Das Klingen des Wassers war das Erste, was mich zurückholte: die dünne, klare Stimme des Baches, der die Ränder der Steine leckend umspülte. Dann die Kälte: der Frost, der vom Boden aufstieg, in die Knochen sank, langsam von den feuchten Wänden der Mulde in mich hineinkroch. Zwischen den Wurzeln, im Bauch einer umgestürzten Kiefer, wusste ich für einen Moment nicht, wer ich war; es gab nur den Körper – eine Landkarte aus Blutergüssen und einen schweren Himmel aus brennenden Wunden. Als ich versuchte, den Arm zu bewegen, schoss ein stechender Schmerz von der Schulter die Rippen hinab, und meine Lungen protestierten mit einem kurzen, würgenden Seufzer.
„Langsam“, knurrte mein Wolf in mir. „Reiß dich nicht zurück. Atme mit mir.“
Ich gehorchte. Ein, aus. Die kühle Luft legte sich an das rohe, aufgeschürfte Futter meiner Kehle und glitt dann in meine Brust, wo sie jetzt nichts anderes tat als da zu sein. Nach ein paar langen, gehaltenen Schlägen begann die Welt Gestalt anzunehmen: trockene Blätter, die sich zwischen den Wurzeln verfangen hatten, das verblichene Grün des Mooses, das aschgraue Morgenlicht jenseits des Mauls der Mulde. Draußen, zwischen den Bäumen, räusperte sich ein Vogel – und verstummte wieder.
Ich wollte mich aufsetzen. Ich grub die Handfläche in die Erde, und als ich mich hob, fuhr mir der Krampf, der durch meinen Bauch riss, in den Leib, als hätte eine unsichtbare Hand einen verborgenen Nerv verdreht. Ich musste anhalten. Ich ließ die Stirn zurück auf meinen Arm sinken und ließ das Zittern bis in mein Handgelenk auslaufen. Mein Wolf saß still in mir; ich fühlte sein Gewicht, das mich hielt. Er drängte nicht, tröstete nicht. Er war einfach – und seine bloße Gegenwart bedeutete mehr als jedes Wort.
Beim zweiten Versuch war ich vorsichtiger. Ich rollte mich auf die Seite, streckte das Bein langsam, nahm das Murren meines Knies mit einem leisen Knurren zur Kenntnis, dann stützte ich mich halb auf einen Ellbogen. Die Welt kippte nicht. Ich wartete, bis sich das Licht am Rand der Mulde mit dem schmalen Streifen verband, den ich durch den Spalt meines Augenlids sehen konnte. Meine Hand glitt auf meinen Umhang – schwer und feucht, aber sein Gewicht hielt das meine.
Ich kroch zum Bach. Ich stand nicht auf – auf allen Vieren, wie ein verwundetes Tier, schob ich mich aus dem Schutz der Wurzeln. Die Feuchte des Bodens sickerte durch meine Knie, Moos berührte meine Schienbeine mit kalten Fingern. Am Wasser kniete ich nieder und tauchte die Hand in den Lauf. Die Kälte schreckte mich wieder auf – ein ernüchternder Schlag. Ich hob die Handfläche zum Mund und trank in kleinen Schlucken, damit die Kehle nicht rebellierte. Mein eigener Gestank – Blut, Rauch, Angst – wich langsam dem sauberen Geruch des Wassers.
Ich wusch mein Gesicht. Meine Haut schrie unter der Kälte und beruhigte sich dann. Ich spülte das ab, was noch an meinem Oberschenkel klebte – ich sah nicht lange hin. Schon das Hinsehen kann schneiden; heute verweigerte ich unnötige Wunden. Ich wrang den Saum meines Umhangs so gut ich konnte und zog ihn dann wieder über mich. Mein Körper war wie nach einem Fieber zugleich kalt und bleiern, und doch noch beweglich.
Da spürte ich es: erst in der Brust, dann irgendwo hinter meinen Schulterblättern – eine sehr feine, sehr leise Regung. Kein Schmerz, nicht das dumpfe Gewicht, das sich in den letzten Stunden unter meinen Rippen eingenistet hatte. Eher ein innerer Strom, als wolle er in mir eine Richtung wählen. Ein dünner, fast unmerklicher Faden spannte sich in der Mitte meiner Brust an und begann sanft zu ziehen. Nicht zur Seite, nicht zurück – nach vorn, auf etwas zu, das ich noch nicht sehen konnte.
Ich drehte den Kopf dorthin. Das Ziehen wurde nicht stärker, aber es erlosch auch nicht. Wie wenn der Wind ein einzelnes Grashalm in eine Richtung streicht und es dann so lässt. Mein Wolf hob in mir den Kopf.
„Spürst du es?“ fragte er.
„Ja“, antwortete ich. „Wie… wie ein Ruf. Keine Stimme. Eher… ein Weg.“
„Es kommt nicht von ihm“, sagte mein Wolf mit Gewissheit. „Nicht vom Rudel. Anders. Tiefer. Älter.“
Ich schloss die Augen und lauschte nach innen. Das Ziehen war nicht aggressiv – es ruckte und forderte nicht. Es war wie die Tide: Man merkt kaum, wie das Wasser steigt, bis plötzlich die Knöchel nass sind, dann die Knie, und wenn man sich umsieht, hat sich die Uferlinie neu gezeichnet. Die Richtung war klar. Vom Maul der Mulde nach rechts, den Hang hinab, in den dichteren Bestand der Kiefern, und darüber hinaus, wohin meine Augen nicht reichten – meine Brust aber schon.
„Was ist es?“ fragte ich.
Mein Wolf schwieg. Als er schließlich sprach, war es so leise, dass selbst mein eigener Atem ihn beinahe übertönte.
„Der Erde. Nicht unser, und doch spricht er zu uns. Eine Grenze.“
Das Wort traf Haut und Knochen. Grenze. Der Name, der im Flüstern umging: der Rand der Lande, wo die Luft sich veränderte, als atmete jenseits eine andere Welt. Wo Spuren sich im Schnee verdoppelten, wo fremde Düfte unter der Rinde lauerten, wo Wege bisweilen ihren eigenen Schwanz bissen. Man sagte, es sei ein Ort der Magie, an dem Wolf und Mensch nur Gäste seien. Man sagte, wer seinen Zug spürte, kehre nie derselbe zurück – wenn er überhaupt zurückkehrte.
„Wir können dort nicht hin“, flüsterte ich. Meine Stimme klang hohl über dem Wasser. „Wir sind schwach… und wir wissen nicht, was uns erwartet.“
„Wir können auch nicht zurück“, erwiderte mein Wolf. „Das immerhin wissen wir.“
Zwischen den beiden Sätzen blieb nicht viel Luft. Die Steine am Bach waren glitschig, aber ich konnte sie greifen. Hinter mir knackte ein trockener Zweig – nur ein Eichhörnchen, das einen Stamm rauf und runter jagte –, dennoch sprang mein Herz, als hätten sich alle Tore einer Festung auf einmal geöffnet. Unterdessen hielt das Ziehen, geduldig und stetig, seine Richtung – drängte nicht, wich nicht.
„Gehen wir heim, sterben wir“, sagte mein Wolf. „Bleiben wir, findet uns der Hunger. Folgen wir dem, was ruft, gibt es vielleicht etwas, das nicht verschlingt, sondern empfängt.“
„Wir kennen es nicht“, wandte ich schwach ein.
„Es kennt uns auch nicht“, sagte er. „Aber die Erde weiß von uns, sonst würde sie nicht rufen.“
Bei dem Gedanken stockte mir der Atem. Die Vorstellung – dass nicht irgendeine Laune eines Fremden an mir zog, sondern etwas, das älter war als meine eigene Geburt –, gab dem Zug ein Gewicht, das ich nicht länger mit Angst verwischen konnte. Ich erhob mich vorsichtig. Mein Knöchel zuckte am Hang, doch mein Körper – als trüge er weniger Last – gehorchte den kleinen Schritten williger, als ich erwartet hatte.
Ich setzte mich in die angezeigte Richtung in Bewegung. Es gab kein Zeichen. Keinen Pfad. Nur die dünne, weiche Spannung in meiner Brust, die jeden Fehltritt mit einem leisen, inneren Stupser korrigierte. Wie jemand, der dich mit einer Berührung an der Innenseite deines Arms führt – nicht packend, nur streifend, und doch gewiss. Mein Wolf hielt zugleich Wache über die äußere Welt und diese innere Leitung; seine Ohren zuckten beim kleinsten Laut, seine Augen hinter meiner Stirn verfolgten das Spiel des Lichts.
Die Sonne trat aus den Wolken. Sie brachte keine Wärme – nur Klarheit. Licht hockte auf den Spitzen der Tannen, Wasser glitzerte im Falllaub. Die Vögel wurden dreister, zwei Sperlinge stritten über nichts, ein Specht hämmerte geduldig in der Nähe. Die Farben waren nicht heller – ich war wacher. Ich legte mir jeden Ton beiseite, wie Brot, das man für später spart.
An einer Stelle wurde das Ziehen stärker. Kein Zerren, kein Rucken – eher, als verdickte sich die Luft in einem Band. Ich spürte es auch auf der Haut: Der Wind strich hier anders über meinen Arm, Düfte bogen anders ab, die Stille hatte ein anderes Gewicht. Ich blieb stehen. Am Boden standen winzige, unregelmäßige Steine in einem Halbkreis – nicht von Menschen gesetzt und doch ein Muster bildend. Auf der Rinde der Bäume liefen lange, feine Kratzer: keine Krallenspuren, keine Klingen – als hätte die Kälte selbst die Fasern gestrafft.
„Hier ist es“, sagte mein Wolf. „Der Rand.“
„Ich sehe ihn nicht.“
„Er ist nicht zum Sehen da. Er ist zum Spüren da.“
Mein Fuß setzte von selbst einen Schritt zurück. Instinkt – derselbe, der dich davon abhält, dich zu nah ans Feuer zu lehnen – schoss mir die Wirbelsäule hinauf. Der Faden in meiner Brust vibrierte sanft. Er schalt mich nicht für den Rückzug. Er wartete nur. Sein Warten war nicht gleichgültig – eher wie die Geduld der Bäume mit dem Winter: Sie wissen, dass er vergeht.
„Was geschieht, wenn wir hindurchtreten?“ fragte ich.
„Anderes“, sagte mein Wolf. „Und du musst durchs Andere, wenn du nicht willst, dass das Jetzt mit dir endet.“
Ich schmeckte den trockenen Ton der Angst im Mund. Ich legte die Hand auf die Brust – als wollte ich den Faden von außen fassen – und fühlte, wie er sich unter der Haut spannte. Meine Wunden summten unter dem Umhang, Schnitte raspelten am Stoff, mein Körper schrie, dass alle Kräfte auf bloßes Überleben gerichtet seien. Und doch: Das Ziehen wurde leichter. Als hätte die Wahl die Last geteilt.
Ich machte den ersten Schritt. Nichts geschah. Die Bäume standen wie zuvor, die Luft bewegte sich wie zuvor, die Vögel zwitscherten wie zuvor. Dann lief ein feines Frösteln von meiner Hüfte die Wirbelsäule hinauf, wie beim Hineingehen ins kalte Wasser am ersten Sommertag. Die Haare unter der Haut stellten sich auf. Die Temperatur der Luft hatte sich nicht verändert – ihre Substanz schon. Ich machte zwei weitere Schritte. Hinter dem Klingen des Baches begann in der Ferne ein tieferes Dröhnen, bei dem ich nicht sagen konnte, ob es Wasser war, Wind oder etwas völlig anderes. In den Duft der Tannenharze schob sich etwas Fremdes: nicht schlecht, nicht gut – wie wenn man ein unbekanntes Haus betritt und das Leben darin riecht.
„Es hält uns wach“, sagte mein Wolf. „Träum nicht. Achte.“
Ich achtete. Das Ziehen in meiner Brust war nicht länger nur Richtung – es hatte Rhythmus. Mit der Zeit – ich weiß nicht, wie lange – glich sich der Rhythmus meinem Atem an, und ein erschreckender Gedanke traf mich: Wenn ich anhielte, würde der Schlag in mir weitergehen. Er führte nicht von außen – er öffnete Türen von innen.
Ich erreichte den Rand einer Lichtung. Das Gras war hier heller, Schlamm zog breiter auf. Auf der anderen Seite standen hohe Bäume mit dunklen Stämmen, ihre Rinde mit einem feinen Schimmer, als sei Wasser darübergestäubt. Winzige, fast unsichtbare Partikel tanzten in der Luft, und wenn sie zwischen den Bäumen hindurchzogen, schienen sie für einen Herzschlag langsamer zu werden. Ich trat in sie hinein – sie glitten weder ab noch klebten sie. Sie waren einfach.
In der Mitte der Lichtung blieb ich stehen. Der Faden in meiner Brust summte leise. Ich hatte zwei Möglichkeiten: links, wo die Bäume dichter standen und das Licht in Streifen fiel; rechts, wo der Boden anstieg und Felsen unter dem Gras an die Oberfläche brachen. Das Ziehen war eindeutig. Rechts.
„Wir sollten essen“, murmelte mein Wolf. „Und deinen Bauch binden.“
Er hatte recht. Ich riss einen Streifen aus dem Futter meines Umhangs, wickelte ihn fest um Taille und Leib. Der Schmerz unter der Haut wehrte sich, aber der starke, gleichmäßige Druck beruhigte ihn mit der Zeit. In der Tasche hatte ich ein zerknittertes Leinensäckchen: die übriggebliebenen Teekräuter der Heilerin. Ich kaute ein paar Blätter – ihre Bitterkeit reizte meinen Magen und beruhigte ihn dann. Ich trank noch einmal aus dem Bach und ging weiter.
Als ich die steinige Flanke hinaufstieg, veränderte sich der Rhythmus des Zugs wieder. Kürzer, eindringlicher – nicht ungeduldig, eher warnend. Mein Wolf wollte zugleich heulen und ducken, zwei Instinkte, zusammengepresst wie Welpen in einer engen Höhle. Die Luft wurde dichter. Ich beeilte mich nicht. Ich achtete jeden Schritt. Auf einem Stein – Blutspur. Nicht meine. Frisch. Ihr Geruch war mir fremd. Kein Fuchs, kein Hirsch. Wolf – aber nicht von unserer Art. Tanne und Rauch im Fell, Eisen hinter dem Zahnfleisch. Das Haar entlang meines Rückens stellte sich auf.
„Wir sind nicht allein“, warnte ich.
„Sind wir nicht“, antwortete mein Wolf. „Aber das ist an sich nichts Schlechtes. Es kommt darauf an, wer sie sind.“
Der Gedanke heftete sich an den Zug. Wie kann etwas zugleich einladend und gefährlich sein? Die Antwort des Waldes war schlicht: so. Die Welt wählt nicht zwischen beidem – sie ist beides.
Hinter den Felsen trat ich auf einen höheren Absatz. Unten lag ein breiteres Tal – Tannen und Buchen mischten sich, und in der Ferne ein graues Band, Nebel oder Rauch. Der Strom der Luft trug etwas von dorther: keinen Geruch, eher ein Gefühl. Autorität. Nicht die Dominanz meines Rudels – die beruhte auf Befehl und Gewohnheit. Das hier war tiefer, älter. Wie Stein. Wie Wasser, das den Berg hinabläuft.
„Spürst du es?“ fragte ich.
„Ich spüre es“, sagte mein Wolf. „Kein Alpha. Etwas anderes. Erd-Stimme.“
Bei dem Wort – Erd-Stimme – vibrierte der Zug in meiner Brust sanft, als würde er nachklingen. Er antwortete. Das machte mich zugleich leichter und schwerer. Leichter, weil ich nicht ins Nichts trat; schwerer, weil alles, was antwortet, etwas zu sagen hat – und einen Preis.
Der Tag stieg höher. Mein Körper ermüdete, aber der Schmerz blieb erträglich. Meine Kräfte ordneten sich seltsam neu: Wo ich gestern gefallen wäre, trat ich jetzt darüber; wo ich gestern weitergegangen wäre, hielt ich jetzt an. Die Ordnung hinter dem Zug webte sich in meine Beine. Ich wollte nicht mehr fragen, wie weit – nur noch wie.
An einer umgestürzten Buche hielt ich inne. Unter ihrer Rinde arbeiteten Käfer; ihr leises, stetiges Schaben war wie ein uraltes Gebet. Hinter dem Stamm wurde die Erde weicher; darin eine frische Spur – große, schwere Pfote. Sie war nicht gerutscht, nicht aufgeschlagen – sie hatte gesetzt. Ihr Geruch war nicht aggressiv, nur aufmerksam. Jemand war vor nicht allzu langer Zeit hier vorbeigekommen. Die Luft wurde, als verstumme ein großer Saal beim Eintreten eines Einzelnen.
„Gehen wir weiter?“ fragte ich.
„Wir können nicht ausweichen“, sagte mein Wolf. „Der Zug führt dort entlang.“
Schritt. Noch einer. Die Luft hielt Spannung – nicht die vor einer Schlacht, sondern die vor einer Wahl. Die andere Seite des Randes – das Wissen, dass es eine andere Seite gab – war ein Märchen gewesen. Jetzt verschob sich der Boden unter mir, formte sich mit neuer Ordnung neu. Der Faden in meiner Brust zuckte ein letztes Mal, leise – wie eine Hand, die dir über die Schulter streicht, bevor du in die Dunkelheit aufbrichst, und sagt: Ich bin da.
„Gehen wir“, sagte ich.
Mein Wolf antwortete nicht. Aber ich fühlte sein Fell an meinen inneren Wänden reiben, seine Zähne aufeinanderklicken – nicht als Drohung, sondern um der Stille, falls nötig, Klang zu geben. Mein Fuß trat vor. Die Luft, die mir zuvor rauchig die Kehle geraspelt hatte, war nun dichter, feuchter; das Licht brach anders durch die Zweige, der Vogelruf sank um eine Schattierung. Nichts Dramatisches geschah. Und doch: Etwas veränderte sich unwiderruflich.
Ich ging bis in den Nachmittag. Nicht schnell, nicht weit – nur so viel, wie Körper und Zug gemeinsam erlaubten. Als ich anhielt, fand ich Schutz hinter einem niedrigen, steinigen Rücken. Die Sonne stand schräg, die Felsen wärmten meine Handflächen. Der Wind griff in mein Haar, und hinter meinen eigenen Geruch mischte sich etwas Zartes, Unbekanntes. Nichts, das Gefahr verhieß. Ordnung. Die Art von Ordnung, die nicht fragt, weil sie es nicht muss.
Ich setzte mich und legte den Kopf auf die Knie. Der Zug war nun ruhig in mir; nicht schlafend, nur ruhend, wie ein Pferd, das die Tränke erreicht. Mein Wolf streckte sich im inneren Schatten, die Ohren zuckten noch – ich beobachtete jedes Muskelspiel, als wäre es der eine sichere Beweis: Wir leben.
„Wenn wir ankommen“, sagte ich schließlich, „was dann?“
„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Aber ich weiß, was hier ist, und was hinter uns liegt. Das reicht für heute.“
Ich versuchte zu lächeln. Es misslang. Aber der Mundwinkel drückte sich gegen etwas, das nicht mehr bloß Schmerz war. Die Sonne sank, Licht strich über die Kanten der Steine. In dem Summen der Luft – das bisher keiner Quelle geglichen hatte – glaubte ich eine Silbe zu hören. Ich verstand sie nicht. Vielleicht war es gar kein Laut. Nur die neue, feine Stimmung des Zugs. Irgendwo in dieser wilden, unbekannten Gegend beobachtete jemand oder etwas – nicht Mensch, nicht Wolf, aber nicht Feind.
Ich lehnte den Kopf an den Stein. Meine Lider schlossen sich. Meine Hand – inzwischen reflexhaft – glitt an meinen Bauch. Unter der Haut war nur mein eigener Herzschlag und das sanfte Vibrieren des Brustfadens. Die Trauer war nicht gegangen – sie hatte sich umgeordnet. Sie grub sich Raum in mir und ließ einen anderen Streifen frei: den Weg, der ins Unbekannte zog. Und ich – so sehr ich ihn auch fürchtete – würde ihm folgen. Denn das Unbekannte ist nicht immer ein anderer Name für Verlust. Manchmal ist es der für Überleben. Manchmal, wenn die Erde ruft, tut sie es nicht, um dich zu verschlingen – sondern um dich hindurchzuführen.
Der letzte Lichtstreifen kippte über die Felsen. Der Wind flüsterte mir etwas ins Ohr, das ich nicht verstand, und mein Wolf grollte leise in meiner Brust darauf: „Wir haben es gehört.“ Mit meinem nächsten Atemzug wurde der Zug wieder spürbarer – nicht dringlich, nur so sehr, dass er mir sagte: Ich habe mich nicht geirrt. Irgendwo in diesem wilden, unbekannten Land wartete ein anderer Rhythmus. Wem er auch gehörte, was er auch war – für mich war er jetzt der Weg.