Das Rascheln des Herbstlaubes begleitete jeden ihrer Schritte. Genauso wie das Lachen der Kinder, das durch das Zwitschern der Vögel brach. Er hielt ihre warme Hand sanft in seiner. Am liebsten ließe er sie nie wieder los, doch diese Vereinigung würde bald ihr Ende finden.
Er sah auf ihr perfektes Profil. Die leichten Sommersprossen, die umso mehr verblassten, je näher der Winter kam. Ihre sanften Lippen lächelten unbekümmert, sodass selbst ihre grünen Augen unter der sanften Mimik strahlten.
Sie bemerkte sein Starren und stoppte. Verwirrung zog eine Furche zwischen den Brauen und zerriss die perfekte Symmetrie, als auch das Lächeln verloren ging. Er kannte die Frage schon, bevor sie diese aussprach. Aber er ließ sie dennoch erklingen. »Was ist los? Warum machst du so ein niedergeschlagenes Gesicht?«
Er lächelte traurig und griff auch nach der anderen Hand, um diese ebenfalls sanft zu umschließen. Ihre Finger waren so zart. Wie schön würde der Ring dort aussehen. In der Tasche drückte sein Gewicht leicht gegen den Schenkel, doch er zog ihn nicht heraus. Noch nicht. Erst musste sie den Test bestehen.
»Der Herbst ist bald vorbei«, flüsterte er und die sanfte Brise entriss ihm jedes Wort. Trug es weit weg und er befürchtete, dass sie ihn nicht verstand, doch der fragende Blick zeigte ihm das Gegenteil.
»Ja, durchaus. Dann kommt der Winter.« Ihre Unwissenheit war süß und ließ ihn stärker lächeln. Er spielte mit ihren Fingern und wünschte sich, dass er sie nie wieder gehen lassen musste. Doch das war erst möglich, wenn sie den Test bestand.
»Ja, der Winter.« Sein Blick glitt höher und er sah auf die schon kahlen Bäume. Nur vereinzelt hingen Blätter an den nackten Zweigen. Wiegten sich im Wind, der sie herunterriss und mit sich nahm.
»Erinnerst du dich noch an unser erstes Treffen?« Er umschloss eine Hand und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. Sie kicherte sanft und wurde rot dabei. »Ja, du kamst aus dem Nebel auf mich zu. Ich dachte, du wärst ein Sittenstrolch, aber dann hast du mir den schönsten Abend meines Lebens bereitet.«
»Es war auch mein schönster Abend. Doch erinnerst du dich noch an meine Worte, bevor wir uns trennten?« Sein Griff um ihre Hand wurde fester, flehender, und die zweite legte sich sanft auf ihre Wange. Sie sollte nur ihn ansehen. Ihren Blick nicht von ihm abwenden und erkennen, dass er alles war, was sie brauchte. Verwirrung zog ihre Kreise über sie und ließ sie die Augen zusammen ziehen, sogar das Lächeln erstarb.
Sie überlegte kurz, bis Erkenntnis ihr Gesicht erhellte und sie wieder zum Grinsen brachte. »Ja, du meintest, dass unsere Zeit begrenzt sei, aber wenn wir diese Trennung überstehen, dann werden wir für immer zusammen sein.«
»Ja, so ist es. Dieser Moment rückt näher. Mit dem ersten Frost werde ich gehen müssen. Meine Zeit hier ist vorerst vorbei, doch ich werde in einem Jahr zurückkehren. Wirst du auf mich warten?« Erneut ein Kuss auf ihren Handrücken, der um Gnade und Liebe bettelte.
»Natürlich. Ich würde auch zwei Jahre auf dich warten. Oder noch länger. Ich liebe dich, Autumn. Mehr als ich jemals jemanden geliebt habe. Wenn ich nur ein Jahr ohne dich verbringen muss, um dann nie wieder zu weichen, werde ich dieses Opfer bringen.« Sie zog ihn in ihre Arme und küsste ihn stürmisch.
Wie gerne würde er ihre Worte glauben, aber sie war nicht die Erste, die ihm dieses Versprechen gab und sich dann doch anders entschied. Ein Jahr war lang. Da konnte viel geschehen. Vor allem, sich erneut zu verlieben, was alle vor ihr getan hatten.
Er wollte nicht an ihrer Liebe zweifeln, aber all die Jahrhunderte hatten ihm gezeigt, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen war. Wieso gab er nicht endlich auf? Weil er der Letzte von ihnen war, der keinen Nachfahren hervorgebracht hatte. Der noch nicht die Partnerin fürs Leben gefunden hatte.
»Danke, meine Liebste. Deine Worte bedeuten mir so unsagbar viel.« Sie trennten sich schwer atmend voneinander. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände und versank noch einmal in diesen strahlenden grünen Augen. Ruhig strichen seine Finger durch ihr seidiges, rotes Haar, bevor er eine Strähne griff und einen Kuss darauf hauchte. Sie roch nach Herbst und strahlte alles aus, was diese Jahreszeit ausmachte. Sie war perfekt, um seine Partnerin zu werden. Aber das hatte er auch von den vielen Frauen vor ihr gedacht.
Noch einmal nippte er an ihren Lippen und sah ihr tief in die Augen. Er wollte nicht gehen, doch er hatte keine Wahl. Dies war Tradition. Nur wer drei Jahreszeiten warten konnte, ohne sich neu zu verlieben, durfte mit in die Ewigkeit. Er hoffte es so sehr, dass sie es schaffte.
Da war dieser Zug an ihm, der jedes Mal zeigte, dass es Zeit war zu gehen. Drei Monate umwarb er sie, band sie an sich und ersehnte, dass alles genug war. Dort war endlose Liebe in ihren Augen, doch auch dieser Anblick war ihm nicht fremd. Früher war es einfacher gewesen. Jetzt lebte diese Welt so schnell. Niemand konnte mehr warten und trotzdem versuchte er es immer wieder.
Er trat einen Schritt zurück und lächelte sie an. »Meine liebste Valeria. Vergiss niemals, dass ich dich liebe, und ich werde dich in neun Monaten am Ort unseres ersten Treffens abholen. Bitte komme, meine Liebste.«
Er beugte sich vor und hauchte einen Kuss auf die zarte Haut, bevor er schweren Herzens diese Verbindung zu ihr kappte. »Autumn, ich liebe dich auch. Ja, ich werde da sein. Vertrau mir. Ich werde dort sein. Ver-«
Der Nebel, der sich um ihn bildete, verschluckte ihre Worte. Er öffnete das Tor zurück in seine Welt. Autumn wandte sich um und trat darauf zu. Daraus kam ihm ein kleines Mädchen entgegen, das ihn breit angrinste. »Na, Onkel Autumn? Hast du endlich deine Traumfrau gefunden oder wird das wieder nichts?«
Er hasste es, das Gespött seiner ganzen Familie zu sein. Ein Zischen drang über seine Lippen und er funkelte das blasse Kind mit den weißen Haaren zornig an. »Es ist nicht mehr so wie früher. Das wirst du bald schmerzhaft erfahren, Elsa.«
»Ach, ich hab noch Zeit. Jetzt will ich nur Spaß haben und den Menschen beim Lachen zusehen.« Sie winkte ab und drehte sich zu ihm um, bevor sie durch den Nebel schritt. Er blieb ebenfalls stehen und begegnete ihrem Blick. »Du solltest aber versuchen, mal kälter zu werden. Wenn du weiter so schwache Arbeit ablieferst, werde ich dir nicht mehr weichen oder Freya wird dich schneller ablösen als dir lieb ist.«
Das zornige Blitzen war ihm Antwort genug und so trat er wieder in seine Heimat ein. Diese Schikane der Kinder seiner Geschwister machte seine Situation nicht besser. Er wusste selbst, dass es schon lange Zeit war, einen Nachfolger zu zeugen und sich langsam zur Ruhe zu setzen. Er war zu mächtig und brachte dadurch das Gleichgewicht der Jahreszeiten durcheinander.
Aber er tat ja schon alles, was in seiner Macht stand, um dies zu ermöglichen. Schließlich sehnte er sich selbst nach dem Ruhestand und jemandem, der in seinem Haus auf ihn wartete, bis er zurückkam. Jetzt empfing ihn nur erdrückende Stille und eine Kälte, die ihn frösteln ließ.
Er zündete den Kamin an und wischte die Staubschicht von seinen Möbeln, bevor er sich bereit machte, hier die nächsten drei Jahreszeiten auszuharren. Neun Monate voller Bangen und Hoffen, doch anstatt dieser Nervosität und Angst, die sonst immer Kreise in seinem Bauch drehten, war dort nur Resignation.
Er glaubt nicht daran, dass sie da sein wird, wenn er zurückkehrt. Sein Haus wird auch jetzt leer bleiben und sich niemals füllen. Er ist auf ewig verdammt die Rolle des Herbstes zu spielen. So lange bis er keine Kraft mehr hat und zu Grunde geht. Dann werden Elsa und Sam sich seine Monate aufteilen. Nie wieder Herbst.
Bei der Vorstellung musste er traurig auflachen. Diese Müdigkeit kam zurück, die er schon seit einigen Jahrzehnten verspürte. Ihm ging seine Kraft aus. Nicht einmal der neunmonatige Schlaf änderte etwas daran. Dennoch verkroch er sich wie immer in sein Bett.
Sein Körper schrie nach Ruhe und Schlaf. Aber vor allem nach einer wärmenden Seele, die neben ihm lag. Er dachte an Valeria. Ihre warme Haut, die feurigen Küsse und diese bodenlose Liebe in ihren Augen. Sie musste es sein: Seine Gefährtin.
Autumn, mein Liebster. Ich warte auf dich. Komm zu mir. Ich werde auf dich warten, denn ich liebe dich. Ich liebe dich, Autumn.
Sein Körper war schwer wie Blei, als er durch den drängenden Zug an seinem Geist erwachte. Er gähnte und streckte sich, bevor er sich durch die Haare strich und sich in der Dunkelheit des Hauses umsah. Das Feuer war längst erloschen, aber dennoch war es nicht kalt, sondern angenehm warm.
Erneut hatte er die neun Monate verschlafen. Das war nicht gut. Ihm lief die Zeit davon. Wenn es mit Valeria nicht geklappt hat, sollte er dann überhaupt noch jemanden suchen?
Sein Herz schlug schneller, als er an ihren berauschenden Duft dachte, und seine Finger legten sich wie in Trance auf seine Lippen, um noch einmal ihre Küsse zu schmecken. Nein, dieses Mal war es anders. Schon die drei Monate waren intensiver gewesen. Sie war die Richtige.
Seine Füße trugen ihn zu dem Portal, an dem ihm Sam entgegenkam. Seine perfekten weißen Zähne blitzten ihm entgegen. Verstärkt durch den Kontrast zu der dunklen Haut. Die blonden, schulterlangen Haare machten ihn zu einem noch größeren Exoten, doch auch er hatte noch einige Jahrzehnte vor sich, bevor er mit der Brautschau beginnen musste. Jetzt war er ein Jugendlicher und nicht auf dem Zenit seiner Macht.
»Hey, Onkelchen. Hast dir ja eine süße Schnitte ausgesucht. Wird auch Zeit, dass du endlich mal zum Schuss kommst.« Er lachte auf, als er Autumn freundschaftlich auf die Schulter klopfte, bevor er nach Hause zurückkehrte. Autumn selbst konnte die Worte nicht glauben, doch sie schlugen die Schwere von seinen Schultern und gaben seinen Schritten die Leichtigkeit zurück, die er aus seinen Kindertagen kannte.
Sofort eilte er durch das Portal und den Nebel. Die kühler werdende Sommernacht begrüßte ihn. Mit dem leichten Wind, der ihn ankündigt, drang das sanfte Parfüm zu ihm durch, das ihm so viele Schmetterlinge bereitet hatte.
Er trat gänzlich aus dem Nebel heraus und sah sie dort stehen. Wie am Abend ihres ersten Treffens saß sie auf der Bank und wartete im Licht der Straßenlaterne auf den Bus, der noch einige Zeit brauchte. Sie umklammerte ihre Handtasche und zog ihre leichte Sommerjacke enger um die Schultern.
Dort war sie. Sie war wirklich gekommen. Seine Suche war endgültig erfolgreich. Seine Einsamkeit war vorbei und er konnte seine Macht weitergeben. Er hatte seine Lebenspartnerin gefunden. Mit eiligen Schritten trat er auf sie zu und holte einmal tief Luft, bevor er sich wie damals vor ihr verbeugte.
»Wie kann es sein, dass eine so schöne Frau alleine in dieser Nacht unterwegs ist?« Sie fuhr kurz vor Schreck zusammen, doch als sie ihn erkannte, hellte sich ihr Gesicht auf. »Autumn? Du bist zurückgekommen! Das ist unglaublich.. Diese Zeit ohne dich war schrecklich! Bitte, bitte verlass mich nie wieder.«
Sie fiel ihm um den Hals und er umarmte sie innig. »Nein, ich werde nicht mehr gehen. Jetzt können wir zusammen sein. Du hast drei Monate Zeit, dich von deiner Familie zu verabschieden. Dann werde ich dich mit mir nehmen.«
Irritiert nahm Valeria von ihm Abstand und sah ihn durchdringend an, doch bevor sie etwas sagen konnte, ergriff er ihre Hand und steckte ihr einen goldenen, feinen Ring mit einem Rubin an den rechten Ringfinger.
Ein dünner, weißer Nebel stieg von dem Schmuckstück auf und umschlang den Körper der jungen Frau gänzlich, bevor er verschwand. Die Verwirrung war aus ihrem Gesicht gewichen und dort war wieder die Liebe.
»Ja, mein Geliebter. Ich werde dir überallhin folgen. Ein Leben ohne dich kann ich mir nicht vorstellen.« Er lächelte bei ihren Worten und küsste sie erneut. Ja, endlich hatte er sie gefunden. Die Frau, die ihm in seine Ewigkeit folgte und an seiner Seite blieb, bis seine Macht gänzlich auf ihr Kind übergegangen war.
Er hatte es geschafft. Sie war zurückgekommen und der Ring würde sie nicht mehr gehen lassen. Nicht bis in den gemeinsamen Tod hinein. Ihr Leben war nun vereint.
Erneut holte er sich einen Kuss und sie schmiegte sich an ihn. Ihre Wärme kroch in sein Herz und säte dort neue Hoffnung, gab ihm Kraft und Zuversicht. Seine Suche war vorbei. Endlich vorbei...
Ende