3. KAPITEL

4412 Words
Daisy "Ihr glaubt gar nicht was für einen Vortrag ich mir gestern Nacht noch anhören durfte.", jammere ich meinen besten Freunden vor. Ich sitze zwischen Anna und Freddy auf der Rücksitzbank im Bentley. Der wiederum hinter Dans Wagen hinterherfährt. Dan meinte es sei von Vorteil, wenn auch sein eigener Wagen in Embley wäre und fährt deshalb getrennt von mir unserem neuen Zuhause entgegen. "Wieso Vortrag?", staunt Anna. "Das will ich euch gern verraten. Ich habe gestern was erlebt, nachdem du verschwunden bist." Noch immer peinlich berührt verdrehe ich die Augen und vergrabe dann für einen Moment mein Gesicht in den Händen. "Verschwunden? Ich hab dir doch gesagt, dass ich mit Steve los bin.", rechtfertigt sich Anna in vorwurfsvollem Ton. Ich sehe sie an. "Ja, natürlich hast du das. Entschuldige bitte!" Ich schenke ihr ein Lächeln, um sie zu besänftigen. "Aber nachdem ich Freddy auch nirgends habe finden können ..." Nun wende ich mich Freddy zu. "Ähm ... ja ... ich war ...", stammelt er verlegen. Hellhörig geworden reiße ich die Augen auf und sehe ihn tadelnd an. "Moment mal, du hast doch nicht etwa ..." "Tristan betrogen?", vollendet er meinen Satz. Getroffen greift er sich an die Brust. "Wo denkst du hin?", erwidert er schrill und ziemlich schwul. "Und du da hinten musst auch nicht so hämisch gucken." Das ging an Anna. "Ich habe keineswegs meinen Freund betrogen." "Freund? Verlobter trifft's wohl eher.", korrigiere ich ihn. Freddy winkt ab. "Wie auch immer. Jedenfalls habe ich ihn nicht betrogen!", bekräftigt er und fährt fort, "Ganz im Gegenteil ... Irgendwie war mir plötzlich ... nun ja, mir war ... übel." Sein herumgedruckse lässt uns aufhorchen. "Freddy, was ist los?", frage ich besorgt. Er schenkt mir ein gequältes Lächeln. "Nichts Schlimmes. Nur ... ich kam mir plötzlich so fehl am Platz vor. Da habe ich es dort allein nicht mehr ausgehalten." Er schlägt sich beschämt die Hand vor die Augen. "Allein. Aber ich war doch da.", murmle ich. "Ach tatsächlich? Ich habe dich überall gesucht und NICHT gefunden.", echauffiert er sich. "Ups ... dann sind wir wohl aneinander vorbeigelaufen.", gebe ich beschämt zu. "Nun ja, das kann passieren. Jedenfalls, zu eurer Beruhigung, bin ich schnurstracks nach Hause zu meinem Liebsten gefahren. Mit einem Taxi, denn Johnny Boy hier ..." Er lächelt dem Fahrer über den Rückspiegel schamlos zu. "... war brav und ist tatsächlich nach Hause gefahren." John wirft einen vielsagenden Blick zurück und enthält sich jeden Kommentars. "Ähm ja ... nicht ganz.", gebe ich zähneknirschend zu. Nun war es Freddy, der mich interessiert ansieht. "Ach nein? Was verschweigst du uns, Daisy Darling?", grinst er hinterhältig. "Das wollte sie uns, glaube ich, gerade berichten.", wirft Anna wissend ein. "Genau. Du wolltest uns doch von einem gewissen Vortrag erzählen? Hattest du Streit mit Danny?" Ich werfe einen schnellen Blick in den Spiegel. Johns und mein Blick treffen sich. "Nein. Nein, wir hatten keinen Streit.", bekräftige ich. Meine Freunde atmen erleichtert aus. "Phu!" "Was war dann los?", fragt nun Anna. "Ist irgendwas passiert in dem Club? Wurdest du angebaggert und Dan hat es mitbekommen?" "Nicht im Club, nein." "Was?", kreischt Anna entsetzt. "Im Taxi. Auf dem Rückweg. Dieser Kerl und ich ..." "Ich höre immer Kerl. Wer ist das?", mischt sich Freddy ein. John räuspert sich. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, beginne ich die Ereignisse des gestrigen Abends zu schildern. "Nachdem du gegangen bist und ich Freddy nicht finden konnte, wollte ich selbst auch nur noch weg da. Es war kalt und ich hatte nichts zum Überziehen dabei. Also wollte ich mir auf dem schnellsten Weg ein Taxi rufen. Doch da war ein Typ, der mir das einzige verfügbare vor der Nase weggeschnappt hat. Als ich ihn lautstark und wütend beschimpft habe ..." "Richtig so! So ein Arsch!", erbost sich Anna. "... bot er mir an, sich das Taxi mit mir zu teilen.", fahre ich ungerührt fort. "Ich hatte keine Lust mir wer weiß wie lange weiter den Arsch abzufrieren und stieg ein." Anna macht ein Gesicht, das mir verdeutlicht, was sie von dieser Idee hielt. "Er war nett. Wir unterhielten uns gut." John hustet leicht. Ich ignoriere es und erzähle. "Benjamin, so hieß er, wurde irgendwann aufdringlich und ..." "Oh mein Gott!", kreischt Freddy und schlägt sich die Hand vor den Mund. Erstaunt ziehe ich die Augenbrauen hoch. "Ähm ... ja." Ich versuche sein Entsetzen zu ignorieren. "Er wurde also aufdringlich und betatschte mich. Er legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und so." Erneut, nur lauter kommt es von Freddy. "OH mein Gott!" "Beruhig dich mal, okay!", stöhne ich und sehe ihn strafend an. "Es ist ja nichts weiter passiert." Anna zuckt die Schultern. "Da kannst du von Glück reden. Das hätte auch ganz anders ausgehen können.", mahnt sie streng. "Das weiß ich, aber ..." "Anna hat recht. Versprich mir, sowas dummes nie wieder zu tun!", jammert Freddy und grapscht nach meiner Hand. "Hast du dich denn nicht gewehrt? Oder zumindest dem Trottel gesagt, er soll seine ekligen Griffel von dir nehmen?", schimpft Anna und hebt tadelnd den Zeigefinger. Empört starre ich sie an. "Was denkst du denn? Natürlich habe ich mich gewehrt und ihm gesagt er soll die Finger wegnehmen! Hätte er mich weiter befummelt, hätte ich ihm eine runtergehauen." Anna murmelt, etwas das verdächtig wie, "Ich hätte den Mistkerl zu Brei geschlagen." und sieht zum Fenster hinaus. Ich räuspere mich und sage, "So habe ich den Fahrer gebeten anzuhalten und mich aussteigen zu lassen. Das dreiste war, dass er sich als Opfer dargestellt hat. Benjamin, und nicht der Fahrer.." Fast hätte ich aufgelacht. "Opfer?", fragt Freddy in einem Ton, als hätte er das Wort soeben zum ersten Mal gehört. "Ja, genau. Er meinte, ich hätte doch was von ihm gewollt als ich zu ihm ins Taxi gestiegen bin." "Na ja ..." Anna sieht mich zweifelnd an. "Das könnte man schon annehmen.", murmelt sie verhalten. "Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht. Ich fand es nur sehr ... also irgendwie ... ritterlich.", gebe ich beschämt zu. "Das ist mal wieder typisch Daisy.", urteilt sie mit einem leichten Kopfschütteln. Freddy nickt milde. "Und dann? Was ist dann geschehen?", fragt er. "Ich bin mir sicher da kommt noch was." Ich nicke und suche erneut Johns Blick. "Ja, du hast recht. Ich sprang also, kaum das Taxi angehalten hat, raus auf die Straße. Ich wollte nur noch weg." "Hätte der Fahrer dir nicht auch helfen können?", fragt Anna. Ich nicke. "Ich hatte ihn gebeten mir zu helfen und er wollte es auch tun. Doch ich war schneller und sprang wie gesagt, kaum das er angehalten hat aus dem Auto." "Und dann?", unterbricht Freddy ungeduldig und macht mit der Hand eine kreisende Bewegung in der Luft. "Benjamin beschimpfte mich und dann war plötzlich ..." Mein Blick sucht erneut den von John. "... John da." "John?", fragen beide unisono. "Ja, John." Mein Daumen deutet auf unseren Fahrer. "Ganz plötzlich stand er hinter dem Taxi." "Wirklich?" Freddy lehnt sich vor, den Kopf neben die Kopfstütze von Johns Sitz. "Sie sind der strahlende Ritter in dieser Geschichte?" John zuckt die Schultern. "Dann müssen wir Ihnen ja dankbar sein, dass Sie unsere Freundin gerettet haben.", schwärmt Freddy weiter und scheint dabei völlig zu vergessen, dass er erstens, verlobt und zweitens, dass John hetero ist. Da John beharrlich schweigt, sehe ich mich gezwungen den beiden seine Heldentat zu schildern. "Er war da, hat mich angeschaut und wusste sofort Bescheid." "Ach.", haucht Freddy. "Und dann? Haben Sie dem Mistkerl eine verpasst?" "Hm.", brummt John und lenkt den Bentley in einer weit ausholenden Kurve die Abfahrt hinunter. Nicht mehr lange und diese nervtötende Fahrt würde ein Ende finden. Plötzlich erfasst mich ein gewisser Stolz und ich führe aufgeregt aus, "Das Taxi war mittlerweile weitergefahren. ..." "Was? Einfach so? Hat der Fahrer nicht nachgeschaut wie es dir geht?", echauffiert sich Anna wütend dazwischen. "Der Kerl kann dich doch nicht einfach so mitten in der Pampa herauswerfen und sich nicht einmal vergewissern, ob es dir gut geht." "Na ja, Pampa? Immerhin waren wir in London City.", gebe ich zu bedenken. "London hat auch seine dunklen Ecken." Freddy nickt zustimmend und beißt sich auf die Unterlippe. "Vielleicht hat er ja gesehen, dass ich Gesellschaft hatte?", gebe ich zu bedenken und nicke mit dem Kopf in Johns Richtung. Das scheint Anna erstmal zufriedenzustellen, denn sie schweigt. Also fahre ich fort, "Jedenfalls hat John sofort gesehen was mit mir los war, hat mich in den Bentley verfrachtet und ist losgefahren. Dem Taxi hinterher." Freddys Augen werden groß. "In einem riskanten Manöver, das einem Fast & Furious Film zur Ehre gereicht hätte, hat er es gestoppt, Benjamin herausgezerrt und ihm eine runtergehauen." Freddy klatscht begeistert in die Hände. "Wow! Da wäre ich gern dabei gewesen!" Ja, das denke ich mir. So offensichtlich wie er auf meinen Fahrer steht. "Was ist dann passiert?", haucht er atemlos. "Na ja, ähm ... John, wollen Sie nicht weiter erzählen?" Ich werfe ihm einen Blick zu. "Sie machen das ganz gut.", brummt der Angesprochene. "Na gut. ... Ja, also, er hat ihm eine reingehauen und dann hat es Benjamin bei ihm versucht. Ohne Erfolg. Schlussendlich hat John ihn in das Taxi zurückgeworfen und ..." "Geworfen?", kreischt Freddy. "Ich habe ihn nicht geworfen.", stellt John richtig. "Oh doch. Das haben Sie.", lache ich. "Es war spektakulär! Wie der geflogen ist. Als würde er nix wiegen." Anna grinst. Freddy fasst sich ans Herz. John verdreht die Augen. "Was mich zu der Frage bringt ... John, was haben Sie dem Taxifahrer dann noch gesagt?" "Das er das Schwein ins nächste Polizeirevier bringen soll. Wenn das aber seines Erachtens nicht nötig ist, kann er ihn auch zu jeder anderen Adresse fahren. Aber auf dessen Kosten. Und das er noch ein saftiges Trinkgeld draufschlagen soll. Schweine wie der haben es nicht anders verdient." Lachend klatschen wir uns ab. Mittlerweile kann ich über die Sache lachen. Letzte Nacht sah das noch ganz anders aus. Als mir der Schreck in den Gliedern saß und ich verstört und zitternd Dan übergeben wurde, war ich doch ziemlich erleichtert das Dan so umsichtig war. Als ich an das Gespräch zwischen Dan und John zurückdenke, fällt mir ein, was mich seit einiger Zeit schon beschäftigt. Ich lehne mich zwischen den Vordersitzen etwas nach vorn um John besser ansehen zu können. "John, sagen Sie, gibt es einen tatsächlichen Grund für Dans Sorge?", frage ich geradeheraus. Er dreht kurz den Kopf zu mir und sieht mich ungerührt an. "Sie können es ruhig zugeben!", grinse ich. "Ich bekomm' es ja doch raus." Er verdreht die Augen und presst die Lippen zusammen. "Irgendwas ist da im Busch. Ist es diese Carol Parker? Ist sie es, die mir gefährlich werden kann?", bedränge ich ihn weiter. "Das sollten Sie vielleicht Ihren Mann fragen. Ich führe nur Befehle aus.", brummt er, den Blick stur auf die Fahrbahn gerichtet. "Befehle?", mischt sich Freddy ein. "Ich hör' immer Befehle ausführen." Ich wende mich ihm zu und sage, "Ja, klar. Dan hat ihn doch …" Mit einem Mal breche ich ab, weil mir einfällt, dass sie ja noch immer im Unklaren sind über Johns tatsächliche Anwesenheit. "Ach, das wisst ihr ja noch gar nicht.", murmle ich daher. "Was denn?" Meine beiden Freunde sind plötzlich hellhörig geworden und sehen mich erwartungsvoll, ganz so als wüssten sie, dass sie gleich eine Sensation eröffnet bekommen an. "Dan hat John eingestellt. Jedoch nicht als Fahrer. Auch, wenn es das ist, was er offensichtlich tut. Er ist vielmehr ein … ein Bodyguard. Mein Bodyguard." "Ich wusste es doch. Was hab ich euch gesagt.", jubelt Freddy als würde er für diese Erkenntnis einen Orden erwarten. "Ich hab's die ganze Zeit gesagt." "Eigentlich sollte es nicht so an die große Glocke gehängt werden.", brummt John. "Wir schweigen wir ein Grab.", verspricht Freddy dämlich kichernd. "Ha ha." "Wirklich John, ich werde nicht indiskret sein.", verspreche ich ernsthaft. "Aber es ist doch wohl mein gutes Recht zu wissen, weshalb ich künftig einen Schatten habe." "Und ich dachte, Sie hätten sich mittlerweile an mich gewöhnt." "Das habe ich ja auch. Und seit gestern Abend bin ich auch wirklich froh über Ihre Anwesenheit! Aber, wenn es da etwas gibt, was mir gefährlich werden kann, dann will ich's wissen!" Er seufzt erneut, holt anschließend Luft und antwortet, "Na gut. Schön. Ja, es ist Carol Parker, vor der Ihr Mann Angst hat." "Dan hat Angst vor einer Frau?", staunt Freddy. "Das hätte ich nicht gedacht." "Schatz, würdest du diese Frau kennen, hättest du auch Angst.", erkläre ich mit erhobener Augenbraue. "Wirklich? Aber was ist so schlimm an ihr?" "Sie ist abgrundtief nervig!", urteilt Anna, die bisher auffallend still gewesen ist. Mir ist zwar neu, dass sie Carol kennt, aber scheinbar war es so. "Ja, nervig trifft’s wohl auf den Punkt.", stimme ich ihr zu. "Carol Parker ist Dans ... " Ich hole tief Luft. Ob es Dan recht wäre, wenn ich hier vor den anderen seine Probleme ausbreite? Doch dann gebe ich mir einen Ruck. "Sie ist eine Stalkerin." "Stalkerin?", echot Freddy verwundert. "Das sind Leute, die sich Liebe zu einer anderen, meist unerreichbaren Person einbilden. Sie stellen dieser Person nach, bedrängen sie und bringen sie meist auch in Gefahr, weil sie übergriffig werden.", erklärt Anna geduldig. "Ja. Das hat sie ganz gut erklärt.", sage ich. "Ist ja krass! Und so eine stellt unserem Danny nach?", echauffiert er sich und sieht abwechselnd zwischen uns dreien hin und her. Wir nicken unisono. Nur John nicht, der starrt auf die Straße. "Zeigt mir diese Tussi und ich versohle ihr den Arsch!", verkündet er kämpferisch. Lachend lege ich ihm einen Arm um die Schulter. "Du bist lieb! Aber dafür haben wir doch John." Meine freie Hand lege ich auf Johns linke Schulter. Er dreht den Kopf und sieht darauf. Als mir bewusst wird, was ich da tue, ziehe ich sie schnell wieder zurück und lächle entschuldigend. "Aber er hat doch sicherlich nichts dagegen, wenn ihm jemand dabei hilft, auf meine Freundin aufzupassen." "Blödmann!", grinse ich. "Ich bin nicht in Gefahr. Stimmt doch, John, oder? Das ist nur eine Präventivmaßnahme." "Wenn Sie meinen.", brummt der Angesprochene. Dan "Echt klasse, dass du gleich mitkommst!", freue ich mich ehrlich, über die Gesellschaft meines besten Kumpel. "Kein Problem.", meint dieser. "Wirst du dein Auto nicht vermissen?" Ich weiß genau wie es sich anfühlt seinen neuen Wagen allein zu lassen. Persönlich könnte ich das nicht. Es gab eine Zeit, damals, als ich jeden Meter mit dem Wagen gefahren bin, nur weil ich ihn neu hatte. Es ist ein so geiles Gefühl! "Das holen wir doch nächste Woche.", meint er lässig. "Oder hast du vergessen, dass wir nochmal nach London zurückmüssen?" Ich schüttle den Kopf. "Nein, natürlich nicht." Bens Aufgabe als mein Best Men war es meinen Junggesellenabschied zu organisieren. Ich bin schon gespannt was er sich hat einfallen lassen. Ein Stripclub wird’s sicher nicht werden. Das ist nicht sein Stil. "Gut." "Hast du Urlaub?", versuche ich mich an einer harmlosen Plauderei. In der letzten Zeit hatte sich Ben mehr und mehr verschlossen. Irgendwas war im Busch und er macht ein großes Geheimnis daraus. "Ja. Zwei Wochen." Ich nicke verständig. "Und, hast du was vor? Verreisen oder so?" "Nein. Nur etwas entspannen." "Hm ... Ist es gerade stressig auf Arbeit?" Er nickt und sieht aus dem Fenster. "An was arbeitet dein Büro denn gerade?" "Hochhäuser der Zukunft. Wir wollen eine Ausschreibung in Dubai gewinnen. Es geht um innovative Hochhäuser. Farmscrapers um genau zu sein." "Farmscrapers? Was zur Hölle ist das denn?" "Häuser die sich selbst versorgen. Man kann auf ihnen allerlei Gemüse und Obst anpflanzen und mit dem ganzen Grünzeug filtern sie Staub, absorbieren CO₂ und schützen vor Kälte und Hitze gleichermaßen.", erklärt er fachmännisch. "Eigentlich ganz cool. Aber es gibt ziemlich viel zu bedenken." "Ich stell mir das sehr ... interessant vor! Und kann man da auch richtig drin wohnen oder ist das eher so ein ... also eher ein Arbeitsplatz? Von wegen, Farmen in die Höhe." Ben lacht. "Ja, man kann da tatsächlich drin wohnen. Beides geht Hand in Hand." "Aber gibt es da nicht viel Ungeziefer in dem ganzen Grünzeug?", frage ich interessiert. Er zuckt die Schultern. "Schon. Aber das ist nebensächlich, wenn man mit frischer Luft im Großstadtdschungel belohnt wird. Außerdem gibt’s doch Fliegengitter und son Zeug." Ich nicke. "Ist schon irgendwie cool! Aber für mich wäre das nichts. Ich habe das Land dann doch lieber flach vor mir liegen.", lache ich. "Landwirtschaft mitten im Großstadtdschungel? Verrückt!" "Du musst ja auch nicht einziehen." "Würdest du es denn?" Er zuckt erneut die Schultern. "Ich ziehe auch lieber klassische Häuser vor. So wie das was ich mir gerade gekauft habe. Aber mir muss auch nicht gefallen, was ich entwerfe. Es ist nur ein Job." Ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke. "Moment, was?", keuche ich als es mir wieder möglich ist. "Du hast was gekauft?" "Ein Haus." "Wo? Wann? Wieso?", stammle ich entsetzt, dass ich nichts davon mitbekommen habe. "Also wo. In Silsoe.", erklärt er geduldig. "Das ist ja gleich neben Embley.", staune ich. Er nickt zustimmend. "Richtig. In der heimischen Geografie kennst du dich also aus.", zieht er mich auf. "Und wann ...", fährt er fort. "Letzte Woche erst. Und zu deiner Frage warum ... Ich wollte es eben." Schon wieder zuckt er die Achseln. Skeptisch sehe ich ihn mit erhobenen Augenbrauen an. "Das kannst du mir doch nicht weis machen. Du Großstadtmensch ziehst allein in ein Häuschen auf dem Land?" Ben nimmt sich einen Moment. Scheinbar um abzuwiegen, ob er mir die Wahrheit oder doch lieber eine Lüge auftischen sollte. "Erwischt.", gibt er schließlich zerknirscht zu. "Eigentlich wollte ich es erst sagen, wenn wir uns ganz sicher sind. Aber nun ..." "Wir?", hake ich verwundert nach. "Lily. Sie heißt Lily." "Lily." Ich lasse mir die Buchstaben auf der Zunge zergehen. "Seit wann hast du eine Freundin? Und viel wichtiger ist, warum kenne ich sie noch nicht?" "Weißt du wie du klingst?", grinst er. "Wie Freddy. Du klingst wie ein Schwuler." "Na danke auch.", brumme ich beleidigt. Ich schwul. Na toll! "Reg' dich ab! So eine Sensation ist das auch nicht. Ich hab eine Freundin. Na und?" "Also ich finde es schon sensationell! Ich kann mich kaum erinnern, wann du zuletzt eine hattest." Er zuckt gelangweilt die Schultern. "Tu nicht so cool! Da sitzen wir gestern zusammen und du sagst nichts?" "Weil ich es nicht an die große Glocke hängen wollte." "Aber ich bin schon noch dein bester Freund, oder? Ansonsten muss ich mir das mit dem Best Men nochmal überlegen." Nun lacht er doch. "Na klar, alles bleibt beim Alten. Ich empfinde es nur nicht so aufregend." "Okay.", grinse ich beschwichtigend. "Wo wohnt sie? Woher kennt ihr euch?" "Na ja, im Grunde kennst du sie bereits." "Tatsächlich?", staune ich und überlege, wo ich diesen Namen schon mal gehört haben könnte. "Es könnte zumindest sein. Zumindest steht sie auf deiner Gehaltsliste." "Sie arbeitet auf Embley?" Er nickt. "In der Küche." Abwehrend hebt er die Hände. "Lass dir aber nie etwas anmerken! Es ist ihr wahnsinnig peinlich." "Was denn?", lache ich fröhlich. "Es ist ihr peinlich mit einem der Gäste zusammen zu sein. Sie stellt sich immer an, wenn ich sie im Schloss privat anspreche." Er verdreht die Augen. "Gäste? Also hör mal,  du bist mein bester Freund und kein Gast der nur ab und an vorbeikommt. Du bist doch fast auf Embley zu Hause.", echauffiere ich mich lachend.   "Na ja, ganz so ist es ja nicht. Aber ich finde auch, dass sie etwas übertreibt." "Wie lange seit ihr denn zusammen?" "Noch nicht lange. Erst einige Wochen. Daher habe ich auch noch nichts gesagt. Ich bin einfach nicht dazu gekommen. Es fehlte an der richtigen Gelegenheit." "Okay. Und jetzt ... wollt ihr zusammenziehen?", staune ich ehrlich verwundert. Ben ist nicht der Typ, der sich fest bindet. Schon gar nicht nach so kurzer Zeit. Wieder antwortet er nicht sofort. "Nein. Ich ziehe dort allein ein." "Ach was?" "Ich will einfach nur in ihrer Nähe sein. Ihr die Möglichkeit geben ..." "Lebt sie in Embley?", frage ich interessiert. "Misch überrascht, dass du das nicht weißt.", brummt er. Empört werfe ich ihm einen Seitenblick zu. "Na hör mal, auf Embley Abbey arbeiten über dreißig Personen. Wie zum Teufel soll ich von allen die Lebensgeschichte kennen?" "Schon gut, du musst mir ja nicht gleich an den Hals springen.", wehrt er mich lachend ab. "Mir ist schon klar, dass du es nicht wusstest. Du kanntest ja nicht mal ihren Namen. Aber ja, Lily lebt in Embley. Zusammen mit ihrer Mutter." "Verstehe. Ist sie sehr jung?" In meinem Kopf verselbstständigt sich das Bild von Ben und mir in der Funktion seines Verteidigers, als er vom Gericht wegen Verführung Minderjähriger verurteilt wird. "Keine Sorge, Herr Anwalt, sie ist volljährig." Mein Freund scheint meine Gedanken gelesen zu haben. Theatralisch tue ich erleichtert. Lachend boxt er mir gegen den Oberarm. "Nun aber mal zu einem wichtigeren Thema." "Das da wäre?" "Eure Hochzeit." Genervt verdrehe ich die Augen. "Nicht du auch noch. Es nervt schon genug, dass Daisy andauernd davon anfängt.", stöhne ich. "Sie ist die Braut. Sie darf und muss sogar pausenlos darüber reden.", grinst er hämisch. "Ich bin heilfroh, wenn nächste Woche alles vorbei ist!", gebe ich zu. "Wirklich? So anstrengend?" Ich nicke bekräftigend. "Es gibt kein anderes Thema mehr. Nur noch Danksagungskarten hier, Blumenschmuck da, die Hochzeitsprobe, das Essen und so weiter." Meine Hand fährt durch mein Haar. "Es ist zum wahnsinnig werden!" "Ich dachte, darum hätte Daisy oder diese Hochzeitsplanerin sich gekümmert?" "Ja, schon, aber dennoch gibt es für das Paar noch einiges zu entscheiden. Und Daisy besteht darauf, dass ich meinen Senf dazu gebe. Dabei ist mir das alles sowas von egal." Ich sehe meinem besten Freund in die Augen. "Bin ich deswegen kein guter Ehemann, wenn mir das alles vollkommen egal ist? Was meinst du?" Er zuckt die Achseln. "Keine Ahnung. Aber spontan würde ich sagen, dass es vollkommen egal ist und nichts über dich als Ehemann aussagt." "Da bin ich ja froh.", lache ich. "Weißt du, ich liebe Daisy, aber dieser ganze Tamtam." Ein Seufzen dringt aus meiner Kehle. "Am liebsten würde ich sie einfach in das nächste beste Standesamt schleifen und ganz heimlich heiraten. Ohne Familie, nur mit den engsten Freunden. Ohne Riesen Party und so." "Kann ich verstehen." Er seufzt kollegial. "Aber für jemanden deines Standes gibt’s da wohl nicht viele Optionen." Ich nicke mit verkniffenen Gesichtsausdruck. "Ja. Leider." "Kommt deine ganze restliche Verwandtschaft?", fragt Ben. "Die Betonung liegt auf restliche. Ja, sie kommen alle." "Oh. Und Daisys?" Ich nicke. "Na klar. Alle." "Wie viele Gäste werden es sein?" "So etwa fünfzig, denke ich. Zumindest war das der letzte Stand." Ben pfeift anerkennend zwischen die Zähne. "Wenigstens muss sich über das Platzproblem keine Sorgen gemacht werden." "Die schlafen nicht alle in Embley Abbey.", stelle ich resolut klar. "Nur meine Familie und Daisys Eltern. Für den Rest wurden Zimmer im Pub reserviert." "Verstehe." "Obwohl es mir egal sein kann. Daisy und ich hauen ja am selben Abend noch ab." Ben nickt zustimmend. "Aber ich musste auch an meine Angestellten denken." Ich boxe ihn freundschaftlich gegen den Arm. "Und wie ich ja nun weiß, auch an deine Lily denken. Wenn sie viele weitere Gäste zu bewirten hätte, hätte sie ja gar keine Zeit für dich." "Ha ha.", brummt er. "Ich hätte es dir nicht sagen sollen. Du wirst dich ihr gegenüber sicherlich ab jetzt anders verhalten." "Quatsch! Ich wusste bis vorhin ja nicht einmal das sie existiert." Als ich seinen Gesichtsausdruck sehe, revidiere ich mich schnell, "Ich meine, ich wusste nicht das deine Freundin bei mir arbeitet. Mensch Ben ..." Ich schenke ihm ein Grinsen. "... Sieh's doch einfach als Firma! Ich bin der Boss und sie meine Angestellte. Warum sollte es verwerflich sein, dass mein Freund etwas mit einer meiner Angestellten hat?" "Sag das nicht mir! Was glaubst du, sage ich Lily ständig." Es wundert mich wirklich warum sie sich so pingelig haben sollte. Ich hatte mich bisher eigentlich immer für einen lockeren Chef gehalten, der auch mal beide Augen zukneift. Warum hat sie solche Angst davor, was andere über ihre Beziehung denken könnten? Doch ich weiß nicht, was für interne Regeln unter den Hausangestellten gelten. "Seltsam.", urteile ich leise. "Na ja, vielleicht gibt sich das noch?" Plötzlich kommt mir eine Idee wo die beiden ihre Beziehung offiziell machen könnten. Spontan lade ich sie mit zur Hochzeit ein. Ich formuliere es so, "Du darfst doch jemanden mitbringen. Lade Lily als deine Begleitung zur Hochzeit ein!" "Was?", keucht er. "Das wird sie nie machen." "Warum nicht?", lache ich und setze den Blinker als ich die richtige Ausfahrt sehe. "Ich könnte ja so tun, als kenne ich sie nicht." "Tust du doch auch nicht." "Stimmt auch wieder.", lache ich und beschleunige. "Warum will sie nicht auf eine Hochzeit gehen? Was meinst du? Frauen lieben doch Hochzeiten." "Na, weil sie ist wie sie ist.", sagt Ben und kratzt sich am Kinn. "Sie wird wieder ihre Arbeit als Ausrede anführen." Er stöhnt. "Das und der Gedanke, was ihre Kollegen dazu sagen würden." "Dann feuere ich sie eben.", scherze ich. Als ich sein entsetztes Gesicht sehe, sage ich, "Ich kann sie einen Tag später ja wieder einstellen." "Blödmann!", schnaubt er. "Aber wenn es dich beruhigt, ich werde sie fragen." "Du kannst ihr versichern, das Küchenpersonal wird für die Hochzeit Unterstützung bekommen. Es wurde ein Catering Unternehmen engagiert." Er nickt verständig. "Wie gesagt, ich versuchs'. Aber sie ist in dieser Hinsicht echt seltsam." Etwas misstrauisch geworden hake ich nach. "Zeigt sie sich denn mit dir in der Öffentlichkeit oder trefft ihr euch nur bei ihr zu Hause?" "Wir waren schon einmal essen und aus. In London. Aber sonst." "Hm.", mache ich skeptisch. "Aber sie hat mich ihrer Mutter vorgestellt.", beeilt er sich anzuführen. Als würde das alles erklären. Es hätte ja auch Zufall sein können das sie sich begegnet sind.   "O-k-a-y.", entgegne ich gedehnt. "Du bist skeptisch?", hakt nun er seinerseits nach. "Ich weiß nicht. Du musst zugeben, dass es ein seltsames Verhalten ist." Er überlegt. Schließlich sagt er, "Ich habe mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken darüber gemacht. Ich dachte einfach, sie ziert sich etwas. Liegt vielleicht am Alter." "Also ist sie doch jünger?", grinse ich triumphierend. "Ja.", brummt er genervt und sieht demonstrativ aus dem Fenster "Wie jung?" Er sieht mich entnervt an und zischt, "Ziemlich jung? Zufrieden?" "Mir ist es egal. Ehrlich. Hauptsache, du bist glücklich. Und ich vertraue darauf, dass du weißt, was du machst." Von weitem kann man schon den Turm von St. Clemens sehen. "Ja, das weiß ich. Danke sehr.", brummt er. Die restlichen Minuten der Fahrt verbringen wir schweigend.
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