2. Wenn man an nichts anderes mehr denken kann ...

1209 Words
So etwas war mir noch nie passiert. Ich schlug am Morgen meine Augen auf und sofort erschien sie in meinen Gedanken. Als ich am späten Abend in mein Bett ging, war sie diejenige, an die ich als letztes dachte. Wir schrieben viel, sehr viel, aber das war kein Ersatz für ihre Nähe. Es war nur ein Treffen gewesen, aber ich musste mir eingestehen, dass sie mir einfach fehlte. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr ich selbst zu sein. Es fiel mir schwer mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Überall war sie. Und es machte mich traurig, dass wir uns nicht sobald wiedersehen konnten, weil bei uns beiden an den nächsten Wochenenden verschiedene Termine anstanden. Also blieb uns erst einmal nur Schreiben und Telefonieren. Das änderte sich unerwartet an einem Mittwoch morgen, als ich bereits sehr früh im Büro war und plötzlich mein Chef vor mir stand. In einer Geschäftsstelle unserer Firma fand heute Mittag ein wichtiges Meeting statt und die für die Präsentation zuständige Kollegin war erkrankt. Er flehte mich regelrecht an einzuspringen, weil es mein Arbeitsgebiet betraf und es vor Ort niemand anderes übernehmen konnte. Den Schlüssel vom Firmenwagen hatte er schon dabei. Er verstummte mitten im Satz und sah mich ganz erstaunt an, als ich mich sofort bereit erklärte die Präsentation zu übernehmen ohne seiner Ausführung über die Übernahme der Spesen weiter zu folgen, mit der er mir die Dienstreise schmackhaft machen wollte. „Gut, gut.“ sagte er dann nur noch, wohl eher mehr zu sich selbst als zu mir und reichte mir die Mappe mit den nötigen Unterlagen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch etwas Zeit hatte um mich mit dem Material vertraut zu machen. Die PowerPoint Präsentation würde ich mir nur vor Ort anschauen können und für die Fahrt rechnete ich eine Dauer ein von mindestens 3 Stunden. Nachdem ich meine Tasse Tee geleert hatte, machte ich mich auf den Weg zum Auto. Eine unbeschreibliche Aufregung hatte mich innerlich erfasst. Es war weniger die kurzfristige Übernahme der Präsentation als die Tatsache, dass die Geschäftsstelle nicht weit entfernt von IHREM Wohnort lag. Mein Herz schlug furchtbar schnell, als hätte ich eben ein paar Energie-Drinks zum Frühstück gehabt. Dabei war es nur der Gedanke an sie und und an ein Wiedersehen mit ihr. Erst wollte ich es ihr gleich schreiben, ließ es dann aber, falls es doch nicht mit einem spontanen Treffen klappte. Ich wusste schließlich nicht, wie lange genau das Meeting dauern würde. Für die Fahrt brauchte ich dann wegen Baustellen und einem Unfall mit Stau ganze 4 Stunden. Mir blieb gerade noch eine halbe Stunde die Präsentation am PC in Windeseile durch zu klicken und mich etwas frisch zu machen. Kurz vor 16 Uhr waren wir endlich fertig. Mein Hals fühlte sich trocken an vom vielen Reden und mein Kopf brummte von den genauso vielen Fragen. Als ich endlich im Auto saß, wählte ich ihre Nummer und hielt den Atem an. Und als ich dann ihre Stimme hörte, war aller Stress vergessen. Ich spürte ihre Überraschung über meinen Anruf. „Hi, was machst du?“ fragte ich sie einfach. „Ich wollte gerade eine Runde mit dem Hund gehen.“ antwortete sie mir. „Darf ich dich begleiten?“ wollte ich wissen. Stille. Da war erst mal nur Stille am Telefon. Ich konnte mir ihr fragendes Gesicht bildlich vorstellen. „Wie?“ erkundigte sie sich baff. Mehr brachte sie nicht heraus. Ich wusste, dass es selten vor kam, dass sie sprachlos war. Ich grinste in den Hörer und erklärte ihr, wo ich gerade war. Dann war alles ganz schnell ausgemacht. So schnell wie möglich manövrierte ich mich durch den Feierabendverkehr und konnte es gar nicht mehr erwarten, sie endlich zu treffen. Das Auto parkte ich in der Straße, in der sie und ihre Familie wohnten. Ich war gerade ausgestiegen, da kam sie schon mit ihrer Hündin aus dem Grundstück. Mit einer stürmischen Umarmung begrüßte sie mich und ich musste mich zwingen, sie wieder los zu lassen. Ihr Duft stieg mir in die Nase und für einen Moment hörte ich nur das Trommeln meines Herzen. Sie war einfach bezaubernd. Jemand stupste mich an mein Bein und verlangte so nach Aufmerksamkeit. Ich strich ihrem Hund einige Male über den Kopf, der sich ebenfalls zu freuen schien, mich wiederzusehen. „Komm ich zeig dir unsere Runde.“ strahlte sie mich an und hakte sich bei mir unter. Ich konnte nur nicken und lächeln vor Glück. Ja, das war es, was sie in mir auslöste. Pures Glück. Während sie mir von ihrem Tag erzählte, schlenderten wir einen märchenhaften Waldweg entlang, der nicht weit von ihrem Haus aus begann. Große Buchen, durch deren Laub die Sonnenstrahlen geheimnisvoll funkelnden, grünes Moos und ein kleiner Bach, der sich schon viele Jahre seinen Weg durch diese Gegend gebahnt hatte. Ihr Hund ging ans Wasser und kam mit schwarzen Beinen wieder. Wir mussten lachen, weil sie jetzt aussah, als ob sie Stiefel trug. „Gut, dass wir einen Schlauch im Garten haben.“ meinte sie gelassen und drückte sanft meinen Arm, den sie noch immer hielt, seitdem wir losgegangen waren. „Ich bin so froh, dass du da bist.“ gestand sie mir ohne mich dabei anzusehen. „Du fehlst mir nämlich.“ Es bedeutete mir viel, dass sie mir das verriet. „Du mir auch.“ gab ich zu und legte meine Hand auf ihre. Obwohl wir langsam nebeneinander her gingen, so schritt die Zeit doch um so schneller voran. Ein wenig betrübt kehrten wir um. Bevor wir den Wald verließen, blieb sie stehen und drehte sich zu mir. „Willst du noch mit rein kommen?“ fragte sie mich und wie sie mir dabei so tief in die Augen sah, hatte ich das Gefühl, als würde sie ganz tief in meine Seele hinein blicken. Ihr Hund saß neben ihr und schaute mich mit schief gelegten Kopf ebenfalls fragend an. „Ich würde so so so gern, glaub mir. Aber ich muss wieder los.“ Ich wollte wirklich nicht weg von ihr und ich sah ihr an, dass sie mich auch nur ungern gehen ließ. Da machte sie einen Schritt auf mich zu. Ihre Augen ließen mich noch immer nicht los. Ihre Hand strich über meine Wange und verharrte da einen Moment. Ein Schauer durchfuhr mich und da war wieder dieses Flattern in meinem Bauch, wie ein ganzer Schwarm von Schmetterlingen. Ich hörte einen Star ganz in der Nähe sein Abendlied anstimmen. Kein Wort kam mehr über meine Lippen. Ich war in ihrem Bann und kam nicht mehr von ihr los. Ich versuchte es auch gar nicht erst. Sie hauchte meinen Namen und dann küsste sie mich. Es war nur ganz kurz, ganz zärtlich und doch stand ich in Flammen, wie nie zuvor. Ich sah in meinem Rückspiegel, wie sie am Fußweg stehen blieb und mir nach schaute bis ich aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Ein seltsames, unangenehmes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit, als ich die Autobahn erreichte. Während der Fahrt musste ich immer wieder meine Lippen berühren. Immer noch konnte ich ihren Mund auf meinem spüren. Ihr Kuss war wie ein Versprechen für all das, was noch kommen würde. Ein tiefer Seufzer entfuhr mir, als ich den Blinker setzte, beschleunigte und der Nacht entgegen fuhr.
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