-Paris, 2020
"Eins muss ich dir sagen, liebste Schwester, du weißt echt, wie man Stoff und Stil zusammensetzt! Unsere Kollektion war im Nu ausverkauft!"
"Hey, das ist hervorragend!", freue ich mich mit ihm, während ich das rote Kleid an den Stand hänge, "du musst mal sehen, was ich hier alles in diesem kleinen Geschäft genäht habe!"
"Das würde ich ja liebend gern, würdest du nicht in Paris, sondern hier in New York bei uns wohnen!", brüllt er vorwurfsvoll ins Telefon und ich muss lachen, weil ich weiß, dass er dies absichtlich macht.
"Du weißt doch, Dave, Paris ist die Stadt der Mode, die Stadt der-"
"Liebe, ja, ja, ich weiß.."
Ein Klingeln lässt mich zur Ladentür blicken. Ein junger Mann mit blonden Locken und einem charmanten Lächeln, blickt sich neugierig im Laden um, bis sein Blick an mir haftet. Ich lächele ihm zu, verabschiede mich von Dave und eile hinter die Theke, vor der er stehen bleibt.
"Wie kann ich Ihnen helfen?", frage ich freundlich auf Französisch, während ich die Skizzen von Männeranzügen zur Seite räume.
"Haben Sie die entworfen?"
Ich halte einen cremefarbigen Anzug hoch. Mir ist sein amerikanischer Akzent nicht entgangen, weswegen ich ihm auf englisch antworte.
"Gefällt es Ihnen?"
"Sie sind auch Amerikanerin?", lächelt er verblüfft und mir fallen seine Grübchen auf, "Sie haben echt Talent."
Wir sehen uns für eine Weile still in die Augen. Das Grün in ihnen scheint zu leuchten und ich frage mich, ob es Zufall ist, dass er ausgerechnet heute in meiner kleinen Näherei vorbeigeschaut hat.
Paris ist die Stadt der Liebe..
Er räuspert sich kurz.
"Ich bin neu hierher gezogen und diese Hose musste wegen dem Umzug auf zwei Knöpfe Lebewohl sagen. Ich hoffe, Sie können sie retten."
Ich nehme ihm die Stoffhose aus der Hand.
"Das habe ich in fünf Minuten erledigt."
"Sie können sich Zeit lassen. Ich warte gerne. Ich bin übrigens Jack Walters."
Ich ergreife seine warme Hand, die er mir entgegenstreckt.
"Nora Brooks."
1 Jahr später...
- New York 2021
Ich betätige den goldenen kleinen Knopf an der Wand und warte bis einer der Dienstmädchen die weiße Tür zu diesem nicht sehr bescheidenen Gebäude öffnet. Meine Eltern wissen echt, wie sie sich, sowohl auch als ihr Eigentum, von den normal Verbrauchern abheben können. Als Cherry mir die Tür öffnet und mich willkommen heißt, so als hätten wir uns nicht drei Monate lang jeden Tag in dieser Villa gesehen, wird mir wieder bewusst, wie richtig meine Entscheidung war in meine eigene Wohnung zu ziehen.
Wie jeden Sonntagmorgen sitzt meine verwöhnte Familie um halb 11 am langen Frühstückstisch, welcher reich bedeckt mit gesunden Lebensmitteln ist und für als mehr nur eine Familie reicht. Benjamin Brooks, Gründer der populären Herrenbekleidungsmarke NOOKS blättert wieder durch die Tageszeitung, während seine Ehefrau, meine geliebte Mutter, Natasha am Telefon mit einer ihrer reichen Freundinnen telefoniert. In Wirklichkeit will sie mit unserem Sonntagsfrühstück nur die perfekte Familie vortäuschen. Daher bestehen die Fotos meiner Mutter in ihren sozialen Medien nur von uns. Was tut man nicht alles, um keinem anmerken zu lassen, dass der Ehemann eigentlich untreu ist.
"Guten Morgen!"
"Nora! Morgen, mein Liebes! Tut mir Leid, Becki, aber Nora ist zum Frühstück erschienen. Wir telefonieren später."
Somit verabschiedet sie sich mit einem gefälschten Lächeln, nur um mich vorwurfsvoll anzusehen. Die Show beginnt.
"Nora, Dave hat uns gesagt, dass du nicht in die Wohnung eingezogen bist, die wir für dich ausgesucht hatten! Warum hast du dir eine andere Wohnung gemietet?"
Vielleicht würde man jetzt denken, dass meine Mutter an unser finanzielles Einkommen denkt und daher nicht möchte, dass ich in eine normale Mietwohnung ziehe. Jedoch geht es hier nur darum; warum ich nicht eine Nachbarin der Töchter ihrer Freundinnen sein möchte.
"Mom, du weißt, ich möchte ein wenig Ruhe haben. Ich mache meine Arbeit gerne, jedoch sind diese Nachmittagstreffen nichts für mich", antworte ich ihr fast ehrlich. Der wahre Grund ist jedoch, dass ich nicht die ganze Zeit unter Beobachtung stehen möchte. Ich brauche Privatsphäre, um meine Recherchen zu machen. Wie sonst soll ich euch schützen? Wie sonst soll ich Dave schützen?
"Ich denke Mom, Nora braucht ein wenig Ruhe vor uns. Die letzten Monate waren zu viel für sie."
Dave, der am Türrahmen erschienen ist, zwinkert mir in seinem Morgenmantel zu und ich stehe auf, um ihn zu umarmen.
"Morgen!"
Nachdem wir uns gemeinsam wieder an den Tisch gesetzt haben, scheint mein Dad uns auch endlich zu bemerken.
"Dave, könntest du vielleicht angezogen zum Frühstück erscheinen?"
"Wieso? Bekommen wir Besuch? Hast du ein Interview? Es ist Sonntag, Dad."
"Hast du die neue Kollektion zusammengestellt? Nächste Woche müssen wir eine Modenshow veranstalten."
"Ich weiß, Dad. Können wir bitte wenigstens heute nicht über die Arbeit sprechen?"
Unser Vater antwortet Dave mit einem mürrischem Blick, bevor er dann mit seiner Tageszeitung ins Haus marschiert. Ein Vorwand, da er gleich von einer seiner Liebhaberinnen angerufen wird. Dies kann meine Mom natürlich nicht wissen, weswegen sie meinem Bruder einen wütenden Blick zuwirft. Dave zuckt nur mit den Schultern, während er nach einer Scheibe Käse greift, um sich ein Sandwich zu machen. Bevor sie anfängt zu meckern, lenke ich die Aufmerksamkeit auf mein Skizzenblock.
"Tadaa! Hier Ihr Anzug, Mr. Brooks. Mit viel Liebe designt."
Dave's Augen strahlen als er das Beispiel sieht und es füllt mich mit Stolz, genau zu wissen, was ihm gefällt.
"Der Anzug ist perfekt! Genauso hatte ich es mir vorgestellt! Du bist die Beste!"
Er umarmt mich stürmisch, während meine Mutter auch anerkennend nickt. Mein Lächeln fällt jedoch als ich den Namen Violet höre.
"Ich muss es sofort Violet zeigen! Sie wird begeistert sein! Vielleicht wird sie wollen, dass du auch ihr Hochzeitskleid designst?"
"Vielleicht", antworte ich meinem Bruder zuliebe, der zufrieden einen Bissen von seinem Sandwich nimmt. Ich könnte ihm auch die Wahrheit sagen, dass Violet nur so tun wird, als ob ihr der Anzug gefällt. Nur um ihm zu gefallen.
Violet ist seine Verlobte und sie werden bald heiraten. Es tut mir Leid, mir ansehen zu müssen, wie mein Bruder die falsche Frau in seinem Leben heiratet. Denn Violet hat eine ganz andere Vorstellung von Liebe. Sie liebt dein Geld, Dave. Die Aufmerksamkeit und möchte auch mit der Kleidungsmarke in Verbindung gebracht werden. Ich habe das getan, was jede treue Schwester tun würde. Ich habe mir ihre Profile in ihren sozialen Medien angesehen. Mit meinen technischen Erfahrungen konnte ich viel über ihre früheren und jetzigen Freunde herausfinden. Wenn du wüsstest, dass es auf der Highschool keinen Jungen gab, der keine Hände an ihr hatte, hättest du trotzdem vorgehabt sie zu heiraten, Dave?
Auch damals, ging es ihr wie jetzt nur um Aufmerksamkeit. Du bist der Grund, warum ihre Freundinnen sie jetzt beneiden. Und sie tut alles, um der Welt zu zeigen, dass sie nun nicht mehr die normale Violet Garcia ist. Dies kann man deutlich an ihren veröffentlichten Fotos sehen. Verliebte Bilder von euch, das Traumpaar Violet und Dave. Daher machst du dir auch nicht die Mühe, sie etwas besser kennenzulernen. Du vertraust ihr zu früh. Würdest du sie ein wenig beobachten, wie ich, und dies tue ich für dich, würdest du wissen, dass sie gestern Abend nicht bei einer Freundin war, um gemeinsam Hochzeitseinladungen zu entwerfen, sondern in einer kleinen namenslosen Bar New Yorks, wo sie früher oft saß, Freundschaft mit dem Barkeeper besitzt und deswegen bis in die Nacht an der Theke saß, um mit ihm zu quatschen. Warum tut sie dies nicht in der Öffentlichkeit? Oder stellt ihn dir vor, Dave? Und ich halte mich schwer zurück, dir nicht davon zu erzählen. Doch ich muss ein wenig Geduld haben. Es kann nicht mehr weit sein und Violet wird früher oder später einen Fehler begehen. Sie kann nicht ewig ein Doppelleben führen.
"Natürlich wenn Nora Zeit findet ihr ein Hochzeitskleid zu designen. Schließlich willst du ja jetzt auch im Geschäft arbeiten."
Ich wusste, dass sie dieses Thema ansprechen wird. Sie muss sich wohl nun eine Erklärung ausdenken, die sie ihren Freundinnen vortuschen kann, warum ich tagsüber wie ein normaler Mensch im Geschäft arbeiten möchte.
"Eigentlich ist dies sehr hilfreich für mich, Mom. Ich kann sehen, was den Kunden besser gefällt oder was sie von der neuen Kollektion halten. Ich lege mehr Wert auf die Meinung der Kunden, die unsere Kleidung auch tragen, als auf die, die man in den Zeitschriften lesen kann."
Sie verdreht nur ihre grünen Augen, deren Augenfarbe wir von ihr geerbt haben. Versteht sie denn nicht, dass ich nicht wie sie ein Schoßhündchen sein möchte, die nur Zuhause sitzt und Kleidung designt? Von Feier zu Feier läuft? An Inerviews und Dinnerabenden teilnimmt, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren?
Ich liebe meinen Job, jedoch liebe ich auch die Liebe. Und die Liebe, die ich suche, finde ich ganz sicher nicht unter all den reichen Schnöseln. Es muss besonders sein.
Er muss besonders sein.