chapter three

2165 Words
Sage Vor exakt zehn Minuten kam Mrs. Lewis in mein Büro stolziert und teilte mir mit, ich könne für heute schlussmachen. Seit dem sitze ich an meinem Schreibtisch und starre den schwarzen Monitor meines Computers an. Nicht etwa, weil er mich mit seiner beeindruckenden Größe fasziniert, sondern weil ich wie erstarrt bin. Ich kann mich einfach nicht vom Fleck bewegen und das liegt einzig und allein an seiner Nachricht. Läuft alles nach Plan? Selbstverständlich bin ich nicht dumm. Mir war durchaus bewusst, dass es ihm hier nur um das Geschäftliche geht. Schließlich bin ich es bereits gewohnt nie seine volle Aufmerksamkeit zu bekommen, nie an erster Stelle zu stehen. Trotzdem hat sich ein Teil – wenn auch ein ziemlich kleiner – gewünscht, endlich einmal wichtig genug zu sein. Endlich einmal mehr als nur irgendein Projekt zu sein. Immerhin bin ich seine Tochter, der er beibringen müsste, dass sie so viel mehr wert sei, als alle sagen. Denn das bin ich: Ich bin eine intelligente junge Frau, die ergeizig und ambitioniert ist. Ich habe nie ein schlechtes Wort über unsere verkorkste Familie in der Öffentllichkeit verloren und würde es auch weitehrin nicht tun. Dennoch reicht es für meinen verehrten Vater nie. Als er mir vor einem halben Jahr das allesentscheidende Ultimatum gestellt hatte, wusste ich nicht recht, was ich davon halten solle. Mir war zwar klar, dass ich in etwas hineingerate, wofür ich nicht geeignet bin, dennoch konnte ich nicht widerstehen. Mein potenzieller Gewinn war zu verlockend, mein potenzieller Verlust hingegen viel zu tragisch. Zu herzzerreißend. Trotz alle dem habe ich nicht damit gerechnet, dass es derart schwierig werden würde. Die Mitarbeiter in diesem Laden sind nicht blöd, sie erzählen mir keine wichtigen Informationen, behandeln mich höflich, aber zeitgleich distanziert. Sie verstummen meist, sobald ich den Raum betrete oder wechseln geflissentlich das Thema. Ob sie mit allen Praktikanten so umgehen, wage ich zu bezweifeln. „Harrington", höre ich meinen Familiennamen laut durch den Gang dröhnen. Einen Augenblick später wird die Bürotür aufgerissen und ein schäumender Mann stürmt hinein. Die blanke Wut steht ihm in den blauen Augen geschrieben und verursacht unwillkürlich einen Knoten in meinem Magen. Die letzten Tage über bin ich ihm – Gott sei Dank – so gut wie nie über den Weg gelaufen. Zwar war ich die meiste Zeit über unter Strom, weil ich nie wusste, wann er auftauchen würde, nichtsdestotrotz hat er sich kaum blicken lassen und wenn, dann lief er entweder schnurstracks an mir vorbei oder war zu beschäftigt damit einem Mitarbeiter die Hölle heiß zu machen. „Ja, so heiße ich." Mittlerweile kennt die ganze Belegschaft meinen Namen. Spätestens nach meinem ersten Tag hat sich jeder über mich im Internet erkundigt und angefangen sich eine eigene Meinung zu mir zu bilden. Natürlich werde ich als Daddys kleine Prinzessin abgestempelt, die niemals auch nur ein Haar krümmen würde, während sich all diese Leute hier den Arsch abgerackert haben, um an ihre Stelle zu gelangen. Ihrer Meinung nach, haben sie mich schon längst durchschaut, ahnen dabei allerdings nicht, dass sie ein wichtiges Detail vergessen. Ich bin allermanns Ende hier. Ich könnte jeden von ihnen zerstören, indem ich meinem Vater gehorche. Schleunigst blende ich die Vorstellung, für die Kündigung tausender Menschen verantwortlich zu sein aus. Es muss sich ja nicht unbedingt zu ihrem Nachteil ergeben. Vielleicht übernimmt mein Vater alle oder bietet ihnen neue Berufsmöglichkeiten. Oder reißt sich die Firma selbst an den Nagel. Wie immer kenne ich die Pläne meines Erzeugers nicht und werde sie erst mit allen anderen erfahren. Ich blinzle den großen Mann an, in der Hoffnung seine überwältigende Aura an mir abprasseln zu lassen. „Was kann ich für Sie tun?" „Ihren Job richtig machen, gefälligst!" Statt mir zu sagen, was genau er von mir möchte, tritt er einen Schritt nach vorne und beißt seine Zähne fest zusammen. Selbst aus dieser Entfernung aus kann ich den zuckenden Muskel an seinem markanten Kiefer sehen. „Habe ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollen keine Probleme bereiten? Oder war ich nicht deutlich genug?" Offenbar hat er heute eine außerordentlich gute Laune, die er unbedingt an mir herauslassen will. Bei so etwas könnte ich wirklich kotzen. Niemand hat das Recht, seine Mitmenschen so respektlos zu behandeln. „Um genau zu sein, haben Sie gesagt, ich solle Sie nicht betrügen oder bestehlen. Von keine Probleme bereiten, habe ich Ihrerseits keine Information erhalten. Da ich des Weiteren nichts Verbotenes getan habe, verstehe ich Ihre Aufregung überhaupt nicht", antworte ich und lehne mich gemächlich in dem Lederstuhl zurück. Ich bin zwar untergeordnet bezüglich der Berufshierachie, aber kein Mensch unterer Klasse, der sich alles gefallen muss. Am liebsten würde ich die Füße siegessicher auf den Schreibtisch abstellen, nur könnte das ganz schnell nach hinten losgehen. Wortwörtlich. Es wäre ziemlich peinlich, wenn ich nach hinten kippen und mir den Kopf an der weißen Wand aufschlagen würde. Das würde einen riesigen roten Fleck und eine fiese Beule hinterlassen, für die ich absolut keine coole Ausrede parat hätte. Mr. Arschloch versteift sich kaum merklich, macht ganz den Anschein, als wolle er sich auf einen Kampf vorbereiten. Einen Kampf, den ich nur liebend gerne austragen würde. „Wären Sie mir wahrhaftig überlegen, so wie Sie es denken, dann würden Sie auch zwischen den Zeilen lesen können." Er kommt einen weiteren Schritt auf mich zu, sodass seine langen Beine wenige Zentimeter von dem Schreibtisch entfernt sind. „Denn damit ist auch gemeint, dass Sie Ihre schmutzigen Finger gefälligst von Firmeneigentum lassen sollen." „Wie soll ich Ihrer Meinung nach dann Datenblätter, Kassenbelege und anderweitige Dokumente einscannen und ausdrucken?", hacke ich nach und neige den Kopf. Im Großen und Ganzen waren das meine einzigen Aufgaben während der letzten beiden Tage. Der PC kam nur zum Einsatz, um die Scans in die jeweiligen Ordner abzulegen. Zugegebenermaßen habe ich mir den Job hier etwas anders vorgestellt, etwas verantwortungsvoller und spannender. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Hoffe ich jedenfalls, ansonsten werde ich schon in wenigen Tagen einschlafen. „Ach, verzeihen Sie, Miss Harrington", sagt er und legt sich die große Hand auf die Brust. Auf die muskulöse Brust, nebenbei bemerkt. „Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich meinte eigentlich, dass Sie ihre dreckigen Finger von Firmeneigentum lassen sollen, das Sie nicht für Ihren Aufgabenbereich benötigen." „Was genau zählt denn zu meinem Aufgabenbereich?" „Kopieren, Scannen und Drucken. Wenn Sie sich gut anstellen, eventuell sogar das Erstellen von neuen Ordnern." „Sie machen Witze", platzt es aus mir heraus. Das kann er nicht ernst meinen. Ich habe mich doch nicht beworben, um eine billige Assistentin der Sachbearbeiterin zu werden. Ich bin hier, um zu arbeiten, verdammt! „Sehen Sie mich etwa lachen?" „Nein, aber..." „Dann wüsste ich auch nicht, wieso ich Witze reißen sollte", unterbricht er mich und beugt sich ein wenig nach vorne. „Sie sind eine Praktikantin, schon vergessen? Sie wurden nicht eingestellt, um eine leitende Position einzunehmen oder wichtige Entscheidungen zu treffen. Dafür haben Sie weder die Qualifikationen noch den passenden Abschluss." „Das weiß ich doch, aber..." „Aber, was? Aber Sie haben mehr zu bieten?", fällt er mir erneut ins Wort und hebt die dunklen Brauen. Sein Tonfall verspottet mich, beleidigt mich und macht mich rasend. „Das bezweifle ich, schließlich kriegen Sie es noch nicht einmal hin einen gescheiten Kaffee zu kochen." Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, haut er mir eine Kaffeetasse vor die Nase. Die eine Hälfte ist abgebrochen, die andere mit potthässlichen Farben und dem künstlerischen Niveau eines Vierjährigen verziert. Ich frage mich, ob er mir sein Meisterwerk präsentieren oder lediglich auf den Schaden hinweisen möchte. So oder so begreife ich nicht, was er damit bezwecken will und blicke ihm ungerührt ins Gesicht. „Was soll ich damit?" „Sie sollen verdammt nochmal kein Firmeneigentum beschädigen!" Er stützt sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch ab und sieht wütend zu mir hinab. Ganz so als hätte ich gerade ein Betriebsgeheimnis ausgeplaudert oder seine verfluchte Tochter vom zweiten Stock geschubst. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass er ein Vater sein könnte. Sicherlich gibt es reichlich Frauen, die daran interessiert sind, ein Kind mit ihm in die Welt zu setzen, nur sieht er nicht wie ein Familienmensch aus. Er kommt eher wie ein waschechter Player rüber, der jede Nacht eine neue Frau in seinem Bett hat. „Ich bezweifle, dass dieser erbärmliche Gegenstand Wood Cooperation gehört", erwidere ich und zeige herablassend auf die Tasse. Eigentlich sieht sie gar nicht so schlimm aus, recht süß, wenn man bedenkt, dass sie ein Geschenk war. Wieso sollte er sonst wegen einer ganz normalen Kaffeetasse so ein Drama machen? Erst recht, wenn ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe. „Natürlich gehört es der Firma, wem denn sonst?" „Einer Kindergartengruppe?" Offenbar habe ich ihn mit meinem Kommentar völlig aus der Bahn geworfen, da sich sein Mund öffnet, allerdings kein einziger Ton herauskommt. Allmählich habe ich nämlich das Gefühl keinen normalen Mann vor mir stehen zu haben. Neben seinem viel zu attraktiven Aussehen hat er zudem dieses Feuer in sich. Es brodelt tief in ihm, jederzeit bereit auszubrechen und einen gigantischen Flächenbrand auszulösen. Und aus irgendeinem unerklärlichen Grund möchte ich den Moment, indem er die Kontrolle verliert, unbedingt miterleben. Ganz langsam lehne ich mich nach vorne und verschränke meine Finger auf dem Tisch. Dabei gucke ich ihm furchtlos in die Augen, jederzeit bereit den Ausbruch hautnah mitzuerleben. „Ich glaube nämlich nicht, dass diese Art von Kunst mit dem Unternehmensleitbild dieses Unternehmens übereinstimmt. Oder sind Sie etwa der Meinung, dass Strichmännchen und quadratische Herzen einer der umsatzstärksten Firmen der Welt repräsentieren?" „Wie bitte?" Ohne jeglichen Zweifel ist er kurz davor die Kontrolle zu verlieren. Wahrscheinlich malt er sich gerade aus, wie er mir die Tasse ins Gesicht rammt und mich gleich darauf wutentbrannt anbrüllt. „Ich habe gesagt, dass dieses armselige Ding nie im Leben Eigentum dieses Unternehmens sein kann. Mr. Wood würde diesen Quatsch nicht tolerieren, geschweige denn akzeptieren. Oder ist es ihm etwa egal, dass er damit seinen hoch angesehenen Ruf in Schutt und Asche legt?" Ich kenne Peter seit ich denken kann. Er war schon immer der Vater, den ich mir immer gewünscht, aber nie gekriegt habe. Wann immer ich ihn mit seinen beiden Töchtern sah, hat mein Herz geschmerzt, da er einen so liebevollen und fürsorglichen Umgang mit ihnen pflegt. Er ist regelmäßig mit ihnen weggefahren, hat sich darum gekümmert so oft wie nur irgend möglich - so oft wie es ein Geschäftsmann seines Ranges eben kann - Zeit mit ihnen zu verbringen und sie gut zu erziehen. Ich weiß nicht, ob das an dem schweren Schicksalsschlag liegt, den diese Familie erlitten hat, aber sie sind mehr als beneidenswert. Mr. Arschloch kneift seine hellen Augen zusammen, sodass ich schnell das schlechte Gewissen runterschlucke, das mich bei all den Erinnerungen einholt. Diese drei sind eigentlich viel zu gut, als dass ich sie derart verletzen könnte - wenn man es genau nimmt, tut dies ja mein Vater und nicht ich; ich übermittle nur die Informationen. Sie haben es nicht verdient. Wenn ich allerdings genau darüber nachdenke, dann muss es ja einen Grund geben, wieso es mein Vater auf seinen ehemaligen besten Freund absieht. Irgendwas muss doch vorgefallen sein, dass er sich an ihm rächen möchte. Die Frage ist nur, was. „Sie wissen schon, dass wir über eine Kaffeetasse sprechen, oder?" „Das tue ich sehr wohl, Sie aber anscheinend nicht." Ich hebe eine ordentlich gezupfte Braue und neige den Kopf, sodass meine glatten Haare meine Schulter streifen. Die Tatsache, dass er aus einer mickrigen Mücke einen riesigen Elefanten gemacht hat, lässt er außenvor. Ist das zu fassen? Erneut öffnet er den Mund, sagt aber nichts. Seine vollen Lippen spalten sich lediglich und geben ein Paar schöner weißer Zähne frei. Viele der anderen Mitarbeiter hier legen viel mehr Wert auf ihr Äußeres. Ihre Nägel sind perfekt manikürt, ihre Haare mit einer Tonne Haargel vollgekleistert – seine sehen so aus, als wäre er flüchtig mit einer nassen Hand durchgefahren – und jedes abstehende Haar gründlich eliminiert. Warum gibt er also kein Vermögen für seinen Körper aus? Wieso sieht er so aus, als würde er sich keine Mühe um sein Aussehen geben und trotzdem viel zu attraktiv sein? Statt mir zu antworten, haut er seine Hand abrupt auf die Kaffeetasse, sodass ich leicht zusammenzucke. Meine Beine verspannen sich, bereit mindestens genauso schnell hochzuschießen. Doch er möchte mich gar nicht angreifen. Jedenfalls nicht physisch. „Ich werde schon noch was finden." Er hebt die Tasse hoch und zeigt mit dem Zeigefinger der gleichen Hand auf mich. „Ich werde etwas finden, um Sie begründet rauswerfen zu können und wenn es das letzte ist, was ich tue." „Ich kann's kaum erwarten", erwidere ich und spüre wie sich meine Mundwinkel siegessicher nach oben bewegen. Ungerührt macht er auf dem Absatz kehrt und stampft aus dem Raum. Direkt auf seine Tür – inzwischen bin ich mir sicher, dass es sein Büro ist – zu, die er mit einem kräftigen Laut zuschlägt. Was zum Teufel war das?
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