine Pause um etwas zu trinken, da es wirklich sehr heiss war.
Plötzlich flog ein Pfeil direkt vor meiner Nase vorbei.
Erschrocken starrte ich sein Ziel an und in meinen Augen bildeten sich Tränen.
Lucas zog sich langsam den Pfeil aus seinem Bauch und ging in die Knie.
„Lucas!", schrie ich verzweifelt.
Während ich Lucas anschrie wurde mir bewusst, dass sein Mörder nicht weit weg von uns stand. Es war der Junge aus Distrikt 10, der schon wieder einen Pfeil in seinem Bogen spannte und auf Hektor zielte.
Ich reagierte blitzschnell, zückte eine meiner geliebten Peitschen, holte mit meinem linken Arm aus, schwang das Seil um die Beine des Jungen und riss die Peitsche mit aller Kraft zurück, damit er stürzte. Hektor nutze die Gelegenheit und sprang auf ihn zu, um ihn zu enthaupten.
Sofort erklang der gruselige Kanonenschuss und ich krabbelte zurück zu Lucas, der mich jetzt nur noch mit einem fast leeren Blick ansah.
„Lucy?", brachte er schwach über die Lippen.
„Ich bin hier. Ich bin hier", sagte ich beschwichtigend und mit tränenüberströmtem Gesicht.
„Gewinne diese Spiele!", flüsterte er,„Räche uns!"
Ich wusste genau wen er mit 'uns' meinte. Ihn selbst, Deborah und... Hektor.
Ich nickte. „Okay. Ich tu' es!"
Lucas wirkte fast zufrieden, als sein Blick völlig leer wurde und er seinen letzten Atemzug beendete.
Sachte schloss ich seine Augenlider mit zwei Fingern und summte dabei ein Lied, das mir meine Mutter immer vorgesummt hatte, als ich mir mein Knie aufgeschürft hatte und ich deswegen Heulkrämpfe erlitt. Nach dem Lied ging es mir immer gleich viel besser... Doch jetzt nicht.
Ich hatte schon wieder jemanden verloren, der mir nach so kurzer Zeit ans Herz gewachsen war...
Ich wurde wütend.
Ich stand auf und schaute auf das herunter, was von meinem neuen Freund Lucas noch übrig blieb: ein lebloser Körper.
Ich drehte mich um und eine wutverzerrte Fratze schaute mir mitten ins Gesicht.
Vor Schreck schrie ich auf und machte einen riesen Satz zur Seite.
Der riesen grosse Junge aus Distrikt 11 stand mit seinem Speer in Position da und genau als Hektor sich umdrehte, rammte er ihm das Teil in den Bauch. Der Junge machte einen Schritt zurück und sah mit dem dreckigsten Grinsen, das ich je gesehen hatte auf meinen sterbenden fast-grossen Bruder, der nun auch auf die Knie ging.
Ich schrie.
In diesen Schrei steckte ich all' meine Emotionen rein, die ich empfand.
Trauer, Hass, Wut, Trotz.
Der Junge sah überrascht zu mir, als hätte er mich schon vergessen.
Als ich in seine braunen fast schwarzen Augen blicke, sah ich einen Mörder und eine Mörderin. Er war der Mörder, den ich direkt sah und ich die Mörderin, die sich in seinen Augen widerspiegelte.
Ich schnappte mir mein zweitletztes Wurfmesser aus meinem Gürtel und pfefferte es auf den Bastrad, der gerade meine Familie zerstört hatte.
Ich traf seine Kehle und er fiel rückwärts hin und sein Kanonenschuss erklang.
Als ich seine Leiche betrachtete, fiel mir Hektor wieder ein und ich warf mich neben ihn. Er stöhnte vor Schmerzen. Als er mein Gesicht war nahm versuchte er verzweifelt etwas zu sagen und ihm kullerten sogar zwei Tränen aus seinen Augenwinkel. In seinen Augen sah ich die blanke Verzweiflung. Ich legte meine beiden Hände an seine Wangen.
„Scht... Es ist alles gut. Hörst du? Gleich ist es vorbei und du bist an einem besseren Ort... Grüsse Deborah, Lucas und... und meinen Dad von mir. Ja?", flüsterte ich ihm zu, während er mir tief in die Augen sah. Er hob einen Arm, um mir seine Hand auf meine zu legen und sie zu drück, als wollte er mir sagen:„Klar doch. Mach ich gerne!"
Ich weinte und begann zu singen. Das Lieb vom Henkersbaum.
Kommst du, kommst du, kommst du zu dem Baum, wo sie hängten den Mann der drei getötet haben soll.
Seltsames trug sich hier zu.
Nicht seltsamer wär es, träfen wir uns bei Nacht im Henkersbaum.
Kommst du, kommst du, kommst du zu dem Baum, wo der tote Mann zu seiner Liebsten rief:„Lauf!"
Seltsames trug sich hier zu.
Nicht seltsamer wär es, träfen wir uns bei Nacht im Henkersbaum.
Kommst du, kommst du, kommst du zu dem Baum, wohin ich dir riet, zu fliehen und uns zu befreien.
Seltsames trug sich hier zu.
Nicht seltsamer wär es, träfen wir und bei Nacht im Henkersbaum.
Kommst du, kommst du, kommst du zu dem Baum, ein Seil als Kette Seite an Seite mit mir.
Seltsames trug sich hier zu.
Nicht seltsamer wär es, träfen wir uns bei Nacht im Henkersbaum.
Das Lied brachte mir meine Schwester Ashley nach ihrer Tour der Sieger bei. Sie erzählte mir, es käme aus Distrikt 12. Der dauerbetrunkene Sieger dort hatte es ihr beigebracht, worauf sie es etwas geändert hatte, was vor allem dir Melodie des Liedes betraf.
Hektor schaute mir jetzt mit seinen toten Augen entgegen. Ich wusste nicht wann sein Kanonenschuss erklang und wann er starb.
Ich schloss ihm vorsichtig die Augenlider, so wie ich es zuvor bei Lucas getan hatte.
Ich stand auf und betrachtete meine zwei toten Verbündeten und Freunde.
Ich wurde wütender denn je.
„Ich werde diese Spiele noch heute beenden!", sagte ich mit fester Stimme und voller Zorn auf das Kapitol.
„Auch wenn es das Letzte ist, was ich noch tuen werde."