Kapitel 5

1426 Words
Rin Sie hob eine Augenbraue, als er sagte, dass er noch nie Urlaub gemacht hatte. Sie war oft mit ihm zu diesen Ausstellungen und Konferenzen gefahren. Da ging es um Computertechnik und Software-Neuheiten oder um Spieleentwickler, die Investoren suchten – Sachen, bei denen er mitmachen oder die Rechte kaufen wollte, falls eine kleine Firma Geld brauchte. Zwei oder drei Tage in seiner Gesellschaft, vier oder fünf Mal im Jahr, wo sie in einem Fünf-Sterne-Hotel übernachteten, alle Mahlzeiten zusammen einnahmen, jede Nacht s*x hatten und manchmal auch morgens, ein paar Mal sogar nachmittags. Rin zählte all diese Ausflüge als Urlaub, als kleine Miniferien mit ihm, aber er tat das nicht, das wusste sie jetzt. Sie hörte sein Handy klingeln, und er zog es aus seiner Jackentasche, um nachzuschauen. „Ich muss das annehmen“, sagte er und wollte gehen, zeigte dann aber auf die Papiere, als sie sie Wil abnahm. „Unterschreib das“, sagte er und ging weg, um seinen Anruf anzunehmen. Sie sah ihm nach, ging einfach weg, ohne sich darum zu kümmern, dass ihr Herz vor Schmerz in ihrer Brust pochte. Sie bezweifelte, dass dieser Mann überhaupt wusste, dass sie ihn liebte. Es würde ihn nicht davon abhalten können, sich scheiden zu lassen, und das wusste sie, denn er war bereits abweisend davongegangen. Sie wandte ihren Blick von ihm und seinem sich entfernenden Rücken ab und sah sich die Papiere an. Sie ignorierte den Stift, den Wil ihr nun hinhielt, damit sie die Papiere unterschreiben sollte, wie Cal es von ihr verlangt hatte; sie würde nichts unterschreiben, ohne es zu lesen. Sie stand da und blätterte durch den Urlaub, der für sie geplant worden war. Ihr Reisepass war den Urlaubsplänen beigefügt, den er in seinem Büro im Safe aufbewahrte, für den Fall, dass er spontan eine Reise organisieren musste, für die er ihre Passdaten benötigte. Sie hatte keinen Reisepass, bis sie geheiratet hatten. Er hatte ihn für sie besorgt, weil sie manchmal ins Ausland reisen mussten. Ja, es gab ein Flugticket erster Klasse, mit ein paar Zwischenstopps, aber die gesamte Reise in der ersten Klasse. Sie würde überall in Fünf-Sterne-Hotels übernachten und mit einem Chauffeur zu allen Sehenswürdigkeiten gefahren werden. Es war ein ziemlich umfangreiches Programm mit vielen Ausflügen, alle in Italien, einem Land, das sie tatsächlich gerne besuchen wollte. Obwohl sie diese Ausflüge eher für Paare hielt, fragte sie sich, ob seine Sekretärin das mit dem Gedanken geplant hatte, dass sie zusammen verreisen würden, anstatt dass es ein Abschiedsgeschenk für ihre Scheidung sein sollte. Sie blätterte zu den eigentlichen Scheidungspapieren. Nur zwei Seiten. Sie sollte das Haus, in dem sie jetzt lebte, und vier Millionen Dollar bekommen, einen Tag nach der Scheidung, die in sechs Wochen endgültig sein würde. Sie runzelte die Stirn, sie hatten nie wirklich über eine Abfindung gesprochen. Er hatte ihr nur gesagt, dass sie eine Entschädigung für die Zeit bekommen würde, die sie als seine Frau verbracht hatte. Sie blätterte zur letzten Seite und sah, dass er bereits unterschrieben und datiert hatte. Er hatte nicht nur alles aufsetzen lassen, sondern auch dafür gesorgt, dass alles schnell über die Bühne gehen würde. Sie hatte seinen Tonfall gehört und die Art, wie er auf die Papiere gezeigt hatte. Er erwartete, dass sie es sofort unterschrieb, während er dort stand und wartete. Oder Wil stand hier, Cal war bereits gleichgültig davongegangen. Sie sah ihren Mann, mit dem sie drei Jahre verheiratet war, wie er über den Rasen ging und telefonierte. Dieser Anruf war ihm wichtiger, als sich von ihr zu verabschieden. Sie verstand, dass er ein vielbeschäftigter Mann war, aber man hätte meinen können, dass er ihr für die paar Minuten, die sie zum Unterschreiben der Papiere brauchte, seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken könnte. Sie bedeutete ihm wirklich überhaupt nichts. Ihr Blick wanderte zu Wil, der sich räusperte und ihr erneut den Stift hinhielt. „Bitte unterschreib, Marrin.“ Er benutzte ihren vollständigen Namen, so wie nur sie Calvin „Cal“ nannte. Cal war der Einzige, der sie „Rin“ nannte. Das war etwas Intimes, etwas, das sie als Ehepaar taten, etwas Persönliches und Privates, das nur ihnen beiden gehörte. „Du erwartest wirklich, dass ich etwas unterschreibe, das ich kaum überflogen habe. So dumm bin ich nicht, William.“ Sie erklärte: „Ich unterschreibe, nachdem ich alles gründlich gelesen und sichergestellt habe, dass alles in Ordnung ist.“ Wil starrte sie nun an und wirkte ein wenig schockiert. „Ich hab ständig mit Verträgen zu tun und werde ihn mit dem Ehevertrag vergleichen, um sicherzugehen, dass alles korrekt geregelt ist. Calvin kann sich damit abfinden, es ist nur ein Tag längeres Warten. Wenn er es so eilig hat, sich von mir scheiden zu lassen, hätte er ihn mir gestern Abend schicken sollen, als er ihn unterschrieben hat, und heute Morgen vorbeikommen können, um ihn abzuholen.“ Sie sagte es ihm, drehte sich um und ging weg. Sie hörte William seufzen, sah ihn aber nicht an. Ja, sie hatte bemerkt, dass Calvin es gestern unterschrieben hatte. Sie würde es sich zusammen mit ihrem Ehevertrag ansehen. Im Moment brauchte sie jedoch einen Moment, um ihre Fassung zu bewahren und vor keinem der beiden zusammenzubrechen, also ging sie weg, wie Calvin es getan hatte. Sie würde tun, was sie gesagt hatte, und sie würde unterschreiben; ihr Wort galt. Sie brauchte nur eine Minute und wollte es nicht vor den beiden tun, also ging sie hinauf auf die Klippe, um einen Moment für sich zu haben, wie sie es immer tat. Das war’s. Sie würde sich scheiden lassen, er würde weitermachen und weg von ihr, und sie würde irgendwo zwischen immer noch Liebe und Hass für ihn feststecken. Sie hasste ihn für seine Gleichgültigkeit, mit der er ihr das mitgeteilt hatte. Warum konnte er sich nicht einfach zehn Minuten Zeit nehmen, sich zu ihr setzen, ihr alles erklären und es gemeinsam mit ihr unterschreiben? Sie drehte sich um und schaute hinunter zum Haus. Er war bereits bei seinem Auto, und sie sah, wie sie einsteigen und wegfuhren, und spürte, wie ihr Tränen über das Gesicht liefen. Das war’s, das wusste sie. Er war weg und würde nie wieder hier in diesem Haus auftauchen. Er hatte sie einfach verlassen, ohne sich für ihre Hilfe zu bedanken oder ihr zu sagen, dass es schön war, mit ihr verheiratet zu sein, ohne sich von ihr zu verabschieden, Rin. Er war einfach weggefahren und weg. Sie sah auf die Papiere in ihrer Hand und zerknüllte sie ein wenig. Sie musste ein paar Mal tief durchatmen und sagte sich: „Du wusstest, dass das kommen würde, reiß dich zusammen, Prinzessin. Das war nur ein Märchen in deinem Kopf.“ Sie saß noch lange da, bevor sie schließlich aufstand und ins Haus zurückging. Ein Haus, in das er nur gekommen war, um in ihr Bett zu steigen und seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Kein Haus, in das er jemals gekommen war, um sich zu entspannen, zu sitzen und zu reden. Nein, dafür hatte er einen ganzen Freundeskreis in der Stadt. Rin seufzte, als sie ihren Laptop einsammelte und ins Haus ging. Es war jetzt offenbar ihr Haus. Ein spöttisches Schnauben kam aus ihrem Mund. Es war immer ihr Haus gewesen. Er wohnte nicht hier, nur sie. Er hatte dieses Haus für sie gekauft, damit sie darin wohnen konnte. Er hatte sie vor ihrer Hochzeit nur einmal gefragt: „In was für einem Haus möchtest du leben?“ Sie erinnerte sich, wie sie ihn an diesem Tag angestarrt hatte, und er hatte genickt. „Sag mir einfach, ich sorge dafür, dass du ein gemütliches Zuhause hast, solange wir verheiratet sind.“ Sie hatte nie wirklich darüber nachgedacht, ein eigenes Zuhause zu haben, und hatte mit den Schultern gezuckt: „Etwas mit Meerblick.“ Und das war das Haus, das er gefunden hatte. Es hieß Cliffside Manor, weil es genau das war. Sie las die Scheidungspapiere sorgfältig durch, während sie dasaß und versuchte, ihr Mittagessen zu essen. Sie hatte keinen großen Hunger, aber sie musste etwas essen, durfte sich nicht in diese Mentalität hineinsteigern, nichts zu essen und sich einfach verkümmern zu lassen, weil der Mann, den sie liebte, sie nicht liebte. Nein, sie war besser als das, stärker als das. Sie hatte schon als Kind gelernt, dass niemand sie liebte. Das hier war nicht anders. Sie hatte sich nur dummerweise selbst vorgemacht, dass es echt war, obwohl sie wusste, dass es nicht so war, obwohl sie sogar wusste, warum: Weil sie sich nach Liebe sehnte, weil sie als Waise immer davon geträumt hatte, eines Tages eine Familie zu haben.
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