Kapitel 1

3058 Words
Kapitel Eins Ich umfasse das Messer fester. »Halt still.« Mein Opfer – ich meine meinen Freund Walter, den Zuschauer – sieht unruhig aus. »Bist du dir sicher?« Ich muss all meine schauspielerischen Fähigkeiten aufwenden, um genau die richtige Menge an Zweifel in meinem Gesicht erscheinen zu lassen. »Aber zieh auf keinen Fall deine Hand weg.« Er drückt seine Handfläche gegen meine, als wären wir mitten in einem peinlichen High Five aneinandergeklebt worden. Ich trage natürlich Handschuhe. Ich schaue mich um. Wir sind allein im Außenbereich des Cafés, und die Fußgänger, die auf der Straße vorbeigehen, beachten uns nicht. Zu schade. Ich liebe es, Publikum zu haben. Wie ich gehofft hatte, verwechselt Walter mein Umherschauen mit Nervosität, und seine Hand zittert. Bin ich eine schlechte Freundin, weil ich das so sehr genieße? Blöde Frage. Das ist wie die Frage, ob ich eine schlechte Schwester bin, weil ich die Hand meiner Zwillingsschwester in der Nacht in warmes Wasser gehalten habe, als sie »aus irgendeinem Grund« ins Bett gemacht hat. Ich bin einfach eine lustige Freundin. Und eine lustige Schwester. Ich starre auf meinen Handrücken, um mein Opfer noch nervöser zu machen. »Ich werde es versuchen … jetzt.« Ich lasse meinen Worten Taten folgen und hebe das Messer in einem weiten, dramatisch wirkenden Bogen an, wie in der Duschszene von Psycho. Walter zieht seine Hand weg, bevor die Klinge ihr Ziel erreicht. Puh. Das hätte nicht funktioniert, wenn er nicht gekniffen hätte. Ich führe die Bewegung zu Ende und täusche einen Schmerzensschrei vor, bevor ich die versteckte Bewegung mache, um die Illusion zu vervollständigen. Das visuelle Ergebnis spricht für sich selbst: Das Messer ist auf einer Seite bis zum Griff meiner behandschuhten Handfläche vergraben, die Klinge ragt auf der anderen Seite heraus. Walter starrt sie an, sein dünnes Gesicht ist fast so blass wie meines – und als Teil meiner Bühnenpersönlichkeit habe ich seit Jahren keine Sonne mehr an meine Haut gelassen. Ich nehme seine Reaktion als Kompliment. Er muss tatsächlich glauben, dass ich meine Hand durchbohrt habe. Die Realität sieht natürlich anders aus. Die Klinge, die aus dem Messer ragte, ist nun im hohlen Griff versteckt, und die Klinge, die aus meiner Handfläche herausragt, wird von einem starken Magneten im Inneren meines Handschuhs festgehalten. »Warte eine Sekunde«, sagt Walter, und sein Atem wird ruhiger. »Da ist kein Blut.« Bevor er noch mehr lästige Logik anwenden kann, reiße ich triumphierend das Messer heraus und behaupte, meine Hand mit einem Zauberwort geheilt zu haben. »Das war offensichtlich eine Illusion«, sagt er und blickt auf das Messer. Ich verstecke es in meiner Tasche. »Bist du sicher?« Er ergreift mein Handgelenk, um den Handschuh zu inspizieren. Er ist intakt, und ich habe den Magneten in meine Tasche fallen lassen, als ich das Messer versteckt habe, also bin ich, wie wir in meinem Beruf sagen, sauber. »Lass mich das Messer sehen«, fordert er. Ich ziehe das normale Messer heraus, das in meiner Tasche neben dem mit dem anderen versteckt ist. Walter begutachtet es und sieht von Sekunde zu Sekunde verwirrter aus. Zum Schluss spricht er die neun Lieblingswörter eines jeden Magiers aus. »Ich habe keine Ahnung, wie du das gemacht hast.« Ich grinse. »Dann wirst du hiervon vielleicht noch überraschter sein.« Ich nehme eine rot gestreifte Uhr aus meiner Tasche. »Ich glaube, die gehört dir.« Keuchend schnappt er sie sich. »Wie hast du das gemacht?« »Äußerst gut«, sage ich völlig ernst. »Holly?«, fragt eine unbekannte männliche Stimme von der Straße. Ich schaue den Neuankömmling an, und plötzlich bin ich an der Reihe, zu starren. Ich wusste nicht, dass diese Art von männlicher Perfektion außerhalb von Hollywood existiert. Gemeißelte Züge. Eine römische Nase. Haselnussbraune Katzenaugen, die mein Gesicht raubtierhaft anvisieren und mir das Gefühl geben, eine Gazelle zu sein, die gleich verschlungen wird. Ich schlucke hörbar die übermäßige Menge an Speichel in meinem Mund herunter. Der breitschultrige, muskulöse Oberkörper des Fremden ist in ein enges, weißes T-Shirt gekleidet, und trotz der ausgefransten Jeans, die tief auf seinen schmalen Hüften sitzt, hat er etwas Königliches an sich – ein Eindruck, der durch das seltsame Design seiner Gürtelschnalle unterstützt wird. Es ähnelt dem Wappen, das ein mittelalterlicher Ritter auf seinem Schild haben könnte. Mir wurde gesagt, dass ich Menschen zu sehr mit Berühmtheiten vergleiche, aber das ist bei diesem Kerl schwer. Vielleicht wenn die Liebe zwischen Jake Gyllenhaal und Heath Ledger in Brokeback Mountain Früchte getragen hätte? Nein, er sieht sogar noch besser aus als das. Als ich merke, dass ich mehr in sein Gesicht starre, als es die Höflichkeit zulässt, senke ich meinen Blick und bemerke, dass er zwei Lederriemen in seinen Fäusten hält. Leinen, vermutlich. Ich erwarte beinahe, willige Sexsklaven am anderen Ende dieser Leinen vorzufinden, aber stattdessen sind es zwei seltsame Hunde. Zumindest denke ich, dass diese Kreaturen Hunde sind. Einer hat schwarz-weiße Flecken, die ihn wie einen Panda aussehen lassen. In Anbetracht der enormen Größe der Kreatur kann ich nicht ausschließen, dass sie ein Bär ist. Und als ob es nicht schon seltsam genug wäre, wie eine vom Aussterben bedrohte Bärenart auszusehen, trägt das Tier auch noch eine Schutzbrille. Liegt es an schlechter Sicht oder geht der Panda gleich snowboarden? Die zweite Kreatur ist brillenlos und erinnert mich an einen Koala, nur viel größer und mit einer heraushängenden Hundezunge. Ich zwinge meinen Blick zurück zu dem unglaublich gut aussehenden Besitzer. »Hey«, ist alles, was ich zustande bringe. Meine überaktiven Hormone scheinen mich der Fähigkeit, zu sprechen, beraubt zu haben. Der Fremde verengt die haselnussbraunen Augen. »Du bist Holly, oder nicht?« Das ist deine Chance, meldet sich mein innerer Magier. Trickse den heißen Fremden aus. Wickele ihn um deinen kleinen Finger. Ich verbanne meine Lust mit einer heroischen Willensanstrengung und reibe innerlich à la böser Schurke meine Hände. Bis ich meine jetzige blasshäutige Bühnenpersönlichkeit mit den rabenschwarzen Haaren annahm, wurde ich regelmäßig mit meinem eineiigen Zwilling verwechselt, sogar von Leuten, die uns am nächsten standen. Unsere oval geformten Gesichter sind identisch, bis hin zu scharfen Wangenknochen und einer starken Nase. Ich wurde buchstäblich für diese besondere Täuschung geboren. Mit einem Hauch von englischer Eleganz in der Stimme sage ich: »Wer sollte ich denn sonst sein?« So. Wenn er weiß, dass Holly einen Zwilling namens Gia – also mich – hat, wird er diese Vermutung jetzt äußern, und ich werde mich zurückhalten. Vielleicht. Ich wette, ich kann ihn auch dann täuschen, wenn er weiß, dass ich existiere. Er betrachtet mich eindringlich. »Du hast deine Haare verändert.« »Addams-Family-Rollenspiel«, sage ich in meiner besten Morticia-Addams-Stimme. Es ist nicht meine überzeugendste Lüge, aber der Typ sieht so aus, als würde er sie mir trotzdem abkaufen. Dann bemerke ich ein Problem. Walter, der verwirrt blinzelt, will gerade anfangen zu sprechen. Ich trete an sein Bein unter dem Tisch und frage den Fremden fröhlich: »Kennst du Walter schon?« Ich hoffe, dass der heiße Typ seine Hand ausstreckt und sich vorstellt, damit ich seinen Namen erfahre. Mein böser Plan wird von dem Panda vereitelt. Er zieht mit seinen Zähnen am Hosenbein des Hotties. Als er das sieht, macht der Koala das Gleiche auf der anderen Seite, nur dass seine Bewegungen ungeschickt und welpenhaft sind und ein Loch in der Hose hinterlassen. Wenn die Hunde auf diese Weise seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist es kein Wunder, dass er etwas so Zerlumptes trägt. Außerdem: Igitt. Ich hoffe, er wäscht den Hundespeichel so schnell wie möglich von seiner Hose. »Eine Sekunde, Leute«, sagt der Fremde in einem freundlichen, väterlichen Tonfall, der an etwas in meiner Brust zerrt, zu seinen pelzigen Freunden. »Seht ihr nicht, dass ich mit Holly rede?« Treffer! Er glaubt, dass ich Holly bin. Der Fremde schaut von den Hunden auf und mustert Walter. Findet er auch, dass mein Freund aussieht wie Willem Dafoe, allerdings als er den Mentor von Aquaman gespielt hat und nicht den Green Goblin aus Spider-Man? Bevor ich fragen kann, richtet sich der Blick des Fremden wieder auf mich. »Das ist nicht dein Freund.« Ich blinzele. Er kennt Hollys Freund? Wo findet meine Schwester all diese Kerle? Dieser hier ist sogar noch heißer als ihr Alex. »In der Tat«, sage ich und konzentriere mich wieder darauf, sie zu sein. »Dieser Kerl ist nur ein Freund Freund.« Das verruchte Grinsen des Fremden ist wie ein Zungenschlag auf meinem Kitzler. »Ich glaube nicht, dass Männer und Frauen nur Freunde sein können.« Das können sie auf jeden Fall. Meine Schwestern und ich sind schon ewig mit einem bestimmten Typen befreundet, und er hat noch nie eine von uns angemacht. Zugegeben, er ist schwul, aber trotzdem. Walter steht voller verletzter Würde auf. »Hör mal, Kumpel, ich bin allergisch gegen Hunde, also wenn es dir nichts ausmacht …« »Kumpel?« Die katzenartigen Augen des Fremden sind spöttisch, als sie sich wieder auf mich richten. »Siehst du? Er mag es nicht, dass ich in seinem Revier wildere.« Die Hitze, die durch meinen Körper schießt, ist keine Lust mehr. Was für eine Frechheit von diesem Kerl. »Ich bin niemandes Revier.« Und schon gar nicht Walters. Er hat mich in den ganzen achtzehn Monaten, die wir uns kennen, auch noch nie angebaggert. Walters Gesicht rötet sich, und er umfasst das Messer in seiner Hand, das er mir nicht zurückgegeben hat, fester. Ernsthaft? Kann Testosteron einen so dumm machen? »Sie hat recht, Kumpel«, sagt Walter mit seiner bedrohlichsten Stimme, die, wenn wir ehrlich sind, ein wenig so klingt, als würde er das Krümelmonster imitieren. »Du solltest besser türmen.« Der Fremde verzieht seine Oberlippe. Wenn er das Messer bemerkt hat, zeigt er es nicht. Ein weiteres Opfer der Testosteron-Vergiftung, kein Zweifel. »Türmen?« Er schaut zurück zu mir. »Wo hast du denn diesen Walter gefunden?« Okay, das war’s. Ich bin die Einzige, die »Wo ist Walter?«-Witze auf Kosten meines Freundes machen darf. Der heiße Fremde hat gerade eine Grenze überschritten. Ich schiebe meinen Stuhl zurück und erhebe mich zu meinen vollen fast ein Meter siebzig. »Wie wäre es mit ›verpiss dich‹? Ist das eine bessere Wortwahl für dich?« Das ist der Moment, in dem der Panda Walter anknurrt – ein bedrohlicher Laut, den man von einem so niedlichen, wenn auch übergroßen Hund nicht erwarten würde. Das erinnert mich an diesen Nachrichtenbericht über einen Mann, der im Zoo versucht hat, einen Panda zu umarmen, nur um dann im Krankenhaus zu landen, nachdem der verängstigte Bär ihn gebissen hat. Walter erblasst und legt das Messer auf den Tisch. In seinem dicken Schädel befinden sich eindeutig mindestens zehn Gehirnzellen. Der Fremde tätschelt den Kopf des bebrillten Tieres und murmelt etwas Beruhigendes in einer Sprache, die osteuropäisch klingt. Hm. Er hatte keinen Akzent, als er mit mir sprach, aber Englisch muss seine zweite Sprache sein, sonst würde er mit seinen Hunden nicht in dieser fremden Sprache sprechen. Mist. Bei unserem Glück ist der Hottie ein russischer Mafioso. »Setz dich«, zische ich Walter zu, und zu meiner Erleichterung tut er, was ich sage. Ich erhöhe auf zwanzig Gehirnzellen. Die schönen Augen des Fremden streifen über mein Gesicht, bevor sie sich wieder verengen. »Du bist nicht Holly. Sie ist nett.« Ein Hauch von diesem verruchten Grinsen kehrt auf seine Lippen zurück, und seine Stimme wird tiefer. »Wohingegen du unartig bist.« Das reicht. Keine Mrs. Nette Magierin mehr. Ich schlendere langsam zu ihm hinüber. Obwohl … vielleicht ist das keine so gute Idee. Jetzt, wo ich näher dran bin, wird mir klar, wie groß er ist. Und breitschultrig. Die riesigen Hunde brachten meine Perspektive durcheinander und erzeugten eine visuelle Illusion, dass ihr Besitzer normal groß sei. Das ist er nicht. Schlimmer noch, er riecht göttlich, nach Meeresbrandung und etwas unbeschreiblich Männlichem. Ein Trick unter diesen Bedingungen wird alle meine Fähigkeiten testen. Moment einmal. Werden die Hunde sauer sein, dass ich so nah bin? Als ob er meine Gedanken lesen könnte, gibt der Fremde ihnen einen strengen Befehl, und sie bleiben verlegen hinter ihm. War dieses Kommando dazu gedacht, dass ich mich wie eine gute, gehorsame Hündin verhalten will? Weil ich gerade genau das tue. Nein, Scheiß drauf. Ich bleibe bei meinem Plan, der erfordert, dass ich in Taschendiebstahldistanz komme. »Willst du sehen, wie unartig ich sein kann?«, frage ich mit der verführerischsten Stimme, die ich aufbringen kann. Ist es normal, dass menschliche Augen so schlitzförmig werden, als sei er ein Löwe? »Wie unartig ist das denn, myodik?«, murmelt der Fremde. Hat er gerade my d**k, also mein Schwanz gesagt? Nee. Es war etwas in der Sprache, die er mit den Hunden benutzte. Trotzdem ist sein Schwanz jetzt fest in meinem Kopf, was nicht gegen die hormonelle Überlastung hilft. Ich verdränge die nicht jugendfreien Bilder und lecke mir absichtlich über die Lippen. »Ich werde deine Brieftasche stehlen. Oder deine Uhr. Wie du möchtest.« Die vermeintliche Wahl ist offensichtlich eine Irreführung. Mein eigentliches Ziel ist keines dieser Dinge, aber das muss er nicht wissen. Seine Nasenflügel beben, als sein Blick auf meine Lippen fällt. »Ist es Diebstahl, wenn du mich vorwarnst?« Wenn es mir möglich wäre, meine Bedenken über Keime zu vergessen und in Erwägung zu ziehen, meine Lippen auf die von jemand anderem zu legen, würde ich das jetzt tun. Es ist der stärkste Drang, den ich je verspürt habe. »Was ist los?«, frage ich atemlos. »Zu feige?« Er tätschelt die rechte Tasche seiner Jeans. »Wie wäre es, wenn du meine Brieftasche klaust?« Ich nehme einen beruhigenden Atemzug. »Danke, dass du mir gezeigt hast, wo sie ist.« Bevor er antworten kann, greife ich in die Tasche. Ich brauche eine riesige Ablenkung für das, was ich wirklich zu stehlen versuche. Bei Houdinis Augenbrauen, ist es das, was ich denke? Jepp. Es ist nicht zu übersehen. Als ich mit meinen behandschuhten Fingern über die Brieftasche streiche, spüre ich etwas anderes hinter dem Stoff der Hose. Etwas Großes und sehr Hartes. Nun. Jemand ist überglücklich über den Taschendiebstahl. Vielleicht hat er vorher doch my d**k gesagt? Ich gebe mein Bestes, um seinem Blick standzuhalten und meine plötzlich trockene Kehle nicht zu räuspern. »Spürst du, wie ich sie stehle?« Während ich spreche, arbeite ich daran, die schicke Schnalle zu öffnen – denn sein Gürtel ist mein eigentliches Ziel. Seine Augenlider senken sich auf halbmast, und seine Stimme wird noch tiefer. »Deine flinken Finger sind genau da, wo ich sie haben will.« Mist. Mit meinen Handschuhen und bei seinem lächerlich starkem Sexappeal habe ich Probleme mit dem Verschluss. Aber nein. Ich darf nicht erwischt werden. Das wäre so, als würde man ein magisches Geheimnis lüften – das größte Tabu, das ich mir vorstellen kann. »Diese Finger?«, frage ich heiser und streiche durch die Stoffschichten sanft über seine Härte. Ich nutze die Ablenkung, die diese nuttige Bewegung erzeugt, um mit meiner anderen Hand fester am Verschluss zu ziehen und ihn schließlich zu öffnen. Ich würde gerne sehen, wie David Blaine das macht. Das tiefe, kehlige Stöhnen des Fremden ist animalisch und macht meine Nippel so hart, dass sie kurz davor sind, sich umzustülpen. Er sieht jetzt aus wie ein Löwe, der zum Angriff übergeht. Schluckend ziehe ich meine Hand aus seiner Tasche und versuche, ihm ein hinterhältiges Lächeln zu schenken. Stattdessen sage ich stockend: »Ich habe meine Meinung geändert. Ich werde deine Uhr klauen.« Ich ergreife sein Handgelenk und drücke es fest, während ich mit der anderen Hand den Gürtel herausziehe. Ja! Ich habe ihn. Ich verstecke den Gürtel hinter meinem Rücken und schaue schmollend auf die Uhr. »Wenn ich es mir recht überlege, denke ich, dass ich dir deine Besitztümer lasse.« Er sieht triumphierend aus, wahrscheinlich ist er überzeugt davon, dass sein Sexappeal meine Taschendiebstahl-Fähigkeiten besiegt hat. Da es fast passiert ist, kann ich ihm nicht wirklich einen Vorwurf daraus machen, das zu denken. Ich weiche vorsichtig zurück. »Oh, übrigens, hast du das verloren?« Ich zeige ihm meine Trophäe. Er bekommt große Augen, und sein Blick wandert zwischen meiner Hand und seiner Hose hin und her. »Wie?«, fragt er. Die Frage ist Musik in meinen Ohren. »Äußerst gut«, sage ich, aber ich schaffe es nicht, mein übliches Getöse zu machen. Er streckt seine Hand aus, um den Gürtel zurückzubekommen. »Du bist eine gefährliche Frau.« Zwei Dinge passieren gleichzeitig, als ich auf ihn zutrete, um den Gürtel zurückzugeben. Der Panda versucht wieder, seine Aufmerksamkeit zu bekommen, indem er an seinem linken Hosenbein zieht. Der Koala macht das Gleiche auf der rechten Seite, nur dass dieses Mal kein Gürtel die Hose oben hält – und sie nach unten rutscht. Den ganzen Weg nach unten. Scheiße. Scheiße. Die größte Erektion in der Geschichte der Phalli ragt heraus und – obwohl das meine Einbildung sein könnte – zwinkert mir zu. Er hat die ganze Zeit keine Unterwäsche getragen? Unglaublich. Ich staune über die Ungeheuerlichkeit. Obwohl ich ihn berührte und seine Größe spürte, als ich in seiner Tasche kramte, hätte ich ihn mir nie so vorgestellt. Glatt. Gerade. Mit leckeren Adern. Er bettelt geradezu darum, berührt, gelutscht oder geleckt zu werden – aber ich kann es nicht, aus Gründen, an die ich mich im Moment nur schwer erinnern kann. Für diese Art von Hitze sollte eine verdeckte Trageerlaubnis erforderlich sein. Und auch die Lizenz, die man braucht, um schwere Maschinen zu bedienen. Und ein Jagdschein. Vielleicht sogar eine Lizenz zum Töten im 007-Stil. Hinter mir höre ich Walter keuchen. Armes Ding. Ich wette, auch er ist bereit, für eine Kostprobe auf die Knie zu gehen, und soweit ich weiß, ist er hetero. Ich kann meinen Blick nicht losreißen. Wenn dieser Schwanz ein Zauberstab wäre, dann wäre es einer der Heiligtümer des Todes – der, den Voldemort am Ende schwang. Und wenn es eine Banane wäre, dann wäre sie genau der richtige Snack für King Kong. Der Fremde sollte vor Verlegenheit rot werden und sich in Sicherheit bringen, aber stattdessen hebt ein freches Grinsen seine Mundwinkel an. »Gefällt dir, was du siehst?« Das tut es. So sehr, dass ich mein Handy zücken und ein Selfie damit machen möchte. Zu meiner großen – und ich meine großen – Enttäuschung zieht er die Hose hoch. Seine Stimme ist heiser. »Wie ich schon sagte. Ungezogen. Sehr ungezogen« Er schnappt sich den Gürtel aus meinen nervösen Fingern, schiebt ihn zurück in seine Hose und schlendert mit seinen Hunden davon, während ich mit offenem Mund dastehe. »Kann man das glauben?«, fragt Walter irgendwo in der Ferne, und sein Tonfall ist empört. Nein. Ich kann das nicht. Ich kann nicht glauben, was gerade passiert ist, Punkt. Alles, was ich weiß, ist, dass das nicht das war, was ich im Sinn hatte, als ich seinen Gürtel geklaut habe.
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