Szene 5

1621 Words
Ihre Hände lagen sanft ineinander. Das Kleid schmiegte sich eng um seinen Körper und ein leises Rauschen erfüllte den Raum. An jedem Stehtisch standen Frauen. Manche im Anzug, doch die meisten unter ihnen trugen Kleider. Eng anliegend oder weit und ausladend. Schlicht und elegant oder pompös und auffallend. Bunt oder einfarbig. Freizügig oder hoch geschnitten. Er fühlte sich nie wirklich gut bei solchen Veranstaltungen, doch seine Frau musste sich immer mal wieder dort blicken lassen. Sie war im Vorstand einer großen Firma und so waren solche Veranstaltungen an der Tagesordnung. Dennoch hasste er es. Nervös zupfte er an dem engen Kleid und versuchte seine falschen Brüste ein wenig in Ordnung zu bringen, während seine Frau neben ihm im Anzug da stand. So war ihre Verteilung schon immer. Sie mochte Kleider nicht. Er auch nicht, aber er musste. Niemand durfte wissen, dass er ein unkastrierter Mann war. „Guten Tag, Frau Bauer.“ Sie wurden angelächelt und man schüttelte ihre Hand. Er sah schon lange nicht mehr in ihre Gesichter. Sie waren alle gleich. Niemand wirkte irgendwie authentisch. Alle führten sie ein Stück auf, dessen Drehbuch ihm unbekannt war. Er hasste es, dennoch lächelte er und hielt weiter die Hand seiner Partnerin. „Guten Tag, Frau Sperr.“ Auch sie lächelte falsch. Das war alles nur eine riesige Scharade. Sehen und gesehen werden. Es ging um nichts anderes und so blieb er still und folgte brav seiner Gefährtin. Lässt sich führen und war wie ein Schatten hinter ihr. Warum musste er hier sein? Wieso konnte sie nicht alleine gehen? Er hasste es so sehr. Erneut zupfte er an seiner Kleidung und seufzte schwer. Das konnte doch nicht wahr sein. Alles zwickte und engte ihn ein. Jetzt bekam er auch noch einen bösen Blick von seiner Frau, wodurch er beschämt den Blick sinken ließ und sich woanders hin wünschte. Hier zu sein war so bescheuert. „Haben Sie es gehört? Vor ein paar Tagen ist ein Flüchtling abgehauen. Wieso kann die Regierung diese Monster nicht endlich ausrotten? Oder man hackt ihnen die Beine ab, wenn man sie schon am Leben lassen muss. Dann können sie wenigstens nicht mehr abhauen.“ Er zuckte unter diesen Worten zusammen und wagte es kaum aufzusehen. Sie drückte seine Hand leicht und bat so um Zurückhaltung. Diese Gespräche kamen immer wieder. Es wurde über die Männer geschimpft und die kürzliche Flucht eines Erzeugers machte es nicht einfacher dieses Thema vielleicht mal nicht anzusprechen. „Sie werden ihn bestimmt bald finden.“ Ein falsches Lächeln legte sich auf ihre Lippen und er seufzte innerlich. Er hoffte, dass dies nicht passierte. Als er die Nachricht damals vernahm, war er auf sonderbare Weise froh darüber. Er freute sich für den Flüchtling und hoffte, dass er irgendwo ein einigermaßen brauchbares Leben führen konnte. Es musste einfach einen Ort geben, an den der Flüchtling fliehen konnte, sonst war doch alles umsonst. „Das möchte ich hoffen. Ich stecke schon all mein Vermögen in die Forschung, dass wir diese Bestien nicht mehr brauchen und man sie endlich von dieser Erdoberfläche tilgen kann, aber leider klappt es nicht so gut, wie ich es gerne hätte.“ Die Frau schimpfte weiter und nur kurz hob er den Blick, um sie anzusehen. Sie war schon älter. Leichte Falten durchzogen ihr Gesicht und zeigten, dass sie nur selten in ihrem Leben gelacht hatte. Das braune, schulterlange, gewellte Haar war vereinzelt von grauen Strähnen durchzogen, was sie noch älter erscheinen ließ. An ihrer Seite war eine recht junge Frau, doch älter als er. Seine Frau und er gehörten sowieso zu den Jüngsten auf dieser Veranstaltung und er begriff bis heute nicht, wie es seine Partnerin geschafft hatte, dass sie so schnell auf so einen hohen Posten kam. „Wir können nicht alle Männchen vernichten. Die Natur hat sich etwas dabei gedacht, dass sie zwei Geschlechter erschuf.“ Seine Frau versuchte das verhasste Geschlecht erneut leicht zu verteidigen, doch in der heutigen Zeit musste man damit vorsichtig sein. Schnell wurde man zu einer Rebellin abgestempelt und das bedeutete nichts Gutes. Es waren schon zu oft Leute verschwunden, die einmal zu viel gut über das verruchte Geschlecht sprachen. „Hat sie gar nicht! Es war nur einfacher für sie! Aber wir werden diese Vergewaltiger und Mörder bald nicht mehr brauchen! Seit wir sie wegsperren ist die Welt viel friedlicher. Wir hätten das schon viel früher machen sollen. Diese Kriegstreiber und Monster. Sie haben doch nur Gewalt in ihrem Kopf. Glauben Sie mir, Frau Bauer, Männer haben es nicht mehr verdient zu leben.“ Wut breitete sich in seinem Körper aus und er drückte instinktiv fest zu. Zerquetsche so fast die Hand seiner Frau, doch er durfte nichts sagen. Nichts sagen. Seine Rolle galt als stumm, damit man seine dunkle Stimme nicht bemerkte. Er würde sie sonst nur unnötig in Gefahr bringen. Außerdem war es nichts Neues. Immer wurde über die Männer geschimpft. Aber jetzt war es doch wieder anders. So viel Hass begegnete ihm selten. Wie Geifer schien er aus dem Mund der anderen Partygäste zu triefen. „Ja, da haben Sie Recht. Es ist wirklich friedlicher jetzt.“ Erneut ein falsches Lächeln und er hielt seinen Blick gesenkt. Er wollte nicht, dass man ihm seine Wut ansah. So sehr hasste er es diesem Blödsinn zu zuhören. Von wegen friedlicher. Unangenehme Menschen verschwanden. Länder wurden infiltriert. Es gab nur keinen offenen Krieg mehr, aber Neid und Hass waren immer noch da. Frauen agierten nur anders als Männer. Hinterhältiger. Verdeckter. Aber die Welt war deswegen noch lange nicht besser. Sie war nur geschminkter. „Der wahre Frieden wird aber erst kommen, wenn wir diese Monster endgültig ausgemerzt haben. Sie haben uns Frauen jahrhundertelang unterdrückt. Uns wie Vieh behandelt. Jetzt bekommen sie endlich die Quittung dafür.“ Sein Griff wurde wieder fester. Wie er diese Argumente hasste. Dieses „Sie haben es ja auch mit uns getan. Das ist jetzt nur Karma.“ konnte er nicht mehr hören. Es klang richtig und war dennoch so unendlich falsch. Propaganda, die ein Fehlverhalten schön redete. Nur einen Sündenbock suchte für etwas, was einfach existierte, weil es die Gefühle auf diesen Planeten gab. Ein einfaches Ruhigstellen der Bevölkerung. Mehr war das nicht. Wenn die Männer alle weg wären, dann würde man einen neuen Schuldigen suchen. Vielleicht ja die Vögel oder die Fische. Das war alles nur noch der reinste Irrsinn. „Auch wenn es damals andere Zeiten waren, aber ja. Man kann sagen, dass sie jetzt bekommen, was sie verdienen.“ Sie log um ihr Leben zu beschützen. Er wusste, dass sie anders dachte, dennoch fühlte es sich so unendlich falsch an. Diese Worte taten jedes Mal weh, wenn er sie von ihr hörte. Immer wieder klammerte er sich bei diesen Gesprächen an sie. Wollte spüren, dass sie ihn dennoch liebte und ihre Beziehung kein Schein war. Schließlich wusste er, wie groß die Gefahr war, in die sie sich selbst brachte. Nur weil sie ihn liebte und ihn somit versteckte. „Ich wusste doch, dass sie richtig denken und nicht eine dieser verqueren Rebellinnen sind. Was erhoffen sie sich denn bitte davon, wenn sie die Männer befreien? Dass die Welt wieder kalt und grausam wird? Vermissen sie die Vergewaltigungen, die Morde und die Kriege? Ihr Handeln ist so lächerlich.“ Frau Sperr schnaubte und nur kurz hob er seinen Blick. Erkannte diese unendliche Abscheu in ihrem Blick und spürte erneut, wie die Wut in ihm zurückkam. Nein, er hatte genauso viel Recht auf ein Leben in Freiheit wie jede Frau, doch auch jetzt schluckte er alle Worte hinunter, während er nur den Griff um ihre Hand verstärkte. Er hasste diese Abende. Alle sprachen sie über den Flüchtling. Darüber dass die Männer sterben sollten. Einer nach dem anderen. Dass man sie nicht mehr brauchte und man sie endgültig von der Welt tilgen sollte. Er wollte nicht mehr hier sein, doch er wusste, dass es noch nicht vorbei war. „Ja, es ist wirklich lächerlich. Ich bin froh, dass die Männer endlich weg sind. Eingesperrt oder man sie umbringt. Es ist so viel schöner. Nur Frauen. Nur Liebe und Wärme.“ Das Lächeln auf ihren Lippen wurde gequälter und er spürte erneut diese Hilflosigkeit in seinem Inneren. Was war damals nur falsch gelaufen? Wieso konnte man jetzt so über sie reden? Da hatte es ja jedes Vieh besser als sie! Ja, jedes Vieh wurde besser behandelt. Ihre Hände glitten auseinander und er starrte weiter auf den Boden. Versuchte diese Ohnmacht in seinem Inneren zu bekämpfen und auch die Wut, die darunter lag, endlich wegzubekommen. Seine Eltern haben ihn immer geliebt, aber er musste schon sein ganzes Leben seine Männlichkeit verstecken. Sonst wäre er gestorben. Diese Worte haben ihn immer begleitet. In jeder einzelnen Sekunde seines Lebens. Plötzlich lag eine Hand in seinem Nacken und als er aufsah, war dort das Gesicht seiner Frau. Sie lächelte ihn kurz an und begann ihn dann sanft aber besitzergreifend zu küssen. So einen Kuss gab es nur ganz selten in der Öffentlichkeit und so irritierte er ihn kurz, doch als sie ihn wieder gehen ließ, glitt ihre Hand zu seiner und umschloss diese. Dann wandte sie sich wieder ihrer Gesprächspartnerin zu und er war wieder mit sich alleine. Was sollte diese Handlung? Er verstand es nicht und dennoch blieb er einfach stehen. Hörte sich weiter die Schimpftiraden über die Monster an und dieser immer wiederkehrende Wunsch, dass sie endlich alle verschwanden. Er wusste nicht, wie lange er neben ihr stand. Ab und an tanzten sie. Dann wurde sich wieder unterhalten. Geschimpft über die Männer und die Wut in seinem Inneren wurde immer stärker. Er war ein Mann! Seine Frau würde gerne ein Mann sein! So schlecht konnten sie also nicht sein! Warum ignorierte das die Welt? Das war so lächerlich!
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