1. Kapitel

1577 Words
Seit den letzten Spielen war jetzt schon fast wieder ein ganzes Jahr vergangen. Ich war nicht mehr ganz so freudig drauf wie vor einem Jahr, als meine Schwester sich für mich freiwillig gemeldet hatte, um an den Spielen teilzunehmen.  Das völlig irritierende an der ganzen Sache für mich war aber, dass sie tatsächlich gewonnen hatte! Ich war nicht weniger glücklich drauf weil sie gewonnen hatte. Ganz und gar nicht, ich war wirklich erleichtert, dass sie gewonnen hatte! Aber die Art und Weise, wie sie es geschafft hatte, machte mir ehrlich gesagt etwas Angst. Als Ashley in der Arena war, erkannte ich sie nicht mehr wieder. Sie mutierte zu einem Monster! Sie tötete so viele unschuldige Jugendliche und das schlimmste: alle waren Jünger als sie selbst. Sie so zu sehen war für mich wie ein Schlag in die Magengrube. Von der fröhlichen, höflichen und zuvorkommenden jungen Frau war nichts mehr zu sehen. Stattdessen sah ich nur noch ein blutgieriges Monster, das es kaum erwarten konnte sein nächstes Opfer zu töten. Ich wusste schon, dass so meine Schwester gar nicht war und auch, dass sie das nur getan hatte, um in der verfluchten Arena zu überleben. Und sie hatte es geschafft. Nur erkannte ich, und auch viele andere, sie nicht mehr wieder. Das lag teilweise daran, wie sie sich in der Arena verhalten hatte, aber auch daran, wie sie sich heute noch verhielt. Natürlich wusste ich, dass die Spiele einen zerstörten. Aber trotzdem konnte ich in dieser zerbrochenen Hülle meiner Schwester keine richtige Ashley mehr erkennen.  Meine Ashley, die immer mit mir herumgealberte hatte, die mit mir gesungen und getanzt hatte, die wunderschön und für mich mein grösstes Vorbild war, wurde ersetzt. Sie wurde durch eine Art Zombie ersetzt, der nur Löcher in die Luft starrt, der nur das nötigste sagte, der keinerlei mehr an Lebensfreude besass. Ich konnte mir jetzt gut vorstellen, warum der Sieger aus Distrikt 12 alkoholabhängig war und auch, weshalb eine der Siegerinnen aus Distrikt 4 seit ihren Spielen nicht mehr ganz... dicht war. In dem ganzen letzten Jahr ist aber weitaus mehr passiert, als die Rückkehr meiner Schwester.   Als ich sie nach der Arena zum ersten Mal wieder sah, nahm ich mir vor jeden Tag zu trainieren. Ich wollte nicht noch einmal so überrumpelt werden. Also trainierte ich alles Mögliche: ich übte Messerwerfen, Schwertkampf, Speerwurf, auf Bäume klettern, Feuermachen, Fallen konstruieren und vieles mehr auch noch. Ich übte es, bis ich die Jungs aus der Nachbarschaft besiegte und dann übte ich noch mehr. Was ich aber am besten beherrschte, waren meine Spezial-Peitschen, die ich mir selbst zusammengebastelt hatte. Im Prinzip waren es ganz normale Peitschen mit ein paar Spezialeffekte. Könnte man sagen. Am Anfang, wenn man sie in die Hände nahm, waren es wie zwei Rollen aus Stahl. Doch wenn man auf einen kleinen Knopf auf der Seite dieser Rolle drückte, so schnappten zwei, ungefähr 10-15 Meter lange, Peitschen aus diesen Stahlrollen heraus. Ich hatte es sogar schon geschafft mich so auf einen Baum zu befördern. Ich stellte mich einfach unter einen Ast eines Baumes, zielte mit meine Stahlrollen, oder eben Spezial-Peitschen, nach oben, drückte auf den kleinen Knopf auf der Seite der Peitschen, dann liess ich sie um den Ast wickeln (was sie mit dem Schwung automatisch machten) und zum Schluss, als ich mir sicher war, dass alles hält, betätigte ich einem anderen kleinen Knopf auf der anderen Seite der jeweilige Stahlrolle, damit die Peitschen wieder einfuhren. Und siehe da: so zogen sie mich fast wie von selbst nach oben.  Die Jungs aus meiner Nachbarschaft beneideten mich und hatten sogar etwas Respekt. Die Mädchen konnten mich nicht verstehen, warum ich so geworden war. Die Mütter sahen mich nur bemitleidet an. Wenigstens schienen sie mich zu verstehen. Ich wendete mich teilweise von den anderen ab. Ich vermied es so gut wie möglich engeren Kontakt mit den anderen Leuten zu haben.   Aber ganz so schaffte ich es nicht.  Denn es passierte noch mehr in dem Jahr: Ich hatte mich nämlich verliebt! Ganz genau! Ich, Lucy Ocean, hatte seit gut einem dreiviertel Jahr einen Freund. Den absolut besten Freund, den sich ein Mädchen nur wünschen konnte. Er hiess Jason und war 15 Jahre alt. Er hatte dunkelbraunes, kurzes Haar und braune Augen. Er gehörte nicht unbedingt zu den grössten seiner Altersklasse, war aber auch nicht bei den kleinsten. Er war ziemlich gut gebaut, aber nicht wirklich ein Muskelprotz. Kennengelernt hatten wir uns, als ich gerade vergeblich versucht hatte mit einem Schwert eine selbstgebastelte Puppe zu köpfen. Daran dachte ich sehr gerne zurück... FLASHBACK „Verdammt! So schwer kann das doch nicht sein!", schrie ich mich selbst an. „So wie du das versuchst, kann das sehr schwer sein." Sofort drehte ich mich zu der, mir fremden, Stimme um, um zu sehen, wer es wagte, mich bei meinem Training zu unterbrechen. Ich wollte gerade damit beginnen, ihn zusammenzustauchen, doch sofort, als ich ihn sah, hielt ich inne.  Vor mir stand wohl der süsseste Typ aus dem ganzen Distrikt 6!  Er sah mich etwas amüsiert an, bis ich merkte, dass ich ihn doch tatsächlich anstarrte. Wie peinlich! „Und wie genau sollte man es deiner Meinung dann machen?", gab ich leicht schnippisch zurück. „Du musst deinen Schwertarm höher halten und mehr Spannung musst du auch haben", erklärte er mir ruhig. Ich merkte aber, dass er sich immer noch ziemlich lustig über mein vorheriges Verhalten machte.  Ich versuchte es noch einmal, und tada! Das ging ja wie am Schnürchen. Der Puppe hatte ich es aber gezeigt!  „Na siehst du. Die Puppe kann dir jedenfalls jetzt nichts mehr antun." Ich drehte mich wieder zu dem süssen Typen um, der mich gerade stolz ansah. Wahrscheinlich weil er mir einen so tollen Tipp gegeben hatte.  „Ich bin Jason", nannte er mir seinen Namen und streckte mir seine Hand entgegen,„ Du bist ein echtes Naturtalent! Ich konnte das noch nicht bei meinem ersten Versuch. Bei mir flog das Schwert dann durch die Lüfte und sagte an ein paar Spotttölpeln 'Guten Tag'." Jetzt musste ich lachen und nahm seine Hand. „Mein Name ist Lucy. Danke für deine Hilfe ich versuche schon seit einer halben Ewigkeit dieses Schwert zu führen", antwortete ich und hob bei der zweiten Aussage die Hand, womit ich immer noch das Schwert hielt.  „Ein wunderschöner Name für ein wunderschönes Mädchen, was habe ich auch anderes erwartet", schmunzelte er.  „Findest du das nicht ein bisschen kitschig?", lachte ich.  „Doch tue ich, aber vor einem Mädchen wie dir kann ich nur die Wahrheit sagen, egal wie kitschig es auch ist." Ich errötete. So ein schönes Kompliment hatte mir ein Junge noch nie zuvor gemacht, was einerseits daran liegen konnte, dass ich nicht oft mit Jungs sprach, aber auch daran, dass viele der Jungs, die ich kannte Angst vor mir hatten.   „Schaust du dir mit mir den Sonnenuntergang an?", fragte Jason nun etwas verlegen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Sonne bereits unterging.  „Warum plötzlich so schüchtern? Hat dich dein Selbstbewusstsein schon wieder verlassen?", stachelte ich ihn an,„ Aber ich würde unheimlich gerne den Sonnenuntergang mit dir geniessen, Jason."# FLASHBACK ENDE   Von da an hatte es zwischen uns gefunkt und etwa zwei Wochen später, waren wir dann ein Paar. Das Beste war aber, dass meine Familie total begeistert von ihm war! Meine Mutter freute sie riesig für mich und meine kleine Schwester Megan hatte ihn auch schnell ins Herz geschlossen. Wir sahen uns fast jeden Tag und alberten herum, trainierten ein bisschen oder machten irgendwo in Distrikt 6 ein Picknick.  Jason hatte auch schon einmal vorgeschlagen über den Zaun zu klettern und im Wald ein Picknick zu machen, aber diese Idee hatte ich dankend abgelehnt. Schon nur wenn ich mir vorstellte meinen Distrikt zu verlassen und das auch noch unerlaubterweise, wird mir ganz mulmig zu Mute. Im Moment befand ich mich gerade, wie üblicherweise auch, auf dem "Trainingsplatz". Es ist nicht wirklich einer. Ein paar Jugendliche, darunter auch Jason und ich, haben ihn sozusagen selbst zusammen "gebastelt". Hauptsächlich besteht er aus haufenweise selbst gemachten Puppen. An denen konnte man jegliche Kampfart ausprobieren. Klar zwischendurch hatten wir auch Duelle veranstaltet, die aber nie wirklich richtig gefährlich waren. Jedenfalls stach ich gerade eine Puppe mit ungefähr 10 Messern ab. Eins ins Herz der bösen Puppe, ein anderes in den Magen, ach und dann noch eins in den Kopf. „Willst du der Puppe wirklich einen so qualvollen Tod bescheren?"  „Ich wusste, dass ein solcher Spruch noch von dir kommen würde, Jason." Langsam drehte ich mich zu meinem Liebsten um und lächelte ihn süss an.  „Warum bist du schon wieder hier, Süsse? Du warst doch heute Morgen schon drei Stunden da."  „Du weisst doch, dass mir die Spiele zu schaffen machen und du weisst auch, was ich mache wenn mir etwas zu schaffen macht, oder?" Jason nickte verständnisvoll.  „Trotzdem solltest du nicht so oft hier sein. Du weisst ja: Morgen steht wieder die Ernte an. Jetzt sind wieder haufenweise Friedenswächter unterwegs und wenn dich einer hier erwischt, könnte das für dich nicht gut enden." „Du hast ja Recht. Dann lass und doch zu mir nach Hause gehen. Meine Mutter hat bestimmt irgend etwas Leckeres gekocht." „Das hört sich super an!", sagte Jason erfreut und legte einen Arm um meine Taille. „Und mach dir wegen der Ernte morgen nicht zu grosse Sorgen. Du weisst ja..." „Jaja", unterbrach ich ihn, „und möge das Glück stets mit euch sein!"
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