Stahlblauer Nadelstreifenanzug

1686 Words
Mit leicht offenstehendem Mund starrte ich Luke an, der mich nur ungeduldig musterte:,, Jetzt sag schon! Nehmen sie dich?" Das erste Mal seit Wochen empfand ich wieder so etwas wie Freude. Ein kleines Lächeln breitete sich in meinem Gesicht aus. Dann brachen all meine Gefühle endgültig aus mir heraus. Ich begann hysterisch zu lachen und fiel meinem besten Freund um den Hals:,, Ja! Ja, sie nehmen mich!" Luke gab ein kehliges Lachen von sich und schloss nun die Arme enger um mich. Dann stand er auf und drehte sich mit mir zusammen im Kreis. Die Schwerkraft zog mich nach außen, was mich nur noch mehr zum Lachen brachte. Als Luke mich hinunter ließ, fuhr ich mir mit einer Hand durch die Haare und versuche mich wieder zu sammeln, dann meinte ich:,, Naja, sie laden mich jedenfalls einmal auf ein Vorstellungsgespräch ein." Luke ließ sich wieder auf seinen Sessel fallen und antwortete:,, Aber das ist doch schon einmal ein Anfang." Zustimmend beobachtete ich wie mein bester Freund eilig aufsprang und mit einem lauten „Das muss gefeiert werden" in der Küche verschwand. Immer noch leicht Lächeln schnappte ich mir den Brief und ließ mich auf die Couch sinken. Ich zog meine Beine hoch und verschränkte sie zu einem Schneidersitz. Langsam ließ ich meine Augen über die Zeilen wandern um mir noch einmal alles in Ruhe durchzulesen. Anscheinend gab es demnächst ein größeres Fest und dafür suchten sie Aushilfen. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Maximilian der III, Kronprinz von England, feierte demnächst seinen 23. Geburtstag. Wie konnte ich das nur vergessen? Aber wenn ich ehrlich zu mir war, dann interessierte mich die königliche Familie kaum. Es gab sowieso nur noch den Sohn und seinen Vater, Georg Maxwell Alexander. Königin Corina starb vor über 5 Jahren an einem Herzinfarkt. Das ganze Land war erschüttert, so natürlich auch ich, aber was konnte man schon tun? Die Menschen haben für eine paar Monate getrauert, doch mehr auch wieder nicht. Die Gedenkfeier für Königin Corina war auch das letzte Mal, dass ich Prinz Maximilian sah. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie eine 17- jährige Version von ihm, in einem stahlblauen Nadelstreifenanzug, hinter dem Todeswagen seiner Mutter herging und einfach vor sich hinstarrte. Ich würde seinen Blick wahrscheinlich nie wieder vergessen. Seine Augen wirkten einfach so kalt, so unbeteiligt, als würde er sich irgendeine langweilige Präsentation anschauen und nicht die Beerdigungsparade seiner Mutter. Es gab einfach keine Gefühle in seinen Augen. Und ich glaube, das war es, was mich damals so geschockt hatte. Als wäre er gar nicht anwesend gewesen. Nach dem tragischen Tod von Königin Corina hat man lange nichts mehr von der Königsfamilie gehört. Und dadurch hatte ich dann einfach das Interesse an ihnen verloren. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Luke lachend mit einer Flasche Champagner ins Wohnzimmer zurück kam. Ich legte den Brief zur Seite und versuchte mich wieder aufs hier und jetzt zu konzentrieren. Die Flasche ploppte, als Luke den Korken öffnete. Das fruchtige Aroma eines Moet & Chandon breitete sich im Raum aus und ich zog in freudiger Erwartung den Geruch ein. Mein Magen erwärmte sich alleine bei dem Gedanken an die berauschende Wirkung des Alkohols. ~~~~~~~~~~ Nervös strich ich mir über meinen engen Bleistiftrock und zupfte an meiner makellosen weißen Bluse herum. Vor mir erhob sich das prächtige Gebäude des Buckingham Palace. Die gelbe Fassade wurde durch Sonnenstrahlen beleuchtet, während die Gitterstäbe des hohen Zaunes, welcher das gesamte Schloss umgab, in der Sonne glänzten. Meine nervösen Finger griffen zitternd in meine kleine Handtasche und zogen noch einmal meine Lippenstift hervor. Wahrscheinlich war dies schon die dutzende Schicht die ich von dem matt rosa Lippenstift auftrug, aber ich wusste mich nicht anders zu beschäftigen, während ich auf die Frau wartete, mit der ich gleich mein Vorstellungsgesprächen haben sollte. Ich stand an der Seitenfassade des Palastes, unter einem kleinen Baum, der mir Schatten spendete. Plötzlich ertönte eine freundliche helle Stimme hinter mir, woraufhin ich mich überrascht umdreht:,, Miss Prinsloo? Guten Tag, meine Name ist Allison Clingfort. Aber das sollten Sie bereits wissen. Wollen wir rein gehen?" Ich nickte lächelnd und folgte der etwas älteren Frau. Sie hatte gefärbte dunkelbraune Haare, die mich sehr an die meiner Mutter erinnerten. Dazu noch freundliche braune Augen. Sie führte mich ein bisschen den Gehsteig hinauf, bevor wir vor einem Tor stehen blieben, welches in den Zaun eingelassen wurde. Mrs Clingfort zog einen Schlüssel aus ihrer Hosentasche hervor und öffnete diese. Mit vorsichtigen Schritten folgte ich ihr aufs Schlossgelände. Wir betraten das Gebäude und standen in einem großen, langen Flur. Doch auch hier machte die ältere Frau keinen Halt und ging zügig voran. Ich musste im Laufschritt gehen um mit ihr mithalten zu können. Noch dazu kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Boden war bedeckt mit rotem Teppich und die Wände waren an sich schon Kunstwerke. Wunderschöne Schnitzereien und Blattgold zierten den ganzen Weg. Bevor ich es verhindern konnte, war mir die Frage schon herausgerutscht: ,,Lebt hier der König?" Mrs Clingfort begann schallend zu lachen und antwortete mir:,, Nein. Dieser Bereich ist ausschließlich für Angestellte. Dann gibt es natürlich auch noch einen Bereich für die Touristen und erst am hintersten Ende des Schlosses liegen die Privatgemächer des Königs und des Prinzens. Die wirst du aber so schnell nicht zu Gesicht bekommen. Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen." Augenblicklich bereute ich meine Frage. Jetzt dachte sie sicher, dass ich die Königsfamilie anhimmelte und es kaum erwarten konnte sie kennenzulernen. Obwohl eigentlich eher das Gegenteil der Fall war. Ich setzte ein Lächeln auf und meinte:,, Das haben Sie nicht. Tut mir leid, dass ich so neugierig war." Sie schenkte mir lediglich ein höfliches Lächeln und öffnete dann die Tür zu einem großen  Büro. Ich trat ein und sah mich unauffällig um. Das Büro war genauso prachtvoll eingerichtet wie wahrscheinlich der Rest des Schlosses. Mrs Clingfort ließ sich auf einen mit rotem Samt überzogenen Sessel fallen und deutete dann auf den Stuhl ihr gegenüber. Ich kam ihrer Aufforderung nach und setzte mich ebenfalls hin. Meine Handtasche stellte ich neben mir auf den Boden und verschränkte dann nervös meine Finger in meinem Schoß. Die ältere Dame mir gegenüber öffnete die unterste Schublade ihres Schreibtisches und holte eine Akte hervor. Diese legte sie vor sich hin und setzte sich eine altmodische Lesebrille auf, welche an einem roten Band um ihren Hals hing. Sie schlug die Mappe auf und ich erkannte meine Bewerbungsunterlagen. Mrs Clingfort nahm sie heraus und warf einen Blick auf die bedruckten Blätter. Dann meinte sie:,, Also ich muss sagen, dass ich beeindruckt bin. Einen Abschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,4 und danach eine Jahr lang Jura studiert. Jedoch haben Sie das Studium abgebrochen. Wieso?" Auf diese Frage hatte ich mich schon vorbereitet:,, Die Themenrichtung hat mich einfach nicht mehr interessiert." Ein strenger Ausdruck breitete sich über ihr Gesicht aus:,, Sie sollten mich besser nicht anlügen, Ms Prinsloo. Natürlich habe ich einen Background check unternommen. Ich kenne die Gründe für den Abbruch ihres Studiums, aber ich hätte die Wahrheit lieber von Ihnen gehört. Ich will ehrlich mit Ihnen sein, Ms Prinsloo. Sie haben einen sehr beeindruckenden Lebenslauf für ihr junges Alter. Jedoch haben Sie fast gar keine Erfahrung im kellnern oder als Putzfrau." Dieses Gespräch verlief eindeutig in die falsche Richtung:,, Ja, aber ich lerne sehr schnell. Außerdem ist dies kein Beruf den man nicht erlernen kann. Das Wichtigste ist doch, dass ich diesen Job wirklich will und mich anstrengen werde, 110% zu geben, oder?" Die Frau musterte mich mit einem nachdenklichen Blick, als sie langsam ihre Brille abnahm und sich nach hinten lehnte. Dann antwortete sie:,, Ich habe einen Vorschlag für Sie. Nächste Woche Freitag, also dem 05.09, feiert Prinz Maximilian der III seinen 23. Geburtstag. Ich würde Sie gerne an diesem Tag als Aushilfe dabei haben. Und je nachdem wie gut Sie sich schlagen, können wir darüber reden, Sie dauerhaft einzustellen. Das wollen Sie doch, oder?" Ich konnte mein Glück gar nicht fassen:,, Ja, das wäre optimal." ,,Okay, dann haben wir jetzt nur noch ein paar Sachen zu klären." Nach einer gefühlten Ewigkeit, wobei es sich jedoch nur um 20 Minuten handelte, waren wir fertig und ich wusste über den Ablauf am Freitag genauestens Bescheid. Zum Abschied brachte mich Mrs Clingfort nach draußen und reichte mir die Hand. Lächelnd ergriff ich diese und schüttelte sie. Ich war unfassbar froh, als ich den Buckingham Palace hinter mir lassen konnte und eilig in die nächste U-Bahn einstieg. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Ich hatte den Job! Vorerst. Aber immerhin. Irgendwie fand ich es gruslig, dass Mrs Clingfort mir im Nachhinein gestand, in meiner Privatsphäre herumgestochert zu haben. Aber ich konnte es verstehen. Man konnte ja nicht einfach irgendwen einstellen. Auf dem Weg nachhause nahm ich mir noch einen Kaffee vom Starbucks mit. Den konnte ich jetzt echt gut gebrauchen. Zuhause angekommen empfing mich ein vor Freude strahlender Luke.
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