Kapitel 6

711 Parole
6 Peter Saras Arbeitsplatz ist einen Spaziergang von ihrer Wohnung entfernt, so dass die Fahrt nur wenige Minuten dauert. Viel zu früh halte ich am Bordstein und gebe Sara ihr Mittagessen, während ich mich die ganze Zeit so fühle, als würde ich lieber meinen Arm opfern, als sie aussteigen zu lassen. Ich hasse es, dass ich sie den ganzen Tag nicht sehen werde, dass ich sie bis zum Abend nicht berühren oder mit ihr reden kann. Es ist noch schwieriger als letzte Woche, weil wir diesen Sonntag zusammen verbringen durften – und ich jetzt weiß, wie sich das Paradies anfühlt. Es ist das, was wir damals in Japan hatten, nur ohne die bittere Feindseligkeit – ohne dass Sara es mir übelnimmt, dass ich sie von ihrer Karriere und allen, die sie liebt, weggerissen habe. Ich muss meine ganze Kraft aufwenden, um ruhig sitzen zu bleiben, während sie meine Wange küsst und flüstert: »Ich liebe dich. Bis nachher«, bevor sie aus dem Auto springt. Ich beobachte, wie ihre schlanke Gestalt in dem Bürogebäude verschwindet, und dann schreibe ich der Crew, um ihr Anweisungen für Saras Überwachung zu geben. Wenn ich nicht bei ihr sein kann, weiß ich wenigstens, wo sie ist und was sie tut. Zumindest werde ich wissen, dass sie in Sicherheit ist. Ich verbringe den Vormittag damit, die Gelder für den Vertragsabschluss am Donnerstag zu überweisen und den bevorstehenden Umzug zu organisieren. Ich plane, bis nächste Woche im neuen Haus einzuziehen, was bedeutet, dass noch viel Arbeit zu erledigen ist. Es wurde zwar gerade renoviert und deswegen sind keine größeren Arbeiten erforderlich, aber ich muss die richtigen Sicherheitsmaßnahmen installieren. Vorort oder nicht … unser Haus wird eine Festung sein, und niemand – schon gar nicht Agent Ryson – wird Sara noch einmal zu Hause überfallen können. Es ist mitten am Nachmittag und ich wasche gerade das Gemüse für das Abendessen, als mein Telefon auf der Arbeitsplatte vibriert. Ich drücke mit einem halbtrockenen Finger auf den Bildschirm und überfliege Saras Nachricht. Es tut mir so leid. Die Klinik hat gerade angerufen. Sie sind völlig überlastet und haben mich gebeten, heute Abend zu kommen. Es wird nur bis etwa zehn Uhr sein. Es tut mir wirklich leid. Die Zucchini, die ich gerade gewaschen habe, zerbricht in zwei Hälften, und ich schiebe das Telefon mit meinem Ellenbogen weg, um zu vermeiden, dass es das gleiche Schicksal erleidet. Ich hätte es wissen müssen. »Wenn keine Notfälle auftreten« ist der Code für »ein Notfall wird eintreten.« Das war vor Japan so, und obwohl Saras aktueller Job weniger auf die Geburtshilfe ausgerichtet ist, hat sich ihre Einstellung nicht geändert. Für sie steht immer noch die Arbeit an erster Stelle, sogar die ehrenamtliche Tätigkeit in der Klinik. Ich brauche zwanzig Minuten, um mich zu beruhigen und wieder rational zu denken. Saras Karriere ist einer der Gründe, warum ich all die Schwierigkeiten mit Novak und Esguerra hatte, warum ich zugestimmt habe, meine Rache an Henderson aufzugeben. Eine Ärztin zu sein, die Patienten hilft, ist ihr wichtig; sie braucht ihre Karriere so sehr, wie sie die Nähe zu ihrer Familie und ihren Freunden braucht. Ich wusste das bereits, als ich sie geraubt habe, aber es war mir damals egal. Alles, was zählte, war, sie bei mir zu haben. Jetzt, da ich sie habe und sie glücklich ist, kann ich nicht zu dieser Einstellung zurückkehren, kann nicht vergessen, wie es war, als ich die Quelle ihres Unglücks war, als ich jedes Mal, wenn sie mich anschaute, die Qualen in ihren Augen sah. Das ist jetzt anders. Was auch immer ihre restlichen Vorbehalte sind, sie hat endlich zugegeben, dass sie mich liebt – mich genug liebt, um mein Kind zu bekommen. Eine Tochter oder einen Sohn … wie Pascha. Einen Moment lang tut es wieder weh, zu atmen, aber dann vergeht der Schmerz und hinterlässt ein bittersüßes Brennen. Ich konnte in den letzten Monaten immer mehr an Pascha denken, ohne dass die Wut die Erinnerungen vergiftet hat. Und ich weiß, dass es ihretwegen ist. Wegen meines kleinen Singvogels, den ich so gern wieder einsperren will. Ich atme tief ein, lasse die Luft langsam wieder heraus und konzentriere mich auf die beruhigende Aufgabe, das Abendessen zu kochen. Wenn Sara heute Abend nicht nach Hause kommen kann, muss ich eben zu ihr gehen.
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