chapter eight

1707 Worte
Er öffnet den Mund, doch ich komme ihm zuvor, indem ich meine Hand hebe und mich vor einer weiteren Schimpftirade bewahre. Selbst wenn ich so tue, als hätte er mich nicht getroffen, ertrage ich höchstwahrscheinlich nicht mehr. Nicht von einem Fremden, dessen Nachnamen ich noch nicht einmal kenne. Nicht von einem Arschloch, das mich aus einem nicht erfindlichen Grund aus der Firma haben möchte. Nicht von einem Mann, der mir derart nah ist. „Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was Sie gegen mich haben. Was in Ihrem" viel zu hübschen „Schädel vor sich geht. Wieso sie mich so widerlich behandeln. Ich habe Ihnen nämlich rein gar nichts getan." Ich schlucke trocken und versuche die Wärme, die sogar durch seinen maßgeschneiderten Anzug dringt, zu ignorieren. Eigentlich versuche ich alles attraktive an ihm – was ziemlich viel ist – auszublenden und nur seinen erbärmlichen Charakter vor mir zu sehen. Der Körper ist in diesem Fall irrelevant, was zählt ist was sich darin befindet und bei ihm ist es alles andere als schön. „Aber wenn Sie mich wirklich derart hassen, dann lassen Sie mich verdammt nochmal in Ruhe. Gehen Sie mir aus dem Weg und kümmern sich um Ihr eigenes Leben. Machen Sie was immer Sie wollen, nur lassen Sie Ihre pubertären Stimmungsschwankungen nicht mehr an mir aus. Ich habe eindeutig besseres zu tun, als mich mit Ihnen auseinander zu setzen." Wie zum Beispiel Datenblätter und Excel-Tabellen auszudrucken? Er rührt sich nicht vom Fleck, starrt mich einfach nur ungläubig an. Was ist sein verfluchtes Problem? Versteht er mich nicht? Erwartet er etwa, dass ich mich wiederhole? Dass ich ihm exakt das Gleiche in seiner Amtssprache aufsage? Das könnte ich sowohl auf Französisch als auch auf Russisch. Idiotisch habe ich leider nicht in meinem Repertoire aufzuweisen. „Und das meine ich ernst. Ich habe die Nase voll von Ihnen." Ich hebe aufgebracht die Arme und bin kurz davor hysterisch aufzulachen. „Sie können mich nicht leiden, okay. Sie wollen ein Arschloch sein, okay. Aber Sie werden mich definitiv nicht aus dieser Firma schmeißen. Ich werde bis Februar hier bleiben, ob es Ihnen passt oder nicht." Erneut erwidert er nichts, betrachtet mich bloß. Das Tageslicht, welches durch die blitzblank polierten Fenster dringt, bietet ihm eine perfekte Sicht auf mein ungeschminktes Gesicht. Auf all die Verletzungen, die ich bis zu meinem Tod oder einer Schönheits-OP auf meiner Haut tragen werde. Jede einzelne Narbe – an meiner Stirn, meiner Oberlippe, meinem Kinn – wird sichtbar. Dass er mir theoretisch nur noch die Hose ausziehen müsste, um die restlichen Verunstaltungen betrachten zu können, beunruhigt mich. Es passt mir nämlich ganz und gar nicht, dass er auch nur den Hauch meiner Verletzlichkeit, meiner Menschlichkeit sehen kann. Sei es auch nur äußerlich. Mein Blick landet auf seinen vollen Lippen, seinem markanten Kinn, seinen langen dunklen Wimpern und seiner männlichen Nase. Trotzdem finde ich nichts, das ihn optisch hässlich wirken lässt. Sein Gesicht ist unglaublich schön, irritierend schön schon fast und das sage ich üblicherweise nie. Jedenfalls nicht, wenn es um solche Menschen wie ihn geht, denn diese Leute sind für mich Abschaum. Ihr Charakter, verdorben und widerlich, macht sie unattraktiv. Aber nicht bei ihm. Leider nicht bei ihm... Meine Zunge schnellt hervor, befeuchtet meine trockenen Lippen und lenkt meine Aufmerksamkeit auf sie. Er blickt auf meinen Mund hinab, als wäre er drauf und dran sich auf ihn zu stürzen. Obwohl dieser Ausdruck auch bedeuten könnte, dass er sich gerade den nächsten verletzenden Kommentar ausdenkt. „Sie werden mich nicht los", sage ich nach einer Weile, in der Hoffnung diese erdrückende Stille zu beenden und ihm zuvorzukommen. „Ich werde mein Praktikum bis zum Ende durchziehen." „Da wäre ich mir nicht so sicher." „Versuchen Sie es doch." Ich räuspere mich, hebe mein Kinn herausfordernd an und ignoriere die Tatsache, dass mich sein männlicher Duft in der Nase kitzelt. Oder mich sein Blick feurig macht. „Versuchen Sie doch mich rauszuwerfen." „Ich werde es nicht nur versuchen, sondern auch schaffen." „Das wage ich zu bezweifeln." „Wieso sind Sie sich da so sicher?", hackt er nach und neigt den Kopf. Seine braunen Haare rufen förmlich danach, von mir angefasst zu werden, genau wie der Rest seines köstlichen Körpers. Was ich aber definitiv nicht zulassen werde. Nicht zulassen darf. „Nennen Sie es Lebenserfahrung." Ehe er etwas darauf erwidern kann, kommt jemand in die Küche spaziert. Merkwürdigerweise richtet Wyatt, der Teamleiter der Marketingabteilung, sein Augenmerk direkt auf uns, ganz so als hätte er uns belauscht. Ganz so als wüsste er haargenau über was wir geredet haben, da er lässig seine Hände in den Hosentaschen seines grauen Anzugs vergräbt und uns abwechselnd ansieht. Das ist mein Stichwort mich von Santiago – was für ein Name ist das denn bitte?? – zu trennen und hastig einen Schritt zur Seite zu weichen. Obwohl mir wirklich nicht danach ist, setze ich ein freundliches Lächeln auf und wende mich ihm zu. Bloß weg von dem Arschloch neben mir, dessen Anspannung förmlich greifbar ist. „Hi, Wyatt. Wie geht es Ihnen?" „Guten Morgen, Sage. Mir geht's gut und Ihnen?" „Auch gut." „Sind Sie sich sicher?" Seine linke Braue huscht in die Höhe, will die Wahrheit aus mir herauskitzeln, was ich fast schon lächerlich finde. Er ist fast schon lächerlich. Auch wenn ich vermutlich wie ein naives Mädchen wirke, bin ich in Wirklichkeit ziemlich intelligent. Ich durchschaue die meisten Personen auf Knopfdruck – wenn sie nicht diszipliniert genug sind, um ihre Mimik und Gestik unter Kontrolle zu halten – und dafür gebe ich mir noch nicht einmal Mühe. Wyatt gehört auch zu diesen Personen. Er denkt, dem Kotzbrocken neben mir eine auswischen zu können, indem er so tut, als würden wir uns schon unglaublich gut kennen. Als wären wir nicht bloß Arbeitskollegen, sondern Bekannte. Und normalerweise würde mich das dermaßen ankotzen – ich bin doch kein Mittel zum Zweck! –, aber in diesem Fall kommt er mir wie gerufen. Die Gründe für seine rachesüchtige Masche sind mir völlig egal, solange er das erreicht, was er will. „Ja, wir haben uns nur ein bisschen über die Arbeit unterhalten." „Mhm." „N-Nein, wirklich", stottere ich und verstelle absichtlich meine Stimme. Die Kerle stehen auf diese dümmlichen Weiber, lassen ihren Beschützerinstinkt raushängen. Dieser Instinkt kommt uns beiden nur gelegen, weil ich mit jeder verstreichenden Sekunde spüre, wie sich Mr. Arschloch weiter versteift. Das wird so ein Spaß! „Dann glaube ich Ihnen mal." „I-Ich würde Sie n-niemals anlügen", lüge ich ihm direkt ins Gesicht und klimpere ein paar Mal mit den Wimpern. Zeitnah muss ich mir ein Würgen unterdrücken. Wie naiv muss er bitte sein, um mir diese Scheiße abzukaufen? „Das habe ich auch nicht behauptet." Für andere würde dieses schiefe Grinsen charmant oder freundlich vorkommen, doch nicht für mich. Für mich kommt er eher armselig, untervögelt und charakterlos vor – dabei müsste er Mitte dreißig sein. „Sie haben gefragt wie es Miss Harrington geht, Sie haben Ihre Antwort bekommen und jetzt können Sie gehen", mischt sich der Idiot neben mir ein und bringt mich glatt schallend zum Lachen. Männer sind so leicht zu manipulieren, dass ich mich selbst jedes Mal überrasche. „Was ist denn Ihr Problem? Ich habe mich doch nur über das Wohlbefinden unserer Mitarbeiterin erkundigt." Auch er stellt sich dumm, nur tut er das viel zu auffällig. Er klimpert mit den braunen Augen und merkt gar nicht, dass er genau die gleiche Masche abzieht, die ich gerade bei ihm abgezogen habe. Mit dem Unterschied, dass er mir jedes einzelne Wort abgekauft hat. „Nein, Sie sind davon ausgegangen, dass ich sie bedrängt habe oder ihr anderweitig Unwohlsein beschert habe." Wow, Sie können eins und eins zusammenzählen! Applaus für den Mann im Anzug! „Haben Sie das denn getan?", hackt er nach und neigt den Kopf. Am liebsten würde ich ihm einen High-Five geben. Der Kerl kann ihn offenbar mindestens genauso wenig leiden wie Lydia und ich, was vielleicht ein Indiz dafür sein könnte, dass es an ihm liegt. Aber natürlich kann ich ja auch falsch liegen, schließlich passiert es ja ganz oft, dass sich Leute von einem grundlose distanzieren. Ironie lässt grüßen! „Ich bin Ihnen sicherlich keine Rechenschaft schuldig." „Nein, aber Ihrem Vorgesetzten." „Drohen Sie mir gerade, mich an meinen Boss zu verpfeifen?", fragt er und hebt seine Augenbrauen an. Ha, das wird ja immer besser! „Ich möchte nur, dass sich unsere Mitarbeiter vollkommen wohlfühlen." „Dann sollten Sie bei Ihrer eigenen Assistentin anfangen und nicht bei einer Praktikantin, die sowieso nach wenigen Wochen schon verschwinden wird." Er spricht das ohne jegliche Gefühle aus, ohne jegliche Scham. „Sie würde sich sicher über eine Arbeitssenkung freuen oder wenigstens über weniger aufgezwungene Überstunden." „Das geht Sie nichts an", presst Wyatt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und scheint jede rachesüchtige Freude verloren zu haben. Schade, ich dachte wirklich, dass er länger durchhalten würde. „Gut, dann geht es Sie nämlich auch nicht an, wie ich mit Miss Harrington umgehe." Mit einem kaum merklichen Zucken der Mundwinkel setzt er sich in Bewegung. Als wäre nichts passiert, fährt er fort mit dem Zubereiten seines gesunden Obstsalats. „Apropos Miss Harrington, Sie sollten schon vor einer Viertel Stunde in Ihrem Büro gewesen sein. Wenn Sie so weitermachen, werden Sie schon nächste Woche entlassen." Arschloch. Skrupelloses, eingebildetes Arschloch. Ich zwinge mir das falscheste Lächeln auf das ich nur zustande bekomme und erdolche ihn mit imaginären Pfeilen. Wie gerne ich jetzt sein Gesicht in diese Glasschüssel schlagen würde... „Dafür müssen Sie sich schon mehr einfallen lassen. Ich bleibe nämlich und das ist mein letztes Wort." Damit schnappe ich mir meine Kaffeetasse, die vermutlich schon ganz kalt geworden ist und marschiere an Wyatt vorbei. An der Tür halte ich an, die Hand auf der Klinke und den Kopf über die Schulter geschwungen. „Beziehungsweise ist das mein letztes Wort: Um jemanden herumzukommandieren, muss man etwas im Leben oder im Beruf erreicht haben. Was ich von Ihnen nicht wirklich behaupten kann." Bevor er noch etwas dazu erwidern kann, stolziere ich aus der Küche und lasse die Tür offenstehen. Hoffentlich macht ihn das rasend. Hoffentlich rammt er seine Faust gegen die nächstbeste Wand und schrottet seine Knöchel. Hoffentlich lässt er mich dann endlich in Ruhe.
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