Kapitel 5

1128 Worte
5 Peter Am nächsten Morgen wache ich vor Sara auf, und so wie immer in letzter Zeit beobachte ich sie ein paar Minuten lang, bevor ich mich zwinge, aus dem Bett zu steigen. Ich weiß nicht, ob es nur Wunschdenken ist, aber es hat sich gestern anders angefühlt. Gestern hat es sich angefühlt, als wäre der vorläufige Waffenstillstand, den wir in der Klinik etabliert haben, noch da. Normalerweise konnte ich nach dem s*x spüren, wie Sara inmitten bitterer Selbstbeschuldigungen ihre Mauern wieder aufbaute, aber gestern nicht. Gestern konnte ich ihren inneren Konflikt nicht spüren, und nachdem ich mich versichert hatte, dass ich sie nicht verletzt habe, habe ich aufgehört, mich selbst in den Hintern zu treten, weil ich die Kontrolle verloren hatte – und weil ich das Kondom trotz meiner früheren Entscheidung, dies nicht zu tun, wieder weggelassen hatte. An diesem Punkt ist es instinktiv, Sara mit meinem Samen zu füllen, und diese Instinkte weigern sich, die Gründe zu akzeptieren, um zu warten, bis die Esguerra-Situation gelöst ist. Auf jeden Fall bezweifle ich, dass es gestern gefährlich war. Sara muss, ihrer letzten Periode nach zu urteilen, gegen Ende ihres Zyklus sein. Und wann genau war der? Vor drei Wochen oder vier? Ich runzele die Stirn im Badezimmerspiegel, während ich den letzten Rasierschaum abwische und das Rasiermesser ablege. Nein, das kann nicht stimmen. Wir waren fast drei Wochen weg, und davor hat sie nicht geblutet für mindestens … Ein Klopfen an der Badezimmertür unterbricht meine Berechnungen. »Peter?« Saras schlaftrunkene Stimme ist seltsam angespannt. »Yan will mit dir reden.« Fuck. Ich wische mir mit einem Handtuch über das Gesicht, um den Schaum loszuwerden, der noch an meiner Haut haftet, und verlasse das Badezimmer. Sara steht am Bett, eingewickelt in einen dicken Bademantel, den sie angezogen haben muss, um die Tür für Yan zu öffnen. »Er hat gesagt, du sollst so schnell wie möglich runterkommen«, meint sie mit einem besorgten Stirnrunzeln. »Es ist dringend.« Ich nicke und ziehe mir bereits eine Jeans an. Das dachte ich mir bereits, weil die Jungs normalerweise nicht an unsere Schlafzimmertür klopfen. Etwas muss passiert sein, aber ich kann mir im Leben nicht vorstellen, was. Es gibt keine Möglichkeit, dass die Behörden oder unsere Feinde uns hier aufgespürt haben, und das ist der einzige Notfall, den ich mir vorstellen kann, der eine solche Dringlichkeit verdient hätte. »Zieh dich an«, sage ich zu Sara, als ich zur Tür gehe. »Für den Fall, dass wir schnell verschwinden müssen.« Ihre Augen weiten sich, weil sie versteht, was ich meine, und sie beeilt sich damit, sich anzuziehen, während ich nach unten eile. Alle drei meiner Teamkollegen sind schon da, haben sich um Yan herum versammelt, der auf seinen Laptop-Bildschirm schaut. Anton schreibt etwas auf seinem Handy. »Was ist los?«, frage ich scharf, und die Zwillinge schauen mich mit grimmigen Gesichtern an. »Sara ist noch oben, oder?«, fragt Yan, wobei er einen unleserlichen Blick auf die Treppe wirft, und ich nicke und trete mit ein paar langen Schritten dicht an ihn heran. »Was ist los?« »Schau es dir an«, sagt er und dreht den Bildschirm zu mir. Zuerst sehe ich nur die vertraute, schäbige Gemütlichkeit der Küche von Saras Eltern, mit ihren abgenutzten Geräten und einer Fensterbank voller Topfkräuter. Saras Vater im Bademantel schlurft mit seinem Gehwagen durch die Küche, gießt sich Kaffee ein und holt sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Er ist mit seinem Frühstück fast am Küchentisch, als ein klingelndes Handy den ruhigen Morgen unterbricht. Charles »Chuck« Weisman stellt seine Kaffeetasse vorsichtig auf die Küchenzeile und greift in seine Tasche, um sein Telefon herauszunehmen. »Lorna?« Seine Stimme ist trotz seines Alters stark und laut. »Hast du vergessen, zu überprüfen …« Er verstummt abrupt, und selbst auf dem körnigen Bild kann ich sehen, wie er erblasst und sein Mund sich unter wortlosem Schock öffnet und schließt. Seine freie Hand greift krampfhaft an seine Seite, verfehlt aber den Griff des Gehwagens, und ich halte den Atem an, als er stolpert. Zu meiner Erleichterung schafft er es, sich am Rande der Theke aufzufangen. So zerbrechlich wie Saras Vater ist, hätte ihn ein Sturz leicht umbringen können. »Wo?«, ist alles, was er nach einer Minute angespannten Zuhörens fragt, und dann steckt er das Telefon wieder in seine Tasche und steht für einen Moment mit zitternden Knien da, bevor er sich zusammenreißt und mühsam ins Schlafzimmer geht, um sich anzuziehen. »Das wurde vor etwa zehn Stunden aufgenommen«, sagt Yan, als ich vom Bildschirm aufblicke und bereit bin, ihn mit wütenden Fragen zu zerreißen. »Wir haben gerade die komplette Audioaufnahme dieses Anrufs gehört. Es hört sich so an, als ob Saras Mutter einen Autounfall hatte – einen schlimmen. Sie waren sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde. Unsere Hacker greifen gerade auf die Krankenakten zu, aber die Ärzte in der Notaufnahme fügen ihre Notizen nur langsam in das System ein. Die gute Nachricht ist, dass Saras Vater immer noch im Krankenhaus ist – oder zumindest war er nicht zu Hause.« »Ich habe gerade mit der amerikanischen Crew Kontakt aufgenommen«, sagt Anton und legt sein Handy weg. »Sie sind auf dem Weg ins Krankenhaus, also werden wir in Kürze ein Update über ihren Zustand bekommen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen besonders vorsichtig sein; ich bin mir sicher, das FBI wird den Ort beobachten, für den Fall, dass Sara auftaucht.« Fuck. Ich schließe die Augen und reibe meine Schläfen, um den aufkeimenden Kopfschmerzen entgegenzuwirken. Das ist Saras schlimmster Alptraum: ihren Eltern passiert etwas – und sie ist nicht da. Sie hatte immer befürchtet, dass es ihr Vater mit seinen Herzproblemen sein würde, aber jetzt ist es ihre relativ junge und gesunde Mutter – für ihre achtundsiebzig Jahre. Sara wird mehr als erschüttert sein, und all die Fortschritte, die wir in den letzten Wochen in unserer Beziehung gemacht haben, werden verlorengehen. Sie wird mir nie verzeihen, wenn ich sie vom Sterbebett ihrer Mutter fernhalte. Es wird eine weitere Kluft zwischen uns schaffen, die vielleicht noch schwerer zu überwinden ist als die, die der Tod ihres Mannes hinterlassen hat. Ich öffne die Augen, und ein bohrender, aussaugender Schmerz breitet sich tief in meinem Bauch aus. Meine Männer beobachten mich mit einer Mischung aus Neugier und Mitleid, und ich weiß, dass sie es verstehen. Sie haben Sara in den letzten Monaten kennengelernt und mögen sie. Sie haben gesehen, wie sehr sie sich um ihre älteren Eltern sorgt, wie sie jeden Tag nach ihnen fragt und sich die Videos, die wir ihr zur Verfügung stellen, aufmerksam ansieht. Sie wissen, dass es sie zerstören wird. Sie wird sich selbst genauso die Schuld geben wie mir. »Haltet mich über alle Neuigkeiten der Amerikaner auf dem Laufenden«, befehle ich heiser und gehe nach oben. Ich muss Sara erreichen, bevor sie herunterkommt. Sie darf das nicht herausfinden, bis wir alle Fakten kennen.
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