Kapitel 1-1
1
Peter
»Sie holen auf«, sagt Ilya, als das Heulen der Sirenen und das Dröhnen der Hubschrauber lauter wird. Lichter von den Autos auf der anderen Seite der Autobahn werden von seinem rasierten Kopf reflektiert und erschaffen die Illusion, dass die Tattoos auf seinem Schädel tanzen, als er mit einem besorgten Stirnrunzeln in den Rückspiegel blickt.
»Stimmt.« Ich ignoriere das Adrenalin in meinen Adern und ziehe Sara mit meinen Arm fester an mich, um zu verhindern, dass ihr Kopf von meiner Schulter gleitet, während Ilya schwungvoll ein langsameres Auto überholt. Ich habe natürlich erwartet, dass wir verfolgt werden – man stiehlt nicht so einfach eine Frau, die vom FBI bewacht wird –, aber jetzt, da es geschieht, bemerke ich, dass ich mir Sorgen mache.
Meine drei Teamkollegen und ich kommen problemlos mit einer High-Speed-Verfolgungsjagd zurecht, aber ich darf Sara nicht gefährden.
Ich treffe eine Entscheidung und sage zu Ilya: »Fahr langsamer. Lass sie näher kommen.«
Anton auf dem Beifahrersitz dreht sich um, und sein bärtiges Gesicht sieht ungläubig aus, als er seine M16 ergreift. »Bist du wahnsinnig?«
»Wir können sie nicht zum Flughafen führen«, meint Yan, Ilyas Zwilling. Er sitzt auf der anderen Seite von Sara und muss meinen Plan verstanden haben, denn er durchwühlt bereits den großen Seesack, den wir unter dem Rücksitz unseres Geländewagens verstaut haben.
»Denkt ihr, dass die FBI-Agenten wissen, dass wir sie haben?« Anton schaut auf die bewusstlose Frau, die ich an meine Seite gedrückt halte, und ich fühle einen irrationalen Anflug von Eifersucht, als sein dunkler Blick über Saras Gesicht fährt und einen Moment länger als nötig auf ihren vollen rosa Lippen verweilt.
»Sie müssen. Die Jungs, die sie beschattet haben, waren dumm, aber nicht völlig unfähig«, sagt Yan, der sich mit einem Granatwerfer in seinen Händen wieder aufrichtet. Im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder bevorzugt er eine konservative Frisur und ordentlich gebügelte Business-Kleidung – seine Banker-Verkleidung, wie Ilya sie nennt. Überhaupt sieht Yan wie jemand aus, der nicht mit einem Schraubenschlüssel, geschweige denn mit einer Waffe umgehen kann, aber er ist eine der tödlichsten Personen, die ich kenne – genau wie der Rest meines Teams.
Unsere Kunden zahlen uns aus gutem Grund Millionen, und der hat nichts mit unserem Kleidungsstil zu tun.
»Ich hoffe, du hast recht«, sagt Ilya und verstärkt seinen Griff am Lenkrad, während er erneut in den Rückspiegel blickt. Zwei schwarze Geländewagen der Regierung und drei Polizei-Kreuzer sind jetzt vier Autos hinter uns, und blaue und rote Lichter blinken, als sie langsamere Fahrzeuge überholen. »Amerikanische Polizisten sind weich. Sie werden es nicht riskieren, zu schießen, wenn sie wissen, dass wir sie haben.«
»Und sie werden auch nicht das Feuer mitten auf einer Autobahn eröffnen«, sagt Yan und drückt einen Knopf, um das Fenster nach unten zu fahren. »Es sind zu viele Zivilisten hier.«
»Warte einen Moment«, sage ich ihm, als er sich mit dem Granatwerfer in der Hand näher zum Fenster bewegt. »Der Hubschrauber soll so niedrig wie möglich über uns fliegen. Ilya, fahr noch etwas langsamer und ordne dich in der richtigen Spur ein. Wir nehmen die nächste Ausfahrt.«
Ilya macht, was ich sage, und wir wechseln auf die langsamere Spur, während unsere Geschwindigkeit unter das vorgegebene Limit fällt. Ein grauer Toyota Camry schießt auf der linken Seite an uns vorbei, und ich drücke Sara näher an mich, als ich Yan sage, sich bereitzuhalten. Der Lärm des Hubschraubers ist ohrenbetäubend – er schwebt jetzt fast direkt über uns – aber ich warte.
Wenige Augenblicke später sehe ich es.
Das Zeichen für die Abfahrt, die in vierhundert Metern kommt.
»Jetzt«, schreie ich und Yan reagiert sofort. Sein Kopf und sein Oberkörper schießen aus dem Fenster, und er hält den Granatwerfer in seinen Händen.
Bumm! Es hört sich an, als sei die Mutter aller Feuerwerke über uns losgegangen. Bremsen kreischen um uns herum, aber wir sind bereits an der Ausfahrt, und Ilya fliegt in dem Moment vom Highway, in dem die Hölle ausbricht und Autos auf beiden Fahrspuren mit einem metallischen Kreischen kollidieren, als der Hubschrauber über uns wie ein metallener Feuerball explodiert.
»Scheiße«, sagt Anton schwer atmend, als er auf die Verwüstung starrt, die wir zurückgelassen haben. Als die brennenden Hubschrauberstücke herunterregnen, ist ein riesiger Walmart-LKW dabei, umzukippen, und mindestens ein Dutzend Autos sind bereits ineinandergefahren, und mit jeder Sekunde stoßen weitere in den Haufen. Die Geländewagen der Regierung gehören ebenfalls zu den Opfern, und die Polizei-Kreuzer sitzen dahinter fest. Jetzt ist es unmöglich, dass unsere Verfolger uns weiterhin folgen, und obwohl ich nicht glücklich über die verletzten Zivilisten bin, weiß ich, dass wir dadurch unsere Flucht ermöglichen.
In der Zeit, die sie brauchen, um ihre Pläne anzupassen und weitere Polizisten zu uns zu schicken, werden wir lange verschwunden sein.
Niemand wird mir Sara wegnehmen.
Sie hat sich für mich entschieden, und sie wird bei mir bleiben.