Szene 4

1285 Words
Er war schwer gewesen, doch irgendwie hatte sie es geschafft den bewusstlosen Mann auf die Couch in dem verlassenen Lagerhaus zu tragen. Normalerweise traf sie sich hier mit ihren Rebellenkolleginnen, doch heute war sie alleine hier. Hatte überlegt, was sie tun konnte. Welche Aktion sie als nächstes durchziehen wollten, um die gefangenen Männer aus dem Zuchthaus zu befreien. Denn niemanden sollte es so ergehen, wie diesen Menschen dort. Ja, sie waren nicht weniger wert als sie. So dachte sie zumindest schon lange und so hatte sie den nackten Körper des Flüchtlings zugedeckt, damit er nicht noch mehr auskühlte und er so vielleicht an der Kälte noch verstarb. Jetzt wartete sie darauf, dass er wieder aufwachte. Sie hatte die Wachen vorbeilaufen hören, doch sie waren nicht hierher gekommen. Niemand kam hierher. Die Tür war verriegelt und alle Fenster intakt aber gänzlich verdreckt, so dass man nicht hinein sehen konnte. Das perfekte Versteck. Für sie, ihre Gruppe und diesem Mann, der nun vor ihr lag. Sie musste ihn ansehen. Sein ruhiges Gesicht und diese schon fast entspannten Züge. Das schwarze Haar war kurz, aber fiel dennoch neckisch nach vorne und verdeckte ein bisschen seine Augen. Er war groß. Um einiges größer als sie selbst, doch dadurch dass er so dürr war, wog er kaum etwas. Zu wenig für seine Körpergröße. Sie irritierte das metallene Gestell um den p***s des Mannes. Sein einziges Kleidungsstück und sie verstand nicht wozu es dienen sollte, vor allem nachdem man dennoch befürchtete, dass er jemanden vergewaltigen könnte. Aber doch nicht mit diesem Maulkorb um seine Männlichkeit, oder? Plötzlich kam Bewegung in den nackten Körper und sie spannte sich leicht an. Sie hatte schon jahrelang nichts mehr mit Männern zu tun gehabt. Das letzte Mal war schon über zwanzig Jahre her, sodass ihr diese Begegnung von damals eher wie ein Traum vorkam. Wie sollte sie mit ihm reden? War er wirklich so gefährlich wie die Regierung ihr weismachen wollte? „Aua“, stöhnte er und begann sich langsam aufzurichten. Dabei rutschte die Decke hinunter auf sein Becken und sie erkannte erneut wie dürr dieser Mensch war. Sie spürte, wie sie ihn für seine Flucht bewunderte. Er schien in so schlechter Verfassung zu sein, dass es einem Wunder glich, dass er überhaupt laufen konnte. Sie konnte bei der richtigen Bewegung von ihm all seine Knochen zählen. „Wo? Wo bin ich?“ Er sah sich kurz um, doch als sein Blick auf ihr zum Liegen kam, verkrampfte sich sein Körper sofort und er schnellte empor. Dabei rutschte die Decke gänzlich von ihm und er stand erneut nackt vor ihr, wodurch sie leicht beschämt ihren Blick senkte. Konnte er denn gar keine Scham empfinden? Warum bedeckte er seine Blöße nicht? Im nächsten Moment wollte er schon an ihr vorbeieilen, doch sie griff sofort nach seinem Handgelenk und stoppte ihn so. Ihre Blicke trafen sich und sie spürte wie sie in seinen wunderschönen blauen Augen versank. Wenn man von seiner dürren Gestalt absah, war er durchaus ein schöner Mann und sie schleckte sich ohne es selbst direkt zu merken genüsslich über die Lippen. „Du bist an einem sicheren Ort. Hier werden sie dich nicht finden und ich habe nicht vor dich zu verraten. Mein Name ist Tia. Bitte setzt dich und deck dich zu sonst erfrierst du vielleicht noch.“ Sie lächelte ihn an und es dauerte einige Sekunden bevor die Panik langsam aus seinen Augen verschwand und er sich dann wieder auf die Couch niederließ. Kurzerhand bückte er sich nach der Decke und wickelte sich wieder in sie ein, bevor er Tia erneut unsicher ansah. Sie wusste auch nicht, was sie am Besten taten, doch sie musste ihm helfen, als sie mitbekam, dass er auf der Flucht war. Ihre Handlung war impulsiv und ohne auch nur eine Sekunde darüber nachgedacht zu haben. Lange schwiegen sie sich an, während sie sich ruhig musterten. Tia spürte, dass sie sich anders in der Nähe des Mannes fühlte. Anders als sie sich jemals bei einer Frau gefühlt hatte. Sie wollte ihm nahe sein. Umso vieles näher als je einer Frau. Was waren das für Gefühle? „Du bist aus dem Zuchthaus geflohen, nicht wahr?“ Sie wollte ihre Gedanken unterbrechen und begann somit eine eher oberflächige Unterhaltung, doch der Mann schien nicht darauf anspringen zu wollen, denn er schaute sie weiterhin direkt und offen an. Tia begann sich dadurch langsam unwohl zu fühlen. Desto länger er sie ansah, umso schlimmer wurde dieses Gefühl und sie musste sich räuspern. „Wie ist dein Name?“ Vielleicht würde ihn ein etwas normaleres Thema zum Reden bringen. Er hob irritiert die Augenbraue, bevor er sich kurz räusperte. „Ich habe keinen Namen. Was ist das?“ „Ein Name ist etwas, womit man angesprochen und gerufen wird.“ Sie lächelte sanft. Irgendwie war es süß, wie er so etwas Einfaches nicht wusste. Als würde er die Welt, in die er gerade gestolpert war, gar nicht kennen. „Dann ist er wohl 6357.“ Es irritierte Tia kurz, dass er ihr eine Zahl nannte, doch dann machte sie sich seiner Umstände bewusster. Im Zuchthaus waren sie nur Erzeuger. Sie durften nur leben, weil die Wissenschaft es noch nicht geschafft hatte aus zwei Eizellen einen Embryo zu erschaffen. Zumindest nicht so unkompliziert, wie der Fakt, dass man Männer hielt und ihr Sperma zur Befruchtung hernahm. Tia hatte den Brief - oder auch die Einladung wie man sie gerne nannte - schon seit Jahren auf ihrem Tisch liegen. Doch sie sträubte sich gegen die Vorstellung auf diese Weise ein Kind zu bekommen. „Das ist kein Name, sondern nur eine Zahl. Hat man dir niemals einen richtigen Namen gegeben?“ Er tat ihr so unendlich Leid, wie er da saß und die Welt, in die er geflüchtet war, gar nicht richtig verstand. Konnte es sein? War er verkauft worden? „Nein, seit ich denken kann, lebe ich im Zuchthaus und wurde immer nur mit dieser Nummer angesprochen.“ Er betonte das Wort so komisch, als würde es für ihn wie von einem anderen Stern klingen, was Tia noch einmal sanft lächeln ließ. „Das ist schade. Aber wir können uns über deinen Namen noch ein anderes Mal Gedanken machen. Ich habe hier ein paar Klamotten, die dir vielleicht passen könnten. Bitte nicht wundern, aber es ist ein Kleid. Am Besten solltest du wie eine Frau wirken. Dann können wir dich bestimmt bald an einen sicheren Ort schaffen.“ Sie legte ihm das besagte Kleidungsstück und eine dicke Strumpfhose auf die Couch, bevor sie dann ein Paar Winterstiefel vor seinen Füßen abstellte. „Ich hoffe, dass dir alles passt. Auch habe ich ein bisschen was zum Essen gemacht. Es ist nur eine Dose Linsen, aber für den Anfang wird es reichen.“ Er sah sich die Sachen an, bevor er dann langsam begann die Kleidung anzuziehen. Dafür brauchte er mehrere Anläufe und am Ende musste ihm Tia sogar helfen. Er wirkte mit jeder Sekunde, die verstrich, mehr wie ein unbeholfenes Kind. Man hatte ihm niemals das Leben beigebracht. Nur das nötigste, damit er nicht verhungerte. Das wurde Tia bewusst und kurz fragte sie sich, wie er wohl gelebt hatte. All die Jahre. Nur als Nummer. Einer von vielen. In der Gesellschaft nichts wert. Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszubekommen, bevor sie ihm dann die Dose reichte und er schon zu essen begann. Ruhig beobachtete sie ihn dabei. Irgendwie war sie stolz auf ihre Tat. Sie konnte diesen Mann aus den Klauen der Regierung befreien. Klar, es war erst einer, doch man musste klein anfangen. Irgendwann würden es noch mehr werden. Immer mehr und Tia wusste, dass sie es schaffen würde. Sie würde dafür kämpfen, dass die Männer endlich wieder frei sein würden...
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