Kapitel Zwei

1193 Words
Sofias Perspektive Seine Augen verdunkelten sich, wurden hart; ich konnte sehen, dass er seine Wut nur mit Mühe zurückhielt. Ich fragte mich, an welchem Punkt ich etwas übersehen hatte. Wie konnte jemand, der noch vor wenigen Minuten völlig normal gewesen war, jetzt so aggressiv und frustriert mit mir sein? Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. „Gibt es etwas, das du mir hier nicht sagen kannst? Willst du, dass wir woanders hingehen und in Ruhe darüber reden?“ fragte ich vorsichtig und griff nach seiner Hand – doch er riss sie mir grob weg und stieß mich zurück, sodass ich fast das Gleichgewicht verlor. „Halte dich von mir fern!“ fuhr er mich an, als wäre ich eine Krankheit, die ihn anstecken könnte. Fassungslos starrte ich ihn an, den Mund leicht geöffnet. Inzwischen kam Vivian näher, ein spöttisches Lächeln im Gesicht. Ehrlich gesagt, sie sah nicht schlecht aus – frisches Blut, jung, voller Energie. Ich hatte sie, glaube ich, schon ein paar Mal flüchtig gesehen, aber niemals hätte ich mir vorgestellt, sie hochschwanger und an meiner Stelle an meinem Hochzeitstag zu sehen. „Ich meine es ernst, Sofia.“ Lucas’ Tonfall war fest, ohne den Hauch von Verspieltheit, den er eben noch gehabt hatte. „Das muss ein Irrtum sein; das ist ein Fehler“, flüsterte ich, unfähig zu akzeptieren, was sich gerade vor meinen Augen abspielte, und hoffte verzweifelt, dass alles nur ein Missverständnis war. „Du liebst mich, Lucas. Das hast du mir schon eine Million Mal gesagt. Sogar vor ein paar Minuten hast du mir noch gesagt, dass du mich liebst.“ „Du bist so dumm und naiv!“ spie er mir entgegen, seine Augen bohrten sich in meine, als wollten sie mir etwas anderes mitteilen – etwas, das ich die ganze Zeit übersehen hatte. „Von Anfang an war unsere Beziehung ein Vertrag – seit über zehn Jahren.“ Nein! Evelyns Worte konnten nicht wahr sein. Das alles konnte nicht nur deshalb geschehen, weil ich Lucas mein Hochzeitskleid vor der Trauung gezeigt hatte. „Wach auf, Sofia!“ Um seinen Punkt zu unterstreichen, tippte er mir leicht auf die Wange und seufzte. „Ich kann nicht bei dir bleiben – schon gar nicht, nachdem ich dir die Frau gezeigt habe, die ich wirklich liebe, die mein Kind unter ihrem Herzen trägt.“ „Aber ich kann doch auch dein Kind tragen. Und woher willst du so sicher sein, dass du wirklich der Vater ihres ungeborenen Kindes bist?“ Er lachte kurz, spöttisch. „Sei nicht lächerlich. Da kann ich mich nicht irren.“ Vivian schlenderte zu mir, den Brautstrauß fest in der Hand, als hätte sie jedes Recht, ihn zu halten. Sie lächelte mich an, doch es war ein kaltes, bösartiges Lächeln. Ich konnte nichts tun, außer sie anzustarren und mir zu wünschen, alles wäre anders. Die Alternative wäre gewesen, mich auf sie zu stürzen – und ich wusste genau, was der Rat dann mit mir machen würde. Mein Herz zerbrach in tausend Stücke, und allein der Gedanke, sie wieder aufzusammeln, war zu mühsam. Jeder Knochen in meinem Körper fühlte sich schwer an, und die Enge in meiner Brust schnürte mir den Atem ab. Ob er meine Verzweiflung nicht bemerkte oder sie einfach ignorierte, wusste ich nicht – doch Lucas’ Blick suchte den eines Wächters, der am Rand der Szene stand. „Bringt mir meine wahre Braut her“, befahl er mit einer Stimme, die durch die Halle hallte. Das Flüstern kehrte zurück, diesmal schneller und lauter, als die Wachen auf Vivian zugingen und sie sanft an meinen Platz vor dem Rudel führten – mich dabei jedoch grob zur Seite stießen. Ein erschrockener Laut entfuhr mir, doch Lucas beachtete mich nicht im Geringsten. Stattdessen schenkte er seiner Geliebten und ihrem runden Bauch ein Lächeln, als sie einander zugewandt standen. Mein Blick fand leicht den meiner besten Freundin, die mitten in der Halle stand. Ihre Augen waren voller Zwiespalt – ich konnte die Sorge sehen, den Schock, das Zögern in ihren Schritten. Und doch konnte sie sich nicht bewegen. In diesem Moment betrachtete mich jeder Einzelne im Raum als Feind. Ich war von meinem eigenen Gefährten, der Liebe meines Lebens, verstoßen worden. Ich würde ausgestoßen werden, und wenn Evelyn nur den kleinsten Schritt zu mir machte, würde sie gleich mit hinausgeworfen werden. Evelyn setzte gerade einen Schritt in meine Richtung, als Lucas laut verkündete: „Es soll heute, vor dem gesamten Rudel und den Ältesten des Rates, festgehalten werden: Wenn Vivian oder meinem ungeborenen Kind, das eines Tages Alpha dieses Rudels sein wird, irgendetwas zustoßen sollte, wird Sofia dafür verantwortlich gemacht.“ „Nein!“ schrie ich, meine Knie gaben nach, und ich brach zu Boden. Der Schmerz fuhr wie Feuer durch mich – ein Schmerz, der weit tiefer ging als jeder körperliche. Ich versuchte erneut, meine Wölfin zu erreichen, und endlich drang Lyla’s leise Stimme zu mir durch. „Du kannst nichts dagegen tun, Sofia“, flüsterte sie und hielt mich davon ab, weiter gegen Lucas’ Entscheidung anzukämpfen. Ich konnte nicht glauben, dass er all die Zeit, in der er mir sagte, er liebe mich, bereits eine andere Frau hatte – lange genug, um sie schwanger zu machen und ihr meinen Brautstrauß zu übergeben. Evelyn rannte auf mich zu, Panik in jedem ihrer Schritte. Sie legte ihre Arme um mich und flüsterte beruhigende Worte in mein Ohr. „Du darfst jetzt nicht zusammenbrechen, Sofia. Das ist nur…“ Schluchzen schüttelte mich, als ich die erste Träne über mein Gesicht rollen ließ. Etwas in Evelyn zerbrach, als sie das sah. Sie sprang sofort auf und ging auf Vivian zu. Die Wachen waren schnell, aber nicht schnell genug für meine beste Freundin. Sie versuchte, den Strauß aus Vivians Händen zu reißen, zerrte daran. „Wie konntest du uns das antun?“ rief Evelyn mit brechender Stimme. „Sofia ist dazu bestimmt, die Luna dieses Rudels zu sein – nicht du!“ „Lass sie sofort los!“ befahl Lucas, doch Evelyn hörte nicht auf ihn. „Du kannst ihr nicht den Mann stehlen und dann auch noch ihren Strauß – findest du nicht?“ Sie war außer sich vor Wut. Ich versuchte, sie um ihrer eigenen Sicherheit willen zu rufen, doch nichts konnte sie aufhalten. Wir waren unser ganzes Leben lang Freundinnen gewesen, und Evelyn hätte ihr Leben für mich gegeben. Die Wachen griffen ein, rissen Evelyn von Vivian weg und warfen sie zu Boden – direkt neben mich. Sie sah mich mit so viel Schuld in den Augen an, als hätte sie versagt, mich zu beschützen. Doch keine Sekunde glaubte ich, dass dies ihre Schuld war. „Das ist falsch“, brachte Evelyn heiser hervor, während Tränen ungehindert über ihr Gesicht liefen. „Meine beste Freundin hat nichts getan, um so etwas zu verdienen – und das wisst ihr alle. Ihr wisst es genau.“ Sie warf den Ältesten des Rates einen anklagenden Blick zu, doch keiner wagte es, sich gegen den Alpha des Snowflake-Rudels zu stellen. Im Gegenteil – sie sahen mich an, als hätten sie mich noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen. Und das ließ mich bis ins Mark erschauern.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD