Kapitel 1
Kapitel 1
„Wie kannst du es wagen, mir in die Augen zu sehen, wenn ich mit dir spreche? Schau auf meine Füße, du Drecksstück!“, fauchte Gwen, die Tochter von Alpha Jackson.
Der Zorn und die Wut in ihren Augen hätten jedem Wolf einen Schauder über den Rücken gejagt – aber nicht mir. Ganz bestimmt nicht mir. Der Schmerz und die Wut in mir reichten aus, jede Form von Angst zu verdrängen.
Ich hatte alles gesehen. Ich hatte sie belauscht. Es geschah direkt vor meinen Augen – der Putsch, den sie gegen meinen Vater, Alpha Rohan, planten.
Gwen und ich sind Cousinen. Ihr Vater Jackson ist der einzige Bruder meines Vaters. Sie waren sich sehr nah. Auch wir standen uns nahe – so sehr, dass man uns Schwestern nannte. Doch plötzlich änderte sich ihre Haltung. Es gab keinen Streit, keine Auseinandersetzung, gar nichts – und doch begannen sie, sich von uns zu distanzieren.
Mein Vater war damals der Alpha-Anführer des Nördlichen Wolfsreichs, was das Blood-Moon-Rudel zum größten Rudel im Norden machte. Er schien die Veränderung im Verhalten seines Bruders nicht zu bemerken. Ich weiß nicht, ob es an dem Krieg gegen die Vampire lag, der damals tobte. Ich sprach ihn oft darauf an, doch er tat es mit einer Bemerkung ab – meinte, sie hätten sich gestritten. Aber ich wusste, dass das gelogen war.
Ich beschloss, sie im Auge zu behalten und herauszufinden, was wirklich los war. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass Gwens Vater tatsächlich mit den Vampiren zusammenarbeitete. Ich hörte, wie er sie bat, es wie einen Kriegszwischenfall aussehen zu lassen.
Bevor ich zu meinem Vater eilen konnte, um ihn zu warnen, war es bereits zu spät. Sie hatten zugeschlagen – und meinen Vater, meine Mutter und sogar meinen Bruder getötet.
Sie hätten mich auch getötet, aber weil ich neunzehn war und noch nicht „gewolft“ hatte, hielten sie mich für schwach. „Sie ist keine Bedrohung“, hatte Gwen gesagt.
Doch mich zu verschonen war ihr Fehler. Ich würde sie bezahlen lassen. Egal wie lange es dauern würde, egal was ich tun müsste – ich würde dafür sorgen, dass sie für die Zerstörung meiner Familie bezahlen.
Als ich daran dachte, bebte mein ganzer Körper vor Wut, doch ein stechender Schmerz im Rücken riss mich aus meiner Versunkenheit. „BLICK AUF DEN BODEN! JETZT!“ hörte ich Gwen schreien.
Seit dem Tod meines Vaters hatte Gwens Vater die Führung als Alpha des Nördlichen Wolfsreichs übernommen, und ich wurde gewaltsam ins Rudel gebracht, auf den niedrigsten Rang einer Sklavin herabgesetzt, den Qualen und der Grausamkeit der anderen ausgeliefert. Unter allen hatte Gwen besonders viel Freude daran, ihre Dominanz zu zeigen und mein Leben zur Hölle zu machen.
Ich war mir sicher, dass der Hass in meinen Augen deutlich war, und bestätigte es, als sie mich anfuhr und mich heftig auspeitschte. „Du verdammte Idiotin. Glaubst du wirklich, du bist noch die Tochter des Alphas? Falls du es vergessen hast, lass mich dich daran erinnern: Du bist nichts als eine ekelhafte und schmutzige Dienerin!“ Gwen spottete, ihre Stimme tropfte vor Verachtung.
Der Hass in meinen Augen wurde tiefer, und ich verlor die Kontrolle über meine Gefühle. Ich stürzte mich auf Gwen, doch ich wurde mit einer Peitsche getroffen, härter als zuvor.
Diesmal zog ich mich in die Embryonalstellung zurück, mein Körper versuchte, sich von dem brennenden Schmerz zu erholen.
„Du wagst es, mich anzugreifen? Eine bloße Bauerntochter? Eine Sklavin? Du wagst es zu…“
Sie hob die Hand, um mich erneut zu peitschen, doch sie blieb in der Luft hängen. „Hör auf!“ sagte eine tiefe, aber kraftvolle Stimme.
Gwen drehte sich langsam um und fand Alpha Ballister hinter sich. Sein Gesicht war wie immer ebenso undurchschaubar wie kalt.
Alpha Ballister.
Er ist der gefürchtetste Alpha im gesamten Wolfsreich, sowohl im Norden als auch im Süden – er ist der Alpha-König.
Er war wild und gnadenlos, und ja, er war auch umwerfend schön, und jede Frau, inklusive Gwen, begehrte ihn.
„Alp… Alpha Ballister?“ stotterte sie, bemüht, ihre Fassung wiederzufinden. „Ich sehe, du bist hier. Ähm… Sie ist nur eine Dienerin, ich versuche ihr gerade Manieren beizubringen…“
„Ich habe gesagt, lass sie los und VERSCHWINDE!“ Diesmal nutzte er seine Autorität als Alpha, und Gwen blieb keine andere Wahl, als nachzugeben.
„Ja, Alpha,“ sagte sie und ging langsam davon.
Ich weiß nicht, was es war, aber in dem Moment, als ich Alpha Ballister in die Augen sah, fühlte ich eine Wärme in mir aufsteigen. Noch bevor ich irgendetwas erkennen konnte, wandte ich den Blick ab.
Was war das? Hatte ich etwa…
„Komm mit mir!“ befahl er.
GWENS SICHTWEISE
Ich stürmte wütend in mein Zimmer. Ich konnte Edith einfach nicht mehr ertragen. Die Tür knallte ich hinter mir zu und ließ einen frustrierten Schrei los.
„Ugh! Diese Schlampe! Wie kann sie es wagen!“ murmelte ich vor mich hin. Ich musste Dampf ablassen. Ich griff nach einem Kissen in der Nähe und warf es mit aller Kraft quer durchs Zimmer. Es half nichts.
Ich nahm eine Lampe vom Nachttisch und schleuderte sie gegen die Wand, aber selbst das brachte meinen Zorn nicht zum Erliegen.
„Das ist sinnlos! Nichts hilft!“ rief ich aus, meine Stimme voll Zorn.
„Diese hinterhältige kleine Schlampe namens Edith. Sie stiehlt seine Aufmerksamkeit, seine Zuneigung! Ich kann es nicht ertragen!“
Das Einzige, was mich beruhigen konnte, war, Edith loszuwerden. Dieses Mädchen mit ihrem dienenden Wesen und ihren hinterlistigen Blicken trieb mich in den Wahnsinn.
Je mehr ich an sie dachte, desto mehr entflammte meine Wut. Ich konnte nicht ertragen, wie Alpha Ballister sie angesehen hatte. Als wäre sie eine kostbare kleine Blume. Dabei ist sie nichts Besonderes. Ich bin diejenige, die er so ansehen sollte. Ich, Gwen.
Ich konnte nicht zulassen, dass Edith mich weiterhin mit ihrer bloßen Anwesenheit quälte. Ich musste schnell einen Plan schmieden. Vielleicht könnte ich mit Papa sprechen, ihn dazu bringen, sie wegzuschicken oder sogar hinrichten zu lassen. Oder vielleicht könnte ich es selbst tun. Die Sache selbst in die Hand nehmen. Ja, genau das musste ich tun.
Ich ging unruhig in meinem Zimmer auf und ab und dachte an all die Möglichkeiten, wie ich sie entlarven könnte – als das hinterhältige Eindringling, das sie wirklich war. Eine Intrigantin, die versuchte, mir meinen Mann direkt unter der Nase wegzuschnappen. Ich stellte mir ihr Gesicht vor, selbstgefällig und voller Täuschung, und das schürte meine Wut noch mehr.
Plötzlich traf mich eine Erinnerung wie ein Schlag ins Gesicht. Ich erinnerte mich daran, wie ich Alpha Ballister dabei erwischt hatte, wie er Edith ansah – mit einer Sanftheit in den Augen, die er mir oder sonst jemandem nie gezeigt hatte. Das ließ mein Blut vor Eifersucht kochen. Wie konnte er es wagen, sie so anzusehen?
„Er hat sie mit Interesse angesehen, mit Verlangen. Nein! Das sollte ich sein, nicht diese niederträchtige Dienerin!“ knurrte ich. Edith musste weg, und ich war bereit, alles zu tun, um das zu erreichen.
Für einen Moment blieb ich stehen, holte tief Luft und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Ich musste einen Plan schmieden, eine Möglichkeit, Edith diskret aus dem Weg zu räumen. Mein Verstand raste und analysierte alle möglichen Optionen.
„Wenn ich Edith schlecht dastehen lassen und ihren Ruf ruinieren kann, dann wird Alpha Ballister sie so sehen, wie sie wirklich ist.“
Ich griff nach meinem Telefon und wählte eine Nummer. „Hallo, hier ist Gwen. Ich brauche deine Hilfe bei etwas.“
Während das Gespräch weiterging, verwandelte sich meine Wut in eine kalte, berechnende Konzentration. Ich wusste, es würde Zeit und Mühe kosten, aber ich war bereit, alles zu tun, um Edith loszuwerden.
„Das ist noch nicht vorbei, Edith. Du wirst es bald sehen,“ flüsterte ich, meine Stimme triefte vor Zorn und Entschlossenheit.
Ich nahm einen Bilderrahmen von meiner Kommode und warf ihn quer durchs Zimmer. Zerbrochenes Glas flog überall hin. Als die Scherben zu Boden klirrten, rauschte die Wut in mir wie ein reißender Fluss. Ich musste handeln – und zwar jetzt.