Kapitel 1 Juni 2011 Anika

1684 Words
Endlich ertönte das Leuten unserer Schulglocke. Die sechste Stunde war vorbei und ich machte mich gemeinsam mit Nele, Lena und Lea auf den Weg zu Lea‘s Haus, welches sich in unmittelbarer Nähe der Realschule befand. Wir besuchten dort gemeinsam die achte Klasse und zählten jeden einzelnen Tag bis zu den Sommerferien. Bei Lea‘s Haus angekommen stiegen Lena, Nele und ich wie jeden Mittag um zwanzig nach eins auf unsere Fahrräder und fuhren in Richtung der Ortsmittte unseres kleinen Dorfes Peckelsheim. An der Kreuzung trennten sich unsere Wege. „Tschau Anika, wir sehen uns später bei Merri!“ rief Nele mir zum Abschied zu. „Ja, wir holen dich und Lea ab!“ antwortete ich und freute mich auf den bevorstehenden Nachmittag. Ich fuhr die Hauptstraße entlang und bog schließlich in die Ächternstraße, wo ich gemeinsam mit meinen Eltern wohnte. Ich klingelte an der Haustür, da ich mal wieder meinen Schlüssel vergessen hatte. „Ja?“ ertönte die Stimme meiner Mutter aus der Sprechanlage. Ich konnte sie kaum verstehen, da meine kleine, schwarze Hündin Sina im Hintergrund ohne Pause bellte. „Ich bin‘s!“ antwortete ich und der Türsummer ertönte. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, wurde ich zuerst freudig von Sina begrüßt. Dann stieg mir der leckere Geruch von Spagetti Bolognese in die Nase und ich eilte in die Küche. Meine Mutter war gerade fertig mit Kochen und stellte das Essen auf den Tisch. „Wie war dein Tag?“ wollte sie von mir wissen. Sie stellte mir jeden Mittag die gleiche Frage und erhielt auch jeden Mittag die gleiche Antwort: „Wie immer eigentlich.“ Wir setzten uns zu zweit an den Tisch, mein Vater war, wie so oft, noch geschäftlich unterwegs. „Kannst du Lea, Nele und mich später zu Marie nach Eissen fahren? Wir wollen einen Filme-Nachmittag machen.“ Erklärte ich kurz. „ Ja, ich kann euch fahren, aber ihr wollt euch nicht schon wieder diese Vampirfilme anschauen, oder? Die habt ihr doch schon oft genug gesehen!“ Mit dieser Aussage hatte sie völlig Recht, aber wir liebten die Handlungen dieser Geschichten. Selbst unzählige Bücher hatten Lea und ich zweimal verschlungen. Am Nachmittag fuhren wir los, um Lea abzuholen. Diese machte ihrem Spitznamen „Aely“, abgeleitet von „early“ mal wieder alle Ehre, da sie viel zu spät dran war. Nachdem sie es dann doch zu uns ins Auto geschafft hatte, holten wir auch Nele ab die schon sehr ungeduldig wartete. Bei Merri angekommen legten wir uns zu viert auf ihr Bett und begannen die Filme in ihrem winzigen Zimmer an ihrem riesigen PC zu schauen. Schließlich besaß zu diesem Zeitpunkt noch niemand von uns einen eigenen Fernseher. Jetzt, im Nachhinein denke ich mir, was für ein dummer Zufall es doch war, dass wir die Filme genau an diesem Tag geguckt hatten. Am frühen Abend holte Neles Mama Martina uns wieder ab und brachte uns alle nach Hause. Ich war allein mit unserem Hund in unserem großen Haus, meine Eltern waren bei Freunden zu Besuch. Da es bereits dämmerte, schnappte ich mir Sina, um noch eine kleine Runde spazieren zu gehen. Damit traf ich eine Entscheidung, die mein gesamtes Leben veränderte. Ich lief durch ein kleines Wäldchen, welches nur wenige 100 Meter von meiner Straße entfernt war. Die Vögel zwitscherten noch und auch die ersten Fledermäuse waren schon am Himmel zu sehen. Doch umso weiter ich ging, desto stiller wurde es. Dann waren nur noch meine eigenen Schritte auf dem Asphalt zu hören. Auch Sina, die sonst immer fröhlich voran läuft, wich mir nicht mehr von der Seite, ihre Nackenhaare stellten sich auf. So langsam machte mir die mir sonst so vertraute Umgebung um mich herum Angst, sodass ich beschloss umzukehren. Sobald ich meinen Entschluss gefasst hatte, machte ich auf dem Absatz kehrt und wollte zügig nach Hause laufen. Doch dazu kam ich leider nicht mehr. Nur wenige Meter vor mir stand ein Mann mit dunkelbraunen, zerzausten Haaren. Seine Haut war blass und die Kleidung die er trug, war dreckig und zerschlissen. Außerdem lief er barfuß und machte alles in allem einen eher ungepflegten, abstoßenden Eindruck auf mich. Hätte er nicht diese besondere Ausstrahlung, hätte es auch irgendein dahergelaufener Obdachloser gewesen sein können. Zunächst war ich froh darüber, nicht mehr alleine in dem dunklen Wald zu sein und machte einige Schritte auf die Gestalt zu. Sina drängte sich an mein Bein, fletschte die Zähne und knurrte. Ein Verhalten, das für sie vollkommen untypisch war. Als ich mir den Mann näher ansah, spürte auch ich, dass eine Gefahr von ihm auszugehen schien. Mein Blick traf seinen und ich starrte in blutrote, weit aufgerissene Augen. Ich bekam Panik. Ich wollte schreien, ich wollte weglaufen, aber ich war unfähig mich zu bewegen. Ich spürte nur, wie meine braunen Augen sich langsam mit Tränen füllten. Der Mann lächelte mich mit strahlenden, weißen Zähnen an die so gar nicht zum Rest seines Erscheinungsbildes passten. „Was macht ein Mädchen um diese Uhrzeit ganz alleine hier draußen?“ säuselte er mit kalter, bedrohlicher Stimme. Ich war unfähig ihm zu antworten. Aus meinem Mund kam weder ein Wort, noch ein Schrei als ich versuchte einen Laut von mir zu geben. Auch das Knurren meines Hundes war längst verstummt. „Tja, meine Süße. Du bist leider zur falschen Zeit am falschen Ort“ sagte der Mann mit klarer, belustigter Stimme. Als er noch einen letzten Schritt auf mich zu machte, meldete sich mein Überlebensinstinkt. Ich drehte mich um und wollte losrennen, doch ich blickte nur in ein weiteres Paar dunkler, blutroter Augen. Sie gehörten zu einer Frau mit langen, wilden, feuerroten Locken die bis zur Hüfte hingen. Ihre Haut war blass und von einigen Sommersprossen übersät. Die Kleidung die sie trug, war dreckig und zerschlissen. Auch sie machte auf mich einen sehr ungepflegten, aber dennoch faszinierenden Eindruck. Beide Personen kamen mir, obwohl sie so aussahen, nicht wie Menschen vor. In meinem Kopf ratterte es und ich fühlte wie mein Blut in meinen Ohren pulsierte. Mir fiel nicht ein, an wen oder was die beiden mich erinnerten. „Wo willst du denn so schnell hin?“ fragte ein weiterer Mann, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war. Er fuhr sich durch seine zerzausten, hellbraunen Haare und versperrte mir einen weiteren Fluchtweg. Auch er trug keine Schuhe. „Nach Hause.“ brachte ich nun endlich zwischen meinen Lippen hervor, aber es war nur ein Flüstern. Meine Stimme versagte komplett, um Hilfe schreien konnte ich also vergessen. „Das tut mir Leid, aber du riechst viel zu gut.“ flüsterte der Kerl, der zuerst in meinem Blickfeld erschienen war. Er überragte die anderen beiden um mehrere Zentimeter. Er war fast schon riesig. Der Typ mit den hellbraunen Haaren stand mir am nächsten. „Überlässt du mir den ersten Bissen, Valeria?“ wollte er von seiner Begleiterin wissen. Dem großen, ungepflegten Kerl schenkte der zweite Mann kein bisschen Aufmerksamkeit. Zu dem Zeitpunkt verstand ich nicht, was er damit meinte. Das äußere Erscheinungsbild der drei lösten eine Assoziation zu den Filmen, die ich am Nachmittag gesehen hatte, aus. Insbesondere diese blutroten Augen. Aber das war unmöglich. Das war nicht real. Ich drehte mich zu der Frau mit dem Namen Valeria um und verfiel erneut in Schockstarre, als ich ihre ausgefahrenen Fangzähne und die dunklen Adern um ihre Augen herum sah. „Na gut Bruder, du hast sie zuerst gerochen, aber lass mir etwas übrig Fergus!“ entgegnete Valeria mit vor Begierde zitternder Stimme. Fergus lächelte. Nun entblößte auch er seine Fangzähne. Schwarze Adern traten unter seinen Augen hervor und nicht nur seine Iris, sondern auch die Lederhaut seiner Augen war plötzlich blutrot. Meine Gedanken überschlugen sich. Als ich dem Riesen noch einen Blick zuwarf, hatten sich auch seine Gesichtszüge vollkommen verändert. Nichts Menschliches war mehr an ihnen. Waren die drei tatsächlichen Vampire? Oder irgendwelche andere Monster? Plötzlich stand Fergus direkt vor mir. „Bitte“ flehte ich, mehr brachte ich nicht heraus. Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich spürte wie die Tränen meine Wangen herunter rannen. Der Mann streckte gerade seine Hand aus um mein Kinn zu greifen, da ertönte aus dem Wald um uns herum ein lautes Knurren. Fergus, der Riese und Valeria verharrten in ihren Bewegungen und sahen einander mit vor Schreck geweiteten Augen an. Auch ich versuchte meine Aufmerksamkeit auf die Geräusche, die aus dem Wald kamen zu zentrieren. Und dann sah ich sie. Aus dem Schatten der Bäume traten sechs riesige Wölfe. Ich war zugleich beeindruckt und schockiert vom Anblick der Tiere, die fast so groß waren wie ein Pferd. Sie schlichen zähnefletschend und knurrend an die vampirähnlichen Wesen heran. Dabei kreuzte mein Blick den des kastanienbraunen Wolfes und ich verlor mich, trotz meiner Angst, für einige Sekunden in seinen dunklen, großen Augen. Der Mann und die Frau ließen beim Näherkommen der Wölfe jedoch sofort von mir ab und rannten davon. Dabei bewegten sie sich so schnell, dass ich ihre Bewegungen nicht erfassen konnte. Sie schienen sich regelrecht in der Ferne in Luft aufzulösen. Die Wölfe jagten ihnen nach und schon nach wenigen Sekunden war nichts mehr von ihnen zu sehen. Auch ich rannte nun durch die Dunkelheit. Der Wind peitschte mir meine hellbraunen Haare und einige Regentropfen ins Gesicht. Sina lief zum Glück direkt neben mir. Zuhause angekommen verriegelte ich augenblicklich alle Fenster und Türen, auch wenn mir das im Ernstfall nicht viel nutzen würde. Die Tränen liefen mir immer noch unaufhörlich über die Wange. Als der Adrenalinschub nachließ, spürte ich, wie meine Beine nachgaben und ich sackte schluchzend im Flur unseres Hauses zusammen. Was war da gerade passiert? Hatte ich das wirklich gesehen? Mir war bewusst, dass ich niemandem davon erzählen konnte. Wer würde mir das schon glauben. Ich versuchte mich selbst vergebens davon zu überzeugen, dass es keine Vampire oder übergroße Wölfe, geschweige denn Werwölfe gibt. Nach einiger Zeit waren meine Tränen versiegt, aber mein Körper wurde immer noch von unaufhörlichen Schluchzern geschüttelt. Als ich meine Beine wieder spürte, richtete ich mich mit Mühe auf, ging in mein Zimmer welches sich im zweiten Stock befindet, und legte mich ins Bett. An Schlaf war jedoch nicht zu denken.
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