Der restliche Vormittag verlief ruhig mit Anspannung in der Luft.
Miranda strafte mich mit Schweigen.
Erst in der Mittagspause kam der erwartete Kommentar. Wir hatten gerade unsere Tabletts geholt und wollten zu unserem Tisch gehen.
Aber Miranda sah mich abschätzend an. Ihre Stimme klang bissig: "Du willst dich sicher zu Jack setzen. Auf deinem üblichen Platz musst du nicht sitzen."
Diese Tonlage war kein Vorschlag oder ein nettes Angebot. Nein, das war ein Befehl.
Ich wurde offiziell von unserem Tisch verbannt.
Ich wollte kommentarlos gehen, da sagte Misha: "Hm, aber es ist unser Tisch. Wir sitzen dort alle, obwohl wir einen festen Freund haben."
Miranda warf ihr einen missbilligenden Blick zu. "Tja, das muss sie selbst wissen."
Ohne mich weiter zu beachten, eilte sie los.
Das reichte mir. Ich würde mich nicht die ganze Pause lang wie Dreck behandeln lassen.
Ich ging in die andere Richtung und stellte das Tablett in den Wagen für die Rückgabe.
Nach dem Vorfall hätte niemand Hunger.
Ich stürmte aus der Mensa und versuchte die Wut zu unterdrücken.
Heute nahm ich den Haupteingang. Immerhin hatte ich letztens bei einem der Seitenausgänge Jack getroffen. Und das wollte ich verhindern.
Draußen lief ich die Treppe hinunter und bog nach rechts ab.
Die wenigen Leute hier waren weit verteilt.
Perfekt, um nachzudenken.
Ich setzte mich auf den Boden mit dem Rücken zur Wand.
Irgendwie musste ich es schaffen einen Plan zu erstellen.
Aber wie?
Plötzlich setzte sich jemand neben mich. Ich musste nicht raten, um zu wissen wer das war.
"Kätzchen, das heute Morgen war eine gute Vorstellung. Was hat mir die Ehre verschafft?"
Ich überlegte, ihn zu ignorieren, allerdings hatte ich eine Show aufrecht zu erhalten.
Ich drehte ihm mein Gesicht zu und räusperte mich, denn das verschaffte mir ein paar Sekunden mehr Zeit.
"Also?"
Ich seufzte. "Hat Sina nichts gesagt?"
Es wunderte mich, schließlich war Jack einer ihrer besten Freunde.
"Ich habe sie zwar gefragt, aber Antwort kam keine."
Die Wahrheit war am besten, denn eine Lüge brachte mich kein Stück weiter. Ich musste praktisch ehrlich sein.
Nur fing Jack charmant zu lächeln an. "Du hast wohl erkannt, das du mir nicht widerstehen kannst."
Innerhalb ein paar Sekunden hatte er es geschafft meine Nerven zu strapazieren.
"Jack, träum weiter. Ich gebe zu, das war dir gegenüber unfair. Aber du bist ein Arschloch und ja ich habe dich ausgenutzt." Ich schenkte ihm ein falsches Lächeln, danach wandte ich mich nach vorne. So eine Wiese konnte auch verdammt interessant sein.
"Nein, zwischen uns ist alles gut. Immerhin habe ich einen Kuss bekommen. Einen ziemlich heißen sogar."
Dieser Mann wusste wie er meine volle Aufmerksamkeit erhielt.
Und da war es wieder.
Sein Markenzeichen.
Das freche Grinsen mit einem Zwinkern.
Vermutlich wollte er mich damit rumkriegen. Bei den meisten Frauen funktionierte das tatsächlich. Glücklicherweise war ich davon ausgeschlossen.
Ich musterte ihn genauer. "Du bist kein bisschen sauer? Ich habe dir gestanden, dass ich dich benutzt habe."
Sein Gesichtsausdruck blieb derselbe. Das konnte nichts Gutes bedeuten, zumindest nicht für mich.
"Offensichtlich hattest du einen Grund dafür. Das bedeutet er besteht weiterhin. Vermutlich hast du es nicht weitläufig bedacht. Es war eine Kurzschlussreaktion."
Unsicher fragte ich: "Und?"
Leise lachte er. "Naja, ich könnte dich einfach küssen und du müsstest den Kuss erwidern. Dein Grund hat sich wohl kaum in Luft aufgelöst."
Ja, ich hatte das nicht weitläufig bedacht.
Sofort wollte ich aufstehen, doch Jack war schneller. Er schnappte sich mein Handgelenk.
Seine Finger umschlossen es locker. Ich hätte mich problemlos losreißen können.
Und genau das war das Problem.
Ich hätte es tun sollen.
Aber irgendwas in seinem Blick hielt mich fest.
Langsam zog er mich zu sich, ganz ohne Stress, während sich meine Gedanken überschlugen.
Sollte ich mitspielen? Der Show zuliebe? Oder, weil ich sowieso schon mitten im Chaos steckte?
Im Grunde ließ er mir die Wahl.
Und genau das brachte mich dazu, den Widerstand aufzugeben.
Ehe ich mich versah, saß ich auf seinem Schoß.
Mein Herzschlag erhöhte sich, als mir bewusst wurde wie nahe wir einander waren. Und sein Duft erst.
Nein.
Ich musste mich zusammenreißen.
„Jack.“, sagte ich mahnend. „Übertreib es nicht.“
Er zuckte kaum merklich mit den Schultern.
"Dann sag mir warum du das getan hast."
Ich zögerte und biss mir leicht auf die Unterlippe.
Zuerst musste nochmal ein Räuspern sein.
„Miranda meinte, ich wäre noch nicht über James hinweg“, begann ich langsam, fast als würde ich mir selbst erst eingestehen, wie lächerlich das alles war. „Und dass ich ihm irgendwelche Blicke zuwerfe.“ Ich rollte die Augen und machte den Abschluss. „Also ja, ich wollte ihr eins reinwürgen. Zufrieden?“
Das war die wundervolle Wahrheit, die ihn offensichtlich belustigte.
Seine Hand griff nach einer meiner Haarsträhnen und spielte damit herum.
Er tat es langsam und blieb darauf fixiert.
Mein Gehirn setzte für einen Moment aus.
Wieso löste er auch das aus, was er eben in mir auslöste?
Jack meinte: "Ich gebe zu etwas in diese Richtung habe ich mir gedacht. Anders war deine plötzliche Leidenschaft schwer zu erklären."
"Leidenschaft? Auf was für Drogen bist du? Du kennst meine Gründe und nichts anderes ist dahinter. Ich würde mich ja entschuldigen, aber du bist ein Arschloch."
Seine Finger wanderten weiter und er streichelte mir sanft über die Wange.
Verflucht.
Seine Berührung fühlte sich besser an, als sie sollte.
Jack legte den Kopf schräg. "Wie wäre es, wenn wir einen Deal schließen?"
Ich sah mich unauffällig um.
Niemand befand sich in Hörweite.
Trotzdem fühlte es sich an, als würden gleich hundert Augenpaare auf uns gerichtet sein.
Ich widmete mich Jack und fragte misstrauisch: "Was stellst du dir vor?"
"Ich bin dein Freund oder zumindest der Typ mit dem du was am Laufen hast. Dating."
Ich starrte ihn an, während mein Hirn versuchte, das zu verarbeiten.
Er sprach diesen verrückten Vorschlag so beiläufig aus.
Egal wie überrascht ich war, die Antwort wusste ich bereits.
Ich verzog das Gesicht. „Nein, danke. Das war nie als Langzeitding gedacht. Es sollte Miranda zeigen, dass ich über James hinweg bin. Punkt.“ Ich verschränkte meine Arme. „Und mal ehrlich. Was genau hast du davon? Absolut gar nichts.“ Meine Stimme klang fester als ich mich fühlte.
Da war etwas in seinen Augen.
Er hatte längst einen Plan.
Um ihn davon abzubringen fuhr ich fort: "Außerdem bin ich echt nicht scharf darauf dich nochmal zu küssen. So ungern ich dich in die Realität hole, aber so toll bist du auch wieder nicht."
Ich versuchte, ihn mit Worten auf Abstand zu halten, nur mein Puls ignorierte das, der raste fast schon.
Belustigt musterte er mich. "Das hat sich heute Morgen anders angefühlt."
Ich sah ihn verständnislos an. "Jack, ich hatte eine Show abzuziehen. Es sollte echt wirken, damit man mir glaubt und es beim letzten Trottel ankommt."
Klar, der Kuss hatte mir gefallen, aber das würde ich Jack nie erfahren. Das Ego von dem Mann war längst viel zu groß. „Kätzchen, du verstehst da etwas falsch. Ich hab sehr wohl was davon.“
Er beugte sich ein Stück vor, seine Stimme klang fast gefährlich ruhig. „Du gehörst dann mir. Niemand sonst darf dich anfassen.“
Ich blinzelte nur.
War das wirklich sein verdammter Ernst?
Das musste ein Scherz sein.
„Ähm… nein, danke. Ich bin kein Spielzeug, Jack. Schon gar nicht deins.“
Jack hob eine Augenbraue und das auf eine Art, die viel zu attraktiv war.
„Okay“, sagte er langsam. „Die freundliche Methode funktioniert also nicht. Schade. Dann muss ich wohl anders punkten.“
Ich runzelte die Stirn.
Was genau sollte das heißen?
Skeptisch fragte ich: „Wie meinst du das?“
Nun wurde er sehr ernst.
"Wir spielen das nach meinen Regeln. Ansonsten stelle ich klar, dass das heute Morgen ein Schauspiel war. Dass du Miranda ärgern willst oder sie überzeugen willst, dass du über James hinweg bist. Ich glaube wir sind uns beide einig, dass die Leute mir das glauben würden. Ich stehe zu meinem Wort. Von dir würde man eine Lüge viel eher erwarten. Immerhin hat Miranda sich James geschnappt."
Für eine Sekunde zu lang blieb mir die Luft weg.
Das war Erpressung.
Er.
Erpresste.
Mich.
In was für einen Mist hatte ich mich da selbst gebracht?
Der Mann war zu clever für mich. Er hatte nun das Steuer in der Hand.
Jack hängte an: "Du hast damit angefangen. Das spielen wir jetzt auch zu Ende."