Kapitel 1
Annelieses Perspektive
„Heute Nacht werden wir die boshafte und eifersüchtige Luna verbrennen, die den einzigen Erben des Alphas getötet hat“, verkündete der Seher des Rudels.
Verzweifelt schüttelte ich den Kopf. „Ich habe—ich habe niemanden getötet.“ Ich versuchte mich zu verteidigen, aber niemand hörte mir zu.
Alle schrien nur:
„Wir müssen sie töten!“
„Sie muss für den Mord am einzigen Erben des Alphas bezahlen!“
„Was für eine boshafte und eifersüchtige Königin!“
„Sie ist ein Tabu für unser Rudel!“
Als wären ihre grausamen Worte nicht schon schlimm genug, begannen sie, mit verfaultem Essen und Steinen nach mir zu werfen. Die Menschen, die mich einst geliebt und mir vertraut hatten, hatten sich nun völlig von mir abgewandt und forderten meinen Tod.
„Wir werden sie heute Nacht in die Unterwelt schicken, und durch die Macht, die mir von der Mondgöttin verliehen wurde, verfluche ich deine Seele. Mögest du vergehen und niemals wiedergeboren werden!“, sagte der Seher, dann ging er zum Scheiterhaufen. Er holte ein brennendes Holzstück aus den Flammen und trat auf mich zu.
„Luna, ich rate dir, sag uns die Wahrheit, und wir geben dir einen einfacheren und gnädigeren Tod“, sagte er mit überzeugendem Ton, doch ich wandte mich von ihm ab.
Mit tränenüberströmten Augen suchte ich verzweifelt die Menge ab – bis mein Blick auf meinem Gefährten, meinem Ehemann, ruhte. Er hielt seine weinende Geliebte im Arm und tröstete sie. Unsere Blicke trafen sich—mein hoffnungsvoller Blick traf seinen emotionslosen.
„Adolf, du kennst mich. Ich könnte dir niemals wehtun. Nicht einmal daran denken. Bitte glaub mir“, flehte ich.
„Ich glaube dir, meine Liebe, aber es gibt eindeutige Beweise gegen dich“, entgegnete er mit tonloser Stimme. Doch das hielt mich nicht davon ab, zu hoffen, dass er mich retten würde.
„Glaub diesen Beweisen nicht. Ich bin unschuldig—ich habe Carl nicht vergiftet.“
Er schüttelte den Kopf. „Es tut mir auch weh, dich so zu sehen. Aber das ist das Gesetz. Gerechtigkeit muss geschehen“, sagte er, während er Irma—seine Geliebte—weiter umklammerte.
Seine kalte Antwort ließ tausend Fragen in meinem Kopf aufkommen:
Wenn es ihm weh tut, warum hält er dann eine andere Frau im Arm?
Warum unternimmt er nichts, um mich zu retten?
Wir waren doch so ein liebevolles Paar.
Ich habe ihn nicht einmal beschuldigt, als er mich mit unserer Köchin betrog und sie schwanger wurde.
Wie konnte das alles so schnell aus dem Ruder laufen?
Ich konnte nicht anders, als die Ereignisse vor ein paar Monaten noch einmal zu durchleben—das Ereignis, das unser Leben für immer veränderte.
> Vor fünf Monaten – Alphas Anwesen > > > > > >
„Doktor, was fehlt meinem Sohn?“, fragte Adolf, sobald wir Irmas Sohn—Carls—Krankenzimmer betraten. Ein Arzt überprüfte gerade seine Temperatur und machte weitere Tests.
„Sprechen Sie mit mir, Doktor!“, drängte Adolf mit Alpha-Stimme, woraufhin der Arzt sich sofort zu ihm wandte.
„Wir haben eine Reihe von Tests durchgeführt, und unser Ergebnis ist… es ist Mondblumen-Gift“, berichtete der Arzt.
Mondblume... Das ist ein verbotenes Gift. Wie konnte es überhaupt in unser Rudel gelangen?
„Mondblumen-Gift?“, knurrte Adolf. „Gibt es denn keine Möglichkeit, ihn zu retten?“
Der Arzt schüttelte traurig den Kopf. „Ich fürchte nein. Mondblumen-Gift ist extrem tödlich, und es gibt kein Gegenmittel…“
Adolf ließ den Arzt nicht ausreden, sondern versetzte mir sofort eine Ohrfeige. Mit offenem Mund und schockiertem Blick starrte ich ihn an. Ich verstand nicht, womit ich das verdient hatte.
„Das ist dein Werk!“, brüllte er mich an.
„Was meinst du damit?“, fragte ich entsetzt.
„Du kannst mir keine Kinder schenken, und jetzt, wo ich jemanden gefunden habe, der das kann, passt es dir nicht. Deshalb hast du meinen Sohn vergiftet, stimmt’s?!“, warf er mir gnadenlos vor.
Mein Stirnrunzeln wurde tiefer. „Du kannst mich nicht einfach so beschuldigen, Adolf. Ich habe den Jungen seit seiner Geburt nicht einmal gesehen, und außerdem waren wir beide im Zimmer, als Niclaus uns die Nachricht brachte.“
Er schnaubte verächtlich.
„Du bist eine verzweifelte Schlampe, und du würdest alles tun, um zu bekommen, was du willst! Du könntest jemanden beauftragt haben, ihn in deinem Namen zu vergiften.“
Tränen stiegen mir in die Augen, als ich versuchte, diese absurde Anschuldigung zu verstehen. Seit seiner Affäre mit Irma war er nur noch grausam zu mir gewesen. Ich dachte, es läge daran, dass ich ihm keine Kinder schenken konnte—aber dass er mir so etwas unterstellt? Das hatte ich nie erwartet.
„Und glaub ja nicht, dass du damit durchkommst. Ich werde dafür sorgen, dass du—“
„Beruhige dich, Adolf. Du kannst sie nicht ohne richtige Untersuchung beschuldigen“, sagte Niclaus und stellte sich beschützend vor mich.
„Halt verdammt noch mal den Mund!“, zischte Adolf und stieß ihn zur Seite. „Das ist meine Familiensache, und ich regle das, wie ich es will!“
Niclaus wollte ihm widersprechen, doch ich griff ein, bevor Adolf völlig ausrastete.
„Ehrlich, Adolf, du musst mir glauben—ich habe ihn nicht vergiftet...“ Doch er unterbrach mich mit einer weiteren Ohrfeige. Instinktiv sah ich zu Irma. Für einen kurzen Moment konnte ich sehen, wie sie sich ein Lachen verkniff.
„Wie dumm von dir zu glauben, ich würde deinen erbärmlichen Ausreden glauben.“ Er rannte zu Irma und schloss sie tröstend in seine Arme. „Wachen, bringt diese boshafte Frau in den Kerker. Sie darf erst raus, wenn ich es befehle!“, befahl er.
Ich fiel auf die Knie und schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich schwöre, ich bin unschuldig, Adolf!“, flehte ich, doch er hörte nicht zu.
Die Wachen kamen, packten mich an den Armen und zerrten mich fort.
> Heute <<
Nach Monaten im Kerker—ohne sauberes Wasser und nur mit einer Scheibe Brot pro Tag—hat man mich nun herausgeholt, um mich hinzurichten. Irmas Sohn hat nicht überlebt. Das Mondblumen-Gift wurde irgendwie in meiner Schmuckschatulle gefunden, und ich habe keine Möglichkeit mehr, meine Unschuld zu beweisen.
„Tu es!“, befahl Adolf dem Seher, der noch immer das brennende Holzstück in der Hand hielt.
Meine Angst wurde unerträglich. Tränen strömten mir über das Gesicht, als ich den Kopf schüttelte. Mit jedem seiner Schritte versuchte ich rückwärtszugehen, aber ich konnte nicht fliehen—meine Hände und Füße waren an einen Pfahl gebunden.
„Tu mir das nicht an, Adolf! Ich bin unschuldig! Ich schwöre es!“, schrie ich verzweifelt.
Alle riefen dem Seher zu, er solle endlich das Feuer entzünden. Ich konnte nichts mehr tun. Ich war vollkommen hilflos. Ich konnte nicht glauben, dass mein Leben so enden sollte. Schließlich akzeptierte ich mein Schicksal, schloss die Augen und wartete auf meinen
Tod.
Doch gerade, als der Seher mich erreichte, unterbrach ihn plötzlich eine vertraute Stimme—laut und eindringlich:
„Stopp!“