Brandons Sicht
Drinnen war die Hütte eine eigene Welt, weit entfernt vom Sturm. Noch nicht warm — aber geschützt, gedämpft und voller Versprechen. Ein Kamin duckte sich an eine Wand, ein Sessel stand schräg daneben, als würde er nur auf seinen Besitzer warten. Das schmale Bett war gegenüber an die Wand geschoben, dazwischen ein Tisch mit zwei Stühlen. Ein schwacher Geruch von Kiefernholz und Staub hing in der Luft.
Vorsichtig ließ ich sie auf das Bett sinken. Sie hielt den Arm an die Brust gepresst, Lippen weiß vor Schmerz. Nasse Kleidung klebte an ihr, tropfte auf die Decke.
„Du musst dich umziehen, sonst erfrierst du“, sagte ich und zog ihr die Stiefel und die Jacke aus.
Sie nickte auf eine Kommode am Fußende des Bettes. Ich wühlte darin, bis ich Jogginghosen, einen Pullover und dicke Socken fand — Komfort, ordentlich gefaltet aus Baumwolle. Ich legte die Sachen neben sie und drehte mich weg, um ihr Privatsphäre zu geben.
Ein paar Minuten später ein ungeduldiges Seufzen. „Ich krieg den Pullover nicht an.“
Ich wandte mich um. Ihr Kiefer war fest angespannt, aber ihre gute Hand kämpfte hilflos mit dem Stoff. Behutsam half ich, den Pullover über ihren Kopf und die Schultern zu ziehen, mir jeder Berührung meiner Finger bewusst.
„Wie heißt du?“ fragte ich, um den Moment mit etwas Normalem zu verankern.
„Amelia.“ Ihre Augen, scharf trotz des Schmerzes, trafen meine. „Und du?“
„Brandon.“
Ich kniete mich hin und streifte ihr die Socken über die kalten Füße.
„Du solltest dich auch umziehen“, murmelte sie und warf mir einen vielsagenden Blick zu.
Ich holte einen Ersatzpullover und Socken aus meinem Rucksack und zog mich im Bad um. Als ich zurückkam, kniete Amelia störrisch am Kamin, versuchte mit einer Hand ein Feuer in Gang zu bringen.
„Mein Auto steht am Anfang des Wanderwegs“, sagte ich. „Sobald es nachlässt, fahre ich dich ins Krankenhaus.“
Sie lachte kurz, ohne Humor, und nickte zum Fenster, wo der Schnee gegen die Scheiben peitschte. „Keiner von uns geht da raus.“
„Aber du brauchst einen Arzt. Wenn die Wunde—“
„Die Blutung ist gestoppt“, unterbrach sie, musterte ihren Arm mit der Ruhe einer Frau, die gewohnt war, selbst zurechtzukommen. „Der Sturm bringt uns schneller um als eine Infektion.“
Sie hatte nicht unrecht. Trotzdem nagte die Sorge an mir.
„Dann lass mich helfen.“
„Meinetwegen. Fang mit dem Feuer an.“ Sie rutschte beiseite. Holz und Zunder waren schon aufgeschichtet. Sie reichte mir das Feuerzeug, und nach wenigen Minuten leckten Flammen am Holz, der orange Schimmer breitete sich im Raum aus.
„Im Küchenschrank ist ein Verbandskasten“, sagte sie, sobald das Feuer richtig brannte. „Oben.“
Ich holte ihn und zog einen Stuhl an den Tisch, wo sie sich gesetzt hatte. Sanft befreite ich ihren verletzten Arm aus dem Pullover und wickelte die durchtränkten Bandagen ab. Mein Magen zog sich zusammen bei dem Anblick, aber ich zwang mich zur Ruhe.
Immerhin hatte die Blutung aufgehört.
„Das wird brennen“, warnte ich, bevor ich Alkohol auf die Wunde tupfte. Sie zischte zwischen den Zähnen, wich aber nicht zurück. Hartnäckig bis ins Mark. Ich reinigte und verband die Stelle neu, meine Hände unbeholfen, aber entschlossen.
Als ich fertig war, lehnte sie sich zurück aufs Bett, den Unterarm über dem Gesicht, atmete vorsichtig durch den Schmerz.
Das Feuer knackte, warf tanzende Schatten an die Wände. Ich hängte unsere nassen Sachen über die Stühle beim Kamin und durchstöberte ihre Küche. Ein paar Dosen Suppe, ein halbes Brot — karg, aber besser als nichts. Als ich zurückkam, war sie schon eingeschlafen.
„Amelia“, sagte ich leise und rüttelte sanft an ihrer Schulter. „Du musst etwas essen.“
Sie regte sich, setzte sich mühsam auf, streckte die Hand nach der Schüssel aus.
„Ich sollte dir helfen“, sagte ich und reichte ihr stattdessen Brot.
Ihre Mundwinkel hoben sich schwach. „Praktisch.“ Sie ließ sich von mir die Suppe löffeln, schwach, aber noch immer mit einem Anflug von Humor. Danach gab ich ihr Wasser und Schmerzmittel aus dem Kasten. Sie schluckte sie und sank wieder zurück.
„Danke“, flüsterte sie, als koste es sie Mühe.
Ich nickte nur. „Schlaf.“
Das tat sie.
Ich saß im Sessel, nickte halb ein, bis das Feuer niederbrannte und die Kälte mich wieder weckte. Amelia rührte sich, murmelte meinen Namen. Erleichterung schwappte so heftig durch mich, dass mir fast die Beine wegknickten.
„Wie schlimm ist der Schmerz?“ fragte ich.
„Schlimm“, gab sie zu, dann ein kleines Lachen. „Aber besser als vorher.“
Vermutlich spielte sie es herunter. Am liebsten hätte ich sie direkt ins Krankenhaus getragen, doch draußen tobte der Sturm, lauter, schwerer, unnachgiebig.
„Es tut mir leid“, sagte ich leise. „Ich kann nicht mehr tun.“
Ihre Augen öffneten sich halb, ruhig und klar trotz der Erschöpfung. „Entschuldige dich nicht. Das hier ist nicht deine Schuld.“
Als sie wieder eingeschlafen war, hatte ich die Küche aufgeräumt und das Feuer neu entfacht. Der Sessel war nicht zum Schlafen gemacht, aber besser als der Boden. Ich ließ mich hinein sinken, draußen wütete der Sturm, drinnen ihr ruhiger Atem.
Zum ersten Mal an diesem Tag atmete ich tief aus.