Szene 6

1156 Words
Ohne groß über die Worte nachzudenken, die mir Laura vor kurzem gesagt hatte, schlüpfte ich in die dunkle Seitengasse und folgte ihrem Verlauf, um irgendwo den Trollschamanen zu finden. Die Rüstung schabte leicht an der Mauer, weil ich zu breit war, doch ich ignorierte es. Nach wenigen Metern wurde die Gasse breiter und ich stand in einem neuen Händlerbereich. Die Straße wirkte enger, als sie tatsächlich war, weil sich die Stände zu beiden Seiten hin ausbreiteten. Sie waren mit Stoffen und Leinen verhängt. Darum sah man die angebotene Ware erst, wenn man davor stand. Die Händler selbst waren ebenfalls verhüllt, sodass man meist nur die Augen erkannte. Ich wusste nicht, woher das Gefühl kam, aber die Atmosphäre hier war um einiges düsterer und gefährlicher als außerhalb dieser Seitenstraße. Ich erkannte auch keinen einzigen Soldaten. Sie schienen um diesen Teil der Stadt einen Bogen zu machen. Obwohl alles in mir danach schrie, umzudrehen und davon zulaufen, machte ich weitere Schritte in die Straße hinein und meinen Blick glitt über die Waren. Man tuschelte um mich herum. Ich hörte ein Huschen neben mir und drehte mich reflexartig um, doch dort war niemand. „Ein Wölfchen.“ Spott hing schwer an den zwei Wörtern. Ich drehte mich erneut um und erblickte einen Ork, der mich breit angrinste. „Was treibt dich hierher?“ „Ich suche jemanden.“ Damit schob ich mich an der breitschultrigen Dame vorbei, doch sie ergriff kurz meinen Arm und stoppte mich so. „Du solltest dich nicht weiter bewegen. Siehst du sie denn nicht?“ „Wen?“ Ich schaute mich irritiert um. Aber außer einem leichten Huschen, das mich schon den ganzen Weg über begleitete, bemerkte ich nichts. Es war so schwach, dass ich es meiner Einbildung zuordnete. „Ich sehe nichts.“ Sofort befreite ich mich mit einem kräftigen Ruck aus der Umklammerung. Überrascht sah mich die Orkdame an. „Wirklich nicht? Man merkt, dass du noch nicht lange hier bist“, grummelte sie und seufzte dann, „die Vampire lauern dir auf. Sie verhandeln nur noch, wer dich töten darf. Also, Wölfchen, was suchst du hier?“ „Ich suche einen Freund. Terrivon ist sein Name. Er wollte hier etwas für mich besorgen. Eigentlich sollte ich in einem Gasthaus warten, aber es war mir dort zu unbequem“, erklärte ich ihr meine Situation. Sie hob skeptisch eine Augenbraue, bevor sie dann herzhaft zu lachen begann. Es war ein tiefer Bass, der meinen Körper leicht vibrieren ließ und so gar nicht zu ihr passte. „Das kann ich mir durchaus vorstellen. Frischfleisch ist sehr begehrt in Equalia. Vor allem wenn es weiblich ist. Mein Name ist Serena.“ Sie streckte mir freundlich eine Hand entgegen, die ich ein wenig zögerlich annahm, bevor ich sie schüttelte. „Man nennt mich Destina.“ Sie hatte auch schon den höchsten Level, sodass ich mir sicher war, dass mir in ihrer Nähe nichts passieren wird. „Hast du Terrivon vielleicht gesehen?“, fragte ich dann ruhig. Sie musterte mich kurz. „Du scheinst wirklich dringend zu ihm zu wollen, sehe ich das richtig?“ Ich nickte ungeduldig und sah mich weiter um, doch so wirklich wollte ich meine Freundin nicht erblicken. Wo trieb sie sich nur herum? „Leider habe ich ihn noch nicht gesehen. Aber er müsste sich ja hier noch irgendwo herumtreiben. Ich helfe dir beim Suchen, habe gerade eh nichts Besseres zu tun“, meinte sie ruhig und schritt dann voran. Ich beeilte mich, ihr hinterherzukommen und obwohl wir zwei Frauen waren, so wurde uns nicht zu gepfiffen oder Ähnliches. Man ließ uns in Ruhe durch die Stände gehen. Ich war gänzlich verblüfft. Was musste Serena für einen Ruf haben, wenn sie solch einen Respekt bekam? Ich blieb in ihrer Nähe, so gut es ging, aber das Huschen um uns herum nahm nicht ab und ich sah, wie sie ihren Kopf amüsiert schüttelte. „Du bist sehr begehrt, Destina. Werwölfe trauen sich nur noch im Rudel nach Equalia und sowieso nie auf den Schwarzmarkt. Du bist eine Seltenheit, wobei ich noch nicht weiß, ob du einfach nur strohdumm oder mutig bist.“ „Ich bin ehrlich, eigentlich habe ich nicht nachgedacht, sondern bin einfach losgerannt und wollte Terrivon finden“, gab ich kleinlaut zu und sie lachte erneut. „Also strohdumm.“ Ein dumpfer Aufschlag erklang hinter mir und ich drehte mich instinktiv um. Mein Schwert zog ich in der Bewegung aus der Scheide, doch da war nur noch ein Schatten. Man riss mich grob nach hinten und ich stürzte zu Boden. Metall traf auf Metall. Verhakte sich mit einem widerlichen Kreischen. Als ich meine Umwelt wieder bewusst wahrnahm, erblickte ich Serena, die eins ihrer Breitschwerter gezogen hatte und sich gegen die Klinge eines Vampirs stemmte. Sie hatte so schnell reagiert. Ohne sie wäre ich jetzt tot. Die Erkenntnis sickerte langsam wie Gift in meinen Verstand und ich zitterte kurz. Der Vampir hätte mich hinterrücks ermordet. Was war das für eine Welt? Serena stieß mit einem lauten Brüllen den Vampir von sich und nahm nun das zweite Breitschwert in die Hand. Sie fixierte den Feind finster. „Du Bastard. Hast du nicht gesehen, dass ich diesen Werwolf geleite!? Niemand tötet meinen Schützling, verstanden?!“ Sie schlug nach ihm. Er taumelte zurück und zog ebenfalls eine zweite Klinge. Schnellte auf sie zu. Ein Klirren. Ein Hieb. Sie stieß ihn von sich. Warf die Klinge nach ihm. Wieso waren Orks so stark? War sie ein Berserker? War das die Kraft von dieser Klasse? Der Vampir wich galant aus, doch Serena eilte ihm nach. Zielte auf den Kopf und wollte gerade zustoßen, als plötzlich ein schrilles Pfeifen erklang und sich Soldaten näherten, die die beiden auseinanderzerrten. „Keine Kämpfe in Equalia“, hörte ich die monotone Computerstimme der NPCs, sodass ich das Schauspiel irritiert beobachtete. Man gab Serena ihre Waffe zurück und sie trat schließlich zu mir. „Ist ja gut. Ich habe nur das Wölfchen verteidigt“, grummelte sie und half mir auf die Beine, bevor sie mich besorgt musterte. „Alles okay mit dir?“ „Ja, danke.“ Irgendwie war mir die Situation peinlich, doch ich seufzte nur kurz und klopfte mir den Staub aus der Kleidung. Erst dann wandte ich mich um und sah den Weg weiter hinunter. „Ich sagte dir doch, dass sie es auf deinen Kopf abgesehen haben. Aber jetzt lassen sie uns vielleicht in Ruhe“, nuschelte sie leise, bevor sie dann weiterging und ich ihr sofort folgte. Sie war stark und schnell. Ob ich irgendwann auch so spielen konnte? Ohne es bewusst zu bemerken, begann ich Serena zu bewundern. Ich wollte sie besser kennen lernen. Mehr mit ihr spielen. Ohne länger darüber nachzudenken schickte ich ihr eine Kontaktanfrage, die sie sofort annahm. Ich hatte meine erste Freundin im Spiel gefunden. Mein Herz machte einen Freudensprung und ich lief mit einem breiten Grinsen auf den Lippen weiter neben ihr her…
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