Erneut saß er hinter Gittern, doch dieses Mal waren sie nicht aus Stahl, sondern aus dicken Tierknochen. Er verstand nicht, warum man ihn niedergeschlagen und eingesperrt hatte. Das machte keinen Sinn. Schließlich wollte er nur gehen und seinen Freund befreien. Es wäre doch egal, was mit ihm passierte. Niemals würde er diese Gruppe verraten.
In der Ferne hörte er immer noch die Geräusche der feiernden Männer und langsam wurde ihm schlecht dabei. Wie konnten sie nur so ausgelassen sein? Das ergab doch alles keinen Sinn. Es war lächerlich, dass sie so blind in ihren Untergang liefen. Rick konnte nicht mehr länger hier bleiben.
Plötzlich näherten sich ihm Schritte und ein ihm noch unbekannter Mann trat auf seinen Käfig zu. Ein herber Moschusduft ging von ihm aus, der Ricks Denken fast gänzlich dominierte und er fühlte sich plötzlich so klein. Dies lag aber auch daran, dass der Mann knapp doppelt so breit war, wie er selbst und fast einen ganzen Bären um seinen Körper geschlungen trug. Wer war dieser Mann?
Mit einem Grunzen ließ er sich neben ihn auf den Boden fallen und sah kurz zu der feiernden Meute zurück, bevor er sich an Rick wandte: „Du bist also der Neue hier, hm? Hab gehört, dass du aus dem Zuchthaus ausgebrochen bist. Ganz schön mutig von dir. Bist, so viel ich weiß, auch der Erste, der es bis hierher geschafft hat. Der Rest ist hier schon seit sie als Baby ausgesetzt wurden, darum scheinst du etwas nicht zu begreifen: Wir können nur überleben, wenn niemand von uns weiß. Dort draußen gibt es für einen Mann nur drei Optionen. Erstens, man wird getötet. Zweitens, man lässt sich die Eier abschneiden und glaub mir, das Leben ohne die Dinger macht nur halb so viel Spaß und ist auch nur halb so lang. Drittens, man geht in dieses so genannte Zuchthaus. Klar, wir schwimmen hier nicht im Luxus, aber wir kommen meistens sehr gut über den Winter und haben unseren Spaß miteinander.“
„Das sehe ich.“ Rick funkelte das Oberhaupt kurz an. Er konnte es immer noch nicht verstehen und diese grünen Augen wirkten zwar sehr offen, aber sie ließen eine Brutalität durchschimmern, die Rick so noch nie gesehen hatte. Dennoch wollte er der Bitte des Blondschopfes nicht nachkommen. Es fühlte sich falsch an.
„Du siehst es, aber du verstehst es nicht. Das ist unser Paradies. Wir können tun was wir wollen und so viel s*x haben wie wir möchten. Kaum einer hier sagt nein zu einem kleinen Stell-dich-ein und solange die Frauen dumm genug sind um ihre männlichen Babys an den Waldrand zu legen, werden wir auch immer Frischfleisch haben. Ich weiß, du hast vielleicht den ein oder anderen Kumpel in diesem Zuchthaus, aber auch wenn wir alle das Teil stürmen. Wir werden niemals erfolgreich sein. Und weißt du warum?“
Rick schüttelte auf die Frage hin den Kopf. „Weil wir keine Schusswaffen haben. Okay, wir besitzen Pfeil und Bogen, aber die haben Knarren. Dagegen kommen wir nicht an. Deswegen bleiben wir hier und hoffen einfach, dass die spinnenden Weiber mal wieder zur Vernunft kommen.“
Er lachte auf und Rick sah ihn irritiert an, doch dann schüttelte er kurz den Kopf. „Wer bist du überhaupt?“ Verwirrung begegnete ihn und dann lachte der Mann erneut, bevor er laut klatschen auf seinen Oberschenkel schlug: „Ach? Hab ich das gar nicht gesagt? Das tut mir Leid. Mein Name ist Herbert. Ich bin der Anführer dieser kleinen Gruppe.“
„Aber? Warum? Wir könnten es bestimmt schaffen! Ich weiß, wo die Zellen sind und kann euch dorthin führen! Wir müssen nur schnell sein. Dann könnten wir ein paar retten.“ Rick spürte neue Hoffnung. Vielleicht konnte er diesen Mann ja doch überzeugen, denn wenn er das schaffte, dann würde er auch alle anderen überreden können.
„Und was dann? Dann wissen die Frauen, dass es freilebende Männer gibt! Sie werden Jagd auf uns machen und keiner ist dann mehr vor ihnen sicher! Jeden verdammten Stein werden sie in diesem Wald umdrehen bis sie uns gefunden haben! Außerdem haben wir dann nur ein paar Mäuler mehr, die wir stopfen müssen. Draußen ist Winter. Es liegt Schnee und wir haben gerade mal genug Nahrung um auch dich über die Runden zu bekommen.“
„Man kann doch noch neue Nahrung besorgen“, sprach Rick naiv aus, wodurch ein dunkles Knurren von Herbert kam. Unter diesen Laut wurde Rick noch ein Stück kleiner und versuchte diesem Zorn zu entkommen. Wieso war Herbert plötzlich so sauer?
„Wo denn? Das Wild ist im Schnee ganz schwer zu jagen, weil fast jeder Schritt ein Geräusch erzeugt. Tja, und Früchte? Die gibt es schlichtweg nicht mehr. Sei einfach froh, dass wir dich aufgelesen haben. Schließlich hast du wertvolle Ressourcen von unserem Medikamenten verbraucht.“ Die einst offenen Augen wurden nun zu Schlitzen und Rick spürte, wie sich seine Kehle bedrohlich zusammen schnürte, doch er wollte noch nicht aufgeben, weshalb er schon den Mund zum Protest öffnete.
„Nein! Wir haben dir das Leben gerettet! Sei dankbar dafür und hör auf von uns zu verlangen, dass wir in unseren eigenen Tod rennen für Männer, die wir nicht kennen! Es ist schrecklich was dort passiert, aber wir haben einfach nicht die Mittel dazu. Versteh das doch endlich.“ Herbert holte tief Luft und versteckte kurz sein Gesicht hinter seiner Hand, um sich zu sammeln. Dann erst sah er Rick wieder entschlossen und fest an. „Es ist nicht so, dass wir nicht schon selbst darüber nachgedacht hätten oder gar nicht wollen. Wir können einfach nicht, okay?“
Kurz sah der Anführer zu seinen Leuten und in diesem Moment kam er Rick unendlich sanft vor, doch dann änderte sich plötzlich etwas und als er wieder zu ihm sah, war sein Blick eiskalt. „Solltest du also noch einmal auf die Idee kommen uns zu einer Rettungsaktion anzustiften, dann werde ich dir diesen Gedanken aus dem Hirn vögeln. Aber solltest du auch nur noch einmal versuchen abzuhauen, dann bete, dass du es schaffst. Denn wenn wir dich wieder niederschlagen, wirst du als b***h des Clans aufwachen, mein Lieber.“
Er machte eine Pause, um die Worte wirken zu lassen, bevor er dann wieder breit lächelte und sogar freundschaftlich auf den Schenkel von Rick klopfte: „Also, sei ab morgen ein gutes Mitglied der Gruppe und genieße deine Freiheit. Es ist das Beste für uns alle.“
Herbert erhob sich und ließ Rick mit dem Schock über die Drohungen zurück. Er hätte nicht gedacht, dass diese Gruppe so dachte und er spürte, wie ihm alleine bei dem Gedanken heiß und kalt wurde. Was sollte er tun? Er wollte nicht hier bleiben und ein Leben feiern, dass es nicht wert ist bejubelt zu werden. Auch wollte er seinen Kameraden nicht im Stich lassen, aber wie sollte er abhauen? War das überhaupt möglich? Sobald er die Schutzplane bewegte, wussten doch alle, dass er ging. Ja, solange er hier festsaß, würde er nicht fliehen können. Er musste nach draußen kommen. Sobald er im Wald war, würde sich bestimmt eine Gelegenheit ergeben. Aber was dann? Was sollte er dann tun?
Es war hoffnungslos. Alleine würde er nichts ausrichten können. Er musste diese Gruppe irgendwie dazu überreden in die Offensive zu gehen. Ja, irgendwie musste es funktionieren. Es musste doch möglich sein, oder? Sie mussten sich doch auch nach einem anderen Leben sehen, oder nicht? Warum waren sie dann nicht bereit dafür zu kämpfen? Wieso versteckten sie sich hier? War es wirklich so hoffnungslos?
Rick wollte das nicht glauben und so entschloss er sich dazu sich dieser Gruppe erst einmal zum Schein gänzlich anzuschließen. Vielleicht war es doch noch möglich. Ja, vielleicht würde er irgendwann die Gelegenheit bekommen sie zu überzeugen. Von einem Kampf, der das Leben aller verändern könnte. Wenn sie wollten, dann könnten sie es schaffen. Da war er sich sicher und er würde nicht eher aufhören, bis er sie alle überzeugt hatte. Denn wenn sie diesen Krieg nicht begannen, dann würden sie kampflos untergehen. Da war er sich sicher...