Andrea Cromwells Sicht
Mein Handy summte ununterbrochen, während ich den Entwurf fertigstellte, an dem ich seit dem Morgen gearbeitet hatte. Als Gründerin und Geschäftsführerin von Ratio Architects hatte ich keine Ruhepause – und das war mir lieber. Mich zu beschäftigen half mir, mein gebrochenes Herz zu heilen. Ich brauchte fünf lange Jahre, um meine Träume zu verwirklichen. Ja, ich war stolz auf meine Erfolge.
Das Unternehmertum war ein mühsamer Weg mit mehr Höhen und Tiefen als sanften Fahrten, aber ich hatte mich im Alleingang durchgekämpft. Ich war Sebastián Conrad, dem Geschäftsführer von Conrad Architects Worldwide, dankbar für seine Chance. Die Zusammenarbeit mit Conrad verschaffte mir regelmäßig Arbeit, Geld, Ruhm und Erfolg.
Als ich anfing, hatte ich nichts außer einem gebrochenen Herzen, Tränen und einer schwierigen Schwangerschaft. Es war ein erbitterter Kampf für mich, aber ich ging als Siegerin hervor. Ich konnte der Welt beweisen, dass es nicht so leicht war, mich zu brechen.
Ich warf einen Blick auf mein Handy und sah die Nummer meines Großvaters Vincent Cromwell auf dem Display aufblitzen. Ein Gefühl der Angst überkam mich. Ich hatte meine vierjährigen Zwillingssöhne bei ihm gelassen, um die Arbeit bei Conrad Architects Worldwide, unserem Hauptpartner, abzuschließen.
Sie waren ein weltweiter Anbieter von Architekturlösungen und vertrauten mir das ganze Jahr über Projekte an. Ich konnte sie nicht enttäuschen. Eine Stunde vor der Abschlusspräsentation drückte ich die Daumen, dass sie meinen Entwurf genehmigten. Das Geld, das damit verbunden war, war zu hoch, um es zu ignorieren.
Ich seufzte, als das Telefon ständig summte, und wusste, dass ich den Anruf annehmen musste. In dem Moment, als ich den Hörer abnahm, wusste ich, dass etwas nicht stimmte.
„Andrea, wo bist du?“ Ich massierte meine Schläfen und fragte mich, was jetzt los war. „Bei Conrad, Opa. Ist alles in Ordnung?“ „Nein, kannst du zur Krankenversicherung kommen? Adrian war mit dem Fahrrad gestürzt!“
Meine Mutterinstinkte waren sofort in höchster Alarmbereitschaft. Alleinerziehende Mutter von Zwillingen zu sein und gleichzeitig ein Geschäft zu managen, war das Härteste.
„Meine Güte! Ich bin gleich da!“ Ich klappte meinen Laptop zu, schloss das Büro ab und eilte mit dem Aufzug zum Parkplatz. Ich hatte keine Minute Zeit. Ich würde vor der Präsentation zurück sein und mich darum kümmern.
„Andrea, die Konferenz!“, erinnerte mich Diane, die Empfangsdame, als ich hinauseilte. Sie wollte noch mehr sagen, aber ich hatte keine Zeit, anzuhalten und zu plaudern. „Bin gleich wieder da!“
Bald kämpfte ich mich durch den Verkehr in Downtown L.A., um zu Medicaid zu gelangen, dem renommierten medizinischen Zentrum am Crescent Drive in Beverly Hills, in der Nähe von Opas Haus. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, meine Kinder zurückzulassen und arbeiten zu gehen, obwohl ich es mir auch einfacher hätte machen können.
Ich wollte weder einen einfachen Ausweg, noch wollte ich finanzielle Hilfe von meiner Familie. Es ärgerte sie, besonders meinen Zwillingsbruder Knox, aber ich schenkte seinen Schimpftiraden keine Beachtung. Mein Opa Vincent Cromwell und mein Zwilling Knox wollten, dass ich mir das Familienunternehmen ansehe, aber es interessierte mich nicht.
Vor fünf Jahren leitete ich den Forschungs- und Entwicklungsbereich der Cromwell Reckitt Group of Companies, unserem Konsumgüterunternehmen – aber das war nicht meine Nische. Ich seufzte bei der Erinnerung. Das war, bevor mein Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde.
Nach zwanzig Minuten parkte ich bei Medicaid und eilte hinein, um Adrian im Rollstuhl mit eingegipstem Bein zu sehen. Opa Vincent und seine zweite Frau, Oma Catherine, standen mit ernster Miene neben ihm. Ein entsetzter Schrei entfuhr mir, als ich vor ihnen stehen blieb.
„Was ist mit ihm passiert, Opa? Warum sitzt er im Rollstuhl? Hat er sich das Bein gebrochen?“ Ich kniete mich vor meinen Sohn, der mich seltsamerweise mit einem Grinsen statt mit Tränen ansah. Tatsächlich sah er stolz auf seine Verletzung aus.
„Nein, Mama. Bleib ruhig! Es ist nur eine Verstauchung.“ Tränen der Hilflosigkeit stiegen mir in die Augen, als ich sein Bein berührte. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich war wirklich eine schreckliche Mutter. „Weine nicht, Mama! Mir geht es gut.“ Er wischte mir die Tränen ab.
„Verstauchung? Warum haben sie dann einen Gips angelegt?“ Ich stand auf und sah Opa an, ganz und gar nicht überzeugt.
Er bedeutete Oma Catherine, Adrian wegzubringen. Sie nickte und schob Adrians Rollstuhl zum Ausgang, während Opa sich zu mir umdrehte.
„Keine Panik, Andy. Er hat einen Haarriss am Knie. Der Arzt hat ihm zwei Wochen Bettruhe empfohlen. Ich wollte ihn nicht erschrecken. Er versucht nur, dir zuliebe tapfer zu wirken.“
„Bruch? Oh mein Gott! Ich wusste, dass sie mit den neuen Fahrrädern etwas im Schilde führen.“
„Schon gut. So etwas gehört zum Erwachsenwerden dazu. Du kannst mit seinem Arzt reden. Wir haben diesen Andy! Du kannst jetzt wieder arbeiten gehen.“
Ich blinzelte meinen Opa an, immer noch verwirrt. „Bist du sicher? Wo ist Zayden? Geht es ihm gut?“ Zayden war Adrians Zwilling und der berüchtigtere von beiden.
„Er ist zu Hause bei Mrs. Hamilton! Mach dir keine Sorgen um ihn.“
Ich atmete erleichtert auf und half ihnen zum Auto. Ich vertraute Mrs. Hamilton, der Haushälterin meines Opas, mehr als irgendjemandem auf der Welt.
Sie war eine Konstante in unserem Leben und hatte Knox und mich seit unserer Geburt großgezogen. Für mich war sie mehr wie eine Mutter, als meine leibliche Mutter es je gewesen war. Nach dem Tod unserer Eltern sahen Knox und ich in allem zu ihr auf.
Nachdem Opa weggefahren war, sprach ich mit dem Arzt über Adrians Zustand. Der Bruch würde Zeit brauchen, um zu heilen. Bis dahin riet der Arzt mir zur Ruhe. Ich wusste, was das bedeutete: Adrian würde nicht zur Schule gehen können. Wie sollte ich eine Woche lang nicht arbeiten? Die einzige Möglichkeit wäre, die Zwillinge bei Opa in der Cromwell Mansion zu lassen, bis Adrian sich erholt hatte.
Ich hasste es, meine Verantwortung auf andere abzuwälzen. In den letzten fünf Jahren war ich nicht in die Cromwell Mansion zurückgekehrt, sondern hatte mir mit meinem hart verdienten Geld eine eigene Wohnung gekauft. Meine Familie verstand mein Bedürfnis nach finanzieller Unabhängigkeit nicht. Für sie war ich rücksichtslos, stur und launisch. Aber ich wusste, was ich wollte. Es ging mir darum, etwas zu erreichen und jemandem meinen Wert zu beweisen. Dieser Jemand war niemand anderes als der beste Freund meines Bruders – Zion Concorde, der Vater meiner Kinder.
Leider hatte er sich nie für mich oder seine Kinder interessiert. Er betrachtete sie nicht einmal als seine eigenen.
Ich verdrängte diese unerwünschten Gedanken und eilte aus dem Krankenhaus zu meinem Auto. Diesen Teil meines Lebens hatte ich vor fünf Jahren begraben. Jetzt, im reifen Alter von 34 Jahren, hatten sich meine Prioritäten drastisch geändert. Ich kümmerte mich nicht um mich selbst – ich lebte nur für meine beiden kleinen Jungs. Sie bedeuteten mir alles. Für Zion Concorde war in unserer Welt kein Platz.
Ich war bereits fünf Minuten zu spät zur Präsentation, aber Sebastián Conrad mochte meine Arbeit zu sehr, um zu protestieren. Da wir uns seit fast vier Jahren kannten, wusste er, dass er sich auf mich verlassen konnte. Als ich weiterfuhr, stöhnte ich über die Verkehrsbedingungen. Wenn das so weiterging, würde ich zu spät kommen.
Wie erwartet, stürmte ich fast 25 Minuten später ins Büro. Es herrschte eine Totenstille, während alle mit grimmigen Gesichtern in ihren Kabinen saßen. War Conrad heute sauer auf mich?
In diesem Moment kam seine persönliche Assistentin, Laura Westwood, aus dem Konferenzraum und seufzte erleichtert, als sie mich sah. „Wo waren Sie?“, flüsterte sie mit blassem, ernstem Gesicht. Irgendetwas stimmte heute ganz und gar nicht. Ich hatte Laura in den drei Jahren, die ich mit ihr zusammenarbeitete, noch nie so ernst erlebt. Sie war eine unkomplizierte, glücklich verheiratete Frau – ganz anders als ich.
„Entschuldigung! Ich wurde aufgehalten. Ist Mr. Conrad sauer auf mich?“ Ich eilte in mein Büro, um meinen Laptop zu holen, während Laura mir folgte.
„Oh! Wissen Sie das nicht? Mr. Conrad ist in New York. Er kommt seit fast einer Woche nicht mehr ins Büro. Es gibt Gerüchte, dass er die Firma an einen globalen Architekturgiganten verkauft hat!“
Ich starrte Laura einen Sekundenbruchteil lang an und versuchte, die Neuigkeit zu verarbeiten. Ich war so mit meinem letzten Projekt beschäftigt, dass ich in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt hatte, Herrn Conrad zu treffen. Obwohl er Ingenieur war, hatte er sich nie wirklich für Conrad Architects, das Unternehmen seines Vaters, interessiert.
„Verkauft? An wen?“ „Auf der Konferenz erfährst du alles. Bitte beeil dich! Der neue CEO ist schon da und sauer auf uns alle!“
Mir sank das Herz bei der Vorstellung, einem Fremden gegenüberzustehen. Heute war der schlimmste Tag meines Lebens. Meine Füße zitterten vor Angst, als ich Laura in den Konferenzraum folgte. Sie drückte mir die Tür auf, aber ich war bereits ein nervliches Wrack. Würde mich der neue CEO beleidigen? Würde er sich weigern, weiter mit meiner Firma zusammenzuarbeiten?
„Ich hasse Unpünktlichkeit! Ich muss sagen, ich bin von allem hier ziemlich enttäuscht.“
Ich erstarrte an der Türschwelle, als ich die Stimme hörte. Ich konnte sie sogar aus meinen Träumen erkennen. Es war die Stimme von Zion Concorde – dem Mann, dem ich am wenigsten begegnen wollte. Warum war er hier? Nachdem er mich in jeder Hinsicht zerstört hatte, was wollte er jetzt noch von mir?
„Sir, Ms. Cromwell ist hier!“, rief Laura, bevor ich sie aufhalten konnte. Jetzt gab es kein Entkommen mehr. Ich würde ihm nach fünf langen Jahren gegenübertreten müssen.