Rin
Sie saß hinter dem Haus auf einer Decke im Schatten eines großen Baumes. Der Morgen war sonnig, aber kühl, und eine leichte Brise wehte vom Meer herüber. Sie arbeitete heute Morgen draußen, nachdem sie die letzten zwei Tage in dem großen Haus eingesperrt gewesen war, ohne ein einziges Wort von Cal zu hören, was ihr irgendwie die Luft zum Atmen genommen hatte.
Sie verstand, dass er wütend auf sie war und dass die Worte, die er gesagt hatte, tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Das Manuskript, an dem sie arbeitete, war düster und emotional geworden, passend zu ihrer Stimmung. Allerdings hatte sie ihre Gefühle von Herzschmerz und Einsamkeit genutzt, um der Geschichte, die sie schrieb, eine neue Wendung zu geben.
Selbst jetzt, wo sie hier draußen saß und tippte, hatte sie letzte Nacht nicht wirklich viel geschlafen. Sie hatte sich hin und her gewälzt und war schließlich aufgestanden, um zu schreiben, weil das das Einzige war, was ihre Gefühle abschalten oder in ihr Schreiben einfließen lassen konnte. Sie drehte den Kopf, als sie ein Auto die Auffahrt hinauffahren hörte, und runzelte sofort die Stirn.
Cal kam um diese Tageszeit nie nach Hause. Sie war nicht mal richtig angezogen, sondern saß nur in einer alten Shorts und einem T-Shirt da draußen. Wenn er da war, versuchte sie immer, sich schick anzuziehen. Das waren Klamotten aus ihrer Vergangenheit. Sie war nostalgisch und hatte deshalb in ihren alten Sachen gekramvt, um wieder ein bisschen wie früher zu sein. Sie hatte das Gefühl, dass sie bald wieder in ihr altes Leben zurückgeworfen werden würde, und deshalb hatte sie sich entsprechend ihrer Stimmung angezogen.
Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Es war unwahrscheinlich, dass er hier war, um sie zu sehen. Um diese Tageszeit brauchte er wahrscheinlich etwas aus seinem Büro; er hatte zwar eines hier, aber sie ging nie hinein. Er hatte ihr einmal gesagt, sie solle das nicht tun, und hatte sie auch auf die Kamera hingewiesen, die dort installiert war. Sie war bewegungsaktiviert und alarmierte sein Handy, wenn sie das Zimmer betrat.
Das war ihr egal, sie arbeitete nicht in seiner Branche, obwohl sie einige Leute aus seiner Technikabteilung kannte. Sie hatte einen Abschluss in Informatik und hätte, wenn sie gewollt hätte, in ihrem Büro in seinem Gebäude in der Stadt sitzen und den ganzen Tag arbeiten können.
Sie und das Team, für das sie arbeitete, waren kurz vor ihrer Heirat von C.R. Technology übernommen worden; so hatte er sie kennengelernt. Sie war diejenige, die die von ihnen entwickelten Spielprogramme auf Fehler und Störungen überprüfte. Sie war technisch versiert, aber nicht so versiert in emotionalen Dingen. Sie hatte ihr Herz an den Mann verloren, den sie geheiratet hatte, und das hätte sie nicht tun sollen. Sie sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung und drehte sich um. Nicht nur Cal kam auf sie zu, sondern auch sein Freund und Anwalt Wil. Ihr Blick fiel auf den Umschlag in Wils Hand. Er war groß. Er deutete auf einen Vertrag hin. „Jetzt ist es soweit“, sagte sie sich und fragte sich, wie sie ihrem Team erklären sollte, dass sie sich scheiden lassen würde, obwohl ihr Leben doch so wunderbar schien und sie einen tollen Mann hatte. Sie waren ein Team von Frauen, und alle fanden, dass sie großes Glück hatte, einen Mann wie Calvin Reeves zu lieben.
Sie ahnten nicht, dass sie sein Herz nicht hatte, und als sie ihn auf sich zukommen sah, wurde Rin endlich klar, dass es wahr war. Er mochte ihr Herz haben, aber sie würde niemals seines haben. Es war alles nur eine Show für die Öffentlichkeit, etwas, um sein Image in der Öffentlichkeit sauber und familienorientiert zu halten.
Sie klappte ihren Laptop zu, damit niemand sehen konnte, woran sie arbeitete. Es hatte nichts mit seiner Firma zu tun. Nicht einmal Cal wusste, dass sie einen zweiten Beruf hatte. Diesen Teil ihres Lebens musste sie für sich behalten, für den Tag, an dem sie sich scheiden lassen würde und wieder ganz allein wäre.
Sie hatte nie jemandem davon erzählt, weil sie immer befürchtet hatte, dass es ein völliger Reinfall werden würde. Das war es zwar nicht, aber vor anderthalb Jahren hatte es richtig gut angefangen, und wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, hatte sie es Cal absichtlich verheimlicht, weil sie wusste, dass dieser Tag kommen würde und sie etwas brauchte, auf das sie zurückgreifen konnte.
Unter ihrem Pseudonym Marilyn Riddley hatte sie eine geheime Karriere. Ihre Liebesromane verkauften sich recht gut, und mittlerweile hatte sie zwei Bücher veröffentlicht.
Die anderen waren alle online, aber sie hatte es geschafft und konnte tatsächlich davon leben. Nicht superreich, aber genug, um zu Hause zu sitzen und am nächsten Buch zu arbeiten, anstatt ins Büro zu gehen und im Computerraum zu arbeiten. Als ihre Scheidung endgültig war, würde sie ihr Leben als Marrin Reeves hinter sich lassen und Marilyn Riddley werden, wegziehen aus dieser Stadt, wo jeder sie als die Exfrau von Calvin Reeves kannte.
Sie würde an einen Ort ziehen, wo niemand sie kannte, und ein kleines, friedliches Leben führen, ohne jemals seinen Namen hören oder ihn mit einer anderen Frau an seinem Arm sehen zu müssen, denn sie wusste, dass es ihr wehtun würde, das zu sehen, in der Zeitung zu lesen oder online zu sehen.
Sie würde seine Firma verlassen müssen, das war Teil des Ehevertrags. Nach der Scheidung würde sie die Firma verlassen, um ihm keine Gerüchte oder Unannehmlichkeiten zu bereiten. Er hatte ihr zwar gesagt, dass er ihr persönlich ein glänzendes Zeugnis für ihre Arbeit in seiner Firma ausstellen würde. So würde es für sie leicht sein, einen neuen Job in ihrem Bereich zu finden.
Er würde sie vielleicht ohne Probleme auf Konferenzen in ihrem Fachgebiet sehen können, aber sie bezweifelte, dass sie ihn mit einer anderen Frau an seiner Seite ansehen könnte, ohne sich innerlich unwohl zu fühlen. Wenn er die Frechheit besäße, eine andere Frau vor ihr zu küssen, würde sie wahrscheinlich völlig ausflippen, auch wenn seine Lippen niemals ihr gehören würden, nicht einmal für eine Sekunde. Das hieß aber nicht, dass sie nicht darüber nachdachte, wie es sich anfühlen würde, wenn er sie küsste.
Würde es sanft und sinnlich sein? Oder hart und fordernd? Oder vielleicht sogar leicht und verspielt? Sie wollte alles erleben, würde es aber nie erfahren. Nein, das war nur für die Frau, die er lieben würde, Frau Rechts.
Ihr Herz schmerzte, als sie ihn ansah. Er war wie immer makellos gekleidet: ein dunkelblauer Anzug, ein weißes Hemd und eine blau-goldene Krawatte. Er hatte eine Hand in der Hosentasche, als er mit Wil an seiner Seite über den Rasen auf sie zuging. Sie sah, wie er leise lachte, und sogar Wil lachte gleich nach ihm.
Ein kleiner Teil von ihr klammerte sich an die Hoffnung, dass sie sich irrte.
Es ging doch überhaupt nicht um ihre Scheidung, denn wie konnte er mit Wil lächeln und lachen? Wenn sie hier wären, um ihr die Scheidungspapiere zu überreichen, wäre das keine lustige Angelegenheit, sondern eine ernste. Sie stand auf, um sie zu begrüßen, und sah, wie sein Blick über ihr Outfit wanderte und ein Stirnrunzeln sein hübsches Gesicht verzerrte; er mochte es nicht, wenn sie solche Kleidung trug. Es war nichts, was er ihr gekauft oder ihr erlaubt hatte. Sie lächelte ihn an, wie sie es immer tat. „Cal, um diese Tageszeit bist du normalerweise nicht hier“, sagte sie.
„Hast du dich deshalb so angezogen?“, fragte er zurück, und sie konnte die Missbilligung in seiner Stimme hören. „Habe ich dir keine angemessene Sommerkleidung gekauft?“
Sie sah auf ihre alten Kleider hinunter und lächelte halb. „Ich werde ein bisschen im Garten arbeiten. Die sind dafür genau richtig.“ Sie sah ihn wieder an.
„Hmm, ich schätze, die sind nur gut, um schmutzig zu werden.“ Er nickte und sah sie direkt an. „Es ist Zeit, uns scheiden zu lassen, Rin“, sagte er zu ihr. Seine Worte waren ohne Zögern. „Wenn du die Papiere heute unterschreiben könntest, wäre ich dir dankbar. Es dauert sechs Wochen, bis die Scheidung endgültig ist.“
Da war es also. Sie hatte sich nicht getäuscht, und sie wusste genau, dass diese eine dumme Frage, die sie ihm gestellt hatte, dazu geführt hatte. Warum, oh warum hatte sie es nicht für sich behalten können? Warum hatte sie nichts gesagt und ihr Bedürfnis nach einem Kind mit dem Mann, den sie liebte, ignoriert? Wie unglaublich dumm, sagte sie sich, während sie da stand und ihn anstarrte. Sie fragte sich, ob es helfen würde, ihm zu sagen, dass es ihr leid tat und sie es nicht so gemeint hatte, um ihn an ihrer Seite zu halten. Obwohl es nur ein flüchtiger Gedanke war, wusste sie, dass er sich entschieden hatte.
Ihr Blick wanderte zu Wil, der den Umschlag öffnete, den er bei sich trug, und die darin enthaltenen Dokumente herausholte. Es war nicht nur ein einfaches Blatt Papier, es sah ziemlich umfangreich aus. Sie konnte sich gut vorstellen, dass auch eine Geheimhaltungsvereinbarung dabei war, damit sie niemals über ihren Ehevertrag sprechen durfte.
„Es handelt sich um eine einvernehmliche Scheidung gemäß unserem Ehevertrag“, erklärte Cal. „Ich habe auch einen Urlaub für dich im Ausland organisiert. In den letzten drei Jahren unserer Ehe hast du keinen Urlaub machen können. Das habe ich berücksichtigt und dir im Rahmen der Scheidungsvereinbarung eine Reise mit allen Kosten bezahlt organisiert.“