Kapitel Vier

1531 Words
Lyras Perspektive Die Menge begann zu murmeln, die Stimmen leise, aber unruhig. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und blickte auf. Diese Stimme... Meine Augen weiteten sich. „Riven?“ Ich zwang mich auf die Beine, noch immer zitternd. Von allen Menschen hätte ich ihn am wenigsten hier erwartet. Riven – der Streuner des Rudels, der nie lange an einem Ort blieb. Ich hatte ihn vor Jahren kennengelernt, als ich Kampfsport lernte. Stark, ruhig, immer beobachtend. Ich erinnere mich, dass ich ihn einmal bat, unser Rudel zu besuchen… und er lehnte ab. Warum also jetzt? Warum heute? Er ging langsam auf uns zu – ruhig, aber mit einer Intensität, die jeden dazu brachte, ihm aus dem Weg zu gehen, als würde die Luft um ihn herum schwerer werden. Dann blieb er vor Kael stehen. „Alpha Kael“, sagte Riven, seine Stimme ruhig, aber eiskalt, „du bist eine Schande für deinen Titel.“ „Riven Duskmoor? Du bist also endlich zurück? Nach allem… trotz deiner Verurteilung?“ Ältester Erik trat vor, seine Augen verengt. Verurteilung? Was meinte er damit? Kannten sie sich persönlich? Riven lächelte kalt, doch sein Blick blieb fest auf Kael gerichtet. „So behandelst du also eine Frau, die dich mit ganzem Herzen geliebt hat?“ fragte er scharf und anklagend. Kaels Augen loderten vor Wut. „Wer glaubst du eigentlich, wer du bist, so mit mir zu sprechen? Ich bin der Alpha! Jeder kriecht auf mein Kommando!“ brüllte er. Ein Ekel überkam mich. Zum ersten Mal in sieben Jahren hasste ich ihn wirklich. Ich hasste, wie blind ich gewesen war. Hasste mich selbst dafür, jemanden geliebt zu haben, der so grausam war. „Nein, du bist kein Alpha. Nicht mehr.“ Meine Stimme zitterte, aber ich blieb standhaft. Ich weigerte mich, schwach zu wirken. Ich bemerkte, wie Selenes Gesicht sich veränderte, ihre Selbstsicherheit schwand. „Und wer ist dann der Alpha, wenn nicht er?“ fragte sie unsicher. Kael trat näher, sein Ton drohend. „Was hast du da gerade gesagt?“ knurrte er. „Bring mich nicht dazu, etwas zu tun, das ich bereue. Wenn du mich weiter provozierst… werde ich dich hier und jetzt ablehnen.“ Ich sah ihm in die Augen – und erkannte nichts mehr von dem Mann, der mir einst die Welt versprochen hatte. Er hatte sich verändert. Die Zeit hatte ihn verändert. Und trotzdem hatte er die Frechheit, mich abzulehnen? „Worauf wartest du noch? Lehn diesen Narren ab, bevor er uns ablehnt!“ Nyra’s Stimme hallte zum ersten Mal seit dem Streit in meinem Kopf. Meine Wölfin – sie musste ihn jetzt genauso hassen wie ich. Ich hob die Hand und schlug ihn. Hart. Das Geräusch hallte durch die Stille, und die Menge raunte geschockt. Kael hielt sich die Wange. Ich erwartete, dass er zurückschlug – aber er tat es nicht. Er stand einfach da, eingefroren, sein Gesicht kalt wie Eis. „Was kannst du mir noch antun, was du nicht schon getan hast?“ Meine Stimme zitterte. „Ich hasse dich, Kael. Ich, Lyra Moonfall, lehne dich ab – Kael Thornclaw – als meinen Gefährten.“ Ich machte eine Pause, Wut brodelte in mir. Meine Stimme wurde tiefer, kraftvoller. „Bei dem Mond, der uns verbunden hat, und dem Blut, das du verraten hast, verfluche ich dich, Kael. Der Thron wird unter dir brennen, und die Macht, nach der du strebst, wird dir in den Händen zersplittert. "Du sollst niemals darauf sitzen – weder du, noch deine Kinder, noch ihre Kinder nach ihnen.“ Ein stechender Schmerz durchbohrte meine Brust – das Band zerbrach. Ich fiel auf die Knie, und Kael ebenfalls, beide hielten wir uns die Brust. Ein lauter Donner grollte – und es begann zu regnen. Ein kalter, plötzlicher Regenschauer – ohne Vorwarnung. „Es regnet ohne den Ruf der Wolken – das ist ein böses Omen!“ rief einer der Ältesten, während Panik ausbrach und die Leute flohen. Durch den Regen sah ich ihn. Riven. Er war noch da. Er stand einfach da, unbewegt im Chaos, seine Augen fest auf mich gerichtet. Langsam streckte er mir die Hand entgegen. Als ich sie nicht ergriff, beugte er sich und hob mich in seine Arme. Ich schnappte leise nach Luft, aber wehrte mich nicht. Da bemerkte ich – der Regen fiel nicht mehr auf mich. Jemand hielt einen Schirm. „Geht es Ihnen gut, meine Luna?“ Es war Ava, meine persönliche Zofe. Ihre Augen waren weit vor Sorge. „Zeig mir ihr Zimmer“, sagte Riven entschlossen. Ava nickte und führte ihn. Ich wollte ihm sagen, er solle mich absetzen, aber der Schmerz in meiner Brust war noch da – nicht mehr so scharf, aber genug, um mir die Kraft zu rauben. Also lehnte ich mich an ihn. Seine Wärme, seine Ruhe… es fühlte sich nicht falsch an. Drinnen flüsterte ich: „Setz mich auf den Holzstuhl.“ Er gehorchte sanft, setzte mich vorsichtig ab. „Du solltest dich umziehen. Wir reden später“, sagte er und drehte sich bereits um. Aber ich schüttelte den Kopf – schwach, aber stur. „Warum bist du hier, Riven?“ „Fühlst du dich bedroht von meiner Anwesenheit?“ fragte er, ein Hauch Herausforderung in seiner Stimme. Ich begegnete seinem Blick. „Nein. Warum sollte ich? Wir kamen damals gut miteinander aus. Ich bin nur… überrascht, dass du deine Meinung geändert hast.“ Er lächelte leicht, lehnte sich lässig an den Tisch. „Es ist schade, dass ich zu spät kam. Du hast das nicht verdient, Lyra. Aber… ich bewundere deine Entscheidung. Manchmal ist es mutiger, loszulassen als festzuhalten.“ Ich musterte ihn genau. „Du weichst mir aus, Riven. Du meintest, du würdest reisen – aber nie hierher. Und jetzt bist du da. Und seltsamerweise kennen die Ältesten dich.“ Sein Lächeln verschwand, und für einen Moment blitzte etwas in seinen Augen auf. Reue? Zögern? „Ich bin im Auftrag hier“, sagte er nach einem langen Atemzug. Ich runzelte die Stirn. „Was meinst du… Auftrag?“ „Ich sag’s dir“, sagte Riven, seine Augen ernst. „Aber nur, wenn du mir hilfst. Im Gegenzug helfe ich dir, das Chaos nach deinem Bruch zu beseitigen.“ Ich verschränkte die Arme. „Ich stelle mich den Konsequenzen allein. Du kannst mir kein Geschäft vorschlagen, ohne ehrlich zu sein.“ „Es ist ganz einfach“, sagte er. „Fordere den Thron – und gib ihn nicht wieder her. Ich kümmere mich um die Fäulnis, die unser Rudel zerfrisst.“ „Kannst du bitte aufhören, in Rätseln zu sprechen? Was genau ist deine Mission?“ Ich starrte ihn an. Er warf Ava einen Blick zu, dann sah er wieder mich an. „Sag deiner Zofe, sie soll den Raum verlassen.“ „Ava, lass uns bitte kurz allein. Und schließ die Tür.“ Ava zögerte. „Ja, meine Luna. Aber ihr müsst euch umziehen – ihr seid völlig durchnässt.“ „Keine Sorge. Ich komm klar.“ Sie warf Riven einen schnellen Blick zu – als wäre sie nicht wohl bei dem Gedanken, mich mit ihm allein zu lassen. Oder vielleicht traute sie ihm einfach nicht. Dann verbeugte sie sich und ging. Ich wandte mich wieder ihm zu. „Sprich jetzt.“ Er lächelte schwach. „Es war nicht nur wegen meiner Pflicht. Auch wegen dir.“ Ich zog die Augenbrauen hoch. „Nicht jetzt, bitte. Wenn das ein weiterer Witz ist—“ „Ist es nicht“, unterbrach er. „Ich meine es ernst, Lyra. Ich kam früher zurück als geplant, weil eine Seherin – eine alte Wahrsagerin – mir sagte, dass du bald in großer Gefahr bist. Dass ein Sturm auf dich zukommt… und ich der Einzige bin, der dich retten kann.“ „Du bist also nur deshalb hier?“ fragte ich schärfer, als beabsichtigt. „Warum sollte ich dir glauben? Wir waren nicht besonders eng – ein paar Tage, mehr nicht. Und wieso kennt Elder Erik dich dann?“ Rivens Miene veränderte sich kaum. „Hast du plötzlich Vertrauensprobleme, nur weil Kael dein Herz gebrochen hat? Versuchst du jetzt, das auf mich zu projizieren? Ich hab dich damals gewarnt. Ich sagte dir, dass er nicht der Richtige ist. Du wolltest nur nicht hören.“ Ich schluckte schwer. Die Wahrheit schmerzte mehr als sein Ton. „Gut. Ich war dumm. Das gebe ich zu. Aber das beantwortet meine Frage nicht. Hör auf auszuweichen.“ Er seufzte, beinahe amüsiert. „Wenn du mir nicht vertraust, dann rate weiter. Aber wenn du wirklich alles über mich wissen willst – frag die Ältesten. Die meisten kennen mich – aber nur einer wird dir die Wahrheit sagen.“ Er legte eine Karte auf den Tisch. „Du wolltest damals meine Nummer nicht – jetzt hast du sie.“ Er drehte sich um und ging. „Warte – wer ist der Älteste, der mir die Wahrheit sagen wird?“ rief ich ihm nach. Ohne sich umzudrehen, antwortete er: „Geh zur Mondgeborenen-Hütte." Ich erstarrte. „Dort hin?“ flüsterte ich. „Dorthin geht niemand… und kommt lebend zurück. "Man sagt, sie sei verflucht.“ Doch er war bereits verschwunden.
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