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1421 Words
Mit meinen Absätzen gehe ich durch den Laden und sehe mir lächelnd meine entworfenen Werke an. Auch die Kunden scheinen zufrieden zu sein und die Schlange an der Kasse wird nicht weniger. Wir warten auf einen neuen Mitarbeiter, der eigentich schon eine halbe Stunde vorher hier sein sollte. Wäre ich auch nicht anwesend, weiß ich nicht, wie unsere drei anderen Mitarbeiter das Geschäft in Ordnung halten sollen. Sie kommen ja nicht weg von der Kasse oder aus der Garderobe, um einen Kunden zu beraten. Ich trage keinen Namensschild, sondern nur einen Schlüsselanhänger, der aus der Seitentasche meiner maßgeschnittenen schwarzen Stoffhose baumelt. Ein gewagter roter Blazer über meiner weißen Bluse, passt auch nicht zu den schwarzen Hemden, die die anderen Mitarbeiter tragen. Aber ich will ja auffallen. Was ich auch tue, ich sehe dies an den Blicken, der hereinkommenden Gesellschaft. Die anstatt unsere Kollektion mich ansehen. Und wenn ich ihre Gedanken aussprechen würde, würden sie vielleicht erröten, denn ich kann deutlich erkennen, was für Absichten sie haben. Jedoch sind sie nicht perfekt. Nicht das, was ich suche. Ich möchte keine edlen Anzüge, polierte Schuhe oder teure Uhren sehen. Ich brauche etwas Normales. Etwas echtes. Und dann sehe ich dich. Wie du eilig durch die Eingangstür marschierst. Mit den eingelaufenen Chucks unter der schwarzen Jeans. Vor Eile scheinst du dein schwarzes Hemd falsch zugeknöpft zu haben, was du erst neu bemerkst und ich kann aus deinen Lippen ein oh, s**t herauslesen. Ich laufe um die Kleidungsregale, halte dich im Blick. Du streichst mit deiner muskulösen Hand deine braunen Haare nach hinten, räusperst dich kurz und ich sehe an deinem Gesicht, dass du nervös bist. Wie willst du deine Verspätung entschuldigen, darling? Warum hast du mich so lange warten lassen? Die Schlange an der Kasse ist zu lang und du hast keinen Mut den Kassierer anzusprechen und zu sagen, dass du neu bist. Kein Problem, ich vereinfache dir deine Aufgabe. "Ich denke, nun sind wir komplett." Lächelnd komme ich auf dich zu und du scheinst erst überrascht, dann sichtlich überfordert. Ich kann aus deinem Gesicht ablesen, dass du nicht mit mir gerechnet hast. Aber ich bin für Überraschungen bekannt. "Ich bin neu hier in Manhatten und der Taxifahrer schien sich auch nicht gut auszukennen und-" "Aber nun bist du ja hier", unterbreche ich ihn freundlich und er hält inne, als meine Hände ihren Weg zu seinem Hemdkragen machen, um sie richtig umzuschlagen. Ich konzentriere mich nur auf meine Hände, meine Handlung ist langsam und ich bin mir sicher, dass du gerade mein Gesicht studierst. Ich brauche dich nicht ansehen, ich weiß, dass du auf meine roten Lippen blickst, die recht nah an deinen sind. "So sieht es besser aus." Wiederwillig trete ich einen Schritt zurück und verabschiede mich von deinem schön duftenden Aftershave. "Ja, tut mir Leid, ich trage nicht oft ein Hemd", versuchst du zu erklären und ich bin mir sicher, dass dir meine Nähe gefallen hat. Verlegen blicken deine braunen Augen in meine und ich studiere für einen kurzen Moment dein frisch rasiertes Gesicht. Ich hatte schon immer eine Schwäche für hohe Wangenknochen. Du bist perfekt! "Angy? Zeigst du dem Herrn.." "Olsford, entschuldige. Henry Olsford." Ich ergreife deine Hand nicht, die du mir entgegenstreckst, sondern drehe mich wieder zu unserer ältesten Mitarbeiterin. "Zeigst du Mr.Olsford bitte die Personalankleiden und-räume? Und gib ihm dann ein Namensschild." "Natürlich." Henry sieht mich noch einmal kurz an, bevor er dann Angy folgt. Henry. Dieser Name; schlicht, einfach und unauffällig. Nachdem du mit deinem Namensschild wieder erschienen bist, zeigt dir Steve, dein neuer Arbeitskollege, die Regale. In welchem Regal und Stand was liegt oder hängt. Du versuchst dich zu konzentrieren. Ich bin mir sicher, du hast schon Erfahrung in dieser Branche. Sonst hätte dich Dave niemals eingestellt. Dennoch erwische ich dich dabei, wie du ab und zu in meine Richtung schielst. Habe ich dich eben verwirrt? Ich habe meinen Zug gespielt, Olsford. Jetzt bist du an der Reihe. Unbemerkt beobachte ich dich. Du bist freundlich zu den Kunden. Offen und ehrlich. Scheust dich nicht deine Meinung zu äußern. Wirst du auch ewig ehrlich zu mir sein, Henry? Dein Lächeln könnte ich mir den ganzen Tag ansehen. Du scheinst kein Typ zu sein, der seine Abende in Fitnessstudios verbringt, um zu trainieren, dennoch hast du männliche Schultern. Wie gern würde ich dich ohne Hemd sehen. "Nora! Schön dich hier zu sehen!" Julian Carter - ein Kindheitsfreund von uns. Seitdem ich hier bin, werde ich von ihm ständig eingeladen und ich weiß, dass seine Absichten nicht mehr nur freundschaftlich gemeint sind. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass er von Dave gehört hat, dass ich hier bin. "Hey, willst du dir vielleicht nicht gleich die ganze Herbstkollektion holen?", scherze ich, während er mich in eine Umarmung schließt. Normalerweise würde ich mich früher lösen, doch ich sehe aus dem Augenwinkel, wie du uns versuchst unbemerkt zu beobachten. "Du weißt, dass es mir eine Ehre ist, deine entworfenen Schönheiten zu tragen. Doch ich hatte hier in der Gegend etwas zu erledigen und als ich beim Vorbeigehen dich sah, wollte ich dir deinen Tag verschönern." Aber natürlich. "Ist es nicht etwas öde hier? Wie wär's mit einem Kaffee gleich hier um die Ecke?" Seine Hand streift meinen Arm, doch ich möchte keinen Kaffee mit ihm trinken. Sondern mit dir Henry. Dir dabei zusehen, wie du die Tasse an deine Lippen setzt. "Tut mir Leid, das wäre sehr schön. Jedoch habe ich gerade viel zu tun." Entschuldigend sehe ich Julian an, der seine Enttäuschung wie immer gut verheimlicht. "Kein Problem, darling. Dann beim nächsten Mal." Er umarmt mich wieder, bevor er dann zum Ausgang marschiert. Ich drehe mich um, eile hinter die Kasse. Während du einem Kunden hilfst, die passende Größe zu finden, suche ich dich auf f*******:. Dein Profil ist öffentlich. Du magst es, Sonnenuntergänge und Tiere im Freien zu fotografieren. Auch Bücher, die du gerne liest, kann ich aus deinen Fotos entnehmen. Keine Bilder von Freunden oder der Familie. Normalerweise sagen diese viel über einen Menschen aus. Ich klicke auf ein Foto von dir. Du sitzt an einem Lagerfeuer, lachst in die Kamera, während du einen Beanie auf dem Kopf hast und ein Buch in der Hand hälst. Den aufgebauten Zelten nach zu urteilen, bist du campen. Wen lachst du so an, Henry? Ich scrolle durch die Kommentare unter deinen Bildern, finde jedoch kein auffälliges. Bist du zu beschäftigt für Freunde oder magst du es einfach nur alleine zu sein? "Hey." Schnell stecke ich mein Handy wieder in meine Hosentasche und blicke direkt in deine Augen. Du lehnst dich neben mich an die Theke. "Ich hoffe, ich konnte mit meiner Leistung die Verspätung heute morgen entschuldigen." Zähneknirschend siehst du mich an und ich finde es süß, dass du dir Gedanken darüber gemacht hast. "Also ich bin nicht hier, um den Boss zu spielen, doch ich muss zugeben, ein Anfänger bist du in diesem Job nicht." Du erwiderst mein Lächeln und es gefällt dir, ein Lob von mir zuhören. "Ist nicht das erste Kleidungsgeschäft in meinem Arbeitsleben, jedoch die erste, in der ich mit der Stylistin persönlich arbeiten darf." Ich bin mir ziemlich sicher, dass du diese Information von Steve erst neu erhalten hast, denn heute Morgen hast du mich mit ganz anderen Augen angesehen. Du scheinst meinen Stimmungswechsel zu bemerken und sofort bereust du deine Antwort. "Tut mir Leid, ich meinte dies völlig harmlos. Schließlich gefällt es mir, mit dir zu arbeiten und das nicht, weil du die Stylistin bist und-" "Und meinem Vater dieser Laden gehört", beende ich seinen Satz und streiche einer meiner langen leicht gelockten Strähnen hinter das Ohr,"ich wünschte mir manchmal gern, dass man meinen Namen nicht direkt mit meinem Vater oder meinem Job in Verbindung bringt." "Richtig", du versucht unserem Gespräch wieder eine gute Wendung zu geben und dies gefällt mir. "Ich bin bereit mehr von dir kennenzulernen.." "Nora." "Genau." Wir lächeln uns an und ich könnte schwören, dass für einen kurzen Moment die Welt still steht. Spürst du dieses Knistern zwischen uns auch? Mein Herz klopft schneller und ich könnte dir den ganzen Tag in diese Augen sehen. Umrahmt von dichten Wimpern und erst jetzt scheinst auch du zu bemerken, wie nah wir uns gekommen sind. Doch kein Moment hält ewig. "Entschuldigung?" Eine mollige Frau mit einer großen teuren Chaneltasche braucht wohl Hilfe, um ein passendes Hemd für den Jungen neben ihr zu finden. "Hast du nach Feierabend etwas vor?", frage ich dich, bevor du dich auf den Weg zur wartenden Kundschaft machst. Und an deinem Grinsen verstehe ich, dass dein heutiger Abend mir gehört.
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