I 18 Jahre später..

2400 Words
Ein Zug Wildgänse zog schnatternd über den dämmernden Himmel und kehrten nach der Winterpause zurück in die Heimat. Der goldene Raps blühte bereits auf dem Felde und erstreckte sich links und rechts an einer grauen Landstraße entlang. Über diese Landstraße fuhr ein Bus. Der Fahrer hatte den Kopf leicht gesenkt und trug eine schwarze Sonnenbrille, um sich vor der aufgehenden Sonne zu schützen, die ihm direkt in die Augen strahlte. Nur ein paar Sitze hinter ihm saß eine ältere Dame, zupfte an ihrem rosanen Mantel herum und lutschte ein Minzbonbon. Ganz hinten im Bus saßen zwei notgeile Teenager und knutschten. Und in der Mitte dieser beiden Welten saß ich. Mein Name ist Saliah Nebel und bereits seit 18 Jahren hing mir diese Welt zum Halse raus. Mir entfuhr ein Seufzer und ich lehnte meinen Kopf gegen die Scheibe des Busses. Schon seit einer halben Stunde hörte ich mir die Laute der Turteltäubschen da hinten an und ich wünschte man könnte sie irgendwie zum Schweigen bringen. Denn ihr Geknutsche hörte man durch den ganzen Bus. Sie widerten mich an. Wären sie nur irgendwelche Fremden, könnte ich sie einfach ignorieren, aber blöderweise kannte ich beide. Hätte ich gewusst das Adrian nur ein alter Schürzenjäger ist, hätte ich mich nie auf ihn eingelassen. Aber woher hätte ich es wissen sollen, ich konnte ja keine Gedanken lesen. Ich wusste nicht ob ich ihn je wirklich geliebt hatte, aber als ich ihn schon zum dritten Mal dabei erwischte wie er mit einem anderen Mädchen ausging, kochte in mir mein Blut. Letztendlich verließ ich ihn. Ich warf sein Handy in den Fluss, weil er wieder mit fremden Mädchen chattete und mir nicht zuhörte. Dann schrie ich ihn an und kreischte das es vorbei sei, ehe ich mich umdrehte und heulend nach Hause rannte. Das Unwetter an diesem Abend war gewaltig und einige Häuser in unserer Nachbarschaft wurden beschädigt, unseres allerdings blieb verschont. Adrian hatte es nicht interessiert das ich fort war, schließlich gab es ja noch tausend andere Mädchen auf diesem Planeten. Nun sitzte er dahinten und knutscht mit seinem nächsten Opfer. Aber die war genauso wie er. Trotzdem brodelte ich vor Wut. Ich versuchte meine Atmung ruhig zu halten und meinen Puls zu beruhigen, aber das Geschmatze kroch mir in die Ohren, wie der Leibhaftige Teufel. Plötzlich krachte es im vorderen Teil des Busses und das Fahrzeug blieb abrupt mitten auf der Straße stehen. Ich zuckte erschrocken zusammen und sah zu wie der Busfahrer verwundert über den Lenker spähte. Er nahm seine Sonnenbrille von den Augen und marschierte hinaus. War der Motor ausgefallen?, überlegte ich. Es würde mich nicht wundern. In meinem Umfeld geschahen ständig sonderbare Dinge und die Elekrtonik versagte meist. Doch gerade heute konnte ich das gar nicht gebrauchen. Ich sprang von meinem Sitz auf, als der Busfahrer wieder herein kam und uns mitteilte:,, Tut mir Leid. Ich kann es mir ehrlich gesagt auch nicht erklären, aber der Motor hat einfach den Geist aufgegeben. Wir können nur noch auf den Abschleppdienst warten." ,,Dafür habe ich keine Zeit.", murmelte ich, schnappte mir meinen Rucksack und stürmte aus dem Bus, ohne die anderen zu beachten. Ich musste das Stück bis zur Stadt laufen, ich hatte nur noch eine Viertelstunde. Meine Füße flogen über den Asphalt, während der Bus hinter mir immer kleiner wurde. Ich durfte nicht zu spät kommen! Nicht schon wieder! Ich wurde endlich an der Universität für Gesundheit und Soziales angenommen. Das war mein großer Traum, ich durfte nicht zulassen das mir meine Unglückssträhne einen Strich durch die Rechnung zog. Bisher kam ich zu jedem Unterricht zu spät, der Schulleiter hatte mich schon oft zu sich eingeladen. Aber er sagte er würde mir noch eine Chance geben. Heute würden die großen Prüfungen vor den Semesterferien beginnen, wenn ich heute zu spät kam, dann konnte ich meinen Karriereweg vergessen. Aber nichtsdestotrotz, kam ich trotz all meiner Bemühungen, eineinhalb Stunden zu spät. Ich stützte mich schwer atmend an der Wand ab und versuchte vergeblich meine Atmung zu regulieren. Ich hörte mich an wie ein erstickender Hund, als mich mein Klassenlehrer zum Direktor schickte. Mit schmerzenden Beinen schleppte ich mich über den Flur. Die ganze Welt war gegen mich. In der Stadt hatte es einen riesen Tumult gegeben, weil ein Demonstrantenzug durch die Straßen marschiert war, ich hatte mich kaum durch die Mengen zwängen können. Vor der Tür des Direktors blieb ich stehen und hielt kurz inne, um wieder Luft zu gewinnen, dann klopfte ich an. Freundlich bat er mich herein und bot mir einen Stuhl ihm gegenüber an. Über seine kleine Brille hinweg, sah er mich mit mitfühlenden Augen an. Mir stach sein Ausdruck ins Herz und ich fühlte mich plötzlich schrecklich Unwohl auf diesem Stuhl. Die nächste Dreiviertelstunde erspare ich euch. Sie war nur mit peinlichen Fragen und peinlichen Antworten gefüllt und untermauert mit bemitleidenden Blicken, ehe sie dann mit einem Schulverweiß endete. Mit hängendem Kopf schlürfte ich durch die Straßen. Ich hatte so viel gegeben um auf diese Universität zu kommen. Meine Mutter hatte jahrelang dafür gespart und nun war alles für die Katz. Nur weil mich diese Welt nicht leiden konnte. Ich steckte die Hände in die Taschen und zog mir die Kapuze meiner Jacke über den Kopf, um das Chaos der Stadt nicht zu sehen. Ich trottete langsam über eine Kreuzung. Schaulustige hatten sich dort versammelt und das blaue Licht der Krankenwägen schien mir in die Augen. Es hatte einen Unfall gegeben. Ich blickte auf und bemerkte das die Ampeln verrückt spielten. Sie wechselten im Sekundentakt ihre Farben. Ich seufzte schwer. Der Unfall sah wirklich schlimm aus. Sind dabei Leute gestorben? Schweigend betrachtete ich das Spektakel. Wie die Polizisten die Schaulustigen fernhielten und die Rettungskräfte, sich um die Verletzten kümmerten. Bahren wurden ausgelegt und als die Menschenmassen für ein paar Sekunden zur Seite wichen, entdeckte ich auf dem Stein rotes Blut. Ich erschrak, stolperte rückwärts und wandte mich an. Ich hatte den Menschen helfen wollen, ich hatte Leben retten wollen, doch stattdessen machte ich alles nur noch schlimmer. Letztendlich fand ich mich an einer Telefonzelle wieder, an der ich mit Tränen gefüllten Augen meine Mutter anrief, um ihr von den Geschehnissen zu berichten. Sie war ebenfalls gerade in der Stadt unterwegs. Wir könnten uns treffen, reden und durch den Stadtwald spazieren. Angelika Nebel war nicht meine leibliche Mutter, aber ich liebte sie so sehr als wäre sie es. Von meinen leiblichen Eltern erzählte sie kaum etwas. Sie hatte nur einmal erwähnt, meine Mutter sei bei meiner Geburt verstorben und Angelika hatte mich aufgenommen. Selbst hatte sie nie Kinder. Sie musste wirklich glücklich gewesen sein, als in ihren leeren, stillen Hof wieder Leben eintrat. Als ich auf den Marktplatz trat und meine Mutter entdeckte kam mir Oskar entgegengesprungen. Er war der aufgeweckte, freundliche Beagle meiner Mutter. Wild mit dem Schwanz wedelnd sprang er an mir hoch und ich begrüßte ihn ebenso erfreut. Seine Augen leuchteten entzückt und er sprang zurück zu meiner Mutter, die gerade auf mich zu kam. ,,Es tut mir wirklich Leid, mein Schatz. Diese Nachricht ist ja nicht gerade erfreulich.", murmelte sie und nahm mich in den Arm, um mich zu begrüßen und zu trösten. Ich nickte schwer. ,,Warum verläuft denn alles gegen mich?", fragte ich sie mit hängenden Mundwinkeln, obwohl ich keine Antwort erwartete, ,,Es scheint mir, als würde die ganze Welt mich hassen." Meine Mutter sah mich mit traurigen Augen an und strich mit ihrem Daumen sanft über meinen Handrücken. ,,Komm Saliah, wir laufen ein Stück.", entschied sie leise, ,,Ich muss dir etwas erzählen." Ihre Stimme war ernst und ich fragte mich was das sein könnte. Doch sie sprach lange Zeit nicht, als wir durch die Straßen der Stadt liefen, erst als wir uns langsam dem Wald näherten erhob sie wieder die Stimme:,, Saliah, verrückte Dinge sind möglich. Ich weiß nicht ob du mir glauben könntest, oder ob ich mir selbst glaube. Ich weiß das es sich total verrückt anhört, aber ich glaube das es neben unserer, eine weitere Welt existiert." Ich zog eine Augenbraue nach oben, als wir über den Trampelpfad in den Wald spazierten. Eine zweite Welt? ,,Ich glaube das deine leibliche Mutter aus einer dieser Welten kam.", die Stimme meiner Mutter blieb ernst, es war keine Spur von Belustigung in ihr zu finden. Sie ist wirklich gut im Witze erzählen, dachte ich und lächelte sie verschmitzt an. ,,Du machst Witze.", erklärte ich und wartete darauf das sie laut loslachte, aber das tat sie nicht. Stattdessen schüttelte sie mit dem Kopf. ,,Ich mache keine Witze.", entschied sie standfest, blieb stehen und sah mir streng ins Gesicht, ,,Deine Mutter erschien eines Tages mitten in der Stadt. Keiner wusste woher sie kam, sie war einfach plötzlich da und befand sich mitten in der Geburt. Ich war dabei als du geboren wurdest, lebend und unversehrt. Es war ein Wunder. Für deine Mutter aber kam jede Hilfe zu spät. Der Rettungsdienst hatte bereits alles versucht, aber es war zwecklos. Nur du hast noch geschrien, in meinem Arm." Ich zog verwundert die Augenbrauen zusammen. Von was redete sie da? Sollte ich einen Krankenwagen rufen? ,,Du wirst mir vielleicht nicht glauben, Saliah.", sprach sie weiter, ,,Aber du bist alt genug um es zu erfahren. Ursprünglich stammst du nicht aus dieser Welt, das könnte auch deine Unglückssträhne erklären. Du bist wie ein Blutkörperchen das in der falschen Blutgruppe schwimmt. Du fühlst dich unwohl auf dieser Erde, nicht wahr? Schon seit 18 Jaren und du willst weg, weißt aber nicht wohin." Ihr Blick stach sich in meinen. Mein Blut pochte durch meine Venen. Ich gehörte nicht hier her? Beinahe begann ich ihr zu glauben. Aber das ist doch völliger Unsinn! ,,Die andere Welt dort draußen ruft dich.", fuhr meine Mutter fort, ,,Deine Mutter ist vor etwas geflohen und flüchtete in diese Welt. Das einzige das für sie zählte warst du. Du musstest leben, sie war völlig egal.", sie verstummte kurz und ein Specht klopfte gegen einen Stamm, ehe sie weitersprach, ,,Es schien als jagten ihre Verfolger nicht die Frau selbst, die in unsere Welt stürzte, sondern das sie dich jagten und deine Mutter war dein Träger um dich in Sicherheit zu bringen. Eines Tages werden diese Verfolger es schaffen in unsere Welt einzudringen, dann werden sie dich finden und mit sich schleppen." Ein kalter Schauer jagte mir den Rücken hinunter. Mich entführen? In eine andere Welt? Ich schüttelte energisch den Kopf. ,,Das ist doch Quatsch. Du interpretierst da viel zu viel hinein! Das ganze lässt sich bestimmt viel einfacher erklären.", widersprach ich, doch gerade als ich meinen Satz beendete knackte es laut im Unterholz. Wir drehten uns um. Plötzlich hatte ich ein seltsames Gefühl in der Magengrube und mir kribbelte es in den Füßen mich auf das Geräusch zu zubewegen. Es raschelte leise und dann sprang es plötzlich heraus und direkt auf mich zu. Ich wusste nicht als was ich es beschreiben könnten. Es war weder Mensch noch Tier oder Pflanze. Es war ein Etwas, ein Wesen. Es besaß kein Gesicht und kaum eine Gestalt. Nur schwarze Gewänder umhüllten seine Figur, aber es besaß auch keine Glieder. Es war Körperlos. Nur ein schwarzer Nebel flog um ihn herum und ließ die Pflanzen in seiner Nähe verwelken. In seiner Kapuze herrschte Finsternis und es gab unheimliche, knisternde Laute von sich. Ich wich erschrocken zurück. ,,Was ist das denn?!", rief ich aus und begann vor Angst zu zittern. Das Etwas wandte den Kopf zu mir herum und fauchte mich an. Da streckte sich ein Schattenarm zu mir nach vorn und lange Krallen bildeten sich an deinem Ende, um mich zu packen. ,,Lauf!", schrie meine Mutter, packte mich am Arm und wir rannten durch den Wald. Das Monster nahm raschelnd die Verfolgung auf. Oskar hastete winselnt neben mir her. Mein Blut raste durch meinen Körper und ich musste mich immer wieder umsehen. Auch wenn ich Angst hatte, war an diesem Monster irgendwas vertraut. Hatte sie vielleicht recht? Oder waren wir alle Verrückt geworden? Das Etwas preschte durch den Wald. Es war erstaunlich schnell und sein schwarzer Nebel umwallte jeden Baum. Es war als wurden wir von einer Lawine aus Finsternis verfolgt. Manche Bäume krachten zu Boden und ich schrie entsetzt. Das hier musste ein schrecklicher Albtraum sein! Wann wache ich denn auf? Haarscharf entkamen wir einem umstürzenden Baum, sprangen über Dornengestrüpp und stolperten einen Abhang hinunter. Meine Mutter wurde immer langsamer. Sie war noch nie sonderlich sportlich gewesen, doch auch meine Lungen riefen nach einer Pause, aber die Angst verschnellerte meinen Spurt. Nun zog ich meine Mutter durch den Wald, aber es gab keine Zuflucht vor diesem Monstrum. ,,Sie kommen dich holen, Saliah!", rief meine Mutter schwer atmend. Mein Atem rasselte und ich sah wieder hinter mich. Ich wollte es nicht glauben. Es war nur ein Traum. Mit all meiner Macht, die mir noch zur Verfügung stand, versuchte ich meinen Traum umzulenken, ihn irgendwie zu kontrollieren, aber das Wesen verfolgte uns immer noch gröhlend. Doch plötzlich verlor ich den Boden unter meinen Füßen, ich stolperte über eine Wurzel und knallte auf den Waldboden. Ein entsetzter Schrei fuhr mir aus der Kehle. Meine Mutter blieb stehen und umfasste fest meine Hand, während das Etwas mich an meinem Fußgelenk packte. Ich versuchte ihn abzuschütteln, aber das Monster zog mich zu sich. ,,Es wird alles gut, Saliah!", rief meine Mutter mir zu und sah mich mit tränenden Augen an, ,,Du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Hör einfach auf dein Herz." ,,Nein, Mama!", kreischte ich, als sie mich losließ und ich griff nach einer Wurzel, ,,Ich will dich nicht verlassen! Bitte hilf mir!" Ich strampelte wild mit den Beinen und fuhr herum um mich loszureißen, aber meine Beine waren bereits von der Finsternis verschluckt worden. Ich riss die Augen auf und Tränen liefen mir über die Wange. ,,Mama!", kreischte ich ein weiteres Mal, wühlte im Laub und suchte vergeblich etwas Festes an das ich mich krallen konnte, während das Monster mich immer mehr verschluckte. ,,Wir werden uns Wiedersehen, mein Schatz! Ich glaube an dich und hab dich unendlich lieb!", rief sie mir nach, als die Dunkelheit meinen Hals erreichte, ,,Bald wirst du wissen, wo du hingehört. Ich werde auf dich warten!" Sie winkte mir zu und Tränen rollten ihr die Wangen hinab. Sie musste Oskar festhalten, damit er sich nicht knurrend auf das Monstrum stürzte. Ich konnte nichts mehr sagen, das Wesen hatte mich verschluckte und bald sah ich auch meine Mutter nicht mehr und der Wald verschwand. Ich war in der Schwärze. War jetzt nicht der Zeitpunkt um aufzuwachen?
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