»Man kennt ihn auch dort nur unter dem Namen des Meisters Lukas;« versetzte der Angeredete. »Vor vielen Jahren sollen ihn zur Nachtzeit Mönche an das Ufer des Rhein’s gebracht haben. Ein alter Fischer, der seitdem gestorben, wurde aus seiner Hütte herausgepocht und erhielt eine gute Belohnung, um den Aussätzigen, der auch damals schon seine Larve vor dem Angesichte trug, nach der Ingelheimer Au überzusetzen und dort zurückzulassen. Er sprach nichts bei’m Abschiede von den Mönchen, er ließ sich geduldig Alles gefallen, was mit ihm vorgenommen wurde. Auch gegen den Fischer, der einige neugierige Fragen an ihn richtete, beobachtete er ein hartnäckiges Schweigen. So kam er auf die Insel, wo er wöchentlich von den Mönchen aus Kloster Eubingen mit Speise und Trank versehen wird. Diese erhalten auch von ihm seine Lieder, die bald am ganzen Rheine gesungen werden und dann widerhallen durch alle deutsche Lande. Den Nachen, in dem er zu seiner Lust auf dem Rheine fährt, hat er sich selbst gezimmert, aber nie berührt er die bewohnten Ufer des Flusses und führt das Geschick ihn einmal mit Menschen zusammen, so dient er ihnen hülfreich, wo es noth thut, aber nimmer bricht er das Gelübde des Schweigens, dem er sich verpflichtet zu haben scheint.«
»Ich kannte einen Mann,« sagte vor sich hinlächelnd der Dux, »dessen Gestalt, dessen ganzes Wesen in meiner Erinnerung wieder auflebt, wenn ich die Lieder des armen Mönchs von der Rheininsel höre. Er war ein Rittersmann ohne Tadel, er schlug die Zitter nicht schlechter, als Muskablüt, er sang die schwäbischen Lieder mit wundersamem Wohlklange und wenn er ein Lied von seiner eigenen Erfindung anstimmte, so lebte in ihm ein ebenso zarter Geist, wie in denen des aussätzigen Mönches. Er war ein trefflicher Mann, er erlöste mich aus einer sehr unglücklichen Lage. Doch,« rief er, sich selbst plötzlich unterbrechend und die Sängerin bei der Hand ergreifend, »wir vergessen über solche Dinge, welche unsre schöne Freundin langweilen mögen, des Mittagsmahles. Frisch, Pickelhäring, gib das Zeichen! Alle herbei! Vorkost, Zuspeise und Nachtisch, Alles aus einem Topfe!«
Auf den Ruf des Direktors begann Meister Pickelhäring sogleich einen weithinschallenden Wirbel auf seiner Trommel, die hinter Felician und Eitel auf einem Holzblocke ruhete, zu schlagen. Kinder, die mit den Geräthschaften auf dem Karren gespielt hatten, Weiber, die am Bache mit Waschen beschäftigt gewesen, eilten auf das willkommene Zeichen herbei, um ihren Platz in dem nun sich erweiternden Kreise einzunehmen. Die Szene, die sich jetzt entwickelte, trug den Charakter des ungeordneten Nomadenlebens, in dem eine solche Bande fahrender Leute sich zu bewegen pflegte, und selten machten die bittweise ausgesprochenen Ermahnungen Felicians einigen Eindruck auf die Menge der den Speisekessel bestürmenden Männer, Weiber und Kinder. Nur Eitel und Muskablüt mischten sich nicht in dieses wilde, ungestüme Treiben. Sie wurden von dem Direktor selbst mit Aufmerksamkeit bedient, sie allein führten einiges Speisegeschirr mit sich und ein Besteck mit silbernen Messern und Gabeln, wie damals die angesehenen Leute beiderlei Geschlechtes am Gürtel zu tragen pflegten. Der Dux sprach den Speisen am Mäßigsten zu. Bald gab er den Versuch, seine Leute zu Sitte und Ruhe zu bekehren, auf. Er versank in ein tiefes Nachdenken, aus dem er erst wieder erwachte, als nach geendigter Mahlzeit eine allgemeine Stille folgte, aus der er schloß, daß man nun von seiner Seite die Erlaubniß erwarte, das Fäßlein Bergsträßer Wein, dessen schon der Pickelhäring gedacht, von dem Transportkarren herbeizuschaffen. Er gab sie lächelnd mit einem Zeichen der Hand und im nämlichen Augenblicke stürzte Alt und Jung, laut aufjubelnd nach dem Karren hin, um aus dem Bauche des Drachen, wo es wohl verwahrt lag, das Fäßlein herniederzulassen und vorsichtig zu den Füßen Felician’s zu rollen. Er schlug es auf, er bot in einem kleineren silbernen Becher, den ihm Muskablüt überreichte, zuerst der schönen Eitel zu trinken, dann überließ er das Amt des Mundschenken fernerhin dem Sprecher, der es mit ebenso großem Ernste, als gemeinsinniger Unpartheilichkeit verwaltete.
»Wer weiß,« sprach süßlächelnd Felician zu der Sängerin, »wie lange unser harmloses Treiben noch Freunde und wohlwollende Aufnahme findet im guten Deutschland! Unsre Zeit dünkt mich wie ein letzter Nachhall der schönen Tage unter den Hohenstaufen, wo Sang und Ritterspiel, Dichterleben und Minnenlust die Höfe der Fürsten und Großen zierten.«
»Felician«, erwiederte Eitel, »du mußt deine Gedanken besser mit deinen Gesichtszügen in Einklang zu bringen suchen! In deiner Seele ist’s trübe, wenn dein Antlitz Sonnenschein zeigt. Du weinst im Herzen, wenn deine Lippe lacht. Willst du durchaus ein verkehrter Mensch seyn, so sey es ganz und laß dein Äusseres auf das Innere wirken: trage den Sonnenschein des Antlitzes in das Gemüth über. Wozu diese finsteren Ahnungen, diese besorgnißvollen Träume einer unglücklichen Zukunft? So lange die Menschen noch Ohren haben, zu hören, noch Augen, zu sehen, so werden unsre Spiele nicht für sie verloren gehn, so werden wir auf dem Acker unsers Gewerbes reiche Früchte erndten.«
»Wie manches Ohr,« versetzte kopfschüttelnd, aber mit fortwährendem Lächeln der Dux, »ist schon taub geworden unter dem lähmenden Hauche der Pestilenz, wie manches Auge schon erblindet, schon erstarrt im Todesfroste, der sie begleitet! Haben wir nicht bereits Länder durchzogen, wo man unsre Spiele verdammlich schalt, wo man uns beschuldigte, durch frevelhafte und sündliche Gaukelei den Zorn des Himmels gereizt zu haben? Die Menschheit ist schlecht geworden, aber der Einzelne hält sich nicht für den Sünder, sondern schiebt die Schuld immer auf den Andern. Vom Frevel zur Reue ist nur ein Schritt. Dieser Schritt aber führt die Menschen nicht aus dem Gebiete der Sünde. Aus dem verbrecherischen Weltkinde wird nun ein verbrecherischer Fanatiker. Seht diese schrecklichen Geißler, die wie eine Heuschreckenschaar verheerend durch ganz Europa ziehn und auch uns auf dem Fuße folgen. Sie und die Pest werden unsre harmlosen Spiele vertreiben, unsre heitern Lieder verstummen machen. Wo ihre Traumgestalten mit den blutigen Wunden ihrer entsetzlichen Bußübungen erscheinen, wo ihre düstern Strafgesänge erschallen, da schweigt die Freude, da stirbt selbst das Bedürfnis, dem Leben eine heitre Bedeutung zu geben. Die Seelenkrankheit, der sie verfallen sind, ist ansteckend, wie die Pest selbst. Das Gelüst der Geiselung, der Selbstquälung dringt in die einsamen Kammern der Jungfrauen, an das Lager des Greises, in den geweiheten Bund der Ehe. Hat man nicht Mütter gesehen, die ihre Säuglinge geiselten, in dem schrecklichen Wahne, sie von der Erbsünde zu befreien? Es ist ein Wahnsinn, der die Gegenwart ergriffen hat und der, wie ein reißender Strom, Alles mit sich fortbewegt. Wir werden untergehn in diesem Strome, schöne Eitel! Vergebens werden wir die Hände nach Rettung aus seinen Wellen emporstrecken: auch uns wird man die schreckliche Geisel aufdringen, auch wir werden statt fröhlicher Actionen auf dem Brettgerüste, schmerzliche an unserm eigenen Leibe vornehmen müssen!«
Sobald er schwieg, versanken seine Gesichtszüge wieder in ihre gewöhnliche Erschlaffung, er blickte mit dem Anscheine großer Gleichgültigkeit in die Kohlenglut, die noch unter dem mächtigen Speisekessel glimmte, er stöberte mechanisch mit seinem Wanderstabe in der glühenden Asche.
»Pah!« sagte indessen Muskablüt, während er leicht mit der Hand über die Saiten seiner Zitter hinstrich: »ich fürchte weder diese Geißler, noch die Pest. Wir wissen, daß Drachen und andre Ungeheuer bei dem süßen Klange der Musik sanft, wie die Lämmer, geworden sind, und, wie Eitel sagt, solange die Menschen noch Ohren haben zu hören, so denke ich sie in so fern durch den Ton meiner Zitter zu bezaubern, daß die Geisel ihrer Hand entfällt, daß ihr düstrer Bußgesang gern schweigt, damit sie desto aufmerksamer meinem anmuthigern Liede lauschen können. Im Bunde mit Eitel mache ich mich anheischig ein ganzes Heer von Geißlern zu den Freuden des Lebens zu bekehren. Gegner die Pest aber besitze ich ein Schutzmittel, eine Besprechung, die mir ein frommer Mönch aus Kloster Einsiedeln in der Schweiz mitgetheilt. Sie ist in ein Säckchen eingenäht, das ich immer auf der Brust trage und kostet mich ein volles Pfund Heller.«
»Du meinst, du könntest mit den Geißlern verfahren, wie der Rattenfänger von Hameln mit den Ratten!« rief der Pickelhäring dazwischen. »Wie du spielst, glaubst du, müßten sie dir auftanzen, und was die heidnische Fabel vom Orpheus erzählt, das will Sire Muskablüt in unsren Tagen wieder aufleben lassen. Aber, prosit! Ich habe die Geißler von Angesicht zu Angesicht gesehn, ich habe ihre schauerlichen Bußlieder vernommen. In Straßburg war ich Zeuge, wie die Priester vor ihnen flohen, wie, wer nicht in Güte zu ihnen halten wollte, mit Gewalt dazu gezwungen wurde, wie sie viele tausend Juden verbrannten oder sonst zu Tode marterten, indem sie die Armen beschuldigten, die Brunnen vergiftet und dadurch das große Sterben hervorgebracht zu haben. Ich stand mitten unter dem Volke, als –«
»Genug, Pickelhäring!« fiel in einem gebieterischen und zugleich höhnenden Tone Eitel Glockenklang ein. »Man kann leicht begreifen, warum du einen besondern Haß auf die Geißler geworfen hast. Nagst du doch den ganzen Tag über an einer Zwiebel oder einem Stückchen Knoblauch, enthältst du dich doch, so gern du auch sonst Fleisch issest, alles Genusses vom Schweine, verehrst du doch dagegen ganz absonderlich die Gans, die auf alle Kinder Israels eine eigene Gewalt übt, und weigerst dich beständig, am Sabbath Theil an unsern Spielen zu nehmen. Wenn einmal alle Juden gehenkt werden sollten, so weiß ich, wo es dich jucken würde, Pickelhäring!«
Verdrießlich schlich der Pickelhäring bei Seite. Die Mitglieder der Gesellschaft ahnten wohl sämmtlich, daß ihr Lustigmacher ein heimlicher Bekenner des mosaischen Gesetzes sey, niemand aber hatte es bis jetzt so keck ausgesprochen, wie Eitel, die, im Bewußtseyn ihrer höhern Stellung, welche sie nicht selten den Großen und Reichen nahe brachte, mit Verachtung auf den Spaßmacher, dem in der Regel nur der Beifall des Pöbels zufiel, herabsah. Dennoch gönnte sie ihm auch diesen nicht. Sie hätte gern alle Gunstbezeugungen, die irgend ein Mitglied der Bande trafen, auf sich allein häufen, sie hätte, wenn es thunlich gewesen wäre, die Witze des Pickelhärings, die Künste der Seiltänzer, das Spiel Muskablüts, die Declamationen des Sprechers mit ihrem Gesange vereinigen mögen. Weil das aber nicht anging, so haßte sie heimlich Alles und glaubte, jedes Zeichen des Beifalls, das einem oder dem andern wurde, sey ein ihr unrechtmäßig entwendetes Gut. Muskablüt war immer zu sehr mit seiner eigenen lieben Person beschäftigt, um auf diese Untugend der Sängerin groß zu achten. Die übrigen untergeordneten Individuen der Gesellschaft aber erkannten sie recht wohl und vergalten das Vornehmthun der Dame mit Hohn hinter ihrem Rücken, ihren Haß mit gleichem Haß, aus dem sich tausend schadenfrohe Neckereien, tückische Streiche und Verdrießlichkeiten für sie entspannen, die jedoch ihren Übermuth nur vermehrten, ihre Anmaßungen steigerten. Felician Süßbutter drückte gern beide Augen zu über diese Zwistigkeiten unter seiner Truppe, er wußte klug jede Klage von irgendeiner Seite abzulehnen, da er überzeugt war, daß eine Entscheidung aus seinem Munde das Übel nur ärger machen werde. Trieb es einmal die schöne Eitel zu arg und drohete der Beleidigte die Gesellschaft zu verlassen, so nahm ihn der Direktor still bei Seite, beruhigte ihn durch ein Geschenk und verstand dabei seine schwachen Seiten so wohl zu benutzen, daß er mit vermehrtem Selbstbewußtseyn, mit siegreichem Trotze der hochfahrenden Sängerin wieder gegenüber erschien. So hatte der Dux fast beständig die Aufgabe zu lösen, die Wellen eines bewegten Meeres zu beruhigen und, indem er dieses Talent zu einer großen Vollkommenheit ausgebildet hatte, war es ihm gelungen, eine der vorzüglichsten Banden fahrender Leute in Deutschland zu besitzen.
Indessen mahnte der Stand der Sonne zum Aufbruch. Man sah ein, daß man keine Zeit zu verlieren habe, wenn man noch vor dem Einbruche der Nacht in der großen Reichs- und Handelsstadt eintreffen wolle, die das Ziel der heutigen Tagesfahrt war. Trompete und Trommel gaben das gewohnte Zeichen, Alles setzte sich plötzlich in Bewegung und in wenigen Augenblicken waren die Küchengeräthschaften der Bande, das leere Weinfäßchen und was sonst noch des Weiterführens verlohnte, auf den Karren, neben den Drachen, geladen. Auch schön Eitel, von dem Dux unterstützt, nahm hier ihren Platz, während Muskablüt, seine Zitter mit dem Seidenbande malerisch an sich ordnend, bereit stand, einem Troubadour ähnlich, seine regellose Reise durch die Welt zu Fuße fortzusetzen. Die Kinder der Bande hingen sich an den Karren und Pickelhäring, dem ein altes Herkommen das Geschäft des Fuhrmanns zugewiesen, bemühete sich durch das Reizmittel eines Stachelstockes das einzige lahme Zugpferd in Gang zu bringen. Der größte Theil der Gesellschaft, zufrieden gestellt in seinen augenblicklichen Bedürfnissen und belebt durch den Genuß des Weins, zeigte eine laute Fröhlichkeit, die gegen das ärmliche, bettelhafte Ansehn manches Einzelnen wunderlich abstach. Die seltsamste Figur in den verschiedenen Gruppen blieb immer Felician Süßbutter. Seine hohe, hagre Gestalt ragte über Alle hervor, seine greinende Stimme ließ sich überall vernehmen, zu Ordnung und Ruhe, jedoch vergebens, ermahnend.