Kapitel 1

770 Words
1 Emma Ich weine die komplette erste Stunde des zweieinhalbstündigen Fluges nach Orlando. Ich kann nicht anders. Mein Herz ist nicht nur gebrochen; es fühlt sich an, als sei es mir aus der Brust gerissen worden. Und ich habe mir das selbst eingebrockt. Ich habe Marcus gesagt, dass ich nicht bei ihm einziehen kann. Ich habe ihm gesagt, dass es vorbei ist. Meine Sitznachbarn – ein glatzköpfiger Mann über fünfzig am Fenster und ein blondes Mädchen am Gang – versuchen wegzurutschen, als ich mir zum fünften Mal die Nase putze. Nur, dass man hier nirgendwo hingehen kann. Nun, das blonde Mädchen kann technisch gesehen aufstehen und auf die Toilette gehen, aber das hat es schon dreimal getan, um von mir wegzukommen, also bleibt es sitzen und wirft mir gelegentlich einen Blick von der Seite zu. Ich kann es ihr nicht verübeln. Das Einzige, was im Flugzeug schlimmer als ein weinendes Baby ist, ist ein weinender Erwachsener. »Geht, ähm … es Ihnen gut?«, traut sich der kahle Mann endlich zu fragen, und ich hebe meinen Kopf und zwinge ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. »Ja, tut mir leid. Nur eine …« Ich schlucke den Kloß in meinem Hals herunter. »Eine schlimme Trennung.« »Oh, cool«, sagt der Teenager und sieht sichtlich erleichtert aus. »Ich dachte, Sie hätten gerade erfahren, dass Sie Krebs haben oder so etwas.« Ich zucke zusammen und fühle mich wie ein Arschloch. Weil das Mädchen recht hat: Es könnte so viel schlimmer sein. Menschen erleben echte Tragödien, schlimme Dinge, für die sie nichts können, wohingegen der Schmerz, den ich fühle, komplett selbst verschuldet ist. Ich bin mit Marcus Carelli ausgegangen, einem Hedgefonds-Milliardär, der so weit von meiner Liga entfernt ist, dass er auf einem anderen Planeten lebt. Ich habe mich in ihn verliebt, obwohl ich weiß, dass wir keine Zukunft haben, und jetzt bezahle ich den Preis dafür. »Ich hatte auch einmal eine schlimme Trennung«, erzählt der Teenager und kaut auf seinem grünen, glitzernden Daumennagel herum. »Das Arschloch hat mich in der Mittelschule mit meiner besten Freundin betrogen. Hat sie hinter der Tribüne geküsst, können Sie das glauben?« »Oh, wow, das ist schrecklich. Das tut mir leid«, sage ich aufrichtig. Ob Mittelschule oder nicht, das muss wehgetan haben. Zumindest hat Marcus mich nie betrogen. Nach einem fantastischen gemeinsamen Wochenende verschwand er für drei Tage, aber soweit ich weiß, waren keine anderen Frauen daran beteiligt. Nun, außer Emmeline. Sie – oder ihr ebenso perfekter Klon – stand immer zwischen uns. »Ja, das kommt vor«, sagt das Mädchen und zuckt philosophisch mit den Schultern. »Was ist mit Ihnen? Was hat der Idiot getan?« »Er …« Ich schlucke wieder. »Er hat mich am Flughafen verfolgt und mich gebeten, bei ihm einzuziehen.« Sowohl das Mädchen als auch der Mann starren mich an, als sei gerade eine Qualle aus meinem Kopf gesprungen, also beeile ich mich, eine Erklärung hinterherzuschieben. »Er hat es nicht so gemeint. Nicht so, wie Menschen es normalerweise tun. Es ist nur eine Bequemlichkeitssache für ihn. Er wird eine andere heiraten. Er sagte mir das bei unserem ersten Treffen und …« »Er ist verlobt«, ruft das Mädchen entsetzt aus, und ich schüttele den Kopf. »Nein, nein. Sie haben noch nicht angefangen, sich zu verabreden. Möglicherweise ist es nicht einmal sie. Es ist nur, dass er ganz bestimmte Anforderungen hat, und ich passe nicht hinein. Überhaupt nicht. Die Chemie stimmt, aber für eine langfristige Beziehung reicht das nicht aus. Ich bin nicht der Typ Mädchen, den er seinen Freunden oder Kunden vorstellen möchte. Bestenfalls bin ich für ihn nur eine Ablenkung, und früher oder später wird er sich langweilen und weggehen. Und dann«, ich atme zittrig ein, »dann wird es so viel schlimmer werden.« »Also haben Sie … diesen Kerl vorzeitig verlassen?« Der Mann sieht fasziniert aus, so als bekäme er einen besonderen Einblick in die weibliche Psyche. »So wie im Kampf als Erster zuzuschlagen, um die Verluste zu minimieren?« Ich nicke und schnäuze mir wieder die Nase. »So etwas in der Art.« Aber wenn es darum ging, diese Schlacht zu gewinnen, habe ich bereits verloren. Mein Herz gehört dem Mann, den ich verlassen habe, und es ist schwer vorstellbar, dass es mehr wehtun könnte als jetzt. Trotzdem bin ich mir sicher, dass ich die richtige Wahl getroffen habe, als ich mit ihm Schluss gemacht habe. Wenn ich mich nach einem gemeinsamen Wochenende so fühle, um wie viel schlimmer wäre es dann, wenn ich tatsächlich einige Zeit mit Marcus zusammen gewesen wäre? Nein, das ist der einzige Weg. Das Pflaster abreißen – in diesem Fall mit einem Stückchen meines Herzens – und weitermachen. Die Wunde wird mit der Zeit heilen. Oder nicht?
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD