Zweites Kapitel.-2

2065 Words
Dann läßt ertragen Sich leichter Kummer und Behagen, So Lust wie Mißgeschick. Die Lieb’ zu zweien Kehrt Alles in Erfreuen Dem Knaben, dem getreuen. Der Maid so minniglich. Drum mögt ihr lieben Mit süßen und getreuen Trieben, Wann blüht der Lebensmai! Mich, den Getreuen, Mag Liebe nicht erfreuen, Weil sie nicht ist zu zweien: Mein Glück ist längst vorbei. »Lieblich, süß, aber melancholisch!« sagte der Dux, nachdem Eitel geendigt hatte und während Muskablüt’s Saiten noch in einigen nachhallenden Accorden rauschten. »Sollte das nicht wiederum ein Stückchen des aussätzigen Mönches auf der Rheininsel seyn? In seinen Liedern klingt immer eine gewisse Trauer, ein tiefer Kummer nach, woran sie zu erkennen sind. Er möchte so gern lieben, er möchte sich so gern den Menschen anschließen, aber sie haben ihn ausgestoßen, er ist in die Grenze seines kleinen Eiland’s verbannt. Steht es denn viel anders um uns fahrende Leut’, als um diesen unglücklichen Aussätzigen?« fügte der Director mit einem tiefen Seufzer, der für einen Augenblick sein wunderliches Grinsen unterbrach, hinzu. »Ganz Deutschland horcht auf seine Lieder, sie erklingen in den Palästen der Großen, in den Hütten der Armuth, auf dem Acker des Landmanns, wie in den Straßen der Städte, niemand aber mag ihm nahen, der Fluch der Ausgestoßenheit lastet auf ihm. So ergötzt man sich auch gern an unsern Spielen, so läßt man sich gern durch unsre Scherze den Ernst des Lebens erheitern, allein mit allen Bemühungen um die Menschen können wir uns keinen Freund unter ihnen gewinnen und wenn wir dann die vom langen Wanderleben müden Glieder zur letzten Ruhe strecken, so bettet man uns fern von denen, die wir so oft erfreuten, hinter der Kirchhofmauer oder an einem andern entlegenen Platze.« Ein zweiter Seufzer folgte dem Schlusse dieser Betrachtung. Eitel Glockenklang lachte laut auf und sprach: »Was sie einmal mit mir anfangen, wenn ich gestorben bin, das ist mir ganz gleichgültig. Die Pfaffen haben das so eingerichtet, weil sie neidisch auf uns sind und vermeinen, wir entziehen ihnen die Heller, die man besser ihren Passionsspielen darbrächte. Ich kann mir Weltlust und Weltfreude verschaffen, wie sie mein Herz begehrt! Wenn ich die Lieder des Meisters Lukas singe, so denke ich weder an sein Elend, noch an meinen Tod, sondern nur an das Geld und die Geschenke, die sie mir einbringen.« »Und wenn Frauen und Jungfrauen mir zulächeln,« sagte, sich wohlgefällig betrachtend, Muskablüt, »wenn sie mich mit Bändern und Kränzen schmücken, wenn sie mich ihren süßen und lieben Muskablüt nennen, die Zitter beneiden, die an meinem Herzen ruht, die Saiten, die meine Hand berührt – was verlange ich mehr, welches Loos gäbe es, das wünschenswerther wäre, als dieses?« Die Züge Felicians hatten sich unter den Reden der Sängerin und des Zitterspielers in ihre gewöhnliche Schlaffheit zurückbegeben. Er sah starr und gedankenvoll in das Feuer gleich einem Menschen der zu sehr alle Bitterkeiten des Lebens erfahren, um noch Freudiges von ihm zu hoffen. »Ich allein kann mich rühmen,« hob indessen in einem wichtigen Tone der Sprecher an, »den gepriesenen Meister Lukas gesehen zu haben. Er hat mir das Leben gerettet, als es schon so wohlfeil geworden war, daß mir niemand einen Heller darauf geboten hätte. Ich kam von Bacharach herauf, wo ich die ehrsamen Bürger in der Zeit der Weinlese durch weise und lustige Sprüche ebensowohl belehrt, wie erheitert hatte. Mein Säckel war gut gespickt mit Silber- und Kupferpfennigen, die Edeln von Stahleck hatten mir einen würzigen Trunk und einen guten Imbiß mit auf die Reise gegeben. Im freundlichen Städtchen Bingen ließ man mich auch nicht vorübergehn, ohne mir einen muntern Spruch abzuverlangen, der gleich drauf mit einem guten Trunk bezahlt wurde. So wanderte ich heiter und sorglos am Rhein hinauf. Bald erreichte ich ein Schiff, das von Pferden Strom aufwärts gezogen wurde. Ich war müde und als die Schiffer hörten, daß ich ein fahrender Sprecher sey, der ihre Dienste mit Scherz und Kurzweil belohnen könne, nahmen sie mich gern auf. Bisher war das Wetter heiter, der Wind günstig und der Strom ruhig gewesen. Ehe wir es uns versahen, packte aber bei einer Wendung des Flusses eine Windsbraut aus der Schlucht von Rauhenthal uns mit unbändiger Gewalt, zertrümmerte Mast und Segel, daß sie über Bord fielen, und erschütterte das ganze Schiff so mächtig, daß die armen Pferde vom Ufer in den Strom gerissen wurden und jämmerlich ertranken. Der Boden des Schiffs gerieth bei diesem überraschenden Unfalle, der jeden verwirrte, an eine verborgene Steinmasse; das Fahrzeug schwankte, neigte sich und erhob sich wieder, aber zugleich drangen auch die Wellen ein und erfüllten den untern Raum. Die Männer, die sich grade dort befanden, eilten schreiend herauf: wir alle glaubten, es wäre unser letzter Augenblick gekommen. Wir befanden uns, rasch von den Wellen fortgetrieben, in der Mitte des Rheins. Wir hatten keinen Nachen, um an das Ufer zu gelangen, das Schiff sank immer tiefer, es folgte keiner Bewegung des Ruders, unser Untergang schien gewiß. In der Angst meines Herzens sagte ich einen frommen Spruch nach dem andern her; einige von meinen Reisegefährten machten sich fertig, ihr Leben durch Schwimmen zu retten, andre, die diese Kunst nicht verstanden, beteten, wieder andre fluchten. Nirgends ließ sich auf dem Wasserraume, der uns umgab, ein Schiff oder auch nur ein Nachen erblicken, von dem wir Beistand in dieser großen Noth hätten erwarten können. Wir fühlten, während der Strom uns fortriß, den Boden unter unsern Füßen sich senken, wir erwarteten in Todesangst den Augenblick, wo uns die Wellen verschlingen würden. Da stand plötzlich, von einer unsichtbaren Kraft gehalten, das Schiff mitten im Strome. Es war mit dem Vordertheil auf eine sandige Stelle gerathen, dieses hob sich hoch empor, während das Steuerbord tief unter die Fläche des Stroms hinabtauchte. Wir alle klimmten im Drange der Todesangst nach dem Vordertheile auf und klammerten uns hier, wo nur eine menschliche Hand haften konnte, fest. Jetzt lag das Schiff still, aber wir befanden uns in einem verzweiflungsvollen Zustande. Obgleich das Fahrzeug fest saß, so zeigte sich doch bei einer nähern Nachforschung, die einer der Schiffer anstellte, noch eine so bedeutende Tiefe, daß wir, wenn unsre erschöpften Kräfte es unmöglich machten, länger in unsrer schrecklichen Lage zu verweilen, diese nur verlassen konnten, um im Rhein ein nasses Grab zu finden. Ich stand eben im Begriff, den letzten Scheidespruch vom Leben, den ich gewöhnlich in der Comödie vom Jonas im Wallfische, wann der Prophet von dem Rachen des Ungeheuers verschlungen wird, hersage, meinen Leidensgenossen zum Troste mitzutheilen, als wir plötzlich einen Nachen erblickten, der, langsam den Strom aufwärts ziehend, nur von einem einzigen Menschen geleitet wurde. Wir schrieen, wir schwangen mit dem einen Arme, den wir frei geben durften, zum Zeichen unsrer Noth Tücher in die Luft. Der Mann im Nachen bemerkte uns. Er richtete den Lauf seines kleinen Fahrzeugs nach dem Punkt, wo wir festlagen, wo wir uns noch mit der äußersten Anstrengung erhielten. Bald konnten wir sehen, daß es ein Mönch war, in dem Gewande eines Bruders von den grauen Büßenden. Er hatte die Kappe seiner Kutte tief über die Stirn gezogen und führte mit so starker und geschickter Hand seinen Nachen durch die Strömung, dem noch immer stürmischen Winde entgegen, daß es uns dünkte: er möge mehr in weltlichen als in geistlichen Dingen seine Kräfte geübt haben. In kurzer Zeit war er an unsrer Seite. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich jetzt, daß er eine Larve trug, die sein ganzes Antlitz bedeckte. Die Schiffleute waren ganz still geworden. Einer nach dem andern stieg auf seinen Wink schweigend in den Nachen hinab. Sie drängten sich auf einen Haufen zusammen, sie ließen, so viel es der Umfang des Fahrzeugs gestattete, einen freien Raum zwischen sich und dem Mönch. Ich war der letzte, der die Trümmer des Schiffs verließ. Wir standen eng an einander in dem kleinen Nachen, aber dem Eigenthümer des Fahrzeugs nahte doch niemand. Ich begriff die Scheu nicht, doch fühlte auch ich mich ihr unwillkürlich unterworfen. Indessen brachte uns die kräftige Leitung des Mönches dem Ufer näher. Meine Gefährten beharrten noch immer in wunderlichem Schweigen. Der Mönch schien nicht darauf zu achten. Da erinnerte ich mich, daß ich ein Sprecher von Profession sey und redete ihn an. ›Gott zum Gruß, frommer Pater!‹ sagte ich. ›Ihr seyd recht als ein hülfreicher Engel gekommen, uns beizustehn in der höchsten Noth.‹ Der Mönch antwortete nicht, sondern schüttelte nur mit dem Kopfe. Die Schiffleute machten ein Zeichen, das mir Schweigen gebot und sahen mit zweideutigen, seltsamen Gebehrden vor sich nieder. Nun wurde es auch mir fast graulich zu Muthe in der Nähe des unheimlichen Mönch’s. Als wir landeten, sprang ich so hastig, wie meine Gefährten, an’s Ufer. Sie eilten in vollem Laufe einen Hügel hinan, der sich hier erhob; ich folgte ihnen, von unerklärlicher Angst getrieben, ebenso schleunig nach. Als sie die Spitze des Hügels erreicht hatten, standen sie still und schöpften Odem. Der Nachen des Mönchs glitt wieder in der Mitte des Rheins dahin, durch die Kraft des Schiffenden fest im Sturme erhalten. ›Das war der Aussätzige von der Ingelheimer Aue;‹ sprach da einer von den Schiffleuten: ›er verhüllt sein Angesicht, um die Spuren seiner entsetzlichen Krankheit nicht sehen zu lassen, er spricht zu niemanden, um ihn nicht mit seinem giftigen Hauche zu berühren. Gott lohn’ ihm, was er an uns gethan hat; Gott behüt’ uns, daß seine Nachbarschaft uns kein Übel bringe!‹« »Seht, ihr Leute,« fügte der Sprecher seiner Erzählung hinzu, »auf diese Weise habe ich den berühmten Meister Lukas kennen gelernt und wenn er mir auch damals keins seiner schönen Lieder vorgesungen hat, so ist er doch Schuld, daß ich sie von andrer Sänger Munde noch vernehmen kann.« Die schöne Eitel und der süße Muskablüt hatten dieser Mittheilung eine nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Sie waren fortwährend zu sehr mit der Bedeutendheit ihrer eigenen Personen beschäftigt, als daß eine Erzählung, in der ein andrer und überdem noch eine Art Kunstgenosse, die Hauptrolle spielte, ihre Theilnahme erwecken konnte. Jedes Lob, das nicht ihnen gezollt wurde, dünkte sie unverdient; jede noch so rühmliche Eigenschaft eines andren stand in ihren Augen tief unter dem eigenen Talente, unter einer Kunstgeschicklichkeit, die – so wähnten sie – in der ganzen Welt nicht ihres Gleichen finde. Wie weit ist doch auch in dieser Hinsicht unser Zeitalter vorgeschritten! Wir sehen eine Periode nahen, in der die Bescheidenheit einer Sängerin sprüchwörtlich gelten, in der die zarte Demuth eines Virtuosen zu einer Autorität in der Sittenlehre erhoben werden wird. Freilich dürfte die Lesewelt jener Tage, wenn sie sich anders noch mit unserer Erzählung beschäftigt, dann vergebens nach den Urbildern zu Charakteren, wie schön Eitel und süß Muskablüt, forschen, aber sie findet sich dagegen durch die tröstliche Überzeugung erhoben, daß die Menschheit und in’s Besondere die Künstlerwelt besser geworden sey, als in den früheren barbarischen Zeiten. Mit unverkennbarer Theilnahme aber lauschte Felician den Worten des Sprechers. Er verbarg unter der Hülle der Gleichgültigkeit, unter angewöhnten Formen eine Gefühlsempfänglichkeit, die trotz eines langen Kampfes mit tausend herben Erfahrungen, ihre Stellen hatte, wo sie leicht verletzlich war. Alles was ein Individuum der Künstlerwelt betraf, erregte sein lebhaftes Mitgefühl und da er genöthigt war, den Künstlerstand, bei allem poetischen Werthe, den er ihm beilegte, für den unglücklichsten auf der Welt zu halten, so empfand er auch weit tiefer dessen Leiden, als daß ihm seine selten gebotenen Freuden erkennbar geworden wären. Mit jenem wunderlichen Lächeln, das ihn, so bald er den Mund zum Reden öffnete, wie ein Krampf zu befallen schien und unter dessen entstellender Gebehrde niemand die schmerzlichen Empfindungen, welche in diesem Augenblicke vielleicht seine Seele zerrissen, ahnte, sagte er zu dem Sprecher gewandt: »Dieser Meister Lukas ist plötzlich, wie ein Gebild, aus einem zauberischen Reiche entstammend, oder vielmehr wie ein süßer, Alles entzückender Ton, von dem niemand weiß, woher er kommt, in das Leben getreten und als ein unsichtbarer Beherrscher der Gefühle durchzieht er ganz Deutschland. Sein entsetzliches Loos hält ihn in den Umkreis seines kleinen Eiland’s gebannt, seine furchtbare Krankheit ist die Scheidewand, die zwischen ihm und dem menschlichen Geschlechte steht; aber sein Lied durchdringt und rauscht in seinem melodischen Strome über die Erde hin, ihn allvergegenwärtigend, den Ausgestoßenen Allen befreundend. Sage mir, Sprecher, hast du auf deiner Wandrung am Rheine nichts Näheres von ihm vernommen? Weiß man dort nicht, woher er kommt, kennt man nicht das Geschlecht, dem er entsprossen? Ihn hat nicht blos der Zufall zum Dichter gemacht. Aus jedem seiner Lieder spricht ein edler Sinn, eine Hoheit der Gefühle, die nur eine sorgliche Pflege des jugendlich entkeimenden Geistes zuwege gebracht haben kann.«
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