chapter two

1871 Words
Sage in der Gegenwart „Und für die nächsten fünf Monate wird das Ihr neues Büro sein", beendet die Rothaarige ihre Führung und öffnet die Tür zu einem geräumigen Zimmer. „Sie können es nach Lust und Laune dekorieren, solange keine pornographischen oder rassenfeindlichen Inahlte vorhanden sind." Schade, ich wollte schon ein Foto einer nackten Frau an die Wand hängen. Sicherlich hätte ich dadurch einen Haufen neuer Freunde. Männlicher, versteht sich natürlich. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich hatte nichts der Gleichen vor", beruhige ich sie und betrete den Raum. Anders als erwartet, sind hier keine glamourösen Kronleuchter oder eine in Diamanten gehaltene Einrichtung, sondern lediglich ein hoher Schrank, ein eher kleingeratener Schreibtisch und ein unspektakulärer Drehstuhl. Alles in schwarz und weiß gehalten. Kein Gold, kein Silber und auch kein Platin. Ich glaube, es könnte mir hier sogar gefallen. „Gut, denn Sie sind nicht die einzige, die Zugang zu diesem Büro hat", erzählt sie auf dem Weg zu meinem neuen Schreibtisch. Ihre knallroten High-Heels klackern über das schwarze Parkett, unterstreichen ihren selbstbewussten Gang. „Mr. Wood, der Hausmeister und selbstverständlich die Putzkolone, besitzen einen eigenen Schlüssel zu diesem Raum." Es hätte mich ohnehin gewundert, wenn sie mir derart viel Vertrauen gegeben hätten. Nicht, dass ich ein unbeschriebenes Blatt wäre - mein Vater war vermutlich in mehr Zeitschriften und Nachrichtensendungen zu sehen als die jährlichen Waldbrände auf der gesamten Globus -, dennoch wissen sie nicht, wie ich wirklich ticke. Das Bild, das ich in der Öffentlichkeit abgebe, hat nichts mit meiner wahren Persönlichkeit zu tun. „Gut zu wissen", murmle ich und beobachte, wie sie sich in einer eleganten Bewegung hinabbeugt. Wahrscheinlich will sie bloß den PC einschalten, jedoch rutscht ihre rote Bluse dabei ein Stück nach unten und enthüllt ihre üppige Oberweite. „Auch wenn Sie nur eine begrenzte Zeit bei uns sind, können Sie es sich hier ruhig gemütlich machen. Es soll Ihnen immer noch halbwegs Spaß machen." Sie lächelt mich freundlich an, sodass sich kleine Fältchen um ihre Augenwinkel bilden. Tatsächlich bin ich ihr sehr dankbar, dass sie versucht mich zu berschwichtigen und zu ermutigen, jedoch ist das nicht nötig. Ich weiß, wieso ich hier bin und dass ich zwar eine Praktikantin, aber kein Sklave bin. Ich streiche mir eine glatte Strähne hinters Ohr und gebe mein Bestes meine Stimme nicht auffällig klingen zu lassen. „Werde ich Mr. Wood eigentlich irgendwann zu Gesicht bekommen?" Es ist merkwürdig ihn bei seinem Nachnahmen zu benennen, weil ich ihn jahrelang mit Peter angesprochen habe. Das ganze ist merkwürdig, wenn ich so darüber nachdenke. Die Tatsache, dass ich als Praktikantin in seinem Unternehmen aufkreuze, dass er mich nicht selbst herumführt und dass mich alles hier nicht im geringsten interessiert. Mrs. Lewis´ Nägel rasen in einem beeindruckenden Tempo über die Tastatur, sodass ich mich frage, wie viel die arme Frau am Tag tippen muss, um so flink zu sein. „Das glaube ich eher nicht. Er ist ein schwerbeschäftigter Mann und steckt ständig in irgendwelchen Meetings. Meistens verbringt er mehrere Stunden am Stück in seinem Büro, ohne auch nur an eine Pause zu denken." Solche schwerbeschäftigten Männer kenne ich nur zu gut... Bevor ich in der Lage bin etwas zu erwidern, ertönt eine völlig fremde Stimme hinter mir. „Vergessen Sie nicht zu erwähnen, dass er, ohne zu zögern, nichtsnutzige Mitarbeiter feuert." Erschrocken drehe ich mich um und entdecke einen Mann, der mit verschränkten Armen im Türrahmen steht. Seine hellen Augen sind derart ausdruckslos, dass mir ein Schauder den Rücken hinabläuft. „Guten Morgen", begrüßt ihn die Sekretärin höflich, allerdings schenkt er ihr keine Aufmerksamkeit, sondern taxiert mich weiterhin, vermutlich in der Hoffnung mich einzuschüchtern. Dummerweise hat mir mein Vater beigebracht, niemals Schwäche zu zeigen und stets eine Professionalität an den Tag zu legen. Bei solchen Leuten erst recht. „Dann kann ich ja von Glück sprechen, dass ich bloß eine Praktikantin bin", entgegne ich und hebe das Kinn leicht an. Sein finsterer Blick versucht mich weiterhin zu durchbohren, schafft es aber nicht einmal durch die erste Schicht meines Selbstvertrauens. In meinem jungen Leben musste ich schon oft gehässigen Menschen ausgesetzt sein, weshalb er mich vollkommen kaltlässt. Ich hebe die Hand und setze ein höfliches Lächeln auf. „Ich bin Sage Harrington und..." „Ich weiß, wer Sie sind", unterbricht er mich und blinzelt einmal. „Sie sind die Tochter von William Harrington, der Inhaber von Harrington Atlantics. Ein Mann, der die Firma seines wohlhabenden Vaters geerbt und sein Vermögen letztlich verzehnfacht hat." Langsam lasse ich meinen Arm sinken und balle die Hand zu einer Faust. Eine Faust, die ich ihm am liebsten ins gut aussehende Gesicht rammen würde. Hauptsächlich wegen seines folgenden Kommentars. „Ziemlich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er mit Geldwäsche und illegalen Geschäften zu tun hat." Offenbar hat sich der Schlaumeier bereits im Vorfeld über mich und meine Familie erkundigt. Das war eigentlich klar, weil ich nirgends hingehen kann, ohne gleich mit meinem Vater in Verbindung gesetzt zu werden. Bei dem Namen Harrington spitzen die meisten Leute ihre Ohren und hauen jedes Mal eine neue, innovative Geschichte heraus - von Drogenhandel über Erpressung bis hin zu erkauften Identitäten gab´s alles bisher. Nur stimmt nichts von alledem. Die Leute denken immer uns besser zu kennen, als wir uns selbst kennen, was leider normal ist, wenn man eine Person des öffentlichen Lebens ist. Nichtsdestotrotz ist es nervig, ständig zu hören zu bekommen, dass unser Reichtum nur von Glück und Betrug rührt. Meine Familie hat sich all das hart erarbeitet, weshalb ich meinen Vater während meiner Kindheit so gut wie nie gesehen habe. „Da muss ich Sie leider enttäuschen", entgegne ich und halte meine Standardantwort auf solche hirnlosen Aussagen. „Er kam nie in Kontakt mit Geldwäsche oder illegalen Geschäften. Er hat hart gearbeitet und schließlich ein ganzes Imperium geschaffen." „Natürlich", beharrt er und nickt einmal. „Er hat ein mittelständiges Unternehmen innerhalb von zehn Jahren an die Spitze Amerikas gebracht. Er konnte fünfzig neue Filialen eröffnen, die sogar in Europa ihren Sitz fanden und das ausschließlich durch anständige und legale Arbeit." Inzwischen gehen mir seine Anschuldigungen tierisch auf die Nerven. Wer denkt er, wer er ist? Er hat nicht das Recht so über meinen Vater zu urtielen, da er niemanden von uns kennt. Nur weil er ein paar dieser dummen Artikel im Internet gelesen hat, heißt das noch lange nicht, dass er so etwas über uns behaupten darf. Sein maßgeschneiderter Anzug und seine übertrieben teure Uhr am Handgelenk sind noch lange kein Freischein dafür, sich so widerlich zu verhalten. „Er ist eben ein Erfolgstyp, ob man das von Ihnen behaupten kann, wage ich zu bezweifeln." Mein Mund verzieht sich angewidert, meine Augen wandern an seinem überraschend muskulösen Körper hinab - über den dunkelblauen Stoff seines Jacketts und seiner Hose bis hin zu den glänzenden schwarzen Schuhen. „Ein Erfolgstyp? So schätzen Sie ihn also ein?" Er geht gar nicht auf meinen Seitenhieb ein, was mich glatt zu einem Augenrollen bringt. Vermutlich ist er so von sich überzeugt, dass er sein Spiegelbild küsst und mit Komplimenten bombardiert. „So schätzt ihn ganz Amerika ein." Ich zwinge mich dazu, ihm wieder in die Augen zu sehen. „Aber ich bin nicht hier, um über meinen Vater zu diskutieren." „Sie haben Recht, Sie sind hier, um zu arbeiten." Ehe ich mich versehe, stößt er sich auch schon vom weißen Türrahmen ab und kommt einen Schritt auf mich zu. Selbst in meinen schwarzen Louboutins überragt er mich um rund einen halben Kopf, was nicht wirklich ungewöhnlich ist. Mit meinen einsfünfundsechzig bin ich ein wahrer Zwerg in der Welt der Großkonzerne. „Ich hoffe doch, dass Sie in nächster Zeit keine Probleme bereiten, sonsten muss ich Sie leider entlassen." „Eigentlich dürfen das nur..." „Mr. Wood und Sie", vollendet er den Satz der Rothaarigen und sieht kurz über meine Schulter. Der kalte Ausdruck weicht nicht wirklich aus seinem Gesicht, was mich vermuten lässt, dass er mit allen so widerlich umgeht. Das wiederum bringt mich glatt zum Kotzen. „Das weiß ich. Aber was diese junge Dame hier angeht, treffe ich die Entscheidungen." Mrs. Lewis schweigt, scheint sich nicht mit ihm anlegen zu wollen. Ist das ihr Ernst? Lässt sie sich wirklich von ihm herumkommandieren? „Aber..." „Wenn sie Probleme bereitet", fällt er mir erneut ins Wort und richtet seine blauen Augen auf mich. Sie sehen mich an, als wären sie auf Rache aus, dabei kenne ich nicht einmal seinen Namen. „möchte ich unverzüglich informiert werden." „Das wird nicht nötig sein." Ich habe mir den Arsch aufgerissen, um diese Stelle zu kriegen und werde sicherlich nicht so dumm sein und es vermasseln. Meinetwegen koche ich den ganzen Tag Kaffee und laufe zehn Kilometer, um die Post wegzubringen, solange ich nicht gefeuert werde. An diesem Praktikum hängt so viel mehr, als er es sich ausmalen kann. „Das werden wir noch sehen." Als hätte er das Recht dazu – und als hätte er mir nicht gerade indirekt gedroht –, lässt er seinen Blick langsam an mir hinabwandern. Auch wenn ich haargenau weiß, dass er ein eingebildeter Idiot ist und vermutlich einen verdorbenen Charakter hat, kann ich die Wirkung, die er auf mich hat, nicht unterdrücken. Ich gebe seinem maskulinen Duft die Schuld, welcher in meiner Nase kitzelt. „Sie brauchen sich keine Sorgen, um mich machen, ich werde gewissenhaft und sorgfältig arbeiten." Statt sich mit meiner Aussage zufrieden zu stellen, lehnt er sich ganz langsam nach vorne und richtet seinen Blick auf meinen Mund. Mein Herz setzt für einen flüchtigen Moment aus und raubt mir ein Stück meines Selbstvertrauens. Sein Gesicht kommt meinem näher und hält wenige Zentimeter von mir entfernt an. „Sie sind die Tochter von William Harrington, also kennen Sie die Worte sorgfältig und gewissenhaft überhaupt nicht", flüstert er und streift mit seinem frischen Atem meine Lippen. Es ist eine Mischung aus Pfefferminzkaugummis, Kaffee und etwas Verruchtem. „Falls Sie jemals auf die dumme Idee kommen sollten, mich zu bestehlen oder zu betrügen, werde ich Sie fertigmachen. Ich werde Ihnen alles nehmen und Sie eiskalt zerstören." Okay, das war jetzt eine direkte Drohung, wofür ich ihn theoretisch verklagen könnte, nur zählt das wohl zu der Kategorie Betrügen. Ich versuche den Kloß, der sich in meinem Hals bildet, vergeblich runterzuschlucken. Gleichzeitig balle ich die Hände zu Fäusten und male mir aus ihm ins Gesicht zu spucken. „Haben wir uns verstanden?", hackt er nach und neigt den Kopf. Statt ihm eine Antwort zu geben – Schweigen gilt grundsätzlich als eine Ablehnung –, blinzle ich zweimal. Anscheinend gefällt es ihm, mich so runterzumachen, da sich ein fast schon teuflisches Grinsen auf seinen vollen Lippen bildet. „Das freut mich. Wenn Sie weitere Fragen haben sollten, kommen Sie ja nicht zu mir." Mit diesen unfreundlichen Worten macht er auf dem Absatz kehrt und marschiert aus dem Zimmer. Er dreht sich kein einziges Mal um, als er den langen Flur entlang bis zu seiner Tür läuft. Nicht einmal, als er sie mit einem lauten Knall zuschlägt. Was war das gerade? Aber noch viel wichtiger, wer war das? Wieso hasst er mich, obwohl wir uns noch nie begegnet sind? Oder sind wir uns schon einmal begegnet? Hat er mich vielleicht bereits gesehen?
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