2. Kapitel
Unbekanntes Volk der Steppe Teil 2
Ohne Vorwarnung stoppten die blauen Leute und duckten sich ins Gras. Der Crew vom Raumschiff sah sich ratlos an.
„Macht schon!“, verlangte ihr Kapitän. „Duckt euch! Ich glaube, hier passiert gleich etwas!“
Alle gehorchten, einer der wilden blauen Hundsnasen bellte heiser und die Kommunikationsfachfrau versuchte, es mit Hilfe ihres Gerätes zu übersetzen.
„Und?“, flüsterte Carol. „Was sagen sie?“
„Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, dass etwas im Anmarsch ist, dass sie uns zeigen wollten. Wir müssen gut aufpassen und vorsichtig sein.“
Carol nickte, „Ja, das ist wohl das Beste.“ So blieb ihnen allen nichts anderes übrig, als sich ins Gras zu knien und zu warten. Lange wurde ihre Geduld nicht herausgefordert. Denn nur Minuten später durchbrach ein markerschütterndes Brüllen und Kreischen die Stille. Ganz so, als wäre jemand einer Katze auf den Schwanz getreten, Min standen sämtliche Haare zu Berge.
Auch die Crewmitglieder schraken zusammen. Carol schielte über die Steppe und entdeckte dann die Quellen der seltsamen Laute. Es waren fünf große Tiere, viel gewaltiger als Wölfe, aber von ähnlicher Statur, die halb aufrecht gehend durch das hohe Gras auf sie zuhielten und begannen, sie einzukesseln. Die wolfsartigen Tiere hatten ein reich verzweigtes Geweih auf dem Kopf, Geifer rann von langen Zähnen in ihrem Maul. Drei Augen saßen in ihrem klobigen Schädel. Das Fell war rot und gelb geflammt und spitze Dornen ragten aus ihrer Wirbelsäule. Die Krallen an ihren Pfoten waren scharf und ihre Schwänze geringelt wie die eines Spitzes. Grollend ließen sie lange gespaltene Zungen aus dem Mundwinkel hängen.
Balthasar fröstelte es, was sind das nur für Bestien? Was wollten sie? Warum hat man uns hergeführt, sollten wir als Wolfsköder enden? Wütend starrte der Leibwächter zu einem der Blauen und dieser zischte etwas, sogleich wurde die Kommunikationsdame blass.
„Er hat gesagt, dass diese Biester mehrmals im Jahr kommen und immer viele Stammesmitglieder reißen“, flüsterte sie. „Speere können ihnen kaum etwas anhaben, genau wie Steine. Es ist ein dicker Panzer unter dem zottigen Fell. Jetzt ist wieder Jagdsaison und die Einheimischen wissen nicht, was sie tun sollen. Es sind schon wieder Kinder und alte Leute verschwunden.“
Carol verengte die Augen zu Schlitzen und sie zeigte keine Angst.
„Los!“, zischte sie Balthasar zu. „Machen wir sie fertig!“
Verdattert starrte er sie an und erhob sich dann ganz vorsichtig. Sein Kapitän stand bereits mit erhobenem Haupt vor den Bestien. Sie lächelte verwegen, Hat dieser Waschlappen von einem Leibwächter etwa Angst vor diesen übergroßen Flohschleudern?, dachte sie um dann zu brüllen: „Reiß dich gefälligst zusammen!“
Die riesigen Wölfe knurrten und kamen mit gefletschten Zähnen näher, die blauen Hundsnasen begannen zu tuscheln und sich aneinander zu drängen, sie bebten vor Angst. Carol dagegen zuckte mit keiner Wimper, sie war die Ruhe selbst. Balthasar irritierte das, aber so war sie eben. Damit musste man sich arrangieren, wollte man nicht den Verstand verlieren.
Die Fleischfresser grollten, dann brüllte einer scheinbar den Schlachtruf, denn alle gingen kollektiv zum Angriff über, worüber Balthasar zutiefst erschrak, als eines der Biester genau vor Carol landete. Zwar wollte er einschreiten, doch er kam nicht dazu, denn schon sprang ihm ein anderes Tier vor die Füße. Es fauchte, bäumte sich auf und schon hatte er genug damit zu tun, mit dem hungrigen Karnivoren zu ringen. Erst servierte er dem Tier ein paar Faustschläge, dann würgte er den wilden Wolf und die Einheimischen ergriffen kreischend die Flucht. Der Rest der Crew tat es ihnen gleich, nur jene, die Betäubungswaffen bei sich trugen, fassten sich ein Herz.
Der Fleischfresser mit den drei leuchtenden Augen, der unterdessen vor dem Kapitän stand, knurrte, doch sie hob lediglich die rechte Augenbraue an. Soll ich mich von diesem Gehabe etwa beeindrucken lassen? Sie besaß viel Selbstvertrauen und wusste, dass ihr das Biest niemals drohen würde, wenn es von seiner Überlegenheit überzeugt wäre. Denn Raubtiere drohten ihrer Beute nicht.
Trotzdem schien der hungrige Jäger sein Glück versuchen zu wollen, er hob die Pranke und in diesem Moment versetzte Carol ihm einen solchen Tritt gegen die Rippen, dass er zur Seite geschleudert wurde und hart auf dem Boden landete.
Nun lächelte Carol fies, „Na, du Bettvorleger? Diesmal ist dir dein Mittagessen wohl überlegen!“
Kapitän Carol Thunderstorm hatte schon viele Pokale und Plaketten in allen möglichen Disziplinen der Selbstverteidigung gewonnen. Sie konnte mit Mannsbildern fertig werden, die drei Köpfe größer waren als sie und das Fünffache wogen.
Trotz des Treffers gab sich der Fleischfresser nicht geschlagen, er sprang auf die Pfoten und fauchte, dabei bäumte er sich auf den Hinterbeinen auf, ein schwerer Fehler, den Carol eiskalt ausnutzte. Erst versetze sie ihm einen Kinnhaken, dann packte sie das verwunderte Tier an einer Vorderpfote und schleuderte es über die eigene Schulter. Jaulend flog der rotgelbe Wolf durch die Luft und als es wieder auf den Boden aufkam, winselte er zum Steinerweichen. Erneut zog Carol die Augenbrauen in die Höhe. Bedächtig holte sie etwas hervor, einen kleinen, handlichen, praktischen Revolver, der betäubende Elektroimpulse abgab. Damit versetzte sie das Tier in tiefen Schlaf.
„Träume süß. Ach, wie niedlich! Jetzt gefällst du mir schon besser. Leider kann ich dich nicht adoptieren … du würdest dich nicht mit Min vertragen, sie fräße dich zum Abendessen.“ Wie zur Antwort fauchte die Fuka und machte einen Katzenbuckel. Sie hatte sich in der Zwischenzeit in einem hohen Grasbüschel in Sicherheit gebracht.
Alsdann hob Carol den Blick, wie tapfer schlagen sich meine Mitarbeiter? Drei weitere Tiere lagen ebenfalls betäubt am Boden. „Gute Arbeit“, lobte der Kapitän. Doch dann kam sie ins Grübeln. Hat es nicht noch ein fünftes Tier gegeben? Wo ist das abgeblieben und wo steckt Blondie? Suchend sah sie sich um, dann entdeckte sie beide, die wie ein Knäuel aus kämpfenden Katzen über den Boden rollten. Sie schenkten einander nichts, es wurde getreten und aufeinander eingedroschen. Zeitweise würgte der Personenschützer den wilden Wolf erneut. Carol schüttelte mit dem Kopf, das ist doch nicht zu fassen!
„Männer!“, stöhnte sie, zielte dann gut und feuerte. Schon hörte das Tier auf zu raufen und sackte bewusstlos in sich zusammen. Balthasar rang nach Luft und richtete sich auf. Seine Hose und sein Hemd waren arg ramponiert, überall hatte er Bisswunden und andere Blessuren. Carol schüttelte wieder mit dem Kopf.
„Na?“, fragte sie dann spitz. „Hast du wieder deine Elektroschockpistole vergessen?“
Der Leibwächter nickte schuldbewusst und peinlich berührt. Sie seufzte, denn das war für sie kein Grund, sich wie ein wildes Tier zu benehmen. Aber so war Balthasar nun einmal, er setzte sich immer mit Leib und Seele für sie ein.
Eilig nahte der Rest des Trupps, der sich versteckt, aber dennoch alles verfolgt hatte. Die blauen Hundsnasen erschienen ebenfalls. Die Dame mit dem Übersetzungsgerät begann dem Kapitän etwas zu soufflieren. Die Blauen bekundeten, dass sie sehr glücklich über den Besuch waren und dass der Kapitän und ihre Crew so etwas wie Engel für sie wären, weil sie die schrecklichen Tiere besiegt hatten. Carol war sich sicher, dass sich diese Biester so schnell nicht mehr an den blauen Hundsnasen vergreifen würden. Die netten Einheimischen wollten ihnen daher auch ihren Dank gebührend zollen. Sie wollten die Crew mit zu ihrem Wohnplatz nehmen und da der Kapitän von Natur aus neugierig war, willigte sie ein. Auf dem Weg wurden Proben eingesammelt, Notizen und Fotos gemacht. Die Eingeborenen störten sich nicht daran. Angeblich hatte ein schamanischer Hellseher aus ihren Reihen dieses Ereignis vorhergesagt. Die Fremden hatte er als Engel beschrieben, die vom Himmel herabstiegen, um die Fressfeinde mit ihrer Magie zu lähmen.
Dieser Seher wurde dem Trupp dann auch vorgestellt, als sie zu den Wohnstätten der Blauen in der Nähe eines Sees kamen. Zwischen hohen Bäumen standen höhlenartige Zelte aus Naturmaterialien und Fellen. Nachdem die Crew alles bestaunt und vieles dreidimensional fotografiert oder anderweitig festgehalten hatte, lud das blaue Volk sie zum Dinner ein. Min war sehr froh darüber, ihr Magen knurrte seit geraumer Zeit. Sie hatte sich beim Angriff der großen Tiere stets tief ins Gras geduckt, doch nun gebärdete sie sich auf Carols Schulter sitzend, als habe sie alle fünf Wölfe persönlich niedergerungen. Jedem der es sehen wollte zeigte sie ihre Zähne und fuhr die Krallen aus. Ungeduldig wartete sie auf die Hauptspeise, die man ihrem Frauchen und den anderen Crewmitgliedern bald in zahlreichen Näpfen aus Ton reichte: würzige Suppe, rohes Gemüse, Wurzeln, gebratene Würmer, Engerlinge und Käfer. Carol wollte nicht unhöflich sein und kostete vom Gemüse, das Vogelfutter schob sie jedoch heimlich zur Seite.
Min legte den Kopf schief und beäugte den Inhalt der Schale, sie entschied sich, dass Probieren über Studieren ging und schon bald kam sie auf den Geschmack und verputzte die heimischen Spezialitäten mit wachsender Begeisterung. Balthasar sah das, gerade hatte man ihm eine Schale mit einem besonders großen Insekt gereicht. Offenbar meinte man es gut mit ihm, der schamanische Seher der zusätzlich noch Medizinmann war hatte seine Wunden derweil schon notdürftig verbunden. Das Krabbeltier im Tongefäß erinnerte an ein gigantisches, gesottenes Glühwürmchen, war aber so groß wie Mins Kopf. Unbemerkt schob er es der Fuka zu, die sich fühlte wie im Schlaraffenland.
Die gastfreundlichen blauen Leute bemerken zum Glück nichts von alldem. Die Frauen waren mit Gebeten für die Besucher, mit Tänzen und Gesängen zu ihren Ehren beschäftigt und die Männer bereiteten fleißig das Dinner zu. Die Kinder spielten und sahen den Besuch neugierig an. Vor allem Min war besonders interessant. Es dauerte eine Weile, bis sich eines der Kinder traute, sie zu streicheln. Kaum war das passiert, wollten auch alle anderen Knirpse sie kraulen. Min war so satt, dass sie sich kaum rühren konnte. Sie musste es leise klagend ertragen, so lange, bis sich ihr Frauchen erbarmte und sie auf ihren Schoß setzte. Die Hundsnasenkinder gingen wieder spielen, denn vor Carol hatten sie zu viel Ehrfurcht, um Min weiterhin zu piesacken.
„Niedliche Bande. Mit ihren kleinen Hundenäschen und den Schlappohren“, giggelte Frau Kapitän.
Aus der aufregenden Mission wurde noch ein netter und unterhaltsamer Nachmittag. Die Kommunikationsdame erfuhr interessante Fakten, die sie rasch notierte. Als man das Wichtigste über das Leben der blauen Bewohner in Erfahrung gebracht hatte, rief der Kapitän auch schon zum Aufbruch, es war schon recht spät. Sie wollte die Gastfreundschaft nicht noch länger ausnutzen. Außerdem war dieses Volk noch nicht so weit entwickelt, um in den Bund einzutreten. Nichtsdestotrotz würde man diesen Planeten im Auge behalten. Die Entstehung von Zivilisation konnte man nicht alle Tage verfolgen. Carol war sich sicher, am Ende einer Langzeitstudie könnte ein neuer Vertrag geschlossen werden. Bedingung war lediglich, dass Dörfer oder Städte und ein Mindestmaß an Technologie und Wissen existierten. Doch wie hatte Albert bereits vorausgesagt – manchmal muss man Geduld haben.
„Auf ein Wiedersehen“, gelobte Carol, bevor sie sich auf ihr Schiff teleportieren ließ. Ihre Crew tat es ihr gleich. Die Blauen blieben staunend zurück.
Vielen Dank, Engel, murmelte der Seher und warf erneut einen Blick in die Zukunft. Der Fortschritt würde auch um sein Volk keinen Bogen machen und was er sah, gefiel ihm außerordentlich.