Kapitel 3

789 Parole
3 Yulia »Das ist deine Schuld, Schlampe. Es ist alles deine Schuld.« Ein schwerer Körper presst mich zu Boden, grausame Hände ziehen an meiner Kleidung und dann spüre ich Schmerzen, brutale, brennende Schmerzen, als er in mich stößt, mir sagt, dass das die Bestrafung ist, die ich verdient habe. »Nein!« Ich schreie, ich kämpfe, aber ich kann mich unter ihm weder bewegen, noch kann ich atmen. »Hör auf, bitte hör auf!« »Beruhige dich«, flüstert er auf Englisch in mein Ohr. »Beruhige dich endlich.« Die Tatsache, dass Kirill Englisch spricht, verwirrt mich einen Augenblick lang, aber ich bin zu panisch, um länger darüber nachzudenken. Die Schmerzen der Vergewaltigung und das Schamgefühl sind wie ein Schraubstock, der meine Brust zerquetscht. Ich ersticke, werde in den Strudel der Dunkelheit gezogen und alles was ich tun kann, ist, mich zu wehren – zu schreien und mich zu wehren. »Yulia. Scheiße, hör auf damit!« Seine Stimme ist tiefer als ich sie in Erinnerung habe und er spricht wieder Englisch. Warum tut er das? Wir sind gerade nicht im Training. Das ist zu eigenartig, als dass ich es ignorieren könnte und es ist nicht das Einzige, was gerade komisch ist. Er trägt auch kein Rasierwasser. Verwirrt höre ich auf, mich unter ihm zu bewegen und bemerke, dass ich auch keine Schmerzen habe. Er befindet sich auf mir, aber er tut mir nicht weh. Die Realität kommt und geht und ich erinnere mich. Kirill war vor sieben Jahren. Ich bin nicht in Kiew – ich bin in Kolumbien und die Gefangene eines anderen Mannes, der mich für das bestrafen will, was ich getan habe. »Yulia.« Lucas' leise Stimme ist ganz nah an meinem Ohr. »Kann ich dich loslassen?« »Ja«, murmele ich in das Kissen. Meine Muskeln zittern vor Überanstrengung und mein Atem geht schwer, so als sei ich gerannt. Ich muss gegen Lucas gekämpft haben, anstatt gegen das Phantom in meinem Albtraum. »Es ist wieder alles in Ordnung. Wirklich.« Lucas rollt von mir herunter und ich spüre ein Ziehen an meinem linken Handgelenk, an dem die Handschellen uns verbinden. Die Haut unter dem Metall brennt und ist wund. Ich muss während des Kampfes an den Fesseln gezogen haben. Er lehnt sich zurück und einen Moment später geht ein sanftes Licht an, das den gesamten Raum erhellt. Die sauberen, weißen Wände, die ich erblicke, sind ein weiterer Beweis dafür, dass ich geträumt habe und Kirill nicht in der Nähe ist. Lucas greift in den Nachttisch und holt den Schlüssel hervor, um die Handschellen zu lösen. Als er die Schlüssel in die Schublade zurücklegt, merke ich mir automatisch wo er sie aufbewahrt, auch wenn meine Zähne bereits zu klappern beginnen. Seit Jahren habe ich nicht mehr so einen schlimmen und realistischen Albtraum gehabt und deshalb vergessen, wie verheerend sie sein können. Lucas dreht sich zu mir. »Yulia.« Sein Gesichtsausdruck ist düster, als er nach mir greift. »Was ist passiert?« Ich lasse mich von ihm auf seinen Schoß ziehen, damit ich die Hitze seines Körpers auf meiner eiskalten Haut spüren kann. Ich kann nicht aufhören zu zittern, da der Schatten des Albtraumes immer noch über mir liegt. »Ich –« Meine Stimme bricht weg. »Ich habe schlecht geträumt.« »Nein.« Er hebt mein Kinn mit einer Hand an und zwingt mich, ihm in die Augen zu schauen. »Erzähle mir, warum du diesen Traum hattest. Was hast du erlebt?« Ich schließe meinen Mund ganz fest und kämpfe gegen den unlogischen Drang an, diesem ruhigen Befehl zu gehorchen. Irgendetwas an der Art, wie er mich hält – fast so wie Eltern, die ihr Kind trösten wollen – bringt mich dazu, mich ihm anvertrauen zu wollen, ihm Dinge zu erzählen, die bis jetzt nur der Therapeut meiner Organisation von mir erfahren hat. »Was ist geschehen?«, drängt Lucas mit sanfterer Stimme und ich spüre wie meine Sehnsucht, mein Wunsch nach der Verbindung zwischen uns, die ich mir eingebildet hatte, sich verstärkt. Vielleicht habe ich sie mir ja doch nicht nur eingebildet. Vielleicht ist da etwas. Ich will unbedingt, dass da etwas ist. »Yulia.« Lucas nimmt mein Kinn in seine Handfläche und streichelt mit seinem Daumen meine Wangen. »Sag es mir. Bitte.« Das letzte Wort bricht mich, da es von so einem harten und dominanten Mann kommt. In seiner Berührung liegen weder Wut, noch raue Lust. Auch wenn es stimmt, dass er mir vorhin wehgetan hat, hat er mir gleichzeitig Lust verschafft und ist später nahezu zärtlich mit mir umgegangen. In diesem Moment verlangt er keine Antworten von mir – er bittet mich darum. Er bittet mich und ich kann ihn nicht zurückweisen. Nicht, während ich mich so verloren und alleine fühle. »In Ordnung«, flüstere ich und schaue den Mann an, von dem ich die letzten zwei Monate lang geträumt habe. »Was möchtest du wissen?«
Lettura gratuita per i nuovi utenti
Scansiona per scaricare l'app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Scrittore
  • chap_listIndice
  • likeAGGIUNGI