Szene 28

1048 Words
Sie sahen nur Umrisse. Der Mondschein ging unter im Licht der Straßenlaternen, während jede von ihnen eine Rolle mit Plakaten unter den Arm hielt. Black Beauty bestrich die Wände mit Kleber, während die anderen die Plakate anbrachten. Keiner wagte es auch nur zu sprechen. Tia selbst war mit Thundercat woanders unterwegs. Sie hatten ihre Umhängetaschen mit Flyer gefüllt. Ein paar Mädels aus den anderen Organisationen hatten wieder ihre Hilfe angeboten und huschten nun auch durch die Straßen. So wenig Last wie möglich, aber so viel wie nötig. Immer wieder stoppten sie an den Briefkästen. Schmießen ihre Flyer hinein und gingen weiter. Sie wollten die anderen Frauen aufrütteln. Ihnen zeigen, was wirklich passierte. Mit Bildern von hingerichteten Frauen und den Männern in Gefangenschaft. Eigentlich waren sie bekannt, doch alle sahen weg. Hoffentlich ging das nun nicht mehr, da sie es direkt in ihrem Briefkästen hatten. Immer wieder sah Tia zu Thundercat, deren Miene unbeweglich blieb. Noch nie hatte sie verstanden, was ihre Beweggründe war. Alle teilten sie ungefähr das gleiche Schicksal. Sie waren mit Jungen aufgewachsen und verloren sie und ihre Familie an die Regierung. Aber bei ihr? Noch nie hatte Thundercat darüber gesprochen. „Immer wieder seht ihr mich so an.“ Thundercats Stimme war ruhig und Tia erschrak kurz, als sie diese hörte. Wie war das möglich? Sie hatte doch aufgepasst, dass ihr Starren nicht auffiel. Scheinbar war sie doch nicht so subtil wie sie immer gedacht hatte. „Es tut mir Leid. Ich habe mich...“ Tia konnte nicht weitersprechen, denn Thundercat unterbrach sie sofort: „Ich weiß. Ihr macht euch immer Gedanken, warum ich diese Organisation gegründet habe. Wieso ich die Männer befreien möchte? Was meine Geschichte ist? Nun ja, sie ist sehr unspektakulär und unterscheidet sich kaum von euch anderen. Auch meine Eltern wurden hingerichtet, weil sie einen Jungen versteckt hielten. Aber anders als bei euch, war dieser Junge ich.“ Tia traute ihren Ohren nicht und sah Thundercat verwundert an. Immer wieder glitt ihr Blick an seinem Körper hoch und runter. Dort war nichts, was sie vermuten ließ, dass sie ein Mann war. Nur die Stimme wirkte ein wenig tief, aber auch nicht so sehr, dass sie sofort daran gedacht hätte. „Aber... aber warum bist du nicht im Zuchthaus oder tot?“ Tia verstand es nicht. Das ergab alles keinen Sinn. Schließlich wurden die geschnappten Jungen allesamt getötet oder weggeführt. Wie konnte Thundercat dann frei sein? Das ergab für sie keinen Sinn. „Weil ich fliehen konnte.“ Thundercat verteilte weiter die Flyer und Tia versuchte immer noch auf diese Offenbarung klar zu kommen. Warum hatte er das nicht schon viel früher gesagt? Hatte er Angst, dass man ihn verraten würde? Sie waren doch alle für freie Männer. Warum hatte er ihnen nicht vertraut? „Meine Eltern wurden mit mir zusammen weggeführt, jedoch konnten sie sich kurz bevor man uns in die Fahrzeuge verfrachtete losreißen und überwältigten die Wächterinnen, die mich festhielten. Wir wollten alle fliehen und rannten los. So schnell es ging. Sie waren immer hinter mir. Die Wächterinnen begannen zu schießen. Ich wollte mich umdrehen, doch meine Mütter meinten, dass ich immer weiterlaufen sollte und ja nicht zurück sehen. So konzentrierte ich mich auf mein Ziel und rannte und rannte. Immer mit dem Gefühl, dass sie direkt hinter mir waren.“ Er stoppte und schwieg. Tia ahnte, wie es weiterging, doch sie wollte es hören um Gewissheit zu haben. Alles in ihr brannte darauf, dass er weitersprach, doch es kam kein Wort mehr von ihm und so gingen sie zu den nächsten Häusern. Sie schwiegen so lange, dass Tia innerlich schon fast durchdrehte. Sie wollte ihn packen und anbrüllen, dass er weitersprach, doch sie hielt sich zurück. Erst nachdem sie schon drei Wohnblöcke weiter waren, durchbrach er wieder das Schweigen: „Ich stoppte erst, als ich bei guten Freunden ankam, die von unserem Geheimnis wussten. Sofort ließ man mich rein, doch als ich mich zu meinen Müttern umdrehte, waren sie nicht mehr hinter mir. Ich wartete stundenlang. Die gute Freundin ließ es geschehen. Sie akzeptierte, dass ich vor der Wohnungstür saß und darauf wartete, dass meine Mütter klopften. Der Tag verging und es rührte sich nichts. Ich wusste es schon in dem Moment, als ich alleine über die Schwelle getreten war, doch ich wollte es nicht wahrhaben. Sie hatten mich all die Jahre versteckt und dabei ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Nur um es am Schluss dann doch wegen mir zu verlieren.“ Thundercat schwieg wieder und Tia spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals. Sie wollte etwas sagen, doch sie wusste selbst, dass es dafür keine Worte gab. Keinen Trost, der diese Schuld von einem nahm. Schließlich hatte sie es selbst erlebt. All die Jahre seit diesem einem Tag, als ihr Versteck aufflog. Niemals würde diese Last verschwinden. Man musste nur lernen damit zu leben. Sie zu tragen und in der Nacht aus den Gedanken zu sperren. Erneut waren sie drei Häuser weiter, als sie schließlich eine Hand auf seine Schulter legte und sanft zudrückte. Sie wollte, dass er wusste, dass er nicht alleine war. All ihre Kameradinnen würden immer hinter dieser Bewegung stehen und gerade holte sie Luft um etwas zu sagen, als plötzlich drei Wächterinnen an ihnen vorbeiliefen. „Da lang. Die Idiotinnen plakatieren die Stadt. Wir müssen sie einfangen und die Sachen entfernen, bevor es jemand sieht!“ Sofort erstarrte Tia und sah den rennenden Frauen hinterher. Auch Thundercat versteifte sich neben ihr, doch dann ging er weiter ohne auch nur zurück zu sehen. Kurz zweifelte Tia an seiner Kameradschaft, bevor ihr bewusst wurde, dass es sinnvoll war. Sie mussten ihre Aktion beenden und wenn sie alle geschnappt wurden, halfen sie niemanden mehr. Mit diesen Gedanken senkte auch sie ihr Haupt und folgte ihm. Immer wieder Flyer in die Briefkästen schmeißend, während man klang heimlich die Umgebung im Auge behielt. Die Frauen mussten endlich aufwachen. Es musste sich etwas ändern und das besser gestern als heute. Damit solche Schicksale wie die ihrigen nie wieder geschahen. Denn kein Kind sollte die Familie verlieren, die es lieben und behüten wollte. Schutz sollte nicht bestraft werden und auch die Liebe zum Leben sollte nicht unter Todesstrafe stehen. Sie mussten alle aufwachen. Verstehen, was hier geschah. Bevor es zu spät war und sie vielleicht am Ende sogar noch alle töteten...
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