Ich hatte nicht erwartet, dass Vermissen so schmerzhaft sein könnte. Wir waren uns so nah gekommen und jetzt fehlte mir alles von ihr - an jedem einzelnen Tag. Ihre Hände, die meine berührten, ihre Lippen, die mich küssten. Ich vermisste ihre Nähe und ihre Wärme. Manchmal nahm ich irgendwo ihren Duft war und es versetzte meinem Herzen einen Stich, weil sie nicht da war. Alles was ich wollte, war sie unbedingt wiederzusehen, sobald wie möglich.
Mein Wunsch sollte sich bald erfüllen, denn sie lud mich zum Monatsende zu sich nach Hause ein Wir wollten das Wochenende gemeinsam verbringen und ich sollte ihre Familie kennenlernen.
Schon auf der langen Fahrt zu ihr war ich ziemlich aufgeregt. Ich hatte pünktlich Feierabend gemacht und startete gleich von der Arbeit aus. Je weniger Kilometer ich noch vor mir hatte, umso mehr stieg meine Vorfreude auf sie. Aber ich kam wesentlich später als gedacht bei ihr an, weil mir der Verkehr einen Strich durch die Rechnung machte. Mehrere Staus hielten mich auf und als ich mich wegen einer Baustellensperrung auch noch verfuhr, war es bereits später Abend.
Ich stand am Kofferraum und holte meine Reisetasche heraus, da ging schon das Gartentor auf und ich hörte einen Hund auf mich zu tapsen. Es war ihre Hündin, die mich schwanzwedelnd begrüßte. Darauf folgte sie und als ich sie so auf mich zu kommen sah, traf es mich mitten ins Herz.
„Hey du. Schön, dass du da bist.“ begrüßte sie mich mit einer liebevollen, langen Umarmung. Wie hatte mir das gefehlt. Ich atmete tief ihren Duft ein, bevor wir uns wieder voneinander lösten. Sie ergriff meine Hand und wir gingen ins Haus. Sofort fühlte ich mich bei ihr wohl. Sie hatte etwas zu essen für uns vorbereitet und den Rest des Abends verbrachten wir mit einem Glas Wein auf dem Sofa. Auch wenn wir jeden Tag viel miteinander schrieben, ging uns der Gesprächsstoff nie aus.
„Was ist mit deiner Schulter?“ fragte sie plötzlich. Ihr war aufgefallen, dass sie mir schmerzte, ohne dass ich ein Wort darüber verloren hatte. „Wie wäre es mit einer Massage?“ bot sie mir mit einen unwiderstehlichen Lächeln an. Da konnte ich einfach nicht Nein sagen. Mein Herz machte einen Freudensprung bei den Gedanken ihre Hände zu spüren. Sie kniete sich hinter mich und zog mir mein Shirt aus. Mein Nacken und meine linke Schulter war ziemlich verspannt. Ihre Hände waren wirklich eine Wohltat. Immer wieder spürte ich auch ihre Lippen auf meiner Haut, was ein Kribbeln bis in meine Fingerspitzen verursachte. Sie war so zärtlich, so berührend, dass ich vollkommen unter ihren Händen entspannte.
„Ist es gut so?“ wisperte sie in mein Ohr.
„Oh ja.“ seufzte ich.
„Was hältst du davon, wenn wir ins Bett gehen zum Kuscheln? Wir haben morgen einiges vor.“
„Haben wir? Was denn?“ fragte ich neugierig nach. Sie stellte sich vor mich und reichte mir ihre Hände. Ich griff zu und sie zog mich hoch, ganz nah zu sich heran.
„Das wird nicht verraten. Das ist eine Überraschung.“
Als wir uns kurz darauf in ihrem Bett aneinander schmiegten, nahm ich ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf.
„Du machst mich sehr glücklich.“ gestand ich ihr.
„Das ist schön. Du mich auch.“
Ihre Hand glitt durch mein Haar und ich schloss die Augen.
„Sehr.“
Der Klang ihrer Stimme war mir inzwischen so vertraut. Ich liebte es, ihr so nah zu sein. Ihr Herzschlag war das letzte, was ich hörte, bevor ich ins Land der Träume hinüber glitt.
Als ich aufwachte, spürte ich sofort, dass mir etwas fehlte. Mit halb geschlossenen Augen tastete ich neben mich. Doch der Platz war leer. Als ich mich streckte, ging die Tür auf und sie kam herein.
„Hey du Schlafmütze – aufstehen.“ Sie zog mir voller Elan die Decke weg und stieg zu mir aufs Bett.
„Oh, wie viel Uhr haben wir es?“ murmelte ich verschlafen.
Sie grinste und ich fand sie unheimlich süß dabei. „7 Uhr!“ Verschlafen blinzelte ich sie an.
„Oh, doch schon so spät?“ stellte ich im Spaß fest.
Was hatte sie nur mit mir vor, wenn sie an einem Samstagmorgen so früh auf den Beinen war?
„Wenn ich auch aufstehen soll, dann muss meine Prinzessin mich aber wenigstens wach küssen.“ scherzte ich und schloss wieder die Augen in Erwartung ihrer Lippen. Doch stattdessen setzte sie sich auf meine Beine und fing an mich an meinem Bauch zu krabbeln.
„Hör auf!“ rief ich entsetzt und war blitzartig wach. „Hör auf, ich bin kitzelig!“
„Um so besser!“ lachte sie nur und machte weiter. Ich versuchte mich bei ihr zu revanchieren, aber ich fand keine Stelle, an der sie auch krabblig war.
„Da suchst du vergeblich.“ amüsierte sie sich und machte bei mir gnadenlos weiter. Ich schnappte hilflos nach Luft.
„Bitte! Hör auf! Ich ergebe mich. Bitte! Ich tue auch alles, was du willst!“ bettelte ich, ich konnte einfach nicht mehr vor Lachen. Sie hielt meine Hände und drückte sie über meinem Kopf ins Bett. Langsam beugte sie sich zu mir herunter, so dass unsere Gesichter sich ganz nah waren. „Alles?“ fragte sie und ihre Augen blitzten mich dabei an. „Alles!“ versprach ich und küsste sie.
Wie sie so zwischen meinen Beinen auf mir lag, wurde mir ganz anders. Sie brachte mein Blut in Wallung. Ihre heißen Küssen ließen meinen Atem schneller gehen. Ihr Shirt war ein Stück nach oben gerutscht. Schüchtern streichelte meine Hand an der frei gewordenen Stelle über ihre Haut. Für mich unerwartet, griff sie sie und schob sie unter ihr Shirt über ihre Seite, langsam immer höher bis auf ihre Brust.
„Oh Gott!“ keuchte ich auf und ich war nicht mehr in der Lage irgendetwas zu sagen oder zu tun. Ich hörte nur noch mein Herz, wie es kräftig schmetternd in meiner Brust klopfte und sah in ihre leuchtenden Augen über mir.
Da spürte ich es das erste Mal ganz intensiv in mir. Mein Herz war voll, voller Gefühlen für sie und dabei überzufließen.
Ein Klingeln beendete diesen besonderen Moment. Sie gab mir noch einen Kuss, bevor sie zur Seite glitt und aufstand. An der Zimmertür blieb sie stehen und drehte sich nochmals zu mir um. Sie sprach kein Wort, aber ihr Blick sagte mir dafür umso mehr. Nachdem sie mir einen Luftkuss zugeworfen hatte, verließ sie den Raum, um an die Tür zu gehen.
Mit immer noch flattrigen Herzen stieg ich aus dem Bett und suchte meine Sachen aus meiner Tasche. Nebenan hörte ich Stimmen und wartete, bis die Wohnungstür wieder ins Schloss gefallen war.
Dann kam ich heraus. Sie wedelte mit einer Tüte vor mir herum.
„Unsere Frühstücksbrötchen! Beeile dich, sonst esse ich sie ganz allein.“
Ich steckte ihr im Spaß die Zunge heraus und verschwand im Bad.
Auch nach dem gemeinsamen Frühstück wollte sie mir immer noch nicht verraten, was sie als Überraschung für den heutigen Tag geplant hatte.
Ein Rucksack war bereits fertig gepackt und gegen 8 Uhr starteten wir mit ihrem Auto.
„Ich bin so was von gespannt. Wann sagst du mir, was wir heute vor haben?“ wollte ich nach einer Stunde Autofahrt wissen. Zumindest erkannte ich an der Richtung, dass wir weiter Richtung Norden fuhren.
Sie ergriff meine Hand und schlenkerte ein wenig damit herum.“Gut, ich verrate es dir. Ich will mit dir ans Meer.“ Ich schwieg vor Rührung.
„Alles okay?“ fragte sie besorgt, noch immer meine Hand haltend.
„Nein, alles gut. Ich freue mich nur sehr darauf. Das wollte ich schon immer – ans Meer. Und mit dir zusammen ist es, als ob ein Traum wahr wird.“
Sie drückte meine Hand und ich war froh, sie gefunden und hier an meiner Seite zu haben.
Wir fanden ohne Probleme einen Parkplatz, der nicht zu weit vom Strand entfernt war. Sie ließ ihre Hündin aus der Transportbox im Kofferraum und rief nach mir. Ich dachte, sie würde irgendwie meine Hilfe brauchten oder ich sollte den Rucksack tragen. Doch stattdessen drückte sie mir ein großes, verpacktes Geschenk in meine Arme.
„Für dich!“ sagte sie nur.
Damit hatte ich zweimal nicht gerechnet.
„Pack es aus.“ drängte sie mich und ich sah wie ihre Augen vor Freude und Aufregung leuchteten. Vorsichtig löste ich die Schleife sowie das Geschenkpapier und eine Picknickdecke kam zum Vorschein.
„Eigentlich ist es ja etwas für uns beide. Ich dachte, dass wir sie vielleicht öfters zusammen brauchen werden.“ sagte sie leise und Schüchternheit klang aus ihrer Stimme. Ich konnte nicht anders und nahm sie einfach in den Arm.
„Danke mein Schatz. Es ist ein tolles Geschenk und ich denke mal, dass wir sie gleich mitnehmen sollten, oder?“
Sie bestätigte meine Vermutung und wir machten uns zu dritt auf den Weg zum Strand.
Der Himmel war an dem Tag grau bewölkt und die Sonne schaffte es kaum durch die Wolkendecke, aber das machte mir nichts aus. Der Anblick war für mich einfach überwältigend. Barfuß durch den Sand zu laufen, das Rauschen des Meeres zu hören, das Kreischen der Möwen. Es war viel schöner als in meiner Vorstellung.
Wir suchten uns ein schönes Plätzchen und breiteten dort unsere Decke aus. Ohne etwas zu sagen setzten wir uns und tauschten ein Lächeln aus, dass viel mehr bedeutete als viele Worte. Ihr Hund erkundete ein Stück des Strandes, begrüßte andere Vierbeiner, kehrte daraufhin wieder zu uns zurück und ließ sich im Sand nieder.
Ich beobachte fasziniert, wie das Wasser sich immer mehr entfernte und bald nur noch das Watt zu sehen war. Sie lag inzwischen ausgestreckt auf der Decke mit geschlossenen Augen neben mir.
„So muss sich Glück anfühlen.“ dachte ich mir und konnte mein Glück kaum fassen, hier zu sein mit ihr.
Kurze Zeit später krempelten wir unsere Hosenbeine hoch und machten uns auf einen kleinen Spaziergang durch das Watt. Es war ein ungewohntes, aber angenehmes Gefühl an den Füßen. Ich entdeckte ein paar Muscheln und wir schreckten einen Krebs auf, der sogleich die Flucht vor uns ergriff.
Als wir danach wieder zurück waren, setzte ich mich auf die Decke und sie sich vor mich zwischen meine Beine. Ich legte meine Arme um ihre. Zusammen blickten wir hinaus auf das Wasser, dass langsam wieder seinen Weg zum Strand zurück fand. Ich inhalierte ihren Duft, der sich mit der salzigen Luft vermischt hatte und gab ihr ein paar heimliche Küsschen in den Nacken.
„Ich wollte dir danken für diesen wunderschönen Tag am Meer und dich etwas fragen. Also, es ist eher ein Vorschlag, ich meine, nur, wenn du willst, nur erst mal zum Nachdenken, also ....“ stotterte ich etwas nervös herum. Ich hatte mir etwas überlegt und wusste nicht, wie sie darauf reagieren würde.
Sie nahm meine Hände und zog sie enger an sich. „Erzähl es mir.“ ermutigte sie mich.
„Was hältst du davon mit mir im Sommer in den Urlaub zu fahren.“
Jetzt war es raus und ich wartete auf eine Reaktion von ihr. Die wenigen Sekunden, die vergingen, bis sie mir antwortete, kamen wir mir wie eine verdammte lange Ewigkeit vor. Ich hatte Angst, dass ich mit meinem Vorschlag zu weit gegangen war, dass es ihr zu viel war für die relativ kurze Zeit, die wir uns kannten.
Sie lehnte sich ganz nah an mich.
Ob sie mein lautes Herzklopfen an ihrem Rücken spüren konnte?
„Ich finde es eine wunderschöne Idee.“
Beinahe verschluckte das Meer ihre Worte, aber ich hatte sie gehört. Sie drehte sich um und kniete sich vor mich.
„Oh ja, dass möchte ich gerne. Sehr gerne.“
Und ich sah in ihren Augen, dass sie alles so meinte, wie sie es sagte. Einen Moment lang war ich nicht in der Lage darauf zu reagieren. Als ich mich wieder gesammelt hatte, sprudelte es nur so aus mir heraus: „Wir könnten uns hier am Meer was schönes aussuchen oder bei mir in der Gegend oder woanders. Ein Hotel oder lieber eine Ferienwohnung, was die besser gefällt, oder …“
Sie legte einen Finger auf meine Lippen und ich verstummte.
„Darf ich mir was wünschen?“ fragte sie und ich nickte.
„Bitte zeig mir etwas, das ich noch nicht kenne. Such etwas für uns aus. Würdest du das tun?“
Ich war immer noch sprachlos und nickte bloß.
„Ich freue mich jetzt schon. Wirklich!“ fügte sie noch hinzu und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen.
„Du grinst wie in Honigkuchenpferd.“ lachte sie und gab mir noch einen Kuss auf meine Nasenspitze.
„Das liegt an dir. Nur an dir!“
Auf der Rückfahrt lag meine Hand auf ihren Oberschenkel und ihre auf meiner. So fuhren wir eine Weile schweigend, nur das Radio spielte einen Song nach dem anderen für uns.
„Was wollen wir heute Abend noch machen?“ fragte ich sie, als wir die Autobahn verließen.
„Hast du es vergessen? Wir sind heute Abend bei meiner Familie eingeladen.“ Sie hatte es mir am Telefon erzählt. Doch ich hatte nicht mehr daran gedacht. Mein Herz rutschte gerade in meine Hose und der Gedanke sorgte mit einem Schlag für ein flaues Gefühl in meinem Bauch.
„Ich habe kein Geschenk, kein Mitbringsel.“ stellte ich entsetzt fest. Ihre Hand lag noch immer auf meiner und streichelte sie sanft. „Das braucht es nicht. Aber ich habe eine gute Flasche Wein besorgt. Ist das okay für dich?“ Ich war ihr sehr dankbar dafür.
Überhaupt war sie eine tolle Frau und ich fragte mich immer mehr, ob ich überhaupt je wieder ohne sie sein konnte.
Bei ihr zuhause wollten wir noch jeder eine Dusche nehmen, um die Reste von Salz und Sand von der Haut zu spülen. Während sie im Bad war, überlegte ich verzweifelt, was ich anziehen sollte. Ich war so aufgeregt und wollte einen guten Eindruck machen.
Ich hörte, wie sie das Zimmer betrat und ihre Hand auf meine Schulter legte.
„Hey, mach dir keine Sorgen. Es ist nur ein Essen!“ Ich starrte immer noch auf meine Klamotten, die ausgebreitet auf dem Bett vor mir lagen.
„Was ist, wenn sie mich nicht mögen?“ sorgte ich mich. „Wenn ich kein Wort heraus bringe oder nur dummes Zeug rede?“
Sie fasste mein Kinn und drehte meinen Kopf sanft zu sich, so dass ich ihr in die Augen sehen musste. „Sie werden dich mögen. Hörst du? - Weil du ein wundervoller Mensch bist und weil du mir sehr viel bedeutest.“ Ihre Worte hingen in der Luft und drangen nicht nur in meine Ohren, sondern auch tief in mein Herz.
Ich strich ihr eine noch feuchte Strähne aus dem Gesicht und berührte dabei zärtlich ihre Wange. „Danke. Danke für Alles!“ sagte ich ihr aus ganzer Seele und musste sie einfach küssen. Erst als unsere Lippen sich wieder lösten, nahm ich wahr, dass sie nur in einem Handtuch eingewickelt neben mir stand.
„Mir würde gerade etwas ganz anderes einfallen, was ich viel lieber tun würde.“
Sie schüttelte lachend den Kopf und schlug mich spielerisch auf die Schulter.
„Ja, ja. Das kann ich mir denken. Schau lieber zu, dass du unter die Dusche kommst. Sonst kommen wir noch zu spät.“ Sie küsste mich nochmal auf meinen Mund und schob mich dann aus dem Zimmer.
„Das andere kannst du mir später zeigen.“ rief sie mir nach. Darauf duschte ich kalt, denn ich brauchte unbedingt eine Abkühlung. Ich konnte nicht erklären, was diese Frau mit mir machte, aber ich bekam nicht genug davon und wollte mehr.
Als wir schließlich bei ihren Eltern vor der Wohnung standen, die mit im selben Haus lag, merkte ich, dass meine Aufregung trotz Aufmunterung und guter Worte nicht verschwunden war. Ihre jüngere Schwester öffnete uns die Tür.
Darauf erschien ihr Vater. Musterte er mich kritisch oder bildete ich mir das nur ein? „Schön, dass ihr da seid.“ begrüßte er uns. Ich erwiderte seinen kräftigen Händedruck. Ihre Mutter kam gerade aus der Küche und stellte eine Schüssel auf den Tisch, bevor sie uns ebenfalls willkommen hieß. Ihre Oma war auch da. Eine rüstige, resolute Frau mit schneeweißen Haaren. Auch wenn meine Unsicherheit nicht gleich verflog, fühlte ich mich doch wohl und spürte die Herzlichkeit ihrer Familie.
Ich werde nie vergessen, als ich ihrer Mutter nach dem Essen beim Abräumen half. Sie fragte mich nach meinen Eltern und ich erzählte ihr, dass beide vor fünf Jahren bei einem Unfall gestorben waren. Da legte sie ihre Hand auf meinen Arm und meinte: „Das tut mir sehr leid. Auf jeden Fall bist du hier jederzeit willkommen.“ Ich musste schlucken und brachte nur ein Danke heraus, so sehr berührte mich ihre Freundlichkeit.
Als wir beide wieder zu den anderen zurück kehrten, fiel jegliche Anspannung von mir ab. Später kam noch die Jüngste ihrer Schwestern mit ihrem Freund dazu und unerwartet erschien auch ihre Tante, die in der Nachbarschaft wohnte. Ich unterhielt mich auch mit ihrer mittleren Schwester gut. Sie hatte ein paar Fragen zu meinen Beruf, weil sie einen Studiengang in diesem Bereich belegt hatte. Die Atmosphäre wurde immer lockerer und es gab viel zu lachen. Ich genoss den Abend mit ihrer Familie sehr. Meine Aufregung war wirklich umsonst gewesen.
Als wir uns weit nach Mitternacht im Bett lagen, flüsterte ich ihr ein Danke ins Ohr.
„Wofür?“ fragte sie, während ihre Finger meinen Arm entlang wanderten, als folgten sie einem Weg auf einer Karte.
„Für diesen wunderschönen Tag, dass ich deine Familie kennen lernen durfte und dass es dich einfach gibt in meinem Leben.“ Sie legte ihren Arm um mich und kuschelte sich ganz nah an mich.
Ich erwiderte ihre Umarmung und streichelte über ihren Rücken. Auch wenn sie nichts sagte, konnte ich spüren, was sie fühlte. Ich drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel und bald darauf schliefen wir eng umschlungen, Herz an Herz zusammen ein.
Der nächste Morgen kam viel zu schnell. Als ich aufwachte und sie schlafend neben mir sah, wusste ich, dass ich das wieder wollte, aufwecken neben genau dieser Frau, immer wieder. Ich versuchte die Gedanken an den baldigen Abschied zu verdrängen, den Moment in mich aufzusaugen und ihn dann in meinen Erinnerungen abzuspeichern. Ich würde sie brauchen, um die folgende Zeit ohne sie zu überleben. Obwohl ich wach war und nicht mehr einschlafen konnte, blieb ich bei ihr liegen.
In meinem Kopf tauchte die Zeile eines Liedes auf: 'Ich seh dich einfach an, dass könnt ich stundenlang.' Am liebsten hätte ich die Zeit angehalten, aber gerade wenn man sich wünscht, dass sie langsamer vergehen soll, dann läuft sich besonders schnell.
Nach dem Frühstück unternahmen wir noch einen langen Spaziergang durch den angrenzenden Wald mit ihrem Hund. Fast die ganze Zeit hielten wir uns an den Händen.
Auch danach, als wir an meinem Auto standen, wollte keiner den anderen gehen lassen. Ich schloss sie in meine Arme.
„Wir haben uns bald wieder. Versprochen.“ sagte ich ihr und konnte doch nicht verhindern, dass mir Tränen über meine Wangen liefen. Sie küsste ein paar davon weg.
„Das werden wir. Versprochen.“ Und dann stieg ich in mein Auto und fuhr los. Wieder sah ich sie im Rückspiegel und unterdrückte ein Schluchzen.
Wurde es mit jeden Abschied schlimmer und schwerer? Ich drehte das Radio bis zum Anschlag und machte mich mit schweren Herzen auf den Heimweg. Aber es fühlte sich so an, als würde ich in die falsche Richtung fahren, denn mein Zuhause war nur noch bei ihr. Da war ich mir ganz sicher.