Nachdem wir von der Spätschicht abgelöst wurden, und ich bin nur deinetwegen so lange geblieben, verlassen wir gemeinsam den Laden. Du scheinst nicht mehr so mutig wie im Geschäft. Also breche ich die Stille.
"Also, wo steht dein Wagen? Du kannst mich gerne Zuhause ablassen", scherze ich und schaffe es dich wieder zum Lächeln zu bringen. Du kratzt dich verlegen am Hinterkopf.
"Also wir können gerne eine gemeinsame Taxifahrt genießen. Geht auf mich."
"Also ich denke, ich habe eine bessere Idee. Komm mit."
Du folgst mir. Wahrscheinlich denkst du, dass wir zu meinem Wagen gehen, der auf dem Parkplatz steht. Jedoch möchte ich testen, ob du gerne mal verrückte Sachen machst, wie ich. Ich zeige auf die e-Scooter und du siehst mich überrascht an.
"Na, wie wär's?"
"Ich fahre."
Ich steige auf den Scooter und gehe weitmöglichst nach vorne, sodass du problemlos hinter mir stehen kannst. Deine starken Arme halten den Griff und ich scheine von deinem Duft umschlungen zu sein. Doch ich fühle mich sicher und geborgen. Ich sehe in der Fensterscheibe des nagelneuen Mercedes, der zufäilligerweise neben uns parkt, dass du für einen Moment deine Nase in meine dunkelblonden Haare fährst. Gefällt dir mein Geruch, Henry?
"Also wo geht's hin?", frage ich und spüre deinen warmen Atem an meinem Nacken, als du antwortest.
"Wie wär's wenn wir irgendwo sitzen und uns unterhalten?"
"Kennst du dich denn gut genug aus, um mich irgendwo einzuladen?"
"Ich kenne da ein nettes Cafe, in der Nähe meiner Wohnung. Wenn du den Weg nicht kennst, dann nehmen wir einfach ein Taxi oder die U-Bahn."
Ich drehe mich zu dir um, und halte mich kurz an deinen Schultern fest. Unsere Nasenspitzen brühren sich fast. Du verstehst nicht, Henry. Ich hätte auch direkt die U-Bahn nehmen können. Aber ich will mit dir Erinnerungen sammeln.
"Ich bin hier aufgewachsen, ich denke, zwar so schnell wie die Metro werden wir nicht sein. Dennoch bin ich ein guter Reisepartner." Und Ehepartner, natürlich.
"Das freut mich."
Und um ehrlich zu sein, scheinst du es nicht eilig zu haben. Du nennst mir die Adresse und gemeinsam fahren wir los. Ich muss zugeben, einen e-Scooter gemeinsam zu fahren, war eine sehr gute Idee. Mit Teamarbeit versuchen wir unser Gleichgewicht zu halten und gleichzeitig den Weg zu finden. Einmal wären wir fast in einen Müllcontainer gekracht, nur um nicht eine alte Dame anzufahren. Und als wir in eine Seitenstraße eingebogen sind und sehr dicht an den Gärten der Häuser vorbeifuhren, hat uns ein Hundegebell so sehr erschrocken, dass wir auf das weiche Gras gefallen sind. Doch das hat uns nicht davon abgehalten zu lachen. Wir liegen nebeneinander in der feuchten Erde und schauen hoch in die Dunkelheit. Außer Atem siehst du zu mir und ich weiß, dass es dir genauso gefallen hat, wie mir.
Ich habe mich schon so lange nicht mehr so frei, so glücklich gefühlt. Als wäre ich nun dank dir komplett. Wie lange habe ich auf dich gewartet?
"Ich muss zugeben, du bist echt eine gute Reisegefährtin."
Irgendwie will ich glauben, dass du mehr als nur das meinst. Ich merke, wie dein Gesicht mir näher kommt. Mein Herz klopft wie wild und ich halte mich schwer zurück, dich nicht an deinem Nacken zu packen und einfach zu mir zu ziehen. Deine weichen Lippen auf meinen zu spüren. Doch wir halten inne, als ein Handyklingeln uns unterbricht.
"Sorry", entschuldigst du dich, während du nach deinem Handy suchst. Der Moment ist zerstört, weswegen ich aufstehe, und mir den Dreck von der Hose klopfe und so tue, als würde ich deinem Gespräch nicht zuhören.
"Nein, bin etwas beschäftigt. Kann heute nicht vorbeikommen, habe noch etwas vor."
Du siehst mich an, während du das sagst und ich lächele dir kurz zu, während ich den Scooter vom Boden aufhebe. Wer will sich mit dir treffen, Henry? Wer will seinen Abend auch mit dir teilen?
Nachdem du aufgelegt hast, stellst du dich wieder hinter mich.
"Also in der nächsten Straße liegt das Cafe. Nur weiß ich nicht, ob du so da drinnen sitzen möchtest."
Er sieht nicht besser aus als ich, was er auch zu wissen scheint. Er zuckt mit der Schulter.
"Dann eben kein Cafe. Hier kenne ich mich aus. Meine Wohnung ist nicht weit von hier. Wir können auch bei mir etwas trinken. Kaffee habe ich nicht, aber dafür etwas Wein und Wodka?"
Ist das eine Einladung, darling? Schon beim ersten Treffen willst du mir spontan deine Wohnung zeigen. Also hast du nichts zu verbergen.
"Also für mich wäre es absolut kein Problem, jedoch will ich deiner Verabredung nicht im Wege stehen."
Wenn du ehrlich bist, bin ich es auch. Du grinst und ich liebe es.
"Ein alter Freund, der auch hier wohnt. Auf einen Männerabend habe ich aber heute keine Lust."
Und somit machen wir uns auf den Weg zu dir. Ich bin mir sicher, dass du auch andere Cafe's oder Bar's kennst, in denen wir etwas trinken gehen können. Jedoch wolltest du bewusst hierhin. Du wolltest mir nur deine Adresse mitteilen. Du willst, dass ich weiß, wo du wohnst.
Es ist ein altes Appartement und in der Nähe liegen Studentenwohnheime. Studentinnen sind immer eine Konkurrenz. Nicht für mich, jedoch kann ich es nicht auf's Spiel setzen, dich an eine zu verlieren.
Du wohnst im dritten Stock und da es keinen Aufzug gibt, gehen wir gemeinsam die Treppen hoch. Du willst gerade deine Haustür aufschließen, hälst jedoch inne, als wir ein lautes Stöhnen den Gang entlang hören.
"Sorry, in der letzten Tür wohnen ein paar Studenten und die haben wohl immer Besuch."
Verlegen siehst du mich an. An meinem Lächeln erkennst du, dass es okay für mich ist. Ist es eigentlich nicht. Wirklich nicht. An wen denkst du, wenn du sie beim s*x hörst?
Ich betrete hinter dir die Wohnung, die schlicht gehalten ist. Dein Wohnzimmer besitzt neben der kleinen offenen Küche, eine lange Couch mit einem Sessel und einem alten Fernseher auf der Kommode. Eine Tagesdecke und Bücher liegen zerstreut herum. Die Tür zu deinem Schlafzimmer steht offen. Ein großes Bett füllt fast den ganzen Raum und an deinem Schrank sehe ich, dass du wohl nicht viel wert auf neue Kleidung legst. Dave's Kleiderschrank ist vielleicht fünf mal so groß. Doch ich verurteile dich nicht. Es gefällt mir.
"Möchtest du vielleicht das Bad benutzen, ich meine, wegen der Erde.."
Du zeigst auf meine Hose, während ich erstmal meine Füße von den Highheels befreie.
"Gerne, danke."
Im Bad male ich mir aus, wie du wohl morgens in dieser kleinen Dusche stehst. Ich richte kurz meine Haare, wasche meine Hände und ziehe den roten Blazer aus. Zwar hat meine ärmellose Bluse auch Flecken, doch da kann man jetzt nichts mehr machen. Ich öffne den kleinen Schrank unter dem Waschbecken. Rasierer, Rasierschaum, Toillettenpapier.. wie in einem normalen Badeschrank. Als ich wieder das Wohnzimmer betrete, hast du dein Hemd gegen ein weißes T-Shirt ausgetauscht. Es betont deinen Oberkörper und ich merke, wie auch du meinen Körper unter diesem schwach leuchtenden Licht musterst. Du stellst die zwei Gläser auf die Theke, an der zwei Hocker stehen. Ich setze mich schon einmal hin, während du die Weinflasche öffnest und gleichzeitig versuchst die Stille zu durchbrechen.
"Hätte ich gewusst, dass ich den Abend mit so einer schönen Dame wie dir verbingen werde, hätte ich auf jeden Fall aufgeräumt."
Du weißt echt, wie du das Lächeln auf meinem Gesicht bestehen lassen kannst. Aber bin ich auch nur eine von vielen, die hier mit dir Zeit verbringen? Lädst du jede Frau, die du kennenlernst, sofort zu dir nach Hause ein? Ich muss zugeben, mein Blick schweift durch den Raum, um irgendwelche Sachen zu finden, die einer Frau gehören könnten. Zum Glück steht in deinem Bad nur eine Zahnbürste im Becher.
"Also ich fühle mich ganz wohl. Vielen Dank."
Ich nehme dir das Glas aus der Hand, welches du mir entgegenhälst und unsere Hände streifen sich. Du setzt dich neben mich und als ich einen Schluck nehme, sehe ich aus dem Augenwinkel, wie du auf meine Lippen siehst.