Was sollten sie tun? Viki hat das Kind nicht verloren. Es war immer noch da, aber wenn sie jetzt zum Arzt gingen, dann würde dieser doch Fragen stellen. Außerdem... er sieht doch, wie sie sanft lächelte, wenn sie ihre Hände auf den Bauch legte. Niemals konnte er das von ihr verlangen.
Kim seufzte und trat auf seine Frau zu, die ruhig auf der Couch saß. Er nahm neben ihr Platz und griff nach ihrer Hand, um diese zärtlich zu umschließen. „Viki, du weißt, dass du das Kind wahrscheinlich bekommen wirst, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Aber... ich sehe auch, dass du es nicht mehr kannst. Du willst das Kind zur Welt bringen. Ich verstehe es und fühle wahrscheinlich genauso, aber wir wissen beide, dass wir es alleine nicht schaffen werden.“
Sie sah ihn ruhig an und lächelte immer noch, bevor sie seine Hand nun ebenfalls auf ihren Bauch legte. „Da drinnen ist unser Kind. Ich weiß, dass es Probleme bringen wird und nicht einfach sein wird. Aber auch wenn ich es am Anfang nicht haben wollte, so spüre ich jetzt, dass es ein Fehler wäre es nicht zur Welt zu bringen.“
„Was willst du wegen deiner Arbeit tun? Sie werden irgendwann merken, dass du schwanger bist und dann werden sie Fragen stellen.“ Kim hatte Angst. Er wusste, dass sie alle Drei dadurch sterben könnten. Nur weil sie eine Familie auf die natürlichste Weise gegründet hatten. Aber was sollten sie sonst tun? Er wollte es doch auch nicht mehr verlieren.
„Ich weiß es noch nicht. Vielleicht lasse ich mich krank schreiben. Meine Eltern haben ein schönes Haus auf dem Land. Wir können bestimmt zu ihnen ziehen.“ Sie streichelte über ihren Bauch und Kim merkte, dass sie schon länger darüber nachgedacht hatte. Ihre Pläne waren zu konkret. Aber warum hatte sie dann nie mit ihm darüber gesprochen?
„Wissen sie davon? Hast du mit ihnen geredet?“ Er ließ ihre Hand nicht los und so blieb sie auf dem Bauch liegen. Auch wenn er wusste, dass es noch zu früh war. So war das Gefühl dennoch da. Dort unten wuchs ihr Kind heran. Ein Mensch, der nicht existieren durfte und irgendwie hoffte er, dass es ein Mädchen war. Er wollte nicht, dass sein Kind, das gleiche Versteckspiel spielen musste, wie er selbst. Außerdem war es doch schon kompliziert genug. So wie es nun war.
„Ja, ich habe vor ein paar Tagen mit ihnen telefoniert. Sie wissen ja, dass du ein Mann bist und waren erst überrascht. Dann wurden sie panisch, doch sie würden uns bei sich aufnehmen. Zumindest solange bis wir die Sache mit den Kind legal machen könnten. Auch haben sie mir eine Adresse von einer Ärztin gegeben, die gerne mal ein Auge zudrückt und nicht so ganz hinter dem Regierungssystem steht. Sie ist auch eine gute Freundin deiner Eltern und hat ihnen schon bei deiner Geburt geholfen. Scheinbar tut sie das öfters. Aber... ich habe irgendwie Angst.“ Kim spürte, wie ihre Hände leicht zitterten und er wusste nicht, was er tun sollte.
Er verstand, was in ihr vorging und was ihr Sorgen bereitete. Sobald ein Falscher eingeweiht war, dann würden ihre Leben jetzt und hier enden, doch bei diesem Gedanken erwachte ein anderes Gefühl in ihm und er griff fester nach ihrer Hand, um dann einen Kuss darauf zu hauchen. Sein Herz fühlte sich unsagbar leicht an. Alles, was er brauchte, um glücklich zu sein, war hier. Hier vor ihm und beide Herzen schlugen noch.
„Es gibt für mich kein Leben ohne euch Zwei. Ich würde lieber sterben, als das Kind herzugeben. Sollte die Ärztin wirklich nicht mehr auf unserer Seite sein, dann sehe ich unseren Tod als ein Zeichen. Vielleicht wacht die Welt dadurch endlich wieder auf. Es könnte die Möglichkeit sein die Frauen wieder aus ihrer Starre zu befreien und wenn sie mit uns an einem Strang zieht, umso besser. Dann können wir eine schöne, kleine Familie werden. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod, Viki. Jahrelang hatte sie mich zurückgehalten. In mein Zimmer gesperrt und mein Leben in ihren kalten Klauen gehabt. Doch jetzt bin ich bereit es zu riskieren. Wir müssen dieses Kind bekommen und dazu gehört auch, dass wir eine Ärztin zur Hilfe brauchen. Ruf sie an, Viki. Wir können dabei nicht verlieren.“
Er wusste nicht, woher er diese Selbstsicherheit nahm, doch sie war da und vertrieb alles aus ihm. Für ihn war nur noch eine Sache wichtig: Das Kind musste die Chance bekommen leben zu dürfen. Klar, sie könnten es unbemerkt zur Welt bringen, aber was dann? Es würde nirgends gelistet sein. Immer nur ein Geist in der Gesellschaft. Aber das wollte er nicht. Er wollte, dass sie auf die Schule gehen konnte. Freunde finden. Ein Leben führen konnte und dafür brauchten sie die Hilfe einer Ärztin, die für sie die Papiere fälschte. Die Geburt in das Register schmuggelte ohne das auffiel, dass es nie zu einer kontrollierten Schwangerschaft kam. Das konnten sie nicht alleine und er wünschte keinem Kind so ein Leben wie sich selbst.
„Was tun wir, wenn es ein Junge ist?“ Vikis Stimme zitterte, doch auch da lächelte Kim und strich sanft über den Bauch. „Wir werden ihn lieben und großziehen. Denn auch als Junge kann man in dieser Gesellschaft überleben.“
Sie lächelte ihn an und strich sanft über seine Wange, bevor sie ihn küsste und ihre Stirn gegen seine legte. Alles in ihm schrie vor Glück, aber tief in seinem Inneren hoffte er, dass in Vikis Bauch ein Mädchen heranwuchs. Es musste so sein. Diese Welt war so schon kompliziert genug, aber als Junge hatte er ja fast keine Chance ein normales Leben zu führen. Wieso? Warum passierte das Alles?
Er umarmte Viki und klammerte sich dabei an sie. Nie wieder wollte er sie verlieren. Sie war sein Fels in der Brandung und sie ermöglichte ihm ein Leben, das er früher nie hatte. Auch wenn er in der Öffentlichkeit immer noch ein Scheinleben führte, so wusste er, dass auch sie nicht das Leben führen konnte, was sie sich wünschte. Denn das Leben als Mann war verbunden mit verkürzter Lebenserwartung oder ein Dasein hinter Gittern und für eine Frau, die ein Mann sein wollte, gab es kein Verständnis mehr.
„Wir schaffen das. Ich liebe dich“, flüsterte er in ihr Ohr und küsste es sanft, wodurch sie sich näher an ihn drückte. Einige Herzschläge hielten sie sich nur fest, bevor ihre Stimme leise erklang und eine Gänsehaut über seinen Rücken schickte: „Ich liebe dich auch. Hoffentlich...“