2. Kapitel

3733 Words
“Ich habe Claire verloren.” Wieder und wieder ruft ihm sein Gewissen die Tatsache ins Gedächtnis. Sie hatte ihn gewarnt. Und das mehr als einmal. Schlussendlich hatte sie genug. Praktisch vor dem Altar ließ sie ihn stehen. Als erzieherische Maßnahme wie sie erklärte. Scheinbar musste er erst alles verlieren, um zu begreifen, was ihm mit einer Frau wie ihr vergönnt war. Was für ein Glück er hatte. Nun gut, jetzt ist er eben richtig auf die Fresse gefallen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass eine Frau aus seinem Leben geschieden ist. Das Ende vom Lied jedenfalls ist, dass er allein Schuld ist. Schuld, an allem, was geschehen war. Er allein hatte es versaut. "Du musst endlich dein Leben in den Griff bekommen, Michael!" spie ihm Claire bei ihrem letzten Treffen ins Gesicht. "Aber ohne mich. Ich bin es leid deine Psychiaterin zu spielen." Einen ganzen Worthagel ließ sie auf ihn niederprasseln. Und Michael? Er hörte sich alles wortlos an, mal wieder ohne Reaktion. Kommentierte, ebenfalls mal wieder nichts und ging. Auch wie immer. Erst später, als die Drogen ihre Wirkung verloren hatten und dieses dumpfe Gefühl alle Last der Erde auf seinen Schultern stemmen zu müssen, zurückgekehrt war, kroch er zu Kreuze. Er heulte, bettelte, machte Versprechen, die er doch nie halten würde. Und weil sie genau das wusste, wies sie ihn zurück und verließ ihn endgültig. Als die Ernüchterung allen Schmerz verdrängte rappelte er sich auf, schmiss ein paar Klamotten in eine Reisetasche und verließ das gemeinsame Haus in Mayfair. Sollte Claire sich hier eben allein vergnügen. Oder auch nicht. Er hatte sehr wohl mitbekommen, dass sie vorletzte Woche in Cannes auf der Jacht dieses dämlichen Franzosen war. Wie als hätten sie das Drama bereits gewittert lauerten draußen vor dem Haus schon die Paparazzi. “Elendige Schmeißfliegen.” denkt Michael setzt die dunkle Sonnenbrille auf und hastet auf seinen silbernen Audi zu. Kaum ist er eingestiegen, öffnet sich die Haustür erneut und Claire erscheint. Wie aus dem Ei gepellt und als wäre nichts gewesen, lächelt sie in die Runde. Sofort setzt ein Blitzlichtgewitter ein und verfolgt, wie sie in ein bereits mit laufendem Motor am Straßenrand geparkten Taxi steigt. Hatte sie das alles genauso geplant? “Wie ich Claire kenne, weiß spätestens morgen die halbe Welt von unserer Trennung.” denkt er. Wenn er ehrlich zu sich wäre, wusste er es schon lange. Sie passten einfach nicht zusammen. Sie, das verwöhnte Bankierstöchterchen und erfolgsverwöhnte Filmsternchen. Eine Schönheit, mit der Mann sich gern schmückt. Doch geistreiche Gespräche auf Augenhöhe durfte man von ihr nicht erwarten. Und er, der letzte Spross einer traditionsreichen britischen Verlegerfamilie. Vom Leben gezeichnet, auch wenn die tiefgreifenden Verletzungen nur innerlich sind und nicht öffentlich zur Schau treten. Playboy, Philanthrop, Lebemann – nennt ihn in die Presse gelegentlich. Ja die Presse. Seit er denken kann, umgibt sie ihn und seine Familie. Zum Glück hatte man noch nichts von meinem wahren Leben heraus bekommen. Seine dunkle Seite. Der Abgrund, an dem er sich, seit dem zehnten Lebensjahre bewegt. Immerhin, hatten Claire und er sich bemüht. Haben es versucht. Drei lange Jahre. Am Ende war es doch vergeblich. Wie alle seine Beziehungen ging also auch diese in die Brüche. Wie sagte einst sein Therapeut? “Mister Thompson, Sie sind nicht beziehungsfähig.” Um die Gründe dafür zu ergründen, brauchte er keinen Arzt. Das wusste er schon selbst. Drogen waren eine weit bessere Hilfe, diese ganze Scheiße zu überleben. Dass das ein Trugschluss ist, wollte Michael nicht hören. Nach einem kleinen Umweg zu Jack checkt er in sein angestammtes Hotel ein. Immer wenn Claire die Schnauze voll von ihm hatte oder er ihr sonst irgendwie im Weg war, schmiss sie Michael zu Hause raus und er kam hier unter. Hier war sein zweites Zuhause. Die Nacht war ganz gut. Koks und Gras sei dank, konnte er herunterkommen. Ein bisschen schlafen. Mit einer kalten Dusche am Morgen zwingt er seinen geschundenen Körper wach zu werden. Jetzt wäre Frühstück toll. Eine weitere Line aber auch. Nackt und noch feucht von der Dusche lässt er sich auf dem Boden neben dem Glastisch nieder und ordnet mithilfe seiner goldenen Kreditkarte das weiße Pulver in einer Reihe an. Klassisch, mit einer zusammengerollten Geldnote, zieht er es sich durch die Nase. Zufrieden lässt er sich rücklings auf den Boden fallen und gibt sich für einige Minuten dem Genuss hin. Kurz darauf verlässt der junge Mann gut gelaunt sein Hotelzimmer. "Guten Morgen Sonnenschein.", flüstert eine freundliche Stimme in ihrem Traum. Verwirrt reibt sich Anthea die Augen und schlägt diese auf. Neben ihr liegt Rose bäuchlings auf dem Bett, das Kinn auf die Hände gestützt und grinst ihre Freundin sie über beide Ohren an. "Gut geschlafen?" Sie versteckt hinter vorgehaltener Hand ein Gähnen und nickt. "Wie ein Stein." "Sehr schön! Dann mal auf! Wir haben viel vor." Langsam hievt sich ihre müde Freundin hoch und krabbelt zum Fußende des Bettes. Jetzt erst fällt ihr auf, dass ihre Freundin bereits vollständig angezogen ist. "Sag mal, wie lange bist du denn schon auf?", murmelt sie und greift nach ihrem Handy auf dem Nachttisch neben sich. 7:45. Echt jetzt? Genervt lässt sie sich zurück auf den Rücken fallen. "Meine liebe Rose. Bist du nicht auch der Ansicht, dass man es sich in seinem Urlaub mal gut gehen lassen sollte? Dazu gehört, meiner Meinung nach auch mal ausschlafen zu können." Stöhnend fährt sie sich mit der Hand durch die Locken. "Ich hatte vor, um 8 zum Frühstück runterzugehen. Wir schaffen doch sonst nichts." rechtfertigt ihre Freundin sich theatralisch seufzend. "Okay, okay. Bevor du mir hier noch einen Nervenzusammenbruch bekommst." gibt Anthea nach und steht auf. "Aber morgen wird ausgeschlafen. Mindestens bis 9." stellt sie mit erhobenen Zeigefinger klar. "Ist gebongt. Und jetzt beeil dich! Ich hab Hunger." "Sklaventreiberin." Stöhnend schlurft sie ins Badezimmer. Als ledige Schriftstellerin war sie es gewohnt, ihren Alltag selbst zu gestalten und ausschlafen gehört auf jeden Fall dazu. Mit einem Mal fällt ihr der Lärm von gestern Nacht wieder ein. "Ein Wunder, dass du durch geschlafen hast.", ruft sie laut durch die geschlossene Tür ihrer Freundin zu. "Wieso?" kommt es dumpf zurück. Die Badezimmertür öffnet sich einen Spalt breit und sie ruft, mit der Zahnbürste im Mund hinaus, "Irgendjemand hat gestern im Flur vor unserem Zimmer randaliert. Es hat super laut gepoltert. Und du hast wirklich nichts gehört?" "Nö." 30 Minuten später sitzen die beiden Frauen im Speisesaal beim Frühstück. Während Rose pikiert einen Chefsalat auf die Gabel nimmt und ununterbrochen redet und redet, nippt Anthea an einem Cappuccino und beobachtet schweigend ihre Freundin. Unterschiedlicher können beste Freundinnen nicht sein. Doch wie heißt es so schön, Gegensätze ziehen sich an. So schüchtern Anthea, so extrovertiert ist Rose. Sie einfallslos Rose, so vor Kreativität strotzend ist Thea. Ihre beste Freundin seit Kindertagen trägt seit neuestem ihr blondes Haar als mittellangen Bob. Mit ihrem makellosen Gesicht und ihrer Traumfigur hat sie seit jeher den Männern den Kopf verdreht. Dazu kommt ihr freundliches offenes Naturell, mit dem sie es schafft jeden, um den kleinen Finger zu wickeln. Ob Frau oder Mann – egal. Rose kann einfach gut reden. Sie, stets als stiller Bücherwurm verschrien, der seine kreative Seite mit der Arbeit als Autorin auslebt, stört sich nicht daran. Sie liebt ihr Leben, genauso wie es ist. Rose dagegen steht als Model und Moderatorin beim Radio stets im Mittelpunkt und sonnt sich in der Aufmerksamkeit, die ihr die Öffentlichkeit zukommen lässt. Während Rose darüber nachsinnt, wie sie den heutigen Tag sinnvoll verbringen können, greift sich ihre Freundin ein Buttercroissant aus dem Brotkorb und beginnt es der Länge nach aufzuschneiden. "Na endlich. Ich dachte schon du hättest keinen Hunger." freut Rose sich. "Du musst dich stärken. Wir haben heute viel vor." Sie zwinkert ihr über den Tisch hinweg zu. "Komisch, das hast du gestern schon gesagt." grinst ihr Gegenüber und bestreicht beide Croissanthälften mit Kirschmarmelade. Neben Büchern etwas was sie liebt. Französisches Frühstück und die obligatorischen Croissants mit Marmelade! "Jedenfalls bin ich so froh, dass es doch noch geklappt hat mit unserem Urlaub!" plappert Rose weiter. "Ja. Ich musste mich echt anstrengen mein Kapitel noch fertig zu kriegen." stöhnt Anthea, "War nicht einfach.” Sie hebt den Blick und zuckt die Achseln. "Schreibblockade." Rose lacht. "Du brauchst einfach nur frische Inspiration. Input, wenn du so willst." Ihre Hand gleitet durch die Luft. "Anreize eben." Während des Moments, in dem sie Luft holt, beißt ihre Freundin genussvoll in das Croissant. “Hey, vielleicht kommt dir ja beim Anblick eines uralten Gebäudes hier die Idee? Wir sind schließlich in Whitechepal. Wenn einem hier keine gruseligen Einfälle kommen, wo denn dann?" Die Blondine spült ihren Salat mit einem großen Schluck Orangensaft herunter. "Ja, wenn man …" setzt Anthea an, doch da wird sie schon wieder von einem plötzlichen lauten Jubel unterbrochen. "Oh oh, das ist ja die Idee überhaupt. Für deine kreative Schaffensphase. Wir gehen heute zu so einer Jack the Ripper Stadtführung." Rose klatscht begeistert in die Hände. Zweifelnd verzieht ihre Freundin das Gesicht. Ihr gruselt es jetzt schon. "Du, ich weiß nicht recht.", erwidert sie zögerlich. "Ach sei doch nicht immer so ein Hasenfuß." zieht Rose sie lachend auf und wirft klappernd ihre Gabel auf den Teller. "Ich überleg's mir okay?" wehrt sie Roses sicherlich sogleich einsetzenden Ausführungen mit erhobenen Händen ab. "Prima!” jubelt diese. “Und ich muss dich doch wohl nicht an dein Versprechen erinnern?” Verwirrt zieht ihr Gegenüber die Stirn kraus. Rose rollt mit den Augen. “Du hast mir versprochen, noch ein letztes Mal mit mir einen drauf zu machen. Die Sau rauszulassen bevor ich in den ewigen Jagdgründen verschwinde." jammert sie theatralisch und lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück. "Rose, du stirbst nicht. Du heiratest." lächelt ihre Freundin milde. "Ich dachte, du liebst Daniel?" Zweifelnd zieht sie die Augenbrauen hoch. "Selbstverständlich tue ich das. Aber noch, meine Liebe ..." Sie greift nach meinen Händen und sieht mir in die Augen. "... bin ich Single und dies hier ist mein Junggesellinnenabschied. Also wird gefeiert. Lass uns Spaß haben! Komm mal aus dir raus, Süße!" Lächelnd schüttelt ihr Gegenüber den Kopf. "Ich denke nicht, dass ich über meinen Schatten springen kann.", murmelt sie und führt das Croissant an meinen Mund. "Ich glaube, du musst nur mal richtig gefickt werden." kontert Rose trocken. Erschrocken über ihre Ausdrucksweise in aller Öffentlichkeit verschluckt Anthea sich. Hustend fällt ihr das Croissant aus der Hand. Natürlich mit der beschmierten Seite direkt auf die weiße Bluse. "Verdammt!" presst sie zwischen dem Hustenkrampf hervor. Entschlossen nimmt sie das Gebäck und wirft es auf den Teller vor sich. Rose fällt fast vom Stuhl vor Lachen. "Oh mein Gott bist du prüde." schnaubt sie. Ohne das zu kommentieren, stößt Anthea sich vom Tisch ab, steht auf und murmelt, "Ich geh` mich mal – umziehen. Bin gleich wieder da." Sie nickt lachend und pikt mit ihrer Gabel ein weiteres Salatblatt auf. Eilig verlässt sie den Speisesaal, durchquert das Foyer und läuft zu den Aufzügen. Stets darauf bedacht, die Arme so zu halten, dass niemand den riesigen rote Fleck zu Gesicht bekommt. "Wie peinlich. Ist ja mal wieder typisch, dass mir sowas passieren musste und nicht Fräulein Supertoll." grummelt sie leise vor sich her, während sich der Aufzug in den 7. Stock hebt. Warum auch immer, aber kaum, dass sie aus dem Fahrstuhl getreten ist, beginnt sie, während Laufens die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen." Hier ist um diese Uhrzeit eh kein Schwein." sucht sie ihre widersinnige Tat vor sich selbst zu rechtfertigen. Der letzte Knopf will nicht aufgehen. "Los, du blödes Mistding!" flucht sie leise und eile mit gesenktem Blick weiter, als sie mit einem Mal gegen ein Hindernis prallt. Irgendjemand steht mitten im Flur. Das Erste, was sie von diesem Jemand erfasst, ist ein betörender Herrenduft und glänzend schwarze Schuhe, die in eine dunkelblaue Anzughose übergehen. Sie stehen so nah beieinander, dass der eine die Wärme der anderen spüren kann. Entsetzt stellt sie fest, dass sich ihre barbusige Brust gegen die seine gepresst hat. Ihre Hände ruhen auf seiner breiten Brustpartie. Unter dem dünnen Stoff seines Hemdes spürt sie seine angespannten Muskeln. Es sind nur Sekundenbruchteile doch es kommt ihr wie in Zeitlupe vor, als er jetzt, vielleicht aus Reflex, seine Hände um ihre Taille legt und sie in seinen Armen hält. Dann ist der Moment schon wieder vorüber. Erschrocken fahren beide auseinander und funkeln sich an. Mit laut pochendem Herzen und keuchendem Atem mustert sie ihr Gegenüber. Und was sie sieht, gefällt ihr gut. Fast schon zu gut. Unverschämt gut aussehend steht der Kerl ihr selbstsicher gegenüber und mustert sie seinerseits vollkommen ungeniert. Er ist groß, größer als sie, sodass sie den Kopf heben muss, um ihn direkt ins Gesicht zu sehen. Seine blauen Augen blinzeln neckisch unter dunklen Stirnfransen hervor. Kaum trifft sein Blick ihren wandelt sich sein Blick zu Misstrauen. Hastig wendet sie sich ab und nimmt stattdessen seinen Körper unterhalb des sinnlichen Mundes und des maskulinen Kinns in Augenschein. Dieser Kerl treibt auf jeden Fall Sport. Mit Entsetzen bemerkt sie etwas weiter unten auf Höhe seines Bauches den dunkelroten Fleck Kirschmarmelade auf seinem weißen Button-down-Hemd. Ihr Fleck muss sich bei dem Aufprall direkt auf sein Hemd gestempelt haben. "Heilige Scheiße!", ruft sie auf Deutsch. Später weiß sie selbst nicht mehr, was sie dabei geritten hat, als sie wieder nähergetreten und versucht hat, hastig mit dem Blusenärmel den Fleck wegzuwischen. "Das muss doch … Scheiße!", flucht sie leise. Entweder konnte er das Elend nicht mehr mitansehen, oder er hat einfach nur Zeitdruck um das hier weiterzuführen, jedenfalls herrscht er sie plötzlich an, "Stopp!" Mit eisernem Griff hält er ihr Handgelenk fest. Erschrocken sieht sie wieder zu ihm auf. Sein Blick bohrt sich in den ihren. Erst jetzt bemerkt sie, dass seine Augen gerötet sind. Hat er geweint? Oje diese Wangenknochen. Und das braune Haar. Nicht zu kurz und nicht zu lang, jedoch perfekt frisiert. Ein sexy Bartschatten. Oh man, wenn man einen Mann als sexy bezeichnen kann dann diesen hier. "Das bringt nichts. Sie machen es nur noch schlimmer, sie dumme Gans." presst er auf Englisch zwischen den Zähnen hervor. Das Einzige, was sie denken kann, ist, “Er ist Brite.” Theoretisch sollte sie aufgrund seiner Wortwahl sauer sein, aber er hat ja recht. Sie hat sich wirklich wie eine dumme Gans benommen. Gekonnt ins Englisch wechselnd beteuert sie, "Es tut mir sehr leid, Sir. Entschuldigen Sie bitte!" Sein Blick mit der erhobenen Augenbraue macht ihr erst wieder bewusst, dass sie mitten in einem Hotelflur mit geöffneter Bluse vor ihm steht. Sogleich breitet sich Hitze von ihrem Dekolleté hinauf in ihr Gesicht aus. Hastig rafft sie ihre Bluse vor der Brust zusammen. Mit einem amüsierten Funkeln in den Augen registriert er, dass ihm die Sicht auf ihre Brüste versperrt ist. Und nur für einen kurzen Augenblick zieht er belustigt die Mundwinkel nach oben, doch gleich darauf verdunkelt sich sein Blick wieder. Plötzlich reißt er sich sein dunkelblaues Jackett von den Schultern und drückt es Anthea in die Hand. Verwirrt hält sie es am Kragen fest. Und während sie ihn dabei beobachtet, wie er jetzt Knopf für Knopf seines beschmutzten Hemdes öffnet, kämpft sie gegen den Drang an ihre Nase darin zu vergraben und seinen Duft einzusaugen. Fasziniert beobachtet sie, wie er hier mitten im Gang, einen Striptease hinlegt und hält gespannt den Atem an, als er es vorn aufreißt und so seinen gestählten Oberkörper freilegt. Sie schnappt nach Luft als sie seine Bauchmuskeln sieht. Das scheint ihn zu belustigen, denn er grinst frech auf sie hinunter. Lasziv, als würde er das alles hier vollends genießen, lässt er sich das Hemd schließlich über die Schultern gleiten. Gebannt befeuchtet sie ihre Lippen, zieht die Unterlippe leicht ein und kaut, ohne den Blick von ihm abzuwenden, darauf herum. Ein dunkles Knurren verlässt seine Kehle als er ihr Gesicht mustert. Dann ist der Moment verflogen. Sein Blick verdunkelt, beinahe grimmig knüllt er mit einem Schnauben sein Hemd zusammen und wirft es ihr achtlos entgegen. Einer der Ärmel streift im Flug ihre Wange und holt sie so rüde zurück in die Wirklichkeit. Geistesgegenwärtig fängt sie das Kleidungsstück auf und presst es sich an die Brust. "Was … ?" beginnt sie. "Sauber machen!” blafft er. “Wo ich wohne, wissen Sie ja." Damit reißt er ihr sein Jackett aus der Hand und verschwindet so schnell wie er gekommen ist zurück in seinem Hotelzimmer. Der Knall als die Tür ins Schloss fällt, hallt laut auf dem leeren Flur wider. Einige Augenblicke vergehen, in denen die junge Frau einfach nur dasteht und Revue passieren lässt, was hier gerade geschehen ist. Dann erinnert sie sich ihres Aufzugs und wo sie sich befindet. Eilig hastet sie zur eigenen Zimmertür, stößt kraftvoll den Schlüssel ins Schloss und fällt beinahe mit der Tür ins Zimmer. Dabei streift ihr Blick die goldenen Zahlen am Türblatt. 712. Er wohnt direkt nebenan in 711. Kaum ist die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, da presst sie sich rücklings gegen das harte Holz. Heftig atmend lauscht sie einige Augenblicke lang ihrem rasenden Herzschlag. Wie lange sie so dasteht, kann sie nicht sagen. Was ist hier gerade passiert? Nüchtern betrachtet hat sie sich vor dem sexiesten Mann der Welt zum Deppen gemacht und ihm sein Versace Hemd ruiniert. Versace? Heilige Scheiße! Kirschflecken gehen doch nicht mehr raus. Mist, Mist, Mist! Andererseits hat er allerdings auch vor mir einen Striptease hingelegt. Na ja, zumindest einen kleinen. Ob er immer so spontan ist oder war das nur für mich? Keine Ahnung. Ihre Gedanken purzeln wild durch ihren Kopf. Dann erinnert sie sich seines Hemdes. Vorsichtig vergräbt sie ihre Nase darin und schnuppert. Es ist frisch gewaschen, aber es duftet auch nach seinem Aftershave. Hm lecker. Seufzend geht sie hinüber zum Bett, lässt sich darauf fallen und presst den Stoff vor das Gesicht. Träumerisch schließt sie die Augen. "Wie du wohl heißt?" überlegt sie leise. “Wenn ich es tatsächlich gebacken kriege den Fleck zu entfernen, wie soll ich dir dein Eigentum zurückgeben? Über den Empfang. Dann würde ich deinem Namen erfahren. Oder war es deine Absicht, dass ich es dir persönlich nach nebenan bringe?" Momentan mal, nebenan. Dann war er es, der gestern Nacht so laut war. Einige Zeit liegt sie einfach nur da, verliert sich in Träumen von dem Unbekannten. Stellt sich vor, einen Mann wie ihn zu haben und wie sie gemeinsame Zeit sinnvoll verbringen könnten, als ihr plötzlich Rose wieder einfällt. Wie lange war sie jetzt schon weg? Mist! Rasch erhebt sie sich, geht hinüber zur Sitzgruppe und breitet das Hemd von Mister Unbekannt auf der Rückenlehne eines Sessels aus. Andächtig gleiten ihre Fingerspitzen über den weichen Stoff. Anschließend reißt sie sich die eigene Bluse vom Körper, wirft diese achtlos auf das Bett und holt sich eilig ein frisches Shirt aus dem Schrank. Dieser steht an der Wand, die an sein Zimmer grenzt. Seltsamerweise kommt sie sich gar nicht lächerlich vor, als sie jetzt ihr Ohr an die geblümte Tapete presst und lauscht. Doch entweder sind die Wände sehr d**k oder er ist sehr leise, jedenfalls ist nichts aus dem Nachbarzimmer zu hören. Fröstelnd unterbricht sie ihr Vorhaben und zieht sich an. Ein kurzer Blick auf das eigene Spiegelbild verrät, dass das kurze Intermezzo mit Mister Sexy ihrer Ausstrahlung gutgetan hat. Über beide Ohren grinsend strahlt sie sich selbst entgegen. Nachdem sie sich noch das Haar gebürstet hat, kehrt sie in den Speisesaal zurück. "Na, du warst ja lange weg. Hast du das Shirt erst noch nähen müssen oder was?" empfängt ihre Freundin sie grinsend zurück am Tisch. "Du glaubst nicht, was mir gerade passiert ist." beginnt Anthea atemlos und nimmt wieder platz. Rose wittert eine gute Story und bittet sie, weiterzusprechen. Während ihre Freundin redet und die irrsinnigen Gegebenheiten der letzten Minuten wiedergibt wird ihr Lächeln immer breiter. "Was ist?" stimmt sie in ihr Lächeln ein. "Der Typ scheint dich ja tief beeindruckt zu haben." urteilt Rose feixend und versteckt ihr Lachen hinter ihrer Cappuccinotasse. Anthea winkt ab und greift zur eigenen Kaffeetasse. "Kalt." stellt sie murmelnd fest und sieht sich suchend nach einer Bedienung um. “Falls das ein erbärmlicher Versuch sein soll, mich von diesem Thema abzulenken …” wirft Rose nüchtern ein. “Das funktioniert nicht.” “Ach nein?” murmelt sie peinlich berührt. “Hör mal, Rose, ich …” Diese hebt die Hand, um ihre Freundin zu unterbrechen. “Stopp, Süße! Ich merke doch, wo der Kohl begraben liegt.” “Ich denke nicht, dass das Sprichwort so geht.” flüstert ihr Gegenüber und verrenkt sich den Hals auf der Suche nach einer Bedienung. “Was muss man hier tun, um einen frischen Kaffee …” “Thea, ich sehe doch, wie du aussiehst, wie du mir von ihm erzählt hast und was für einen Eindruck er auf dich gemacht hat.” “Ach wirklich?” Rose nickt. “Du hast dich verknallt. Es ist, wie ich es sagte, vielleicht findest du hier im Urlaub den Mann deiner Träume? Vielleicht sogar eine Beziehung?” “Du sagst es, Urlaub. Was bitte soll das für eine Beziehung werden?” gibt sie zu Bedenken. “Na dann wird es eben nur ein Flirt mit Extras. Na und? Genieße es!” lacht Rose. "Süße, ich sage dir, das ist Schicksal." Anthea schnaubt verächtlich und sieht ihre Freundin über den gedeckten Tisch hinweg an. "Doch doch. Tu` nicht so, Thea! Der Unbekannte hat was in dir angestoßen." “Angestoßen?” Da kommt ihr der Einfall, dass dieses Wort ihre Freundin zu weitaus feucht fröhlicheren Ausführungen verleiten könnte und sie beschwichtigt rasch, "Schon gut. Wir werden sehen, was die nähere Zukunft bringt. Erst einmal reinige ich sein Hemd und lasse es, wie auch immer, ihm zukommen.” Rose fällt schon wieder fast vom Stuhl vor Lachen. “Du lässt es ihm zukommen? Echt jetzt, Thea?” “Was?” “Gib es ihm persönlich zurück und lass dich als Dank ordentlich …” “Rose!” schreit sie panisch und presst ihr die Handfläche auf den rot geschminkten Mund. Rose Augen funkelt belustigt. Als ihr Mund wieder freigegeben wird, lehnt sie sich grinsend zurück und meint, “Gib's zu, du hast Angst, ich könnte in aller Öffentlichkeit das f-Wort sagen.” Antheas Reaktion in Form eines tomatenroten Gesichts lässt sie gleich wieder losprusten. Sie muss sich sogar an der Tischkante festhalten, um nicht vor Lachen vom Stuhl zu fallen. Genervt verdreht die verspottete die Augen. “Warum muss sie immer so übertreiben?” denkt sie im Stillen.
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