Sage
Es ist eine Sache in Harrington Atlantics herumzuschlendern und mit all den bekannten Gesichter zu plaudern und eine ganz andere Sache auf meinem allerersten Arbeitsplatz mit meinen allerersten Arbeitskollegen über die langweiligste Arbeit aller Zeiten zu sprechen. Beides findet in einem schicken, unpersönlichen Gebäude statt, umgeben von ständig summenden Druckern, Computern und anderen elektronischen Hilfsmitteln. Nichtsdestotrotz ist es bei meinem Vater ein Tick angenehmer – hauptsächlich, wenn er nicht anwesend ist.
Schon als kleines Kind habe ich mir ausgemalt irgendwann einmal neben William Harrington zu stehen, einen Vortrag vor absurd reichen Geschäftsmännern zu halten und alle vom Hocker zu hauen – nicht wortwörtlich. Ich wollte mit ihm gemeinsam der Konkurrenz in den Hintern treten, die Firma übernehmen und all die Liebe erhalten, die ich mir schon so lange gewünscht habe.
In meiner Vorstellung hätten wir beide ein ganzes Imperium geschaffen, die Flugzeugindustrie auf den Kopf gestellt und noch mehr Geld verdient, als wir es bereits jetzt tun. Wobei es mir nie ums Geld ging. Die Kohle war für mich immer nebensächlich, genau wie der Ruhm und das Ansehen. Mir war es vollkommen egal, welche Frisur ich trug, mit welchen Leuten ich befreundet war oder welche Markenklamotten ich anhatte. Ich wollte einfach nur ein Kind sein, nicht darüber nachdenken, was andere von mir halten könnten.
Anders als meine ach so liebe Mutter, die fast schon besessen von der Meinung anderer war – und immer noch ist. Es durfte ja kein Haar schief liegen, ja kein Lachen zu herzlich sein und ja kein Accessoire zu wenig an meinem Körper hängen. Selbst mit achtzehn Jahren drängte sie mich ständig dazu perfekt auszusehen, damit die Leute ja kein falsches Bild von uns bekommen. Wann immer ich sie darauf aufmerksam machte, dass dies eigentlich genau das richtige Bild sei – eine kaputte Familie, die hinter verschlossenen Türen nichts mehr als kühle Distanziertheit für einander übrig hat –, rügte sie mich mit einem mahnenden Blick. Wenn ich rebellisch war und solche Andeutungen in der Öffentlichkeit machte, schlang sie lediglich ihre kalte Hand um meinen Oberarm und drückte zu. Nicht zu fest, die Leute sollten ja nicht auf falsche Gedanken kommen.
Ich habe all diesen Bullshit so dermaßen satt. Diese elenden Lügen, dieses falsche, hinterhältige und vorgespielte Verhalten und am meisten meine früheren Träume. Nach all den Jahren, in denen ich meinen Vater hautnah erleben durfte, all die widerlichen Details seines verdorbenen Charakters erfahren habe, will ich unter keinen Umständen jemals mit ihm zusammenarbeiten. Weder in einer gemeinsamen Firma noch auf anderen Wegen.
Unser aktueller Plan zählt eigentlich mit dazu, doch mir blieb keine andere Wahl.
„Ich will dir ja nicht zu nahe treten, Süße, aber du siehst ziemlich scheiße aus", reißt mich eine weibliche Stimme aus den Gedanken. Als ich meinen Kopf abrupt zur Seite drehe und Lydia erblicke, die die geräumige Küche betritt, durchfährt mich ein leichter Stich im Nacken. Er zieht sich bin hin zu meiner Schulter und erinnert mich an die Folterstunden am Wochenende.
Nachdem mich meine Eltern am Samstag fast schon tyrannisiert haben, weil sie ausnahmsweise mal ein ganzes Wochenende nicht unterwegs waren, war ich am Sonntag wie geladen. Ich musste meine Wut unbedingt herauslassen, bevor ich noch jemanden verletzte. Also ging ich in den frühen Morgenstunden im Park joggen, in der Hoffnung Dampf abzulassen und mich wieder zu beruhigen. Nur als ich danach in verschwitzten Klamotten, dreckigen Laufschuhen und einem nicht vorhandenen Make-up das Haus betrat, traf ich unglücklicherweise direkt auf meine Mutter.
Selbstverständlich konnte sie es sich nicht entgehen lassen, mir eine Standpauke nach der anderen zu verpassen und meine Nerven auf die Zerreißprobe zu stellen.
Wie kommst du nur auf die dämliche Idee in einem öffentlichen Park laufen zu gehen? Was wenn dich jemand gesehen hat? Was werden die jetzt von uns denken? Sicher spricht sich herum, wir würden dir keinen eigenen Personaltrainer zur Verfügung stellen! Was dann? Hm? Was wirst du der Presse dann sagen? Oder deinen Freundinnen? Glaubst du etwa, irgendjemand von deinen Mädels will dann noch mit dir befreundet sein? Mit Sicherheit nicht!
Mutters hysterischer Monolog hatte meine Laune ins Bodenlose katapultiert, sodass ich ohne ein weiteres Wort in mein Stockwerk gestürmt bin. Ich habe mich noch nicht einmal umgezogen, habe mir bloß meine Trainingsklamotten geschnappt und bin ins Studio gefahren. Ihre nörgelnde Stimme surrte unentwegt in meinem Ohr weiter, bis ich drei Stunden später vollkommen erledigt und keuchend auf der dunkelblauen Matte zu Boden fiel.
Mir rauschte der Kopf, das Blut floss heiß und brodelnd durch meine Venen, aber das hinderte mich nicht daran nach einer kurzen Verschnaufpause eine weitere Runde einzulegen. Keiner der anderen Studiobesucher kam auf mich zu, niemand fragte, wieso ich den Boxsack malträtierte, selbst dann nicht, als ich die schweren und von meinem Schweiß glitschigen Boxhandschuhe auszog und mir die Haare aus dem Nacken strich. Keiner hatte den Mumm auch nur in meine Nähe zu kommen und das war auch ganz gut so. In dieser Verfassung bin ich unberechenbar.
„Sagen wir's so, das Wochenende war sehr lang", murmle ich und schiebe die letzten Ereignisse weit weg. Ich muss Privates von Beruflichem trennen, genau wie ich Vergnügen von der Realität trenne.
Lydia stellt sich neben mich, lehnt ihre kurvige Hüfte gegen die Arbeitsplatte und setzt ihre Lieblingskaffeetasse neben meiner ab. Offensichtlich ahnt sie nicht, was ich die letzten beiden Tage über gemacht habe, geschweige denn von dem Muskelkater, der meine Arme unerträglich strafft – gleichzeitig fühlt sich dieses ständige Ziehen unglaublich gut an.
„Zu hart gefeiert?", hackt sie nach und hebt ihre roten Augenbrauen. Dabei runzelt sich ihre glatte Stirn, lässt erahnen, dass sie nicht so jung ist, wie sie scheint. In Wirklichkeit ist sie nämlich siebenundzwanzig und einer der beeindruckendsten Frauen, die ich je kennengelernt habe.
Sie hat es ohne jegliche Hilfe geschafft eine erfolgreiche Mitarbeiterin von Wood Cooperation zu werden und die heißbegehrte Stelle als persönliche Assistentin zu ergattern. Statt aufs College zu gehen, so wie es ihr ihre Eltern geraten haben – sie fast schon gedrängt haben –, hatte sie eine Lehre begonnen und ist mit neunzehn ausgezogen. Daraufhin hat sie hart gearbeitet, wechselte von einer guten Firma zur nächsten, bis sie letztlich hier landete und den Posten eroberte, den sie sich so sehr gewünscht hatte. Bis sie endlich einen unbefristeten Vertrag erhalten und ihre eigene persönliche Assistentin bekommen hatte.
Laut Lydia macht ihr der Job hier Spaß, die meisten Mitarbeiter sind nett und behandeln sie mit gebürtigem Respekt. Die wenigen Kandidaten, die es nicht tun, denken offenbar, sie hätte sich hochgevögelt.
Diese Theorie ist unglaublich beleidigend und intolerant, denn nur weil man eine Spitzenposition in einer Spitzenfirma hat, heißt das noch lange nicht, dass man dafür seinen Körper benutzt hat.
Solche geschmacklosen Dinge werden einem Mann nie vorgeworfen!
Wieso müssen wir Frauen uns solche respektlosen Anschuldigungen anhören, während die Männer sich in ihrem Ruhm suhlen können? Sie müssen sich nicht anhören, dass sie es gar nicht erst verdient haben, an dieser Stelle zu sein. Und warum? Etwa, weil sie einen p***s besitzen? Oder Eier in der Hose haben?
Übrigens, falls das rein zufällig noch niemandem aufgefallen ist, wir Frauen besitzen ebenfalls Eier, nur heißen sie bei uns Eierstöcke. Das sollte man mal den ganzen Ärzten berichten, das würde ja glatt eine Revolution verursachen!
Trotz all der widerlichen Vorwürfe hat sich Lydia nie unterkriegen lassen. Sie hat weitergemacht und steht jetzt an der Spitze ihrer Karriere.
„So ungefähr", antworte ich ihr mit einer kleinen Verzögerung und schenke uns beiden etwas von dem Kaffee ein. „Wie war dein Wochenende?"
„Anstrengend, ich habe die ganze Wohnung geputzt. Fenster, Boden und Bad."
„Wieso hast du das nicht jemand anderen machen lassen?" Mit ihrem Gehalt – ich kenne keine genaue Summe, aber dass sie sich all die unterschiedlichen Louis Vuitton-Taschen und die Prada-Schuhe leisten kann, sagt schon einiges aus – könnte sie sich doch locker eigenes Personal besorgen. Eine Haushälterin, eine Köchin, einen Gärtner und einen Style-Berater, wobei sie den nun wirklich nicht braucht.
Sie legt ihren Kopf schief, sodass ihre roten Locken die schwarze Bluse streifen und einen feurigen Kontrast abgeben. „Wieso sollte ich? Ich habe doch zwei gesunde Beine und zwei gesunde Hände."
Mittlerweile hat sie ihre Stirn gerunzelt und kann nicht begreifen, dass ich diese Fragen wahrhaftig stelle. Aber wenn man noch nie zuvor einen Waschlappen in der Hand gehalten hat, geschweige denn etwas selbst geputzt oder aufgeräumt hat, dann sind diese Fragen meiner Meinung nach ziemlich berechtigt.
„Machst du das immer?"
„Was? Putzen?"
Es ist nicht so dass ich verwöhnt bin – vielleicht ein bisschen –, ich durfte nur eben nie mitanpacken. Meine Mutter hatte immer Angst davor, ich könnte mir wehtun und irgendwelche Schrammen oder blauen Flecke davontragen. Die Leute sollten nicht auf die Idee kommen, ich würde Zuhause geschlagen oder wie ein normales Kind behandelt werden, das im Haushalt hilft. Nein, die Tochter von reichen Geschäftsleuten sollte ja nie hinter sich selbst putzen oder sich selbst Essen kochen sollen.
Mein Vater hingegen hat sich noch nie Gedanken darüber gemacht. Für ihn war es immer selbstverständlich nicht hinter sich aufzuräumen, das ist ja schließlich der Job der Frauen.
Idiot.
„Ja, eigentlich schon. In der Regel putze ich jedes Wochenende meine Wohnung, außer natürlich, wenn ich es zeitlich nicht schaffe oder einfach so erledigt bin, dass ich einfach nur entspannen möchte."
„Oh, wow. Okay."
„Warum überrascht dich das so sehr? Sehe ich etwa nicht aus, wie jemand der putzen kann?", fragt sie belustigt und nimmt mir meine Fragen anscheinend nicht übel. Sie amüsieren sie eher, was mich doch ein wenig beruhigt.
„Doch, doch. Es wundert mich nur ein bisschen, dass du trotz deines hohen Gehalts keine eigenen Angestellten hast", gestehe ich und verlagere mein Gewicht auf das linke Bein. Ich lehne meine Hüfte ebenfalls gegen das beige Marmor der Arbeitsplatte und genieße die Ruhe. Normalerweise ist die Gemeinschaftsküche ständig in Betrieb. Die Leute gehen rein, um sich einen kleinen Snack zu schnappen oder sich etwas von dem köstlichen Kaffee nachzuschenken, gehen raus und lassen die Tür dabei offenstehen oder halten sich etwas länger auf, um mit einem anderen Mitarbeiter zu plaudern oder eine Zwischenmahlzeit zu sich zu nehmen. Im Großen und Ganzen ist man hier nie allein, was mir irgendwann sicherlich noch ziemlich auf die Nerven gehen wird.
Lydia zuckt mit den Schultern und dreht sich um, sodass sie sich mit ihrem Steißbein gegen das Brett stützen kann. „Keine Ahnung, ich sehe einfach keinen Sinn darin, jemanden einzustellen, der Dinge für mich erledigt, die ich genauso gut selbst machen kann. Das Geld könnte ich zudem auch viel besser investieren."
„Und in was?"
„In ein neues Auto. In einen schönen Urlaub. Oder einfach in neue Schuhe." Als sie mich erneut ansieht, heben sich ihre Mundwinkel leicht an. „Was ist mit dir? Was wirst du mit dem Geld machen, das du hier verdienst?"
„Ich weiß nicht, vielleicht eine Party schmeißen", spreche ich prompt das aus, was die Leute von mir erwarten zu hören. Niemand rechnet damit, dass ich das Geld in Wahrheit spare. Wieso sollte auch die einzige Tochter von William und Barbara Harrington überhaupt nur einen Cent sparen, wenn sie sowieso alles in den Arsch geschoben bekommt?
Weil man immer auf Nummer sicher gehen muss.
Nur braucht das keiner erfahren. Ich komme damit klar, wenn mich die Leute als eingebildetes, verwöhntes Bonzen-Kind abstempeln. Das war ich von meiner Geburt an und das wird sich auch nie ändern, selbst wenn ich anfange mein eigenes Geld zu verdienen – auf legalem Weg. Die Menschen werden immer ihren Senf dazugeben, obwohl sie nicht einmal die leiseste Ahnung haben.
„Guter Plan", meint sie und zwinkert mir zu. „Wäre ich noch so jung und hübsch wie du, dann würde ich genau das Gleiche tun."
Eigentlich will ich ihr gerade sagen, dass sie genau das ist, doch da betritt auch schon jemand den Raum und unterbricht unsere Konversation.
„Sollten Sie nicht an die Arbeit gehen, Miss Harrington?"
Woher um Gotteswillen weiß er, dass ich hier stehe, wenn er seinen Blick noch nicht einmal annähernd in meine Richtung gelenkt hat? Er schlendert derart entspannt zum Kühlschrank, der auf der gegenüberliegenden Seite der Küche aufgestellt ist, dass ich mich frage, ob es hier Kameras gibt. Dabei wäre es ziemlich beängstigend, wenn er uns beobachten würde.
Sosehr ich sein Auftreten auch ignorieren und unser Gespräch fortsetzen würde, kann ich mich einfach nicht von seinem breiten Rücken losreißen.
Für seinen marineblauen Anzug war er ohne Zweifel bei einem Meisterschneider. Jemandem, der darauf spezialisiert ist reichen Geschäftsmännern absurd teure aber qualitativ hochwertige Klamotten zu kreieren. Diese Leute schaffen es aus einem relativ gutaussehenden Mann einen Womanizer zu zaubern und Mr. Arschloch scheint eines seiner Meisterwerke geworden zu sein. Wer auch immer ihm diesen Anzug geschneidert hat – oder jeden anderen den er sonst trägt –, verdient eine Auszeichnung, weil er trotz seines ekelhaften Verhaltens unwiderstehlich aussieht. Was er mit Sicherheit weiß.
Mittlerweile vermute ich nicht bloß, dass er ins Fitnessstudio geht – dreimal die Woche mindestens – und unter all den Schichten teurer Klamotten einen durchtrainierten Körper vorzuweisen hat, sondern weiß es. Diese Muskeln bilde ich mir nämlich nicht ein und das erschwert es mir erheblich einen klaren Kopf zu behalten. Statt mich auf seine beißenden Worte zu konzentrieren oder darauf zu achten, was er aus dem Kühlschrank holt, würde ich lieber beißend über seine Brust fahren. Ihm das hautenge weiße Hemd vom Leib reißen – wortwörtlich – und über jeden steinharten Muskel, jede gespannte Sehne und jedes glühend heiße Fleckchen Haut gleiten. Ich würde meine Hände einsetzen, meinen Mund und ganz vieles mehr. Ich würde uns beide in den Wahnsinn treiben – im bestmöglichen Sinne.
Blöderweise würde mich dieses verlockende Szenario mein Praktikum kosten und wenn ich Pech habe meine gesamte Zukunft noch dazu.
„I-Ich habe nur ein bisschen geredet, ich mache mich gleich wieder an die Arbeit", unterbreche ich meine eigenen versauten Gedanken und klinge mit meiner leicht kratzigen Stimme fast schon lächerlich. Noch vor wenigen Minuten habe ich mich ermahnt Privates von Beruflichem zu trennen und eine Affäre mit Mr. Arschloch – sei es nur in meiner Vorstellung – wäre genau das Falsche. Genau das, was ich unter keinen Umständen zulassen dürfte.
„Gleich ist gleich zu spät." Als er sich zu uns dreht, setzt mein Herz für einen Schlag aus. Denn sein Blick scheint ganz so als hätte er meine Gedanken gelesen. Als wüsste er haargenau, was sich in meinem Hirn abspielt, welche Wirkung er auf den impulsiven Teil meines Körpers hat.
Nichtsdestotrotz lässt er nicht locker, setzt eine Schippe drauf, sodass ich mich unwillkürlich frage, was er bloß gegen mich hat. Was habe ich ihm angetan, dass er mich verabscheut? Ist es wegen meinem Vater? Kennt er ihn etwa? Oder jemand anderen aus meiner Familie? Hat er schlechte Dinge über uns gehört und möchte sich jetzt im Namen der Bevölkerung an uns rächen? Was verleitet ihn nur dazu so respektlos mit mir umzugehen? Was!?
„Reden können Sie auch in Ihrer Pause. Während der Arbeitszeit hingegen erwarte ich von Ihnen, dass Sie arbeiten. So wie es sich eben gehört."
Ich beiße mir auf die Zunge, um mir eine freche Bemerkung zu verkneifen. „Es waren nur ein paar Minuten."
„Ein paar Minuten zu viel." Nun dreht er uns wieder seinen prächtigen Rücken zu, holt Besteck aus der einen Schublade und eine Schüssel aus dem beigen Küchenschrank über seinem Kopf. Er stellt alles auf der Arbeitsplatte ab, die genauso aussieht wie die, an die wir gelehnt sind.
„Sie wiederholen sich", sage ich nach einer kurzen Pause und kneife die Augen unbewusst zusammen. Es nervt mich, dass er mich vor Lydia so blöd dastehen lässt. Konnte er mich nicht auch beim Betreten der Küche ignorieren? Musste er unbedingt diesen unnötigen Kommentar ablassen und auf mir herumreiten? Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen so wie er jeden anderen Mitarbeiter in Ruhe lässt?
„Und Sie stehen immer noch hier und nicht in Ihrem Büro." Ohne sein Gesicht sehen zu können, kann ich sein siegessicheres Grinsen förmlich riechen. Er ist doch wahrhaftig davon überzeugt einen weiteren Punkt in unserem verbalen Kampf ergattert und mich vor meiner neuen Arbeitskollegin blamiert zu haben.
Auch wenn ich das nicht gerne zugebe, hat er nicht ganz Unrecht.
Zwar kenne ich Lydia erst seit einer Woche, trotzdem sehe ich in ihr eine potenzielle Freundin. Ihre offene Art, ihre schamlose Ehrlichkeit und ihr elegantes Auftreten faszinieren mich. Diese Kombination ist ehrlicherweise angenehm erfrischend.
Sie war die erste, die nach Mrs. Lewis auf mich zukam und mir etwas von meiner Nervosität genommen hat. Es war ihr egal, welchen Namen ich trage oder dass ich einer der reichsten Töchter Amerikas bin.
Hoffe ich jedenfalls.
„Zeit ist Geld. Das sollten Sie allmählich gelernt haben, Miss Harrington", meint das Arschloch und hantiert weiter mit irgendwas. Wahrscheinlich schneidet er gerade Eier zurecht, wovon ich ihm lieber abraten würde. Nicht dass er noch die letzten existierenden Eier zerstört, die er noch besitzt.
„Oder hat Ihnen das Ihr Daddy nicht beigebracht?"
Am liebsten würde ich ihm eine Kopfnuss verpassen, die sich gewaschen hat. Ich will seinen dämlichen Kopf gegen das edle Holz des Küchenschranks schnellen lassen und dann wie einen aufgeblasenen Luftballon aufplatzen sehen. Er soll bluten, denn genau das macht er mit mir. Mit seinen verletzenden Kommentaren kratzt er an Wunden, die eigentlich heilen sollten.
Doch ich schweige, schlucke es so wie immer runter. Niemand braucht erfahren, wie es in Wirklichkeit bei uns aussieht.
„Ist das dein Ernst? Du willst ihr sagen, dass man auf der Arbeit arbeiten soll? Du? Hast du irgendwelche Wahrnehmungsstörungen?"
Er hält in seiner Bewegung inne und an seiner versteiften Haltung kann man erkennen, dass ihm Lydias feixender Tonfall nicht entgangen ist.
„Wie bitte?"