Kapitel 2

1187 Words
Ich stand auf, bedankte mich ebenfalls und verließ das Büro mit gemischten Gefühlen. Während ich den Weg zurück zur Lobby fand, konnte ich nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie das Gespräch gelaufen war. Hatte ich genug getan? War ich überzeugend genug gewesen? Als ich schließlich das Hotel verließ und die frische Luft der Stadt einatmete, fühlte ich mich erleichtert und zugleich angespannt. Nun lag es nicht mehr in meiner Hand. Ich hatte mein Bestes gegeben und musste nun hoffen, dass es ausreichen würde, um einen Platz in dieser Welt zu bekommen – in der Welt des Venturi Oriental Hotels. Ich fuhr mit der New Yorker U-Bahn zurück nach Brooklyn, dem Stadtteil, in welchem meine beste Freundin Kimberly und ich in einem kleinen Appartement im fünften Stock wohnten. Es war eine dieser langen Fahrten, bei denen man die Zeit damit verbringt, die Menschen um sich herum zu beobachten und über das eigene Leben nachzudenken. Die U-Bahn war wie immer voll, eine Mischung aus Pendlern, die von der Arbeit kamen, und Touristen, die sich die Stadt anschauen wollten. Ich lehnte mich an die kalte Metallstange und starrte aus dem Fenster, auch wenn es in den Tunneln nichts zu sehen gab. Kimberly und ich hatten uns damals auf der Hotelfachschule kennengelernt. Sie war immer die Ehrgeizigere von uns beiden gewesen. Während ich die Schule beendete und direkt ins Berufsleben einstieg, studierte Kimberly noch nebenbei, denn sie wollte weiter ins Management. Sie hatte große Pläne und träumte davon, einmal ein eigenes Hotel zu führen. Ich hingegen war das Arbeitstier, ohne Collegeabschluss, aber mit einem unermüdlichen Drang, mich in meinem Job zu beweisen. Wir waren beide dreiundzwanzig Jahre alt und fühlten uns, als stünden wir mit beiden Beinen fest im Leben. Doch in mir regte sich der Wunsch nach mehr. Ich wollte nicht nur irgendwo angestellt sein, ich wollte Teil von etwas Größerem werden. Als die U-Bahn schließlich in unserer Station hielt, stieg ich aus und machte mich auf den kurzen Fußweg zu unserem Appartement. Die Straßen von Brooklyn waren belebt, und ich genoss die kühle Abendluft, die mir entgegenwehte. Unser Appartement befand sich in einem älteren Gebäude, das seinen eigenen Charme hatte, trotz des quietschenden Aufzugs, den wir täglich benutzten. Als ich die Tür aufschloss, hörte ich bereits das vertraute Knistern von Papier und das leise Summen von Kim's Lieblingsmusik, die aus ihrem Zimmer drang. Kimberly saß über ihren Büchern, die sie um sich herum aufgestapelt hatte, und war tief in ihre Notizen vertieft. Ich lächelte und ging in die kleine Küche, um zwei Tassen Kaffee zu machen. Ein frischer Bagel vom Bäcker um die Ecke rundete das kleine Frühstück ab. Mit dem Kaffee und dem Bagel in der Hand trat ich in ihr Zimmer und stellte beides vor ihr ab. „Olivia, du bist die Beste! Guten Morgen!“, sagte sie strahlend und nahm dankbar den Kaffee entgegen. Ihr Gesicht war eine Mischung aus Müdigkeit und Begeisterung. Wir redeten ein wenig über unseren Tag, während Kimberly ihren Bagel aß. Ich ließ mich neben ihr nieder, nahm einen Schluck und erzählte ihr von meinem Vorstellungsgespräch im Venturi Oriental Hotel. "Es war wirklich beeindruckend", begann ich und lehnte mich zurück. "Ich meine, allein die Lobby... überall diese Marmorböden und die riesigen Kronleuchter. Ich musste mich echt zusammenreißen, um nicht mit offenem Mund zu staunen." Ich erinnerte mich daran, wie ich meine Nervosität zu verbergen versuchte, als ich auf die erste Hausdame wartete. Der Gedanke, Teil eines so renommierten Hotels zu werden, hatte mein Herz schneller schlagen lassen. "Und wie lief das Gespräch?" fragte Kimberly neugierig und tippte dabei auf ihrem Laptop herum. "Es war... intensiv. Sie haben mich wirklich mit Fragen gelöchert. Aber ich denke, ich habe mich ganz gut geschlagen", sagte ich mit einem Anflug von Stolz. "Jetzt heißt es einfach abwarten und hoffen, dass ich überzeugend genug war." Ich spürte die Unsicherheit in meiner Stimme, aber Kimberly schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. "Ich bin mir sicher, dass du es gut gemacht hast. Schließlich hast du dich so lange darauf vorbereitet", sagte sie und drehte den Bildschirm zu mir. "Schau mal, was ich über das Hotel gefunden habe." Ich beugte mich vor, um besser sehen zu können. Kimberly las laut vor: "400 luxuriöse Zimmer, 75 Suiten, 6 Restaurants, 10 verschiedene Bars und 50 Veranstaltungsräume. Und das ist nur dieses Hotel. Insgesamt gibt es 7530 Hotels weltweit mit genau dieser Ausstattung." Ich pfiff beeindruckt durch die Zähne. "Das ist wirklich ein Imperium, was Matteo Venturi Senior da aufgebaut hat. Vom Pizzabäcker zum Milliardär. Unglaublich." Kimberly nickte und scrollte weiter. "Und jetzt hat sein Enkelsohn Alessandro Venturi das Zepter in der Hand. Angeblich der begehrteste Junggeselle weltweit. Und das mit gerade mal 31 Jahren." Ich musste lachen. "Das klingt ja fast wie ein Märchen. Aber ich schätze, hinter all dem Glamour steckt jede Menge harte Arbeit." "Bestimmt", stimmte Kimberly zu. "Aber stell dir vor, du würdest dort arbeiten. Mit solchen Leuten zusammen sein... das wäre doch spannend, oder?" Ich überlegte einen Moment und stellte mir vor, wie es wäre, Teil dieser glitzernden Welt zu sein. Die Vorstellung war sowohl aufregend als auch beängstigend. "Ja, das wäre es wohl", gab ich zu. "Aber ich denke, es würde auch eine Menge Druck bedeuten. Ständig darauf bedacht zu sein, alles perfekt zu machen." Kimberly klappte den Laptop zu und drehte sich zu mir. "Du wirst das schon schaffen, Olivia. Ich glaube an dich." Ich lächelte dankbar. "Danke, das bedeutet mir viel." Wir unterhielten uns noch eine Weile über das Hotel und die Möglichkeiten, die ein Job dort mit sich bringen würde. Je mehr wir darüber sprachen, desto mehr begann ich, mir eine Zukunft dort auszumalen. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich diesen Job wollte. "Es wäre wirklich ein Traum", sagte ich schließlich leise und schaute aus dem Fenster, wo der Regen sanft gegen die Scheiben trommelte. Kimberly legte mir eine Hand auf die Schulter. "Du wirst deinen Weg schon finden, Olivia. Egal, ob es bei Venturi oder anderswo ist." Ich nickte dankbar und lehnte mich zurück. Der Gedanke, dass jemand wie Kimberly an mich glaubte, gab mir neuen Mut. Ich wusste, dass der Weg vor mir nicht einfach sein würde, aber ich war bereit, mich der Herausforderung zu stellen. "Wir sollten feiern", schlug Kimberly plötzlich vor. "Egal, wie es ausgeht, du hast heute einen großen Schritt gemacht." Ich lachte. "Du hast recht. Vielleicht sollten wir etwas trinken gehen. Ein kleines Abenteuer in der Stadt?" "Genau das, was wir brauchen", stimmte sie zu und sprang vom Bett. "Lass uns losziehen und erstmal shoppen gehen. Sollen wir vielleicht im Venturi einen Tisch bestellen? Erst essen gehen und danach noch in eine der Hotelbars? Dann könnten wir uns gleich ein wenig umsehen. Die Lage abchecken“, meinte Kimberly, warf ihre langen roten Haare zurück und schnalzte mir der Zunge. „Du bist einfach unverbesserlich. Aber gut. Warum nicht. Egal ob ich angenommen werde oder nicht, das Hotel ist für jedermann zugänglich.“ Ich stand auf und legte den leeren Kaffeebecher beiseite. Gemeinsam verließen wir das Zimmer, während draußen der Regen langsam nachließ und die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken brachen.
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