Kapitel Vier

1480 Words
Sophias Perspektive Ich rannte, so weit mich meine Beine tragen konnten, nicht bereit, zurückzubleiben und mich dem Drama zu stellen. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass so ein Tag kommen würde. Es war das Letzte, womit ich gerechnet hatte. Mein eigener Gefährte, der mich an unserem Hochzeitstag zurückweist – das war zu viel, um es zu ertragen. Diesen Schmerz würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen. Es war mir egal, was nun passieren würde. Ich wollte einfach nur weg von hier, weit, weit weg. Vielleicht hätte ich es kommen sehen müssen, zumal meine Schwiegermutter mich nie wirklich gemocht hatte. Ich hatte gehofft, dass ich sie nach der Bindungszeremonie für mich gewinnen könnte. Doch anscheinend war ich die Einzige, die von einer glücklichen Familie träumte. Ich kann in diesem Rudel nicht bleiben – nicht nach allem, nicht nach dieser Demütigung. Ich wusste nicht, was mit Evelyn passieren würde. Ich hoffte nur, dass es ihr gut gehen würde. Ich betete, dass sie meinetwegen nicht in Schwierigkeiten geraten würde. Ich lief weiter durch den Wald. Ich wusste nicht, wie lange schon – Minuten oder Stunden. Schließlich blieb ich stehen. Meine Kehle war trocken. Ich brauchte Wasser. Ich sah mich um, in der Hoffnung, irgendwo einen Fluss zu finden. Ich ging weiter, meine Beine schwer, müde und benommen inmitten der Bäume. Dann hörte ich es – das Heulen eines Streuners. Panik schoss durch meinen Körper. Ich wusste, dass ich in Schwierigkeiten war. Ich wusste nicht, welches Vergehen ich begangen hatte oder warum die Mondgöttin mich bestrafte. „Lyla… was soll ich tun?“, flüsterte ich verzweifelt. Doch sie schwieg. Ich war nicht stark genug. Ich konnte keinen Streuner bekämpfen. Vielleicht war das mein Ende. Vielleicht musste ich für eine verborgene Sünde büßen. Vielleicht… verdiente ich es nicht zu leben. „Lauf. So schnell du kannst“, sagte Lyla plötzlich, ihre Stimme scharf und klar. Es war das erste Mal, dass sie seit der Zurückweisung sprach – und es hielt mich davon ab, aufzugeben. Ich begann zu rennen, so schnell meine Beine mich trugen. Ich wusste nicht einmal, woher diese Kraft kam. Ich konnte sie immer noch hören – die Streuner – wie sie durch das Laub hinter mir raschelten. Sie waren nah. Doch dann… verstummten die Geräusche. Ich wollte mich umdrehen. Ich musste wissen, warum sie aufgehört hatten, mich zu verfolgen. Aber als ich mich gerade umdrehte, stolperte ich über einen Stein und stürzte zu Boden. „Autsch!“, stöhnte ich und hielt mir die Seite vor Schmerz. Und dann sah ich ihn. Seine Schritte waren lautlos, doch ich spürte ihn, bevor ich ihn sah – eine Veränderung in der Luft, eine plötzliche Kälte. Dann trat er aus den Schatten, groß und undurchschaubar, seine goldenen Augen glühten wie Feuer unter einem Sturm. Er blieb vor mir stehen und versperrte mir das Mondlicht. Seine Präsenz war erdrückend, gefährlich, und doch konnte ich mich nicht bewegen. Ich wusste nicht, wer er war, aber jedes Instinkt in mir schrie, dass er kein gewöhnlicher Wolf war. Und dann sprach er – tief, fest und kalt. „Du gehörst jetzt mir“, sagte er und hielt meinen Blick fest. Ich erstarrte. Hatte er das gerade… zu mir gesagt? Ich blinzelte schnell, in der Hoffnung, dass die Gestalt verschwinden würde. Doch er blieb. Er stand da – groß, wild, real. Das Mondlicht zeigte ihn nun vollständig, und seine Augen hielten meinen Blick fest wie ein nahendes Gewitter. Seine Stimme hallte in meinem Kopf wider, tief und unheilvoll. „Du gehörst jetzt mir.“ Was sollte das bedeuten? Sprach er vielleicht mit jemand anderem? Ich versuchte, mich aufzusetzen, doch jeder Muskel schrie vor Schmerz. Mein Körper fühlte sich zerbrochen an, und meine Gedanken waren nicht besser. Stille lag zwischen uns, und mein Herz schlug, als wollte es aus meiner Brust springen. „Redest… redest du mit mir?“, fragte ich mit brüchiger Stimme, schwach und unsicher. „Wie kann ich dir gehören? Du kennst mich nicht einmal.“ Sein Blick bohrte sich in mich, seine Stimme tief und befehlend. „Es ist mir egal, wer du bist“, sagte er mit glühenden Augen. „Von jetzt an gehörst du mir. Und ich teile nicht, was mir gehört.“ Ich starrte ihn fassungslos an. Was redete er da? Wie konnte jemand aus dem Nichts auftauchen und eine zurückgewiesene Braut für sich beanspruchen? Ich wartete darauf, dass Lyla etwas sagte – irgendetwas. Aber sie schwieg. War wie betäubt. Jemand hatte uns gerade nach einer schmerzhaften Zurückweisung beansprucht, und sie sagte nichts dazu. „Du bist in meinem Revier“, sagte er erneut, diesmal fester und kälter. „Und jeder, der in meinem Revier ist, gehört mir.“ Ich blinzelte erneut. Gehört ihm? War er verrückt? „Ich verstehe nicht“, sagte ich nun schärfer. „Was genau meinst du damit?“ „Das ist mein Territorium. Jeder Wolf, der hier eindringt, unterliegt meiner Gefangennahme und meiner Bestrafung – außer ich bestimme es anders.“ Seine Stimme war tief und ohne jede Regung. Ich verstand nicht, was hier vor sich ging, doch eine Gänsehaut kroch mir über den Rücken. Wer war dieser Mann? Warum beanspruchte er dieses Land, als gehöre es ihm? Ich blickte mich um und bemerkte Gestalten – Wachen – in der Ferne, kaum sichtbar in der Dunkelheit. War ich aus einem Albtraum entkommen, nur um in den nächsten zu geraten? Vom Regen in die Traufe… „Warum gehört dir dieses Gebiet?“, fragte ich mit zitternder Stimme. „Ich bin Alpha-König Adam.“ Der Name traf mich wie ein Schlag. Ich hatte ihn noch nie getroffen, aber ich kannte ihn. Jeder kannte ihn. Der gefürchtete Lykaner-König – grausam, mächtig, unantastbar. Die Art von Alpha, über den andere nur im Flüsterton sprachen. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich war gefangen, und diesmal wusste ich, dass es kein Entkommen gab. Ich zitterte, während mir die Tränen über die Wangen liefen. „Ich habe dir nichts zu bieten, bitte, lass mich gehen. Ich bin eine zurückgewiesene Gefährtin, nutzlos und für dich ohne Wert“, flehte ich und faltete meine Hände. Er beugte sich zu mir herunter, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt, und lächelte kalt. „Genau das macht es interessant.“ Ich erstarrte. Was war interessant? Meine Zurückweisung? Mein Schmerz? Mein völliger Wertverlust? „Du besitzt etwas, das ich gesucht habe“, sagte er, seine Stimme tief und endgültig – wie ein gesprochenes Urteil. Mein Herz sank. Besitze etwas? Mein Verstand raste. Wollte er mich für etwas Dunkles benutzen? Etwas Abscheuliches? Ich wusste nicht, was für ein Mann er wirklich war, aber Güte lag nicht in seinem Blick. Ich flehte erneut, in der Hoffnung, er würde mich erhören und freilassen. „Ich habe dir nichts zu bieten“, flüsterte ich, meine Stimme bebte. „Ich bin eine zurückgewiesene Gefährtin… nutzlos für dich. Bitte, lass mich gehen.“ Er richtete sich auf und schüttelte leicht den Kopf. „Niemand sagt mir, wie ich etwas zu tun habe.“ Dann winkte er den Wachen zu. Panik explodierte in meiner Brust. Das war’s, dachte ich. Erst wurde ich zurückgewiesen. Dann von meiner Wölfin im Stich gelassen. Und jetzt? Nichts weiter als eine Sklavin unter einem gnadenlosen König. Normalerweise hätte mich mein Instinkt geleitet, doch nun war ich allein – mit einem Lykaner, der mir immer noch Schaden zufügen konnte. Unvermeidliche Tränen brannten in meinen Augen, tropften auf mein Gesicht. Es war fast schon ironisch, dass ich dachte, ich hätte keine Tränen mehr – und doch waren sie da, machten mich vor Adam klein. Die Wachen kamen schnell näher, und meine Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Panik kratzte an mir. Ich zitterte, versuchte, mich zu fassen, doch die Tränen flossen trotzdem. Ich hatte mich geirrt – ich konnte noch weinen. Ich wollte ihn hassen. Aber ein Teil von mir fürchtete ihn mehr. Und dann, gerade als ich glaubte, ich würde vor ihm zusammenbrechen und mein Schicksal einfach dem Zufall überlassen, durchdrang seine Stimme plötzlich die bedrückende Luft. „Bereitet ein Zimmer für unsere Königin vor.“ Obwohl er es nicht laut sagte, kaum die Lippen bewegte, wusste ich, dass die Wachen hinter ihm es gehört hatten. „Und informiert den inneren Hof, dass es in acht Tagen eine Krönung geben wird.“ Der Wald hielt inne, sogar der Wind schien zu pausieren. Ich blinzelte schnell, wischte mir die Tränen weg. „Was meinst du? Krönung für wen?“ Adam drehte sich nun vollständig zu mir um. Sein Blick fesselte mich, und ich verlor fast meinen Gedankengang. Er wusste, welche Wirkung er auf mich hatte – und nutzte sie. Ich schluckte. „Wer wird Luna?“ Seine Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, doch mehr Antwort bekam ich nicht. Er zuckte mit den Schultern und drehte sich um, ließ mich auf seine breiten Schultern starren – der Inbegriff eines wilden Mannes.
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