Kapitel 2

2128 Words
Die Stille fiel mir zuerst auf. Kein Laut war zu hören. Keine schreiende Kinder, keine bellende Hunde, keine Türen die zugeschlagen wurden, keine Autos. Dann der dumpfe Druck in meinem Kopf. Wie ein Pochen, dass mit aller Kraft versuchte nach vorne zu kommen. Es jedoch nicht schaffte. Langsam öffnete ich meine Augen und realisierte, wie viel Kraft das mich beanspruchte. Sie fühlten sich schwer und verklebt an. Wie lange hatte ich geschlafen? Als ich sie offen hatte, erkannte ich, dass ich in einem Bett lag. In meinem Blickfeld befand sich ein Teil des Bettkopfes. Er war in einem warmen Beigeton gehalten. Mit aller Kraft setzte ich mich auf und konnte mir dabei kein Stöhnen verkneifen. Mein gesamter Körper schmerzte. Auch fühlte er sich verspannt an, was sehr unangenehm war. Das Zimmer, indem ich mich befand, war riesig. Das Bett, auf dem ich saß, stand mittig und bot Platz für mindestens drei Personen – ohne, dass sie sich berühren würden. In meinem direkten Sichtfeld war ein großer Fernseher, der in die Wand eingebaut schien. Diese war mit einem hellen braunen Stein geschmückt, indem sich das Licht spiegelte. Da ich ahnte, was mir blühen würde, wenn ich meinen Kopf drehen würde, wand ich mich mit meinem ganzen Körper zu Bettkante. Rechts bestand die Wand aus einem einzig großen Fenster, das direkte Sicht auf eine Stadt gab. Der Himmel war in einem tiefen Blau. Meine Füße berührten den Boden, der aus einem weichen Teppich bestand. Wo war ich? Tief holte ich Luft. Dann zog ich mich mithilfe des Nachttisches nach oben. Meine Beine zitterten zuerst, doch schienen mir zu gehorchen. Zuerst wartete ich ein paar Minuten, damit ich mir auch sicher sein konnte, dass ich nicht doch zusammenbrechen würde und nahm einen Schritt nach dem anderen. Dass mein Körper sich anfühlte, als wäre er herumgeschleudert worden, half nicht besonders. Auch nicht, dass der Raum dermaßen groß war und die Tür so weit entfernt. Zu Hause in meinem Zi- Mein Atem stockte. Mein Zimmer. Zu Hause. Meine Mutter! Die Erinnerungen schlugen wie eine Tsunamiwelle über mich ein. Ein Schluchzen kam über meine Lippen. Augenblicklich brannten meine Augen und ich wusste, dass ich gegen die Tränen nicht ankämpfen konnte. Wie erschlagen setzte ich mich auf das Ende des Bettes. Weiter war ich nämlich nicht gekommen. Meine Hände zitterten. Meine Mutter war tot. Ich hatte gesehen, wie sie erschossen wurde. Wie das ganze Blut aus ihr geströmt war. Ihre Augen. Oh Gott, ihre Augen waren so leer gewesen. Der Anblick von ihr stieg wieder in mir auf. Breitete sich in meinem Kopf aus, bis kein Platz für andere Gedanken blieben. Wimmernd presste ich meine Hände gegen die Stirn. Versuchte, irgendwie aus diesem Albtraum aufzuwachen. Diese Männer hatten gemeint, dass sie mich brauchen würden. Weshalb sie geschossen hatten. Doch dann waren da noch diese anderen Typen. Einer hatte braune Haare und – sein Name war Kain gewesen! Er hatte mich mitgenommen! Bei der Erinnerung daran, wie ich versucht hatte, zu fliehen, bekam ich eine Gänsehaut. Ich hatte nie eine Chance gehabt. Nicht gegen irgendeinen von ihnen. Doch wer waren sie? Wieso hatten sie die anderen umgebracht? Warum haben sie mich mitgenommen? So viele Fragen, doch ich wusste keine Antwort darauf. Ein Räuspern riss mich aus meiner Panik. Instinktiv zuckte ich zusammen und bereute das zugleich. Mein Körper schmerzte und die schnelle Bewegung half nicht besonders. Meine Augen huschten zu der Quelle des Geräusches. An der Tür stand Kain. Seine Augen auf mich fixiert. Erst jetzt fiel mir auf, dass er groß war. Fast den Türrahmen einnahm. Sein Gesicht wirkte entspannt. Nicht wie in der Nacht, voller Konzentration angespannt. Er trug ein T-Shirt, was seine Arme voller Tattoos zeigte. Auch an seinem Hals konnte ich welche sehen. "Du bist wach", sagte er. Stumm blickte ich ihn an. Was sollte ich jetzt tun? Versuchen erneut zu fliehen? Nein, ich hatte keine Chance. Ich fühlte mich wie Dreck. Außerdem wusste ich nicht wo ich war, und wer noch hier war. Das wäre ein sehr kläglicher Versuch … "Wie fühlst du dich?" Seine Stimme hatte einen besorgten Unterton. Mir entging auch nicht, wie er meinen Körper scannte. Oder wie seine Augen kurz bei meinen bebenden Händen stehen blieben. "Du brauchst keine Angst zu haben." "Wo bin ich?" Meine Frage war nicht mehr als ein Krächzen. Erst jetzt fiel mir auf, wie trocken mein Hals war. "In Sicherheit." Kain legte seinen Kopf schief. "Wie fühlst du dich?" Seine Antwort half nicht besonders weiter. Am liebsten würde ich erneut nachfragen, doch irgendetwas an seinem Blick hielt mich davon ab. "Gut", sagte ich deshalb knapp und wusste zugleich, dass er mir nicht glaubte. Wie auch? Ich sah wie Scheiße aus. Dass ich erst vorhin wieder geweint hatte, half wahrscheinlich auch nicht besonders. "Schaffst du es, dich alleine umzuziehen?" "Wieso?" Skeptisch schaute ich Kain an. "Weil ich sonst Hilfe hole." "Nein, wieso soll ich mich umziehen?" Kurz hob er eine Braue, dann war sein Gesicht wieder emotionslos. "Das erfährst du, wenn es so weit ist." Ein unangenehmes Gefühl machte sich in mir breit. Ich erkannte, dass es sich dabei um Panik handelte. Meine Hände krallten sich im Bettlaken fest. Kurz überlegte ich, wohin ich gehen könnte, wenn er mich dazu bringen wollte, dass ich mit ihm kam. Denn ich würde ihm sicherlich nicht brav folgen. "Wo bin ich?", fragte ich erneut. Diesmal klang ich verbissener. "Das wirst du ebenfalls erfahren, sobald du dich frisch gemacht hast." "Und wieso sollte ich das machen?" "Weil du keine andere Wahl hast", sagte er ebenso monoton wie zuvor. "Ich habe keine Wahl?" Meine Verblüffung war nicht zu überhören. Genauso, wie die Panik. "Hör mal, Jane -" "Woher kennst du meinen Namen?" "- ich habe kein Interesse daran, dir weh zu tun. Keiner von uns hat das. Jedoch solltest du dir und mir zuliebe, einfach machen, was ich dir sage." Kurz war es still. Keine von uns sagte etwas oder bewegte sich. "Ist das eine Drohung?", flüsterte ich. "Eine Empfehlung. Ich komme in 15 Minuten nochmal." Dann wand er sich um und ging. Das Klicken der Tür machte deutlich, dass er zugesperrt hatte. Ich hatte keine Möglichkeit raus zu kommen. Was mir genau zwei Möglichkeiten ließ: mich umziehen und zu hoffen, dass alles, was danach folgen würde, nicht schrecklich werden würde oder sitzen bleiben und somit riskieren, ihn wütend zu machen. Die Warnung meiner Mutter fiel mir wieder ein. Dass ich niemanden vertrauen und keinem zusprechen sollte. Was hätte ich dafür getan, ihrem Rat zu folgen! Doch ich spürte, dass egal, ob umgezogen, oder noch im Nachthemd, Kain in 15 Minuten hier sein würde. Und er mich sicherlich mitnehmen wird. Abgesehen davon, dass ich meine Würde behalten wollte, wusste ich, dass mein Körper nicht für einen erneuten Kampf bereit war. Langsam stand ich auf und ging zu der Kommode. Darin befanden sich, wie zu erwarten war, Kleidung. Ich wählte Unterwäsche, einen grauen Sweater und eine helle Jeans. Dass mir alles passte, ignorierte ich. Ich hatte gerade wichtigere Sorgen. Suchend blickte ich mich um. Das Zimmer war luxuriös, wieso sollte es nicht auch ein Bad haben? Tatsächlich befand sich eine weitere Tür neben dem Fenster. Dahinter war das Bad. Zu meiner Freude stand beim Waschbecken eine Zahnbürste und Creme, ein Kamm, mehrere Gesichtscremes und ein Handtuch. Zuerst putzte ich mir die Zähne und mied dabei den Spiegel. Doch als ich meine Haare kämmen wollte, kam ich nicht drumherum. Bei meinem Anblick wurde mir schlecht. Auf meiner Stirn befand sich ein großes Pflaster. Dort musste ich mich angeschlagen haben. Ein dunkler Schimmer war durch zu erkennen. Unter meinen Augen waren tiefe Schatten. Meine Lippen waren eingerissen und wenn ich mich nicht irrte, hatte meine rechte Wange einen Bluterguss. Ich sah wirklich wie scheiße aus. Doch was mich am meisten schockierte waren meine Augen. Normalerweise voller Leben wirkten sie nun stumpf. Ich erkannte mich nicht wieder. Mir bewusst, dass ich jeden Moment erneut zu weinen anfangen würde, blickte ich fort. Mit bebenden Händen drehte ich den Wasserhahn auf und ließ Wasser in meine Hand fließen. Gierig trank ich daraus und wiederholte den Prozess so lange, bis ich nicht mehr das Gefühl hatte zu verdursten. Schnell cremte ich meine Lippen ein, damit sie wieder normal werden würden und verließ das Bad. Ich war bereit. Wartend setzte ich mich wieder auf das Bettende. Es dauerte nicht lange, bis Kain kam. Er schien nicht überrascht zu sein, dass ich umgezogen war. Ehrlich gesagt, konnte ich nichts in seinem Gesicht erkennen. "Folge mir." Kurz wartete Kain bis ich zur Tür gekommen war, dann lief er los. Zuerst gingen wir einen langen Flur mit mehreren Türen entlang. Dann bogen wir ab und befanden uns vor einer breiten Treppe. Sie war aus Marmor, doch ein schwarzer Teppich war in ihrer Mitte ausgerollt. Sie führte nach unten, in eine Empfangshalle. Die Wände waren mit Gemälden geschmückt und an der Decke hing ein großer Kronleuchter, dessen Steine das Licht reflektierten. Kains Körperhaltung war die ganze Zeit entspannt. Ihm schien es nichts auszumachen, mir den Rücke zuzukehren. Ich schien keine Gefahr für ihn zu sein. Hätte er von mir verlangt, vor ihm zu laufen, wäre ich keine Sekunde entspannt gewesen. Vier Durchgänge in Form von Bögen führten in anderen Räume. Kain strebte den zweiten von links an. Mein Blick huschte zu der einzigen Tür in der Halle. Sie war groß. Sicherlich der Eingang. Ein Stromschlag durchfuhr mich und bevor ich wusste, was ich tat, rannte ich los. Obwohl meine Beine immer noch unsicher waren, verrieten sie mich nicht. Zumindest diesmal. Eher nebenbei hörte ich Kain fluchen, doch ich war bereits bei der Tür. Überraschend sicher griff ich nach dem Griff und öffnete ihn. Als die Tür tatsächlich aufging, konnte ich mir ein Schluchzer vor Freude nicht verkneifen. Ohne auf die Schritte hinter mir zu achten, rannte ich weiter. Vor mir befand sich eine Treppe, welche in einen Hof mit Brunnen führten. Eilig rannte ich sie herunter. Hoffte, dass ich nicht stolpern würde. Und bekam nicht mit, dass Kain stehen blieb. Denn gerade als ich am Brunnen ankam, packte mich jemand am Arm. "Nein!", entfuhr es mir. Verzweifelt versuchte ich mich zu befreien, doch der Griff war zu fest. Mich hatte ein anderer Mann erwischt, der anscheinend draußen gewesen war. Erneut machte ich Anstalt frei zu kommen, doch Kain kam auf uns zu und packte mich. Mit einem Ruck zog er mich an sich. Hart prallte ich gegen seine Brust. "Was sollte das?", zischte er. Sein Gesicht war vor Wut verzogen. Obwohl ich wusste, dass das nichts brachte, drückte ich mich von ihm fort. Ich kam keinen Zentimeter weit. "Lass mich los" Mehr als ein Schluchzen bekam ich nicht heraus. Mein Atmen rasselte und das dumpfe Pochen von zuvor war zu einem schmerzhaften Hämmern geworden. Das plötzliche Adrenalin ließ nach. Kain achtete nicht auf meinen Einwand, sondern legte seinen Arm um meine Hüfte und hob mich hoch. Meine Füße schwebten nun in der Luft. "Nein!" Irgendwie brachte ich die Energie zu schreien auf. "Hilfe!" Mittlerweile waren meine Hände frei und ich hämmerte mit ihnen gegen seinen Arm, der sich noch immer um meine Mitte befand. Kain schien das kaum zu bemerken. Mit gezielten Schritten ging er Richtung Tür. "Lass mich los! Sofort!", versuchte ich weiterhin. "Bitte, ich -" Plötzlich schnappte ich nach Luft. Kain spürte die Veränderung sofort und setzte mich ab. Ich bekam noch seinen fragenden Blick mit, dann beugte ich mich nach vorne und übergab mich direkt auf seine Schuhe. "Ach du scheiße", sagte jemand und klang dabei überraschend belustigt. Mein gesamter Mageninhalt schien aus mir herauszuwollen. Tränen brannten in meinen Augen. Das Würgen raubte mir sämtliche Energie. Gerade als ich dachte, nach vorne zu kippen, spürte ich Hände an meiner Hüfte. Dann nahm jemand meine Haare aus dem Gesicht und hielt sie fest. "Alles ist gut. Lass es raus." Die Person war niemand anderes als Kain. Ich würgte und würgte, bis mein Magen nichts mehr beinhaltete. Schluchzend holte ich Luft. "Fertig?" Seine Stimme war sorgenvoll. Mehr als ein Nicken brachte ich nicht zustande. Kain legte seinen Arm unter mein Knie und hob mich hoch. Obwohl mir das gar nicht gefiel, konnte ich nichts anderes machen, als es zuzulassen. Ich war einfach zu erschöpft. Müde lehnte ich meinen Kopf gegen seine Brust. "Ruh dich aus. Dein Körper hatte gerade genug Aufregung", sagte er zu mir. Er schein seine Wut komplett vergessen zu haben. Oder dass ich versucht hatte, zu fliehen. Doch Kain hatte recht. Mein Körper konnte nicht mehr. Er schmerzte, war schwach und brauchte Ruhe. Doch ich musste doch hier wegkommen. Irgendwie schaffen, Hilfe zu holen. Damit sie meine Mu- Meine Gedanken wurden von der Müdigkeit gedämpft. Es wurde immer schwerer meine Augen offenzuhalten. Und dieses Pochen in meiner Stirn. Als würde es versuchen, jeden Millimeters meines Körpers einzunehmen. Vielleicht hatte Kain recht. Vielleicht sollte ich einfach schlafen.
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