1.
Brandons Sicht
Mein Stiefel rutschte ab. Für einen Sekundenbruchteil hatte der Berg mich, gefrorene Finger krallten sich an glattem Granit fest, das Seil zerrte hart an meinem Gurt. Mein Puls donnerte in meinen Ohren, während ich um Halt kämpfte, klammernd, als hinge mein Leben davon ab – weil es das tat.
Seit einer halben Stunde fiel Schneeregen, harte Nadeln stachen mir ins Gesicht. Keine Vorhersage hatte einen Sturm angekündigt, aber hier war er: blendend, gnadenlos. Wenn ich noch einmal ausrutschte, würde man mich tagelang nicht finden – wenn überhaupt. Erfrierung, die Kälte, vielleicht sogar Wölfe … Ich verbannte den Gedanken.
„Nur ein Vorsprung“, murmelte ich durch zusammengebissene Zähne gegen den Wind. Noch ein paar Fuß, dann Unterschlupf. Wenn ich bald kein Dach fand, war’s vorbei.
Jeder Muskel brannte, schrie nach Aufgeben, doch ich zog mich das letzte Stück hoch. Oben verschwand die Welt im Weiß. Der Schneesturm verschluckte alles, so dicht, dass ich kaum meine Hände sehen konnte. Mein Atem stob in scharfen Stößen hervor, verwehte sofort im Sturm.
Ich liebte es, diese Berge zu besteigen. Normalerweise klärte die Stille dort draußen meinen Kopf, wusch den Lärm der Stadt aus meinem System. Aber heute ging es nicht um Frieden. Heute ging es ums Überleben.
Ich schlug mir die Arme gegen die Seiten, stampfte, um das Blut in Bewegung zu halten, doch die Kälte schnitt durch jede Schicht Kleidung. Ich suchte im Sturm nach irgendetwas – einer Höhle, einem Felsvorsprung, einer Baumgruppe. Zuerst war da nichts. Nur Weiß und Wind und das kranke Kribbeln der Panik im Rückenmark.
Dann – Bewegung.
Ich erstarrte. Das Geräusch war nicht der Berg. Kein Wind. Kein fallender Schnee. Ein tiefes, kehliges Knurren, das mir die Nackenhaare aufstellte. Meine Augen suchten im wirbelnden Weiß – bis ein pinker Blitz am Rand meines Blickfelds aufflackerte.
Kein Tier. Ein Mensch.
Ich stolperte näher, Herz rasend, und die Form wurde klarer: ein Arm, eingeklemmt unter einem schneeschweren Ast. Dann der Rest von ihr – eine Frau, ausgestreckt im Schnee, leuchtend pinker Anorak, Handschuhe, sogar die Stiefel. Wie ein trotziger Funke Farbe in einer Welt, die sie auslöschen wollte.
Ihr Gesicht war vor Schmerz verzerrt, Lippen blass, doch sie schrie nicht.
„Alles okay?“ fragte ich, Stimme rau.
Sie warf mir einen Blick zu, der Wasser hätte gefrieren lassen. „Was denkst du?“ Dann, leiser: „Nein. Gar nicht.“
Ich wuchtete den Ast zur Seite. Da schrie sie – scharf und roh, der Laut schnitt durch den Sturm. Blut lief an ihrem Arm herab. Mir drehte sich der Magen um, aber ich zwang Luft in meine Lungen und suchte nach dem Erste-Hilfe-Set in meinem Rucksack.
„Abbinden“, keuchte sie durch klappernde Zähne. „Oberhalb der Wunde.“
Praktisch. Direkt. Selbst im Schmerz noch klar. Ich wickelte die Binde, zog den Knoten fest. Sie stöhnte, die Augen fest geschlossen.
„Dein Knöchel?“ fragte ich.
„Verknackst. Ausgerutscht. Ast kam mit dem Schnee runter. Alles … zu schnell.“
Ich legte ihren Arm um meine Schultern, hob sie vorsichtig an. Sie zitterte jetzt heftig, ihr Gewicht lehnte schwer gegen mich.
„Meine Hütte ist nah“, brachte sie hervor und nickte zu den Bäumen.
Ich betete, dass sie recht hatte. Wir stolperten vorwärts, halb blind durch den Schneeregen, jeder Schritt ein Kampf. Gerade als ich dachte, ich sei in eine grausame Falle geraten, nahm eine dunkle Form Gestalt an – eine schiefe Dachlinie, halb im Schnee versunken.
Die Hütte war klein, wettergegerbt, aber stabil genug, dem Sturm standzuhalten. Erleichterung traf mich so heftig, dass ich fast lachte. Ich stieß die Tür auf und brachte sie hinein.
Sicher – oder zumindest sicherer. Aber ich wusste, das war noch nicht vorbei.