Perlmuttweißes Papier
Ich saß schon seit mehreren Stunden in einem kleinen Café am Rande einer belebten Londoner Straße. Genüsslich trank ich meinen Cappuccino zu Ende und schloss die Zeitung, welche vor mir ausgebreitet auf dem Tisch lag. In wenigen Minuten sollte ich meinen besten Freund Luke treffen. Wir hatten uns für genau 14 Uhr an der Millennium Bridge verabredet. Jedoch hatte ich sonst nichts Besseres zu tun und wollte mich ein bisschen ablenken, darum fuhr ich schon früher in die Stadt, bummelte durch die Gassen von London und fand dann schlussendlich dieses kleine Café. Aber nun musste ich wirklich los.
Ich legte dem Kellner 10 Pfund auf den Tisch und stand auf. Ich nahm meine Lederjacke und meine Handtasche von meinem Sessel und verließ das kleine Café.
Mit zügigen Schritten lief ich durch die verwinkelten Straßen und beobachtete das rege Treiben um mich herum. Es war Mitte August und zu den unzähligen, schwer beschäftigten, Arbeitern, entdeckte man nun auch an jeder Ecke Unmengen an Touristen, die die ganzen Wahrzeichen und Denkmäler Londons fotografierten. Die großen roten Double-decker Busse schlängelten sich durch die vollen Straßen, genauso wie ich es tat.
Endlich erreichte ich die Millennium Bridge und ließ mich auf eine kleine Bank am Straßenrand sinken. Ich holte mein Handy heraus und rief Luke an. Nachdem ich ihm kurz Bescheid gesagt hatte, wo ich war, legte ich wieder auf.
Verträumt glitt mein Blick über die Themse. Still floss sie vor sich hin und ließ sich von den Schiffen nicht beirren. Früher war ich hier immer mit meinen Eltern gewesen. Ein paar Straßen weiter gab es einen sehr guten Eisladen, den ich als Kind geliebt hatte. Immer wenn ich sehr brav war, ob in der Schule oder wo anders, gingen meine Eltern mit mir hier her. Ich durfte mir ein Eis aussuchen und wir gingen ein bisschen an der Themse spazieren. Nostalgie überkam mich.
Ich vermisste sie wirklich sehr.
Plötzlich legten sich zwei große Hände über meine Augen und ich schrie erschrocken auf. Doch dann ertönte das tiefe Lachen von Luke und ich entspannte mich wieder. Er ließ seine Hände sinken und setzte sich neben mich auf die Bank.
Lächelnd umarmte ich ihn von der Seite und meinte:,, Hey, Luke. Wie geht's dir?"
Luke setzte sich breitbeinig hin, ließ seinen Blick über den Fluss vor uns gleiten, so wie ich zuvor und antwortete mir: ,,Als ob das wichtig wäre. Viel wichtiger ist doch wie es dir geht. Du hast dich nach dem Begräbnis deiner Eltern für fast 3 Wochen zurückgezogen, ohne jemanden etwas zu sagen. Ich versteh ja, dass du Zeit für dich brauchst, aber ich mache mir halt einfach Sorgen um dich. Ehrlich gesagt bin ich wirklich sehr überrascht, dass du meine Einladung zu diesem Treffen angenommen hast."
Betrübt wandte ich den Blick von ihm ab. In den folgenden Sekunden herrschte bedrückende Stille zwischen uns. Dann endlich schaffte ich es, den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken und begann zu sprechen:,, Es ist einfach alles so schwer. Mein Leben war perfekt. Ich ging auf die Uni und lebte mit meinen Eltern in einem schönen Haus. Und dann kommt dieser Unfall und mein Leben ist von dem einen auf den andere Tag ruiniert. Meine Eltern sind tot! Außerdem muss ich das Haus verkaufen und mein Studium abbrechen. Klar könnte ich vielleicht noch ein oder zwei Jahre mit dem Geld, welches mir meine Eltern vererbt haben, weiterstudieren, doch dies wäre auch keine Lösung. Ich brauche eine kleine Wohnung und einen Job. Vielleicht muss ich deswegen von London wegziehen. Und dann verliere ich auch noch dich. Dann hab ich niemanden mehr. Also bitte, nimm es mir nicht übel wenn es mir schlecht geht und ich mich vom Rest der Welt zurückziehe."
Tränen der Frustration glänzten in meinen grasgrünen Augen, während ich Luke nur stur anfunkelt. Ohne etwas zu sagen nahm er mich in den Arm und hielt mich fest gegen seinen Körper gepresst.
Nachdem ich einige Male tief durchgeatmet hatte, löste ich mich von ihm. Sanft lächelte mich Luke an und meinte:,, Kopf hoch! Du darfst nicht alles so negativ sehen. Wir finden schon eine Lösung. Bis du eine Wohnung gefunden hast kannst du ja bei mir einziehen und wegen deines Jobproblems wollte ich dich sowieso sprechen. Du kennst ja sicher noch Clair, oder?"
,,Ja. Das war doch dieses blonde Mädchen mit dem du eine Zeit lang etwas hattest."
Luke grinste mich schief an und sprach weiter:,, Naja, also ,,hatte" würde ich jetzt nicht unbedingt sagen. Wir haben noch immer etwas am Laufen."
Überrascht schnappte ich nach Luft und schlug Luke auf den Arm:,, Und so etwas erzählst du mir nicht?!"
,, Doch, aber halt erst jetzt. Du hattest eindeutig andere Probleme. Jedenfalls arbeitet Clair als Putzfrau im Buckingham Palace und sie hat mir erzählt, dass die dort immer wieder Leute suchen, vor allem wenn große Feste anstehen."
Ungläubig fragte ich Luke:,, Du meinst also, dass ich mich dort bewerben soll?"
Mein bester Freund nickte zustimmend und antwortete:,, Einen Versuch wäre es wert. Der Job ist recht gut bezahlt. Außerdem könntest du das Geld sparen und dein Studium in ein paar Jahren fortsetzten."
Nun musste ich auch lächeln. Luke hatte Recht. Es wäre einen Versuch wert. Außerdem hatte ich sowieso nichts zu verlieren.
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In den nächsten Wochen veränderte sich einiges. Ich verkaufte mein ehemaliges Zuhause und zog zu Luke. Dann brach ich mein Studium offiziell ab und schrieb ein Bewerbungsformular, welches ich dann schlussendlich an den Buckingham Palace schicke. Jeden Tag wartete ich gespannt auf eine Antwort. Doch als sich der August zu Ende neigte und ich immer noch keine Bestätigung bekommen hatte, gab ich meine Hoffnung auf. Ich sah mich nach anderen Arbeitsstellen um.
Ich saß gerade an meinem Laptop und forschte ein bisschen im Internet, als es an der Tür läutete. Eilig stand ich auf und rannte ins Vorzimmer. Wie nicht anders erwartet, stand Luke vor der Tür. Ich ließ ihn hinein und ging dann wieder zurück ins Wohnzimmer. Während sich Luke seine Schuhe auszog, schrie ich durch die gesamte Wohnung:,, Essen steht in der Küche! Musst es dir nur noch warm machen!"
Jedoch ging mein bester Freund nicht wie gedacht in die Küche, sondern kam zu mir ins Wohnzimmer. Dort ließ er sich neben mir auf einen Sessel sinken und meinte:,, Ich mach mir gleich etwas zu Essen, aber zuerst will ich mit dir reden."
Neugierig schloss ich meinen Computer und wandte mich meinem besten Freund zu. Dieser begann nun zu reden:,, Heute kam ein Brief für dich an. Er ist vom Buckingham Palace. Aber Vici, egal was in diesem Brief steht, sei deswegen bitte nicht allzu enttäuscht. Es ist nur ein Job."
Aufgeregt nickte ich und konnte kaum noch ruhig sitzen. Ich griff nach dem Brief, den mir Luke nun entgegenhielt und riss ihn auf. Meine Hände zitterten leicht als ich das perlmuttweiße Blatt auseinander faltete. Am Kopf des Briefes prangte das Siegel des Königshauses und mir wurde ganz schwummrig zumute. Eilig überflog ich die klein gedruckten Zeilen. Immer und immer wieder. Fassungslos ließ ich meine Hände, samt den Zettel, in meinen Schoss fallen.