Schwestern

1350 Words
Ugh, Mist! Ich sah auf die Uhr meines Handys, die mir verriet, dass ich mehr als nur 10 Minuten in Verspätung war, sondern fast eine ganze halbe Stunde. Natürlich klang dies viel dramatischer, wenn ich Stunde sagte, anstelle von 30 Minuten, aber das war jetzt nicht Thema. Ich eilte durch die Einkaufstrasse und runter zur Boutique, vor welcher meine Schwester schon ungeduldig wartete. Zu meinem Schutz hob ich, während ich auf sie zu lief, natürlich alles in schnellem Tempo und möglichst so, dass ich mich zum Affen machte, damit sie nicht allzu böse sein würde, und hob die verpackten Backwaren in die Höhe. Ich sah sie mit den Armen versschränkt dastehen und wie sich ein Lächeln auf ihre Lippen schlich. Als ich sie in den Arm nahm, konnte ich es fast spüren, wie sie die Augen verdrehte. "Der Bäckerei wegen warst du spät?", wollte sie wissen und hakte sich bei mir ein, als wir uns darauf machten Heim zu laufen. "Naja, auch…", gestand ich und hielt kurz inne. Ich sah sie aus dem Augenwinkel an, wie sie abwartete, dass ich ihr eine Erklärung gab. "Ich habe den Kuchen schon im Park gerochen und dann war dieser Typ da und ich hatte den Mohnkuchen völlig vergessen und er hat ihn mir gebracht. Sogar als ich ihm den Mohnkuchen anbot, verneinte er und das fand ich voll mies, weisst du…" "Du bist dir schon im Klaren, dass ich kaum verstanden habe, was du mir sagen willst, oder?" Dieses Mal war ich es, die die Augen verdrehte. Ich war schlecht darin mich verbal auszudrücken und war geschickter dabei die Worte aufs Papier zu bringen, statt zu versuchen sie herauszuwürgen. Ihre wilden Locken tanzten, als der Wind sie streifte und ich fand es faszinierend, wie wir als Schwestern kaum Ähnlichkeiten hatten. Sie hatte wilde, lockige Haare, braune Stupsaugen und ein süsses Näschen. Ich hingegen hatte eine unerklärliche Haarstruktur, die es mir erlaubte im Sommer Beachwaves zu haben und im Winter steifgerade Haare, wie Schneewittchen. Hinzu kamen meine etwas zu grossen, grünen Augen, die Fremde immer einschüchterten. Vielleicht war es auch meine manchmal etwas feurige und leidenschaftliche Art zu Argumentieren. Und so ironisch, wie das auch sein mochte, aber sobald ich an einem Thema die Leidenschaft gefunden hatte, konnte ich tatsächlich auch normale Sätze aus mir herausbringen. Zu guter Letzt war da noch meine Nase, die wahrscheinlich zur Zeit der Antike sowas wie in der Mode war. Als Teenager war sie meine grösste Unsicherheit, besonders als der Typ, den ich mochte immer auf ihre Form hingedeutet hatte. Mit der Zeit hatte ich sie lieben gelernt, weil keiner eine solch tolle Nase hatte wie ich. Dies soll jetzt kein Liebesbrief an meine Nase werden, aber ich bin echt verdammt nochmal dankbar dafür, dass sie mir das Atmen erlaubt und mich vor doofen Keimen und Bakterien schützt, bevor sie in meinen Körper gelangen. Nasen sind was extrem Cooles. Ich erzählte meiner Schwester nach einem tiefen Atemzug was genau geschehen war und ich liess dabei kein Detail aus, wie zum Beispiel die unglaublichen Augen dieses Mannes. Erst jetzt schienen sie in meinem Gedächtnis zu verharren. "Und?" "Na was und?" "Hast du seinen Namen, eine Telefonnummer?", fragte sie mich ganz hibbelig und schüttelte meinen Arm mit beiden Händen. "Autsch! Nein, wieso sollte ich?" "Ach komm schon! Willst du mich etwa veräppeln? Dir bringt dieser Prinz Charming dein vergessenes Brötchen zurück und du fragst nicht einmal nach seinem Namen ODER nach seiner Nummer?" Sie schlug empört ihre linke Hand auf die Stirn. "Ja, hallo entschuldige Mal. Das war doch kein Brötchen, hörst du mir nicht zu? Es war Mohnkuchen…", schmollte ich und sie schlug mir auf den Arm. "Ja eben!" "Naja, jedenfalls habe ich nicht daran gedacht Mel! Du weisst ich werde immer total nervös, wenn mir ein Typ gefällt", verteidigte ich mich und zog sie wieder an mich heran. Sie gab mir einen Seitenblink und ich war es nun, die ihr auf den Arm schlug. "Als ob du anders gehandelt hättest", beschuldigte ich sie und sie lachte. "Natürlich nicht, aber ich bin auch jünger als du!" Sie lachte herzlich und wir waren schon in unserer Strasse angekommen. "Ha, Ha", sagte ich nur und als wir vor der Haustür standen liess ich den Schlüssel ins Schloss fallen. Kaum waren wir drinnen, wurden wir schon von meiner Mutter begrüsst. "Hey ihr zwei. Warum seid ihr so spät dran?", fragte meine Mom und ich zeigte ihr meine ergatterten Schätze. Sie fing an, lachend den Kopf zu schütteln, da sie wusste, wie sehr ich Essen liebte. Es war ihr kein Wunder, dass ich über Berge gehen würde, wenn es ums Essen ging. "Hales wurde von einem hübschen Mann angesprochen", zwitscherte Melody und ich zog mir meinen Mantel aus. "Er hat mich nicht angesprochen. Ich habe was vergessen und er hat es mir netterweise hinterher getragen…" Ich wollte keine grosse Sache daraus machen, denn jedes Mal, wenn ich mich von meinen hoffnungslosen, romantischen Gefühlen leiten liess, weil ich einfach verrückt nach diesen Liebeskomödien war, kam nichts dabei raus, ausser Enttäuschung. Schliesslich war es mir auch schon oft passiert, dass ich jemanden mochte, dachte er möge mich auch und alles was übrigblieb, waren Scherben und gegebenenfalls auch kaputte Freundschaften. "Haley du musst ja nicht sofort jeden anspringen, der dir über den Weg läuft, aber wenn du schon angesprochen wirst, dann zeig doch dein Interesse!", schloss sich meine Mom jetzt auch noch meiner Schwester an und ich seufzte. "Leute, ich werde den Kerl eh nie wieder sehen. Ich kann Nichts daran ändern, dass ich seine blöde Nummer nicht habe oder seinen Namen, okay? Lassen wir's gut sein. Ich möchte wirklich was essen." Ich hörte meine Mutter seufzen und wir setzten uns endlich zusammen hin assen. Der Abend verlief ganz ruhig. Ich hatte mich in mein Zimmer verzogen und eine gefühlte Ewigkeit einfach nur meine Decke angestarrt, während ich ausgebreitet wie ein Seestern auf meinem Bett lag. Morgen war wieder ein ganz normaler Tag an der Uni und ich freute mich darauf etwas zu tun zu haben. Nicht, dass ich sonst Nichts zu tun hatte, aber es war anders, wenn man verpflichtet war etwas zu tun oder nicht. Manchmal da fand ich eine gewisse Sicherheit in dieser Verpflichtung und konnte so Kontrolle abgeben. Es war nämlich echt anstrengend die ganze Zeit zu versuchen alles zu kontrollieren, was bei mir öfters der Fall war. Ich brauchte die Kontrolle, weil sie mir Sicherheit gab, besonders dann, wenn ich es war, die Kontrolle ausübte. Mit der Uni war das anders, aber immer noch befriedigend genug. Deshalb mochte ich die langen Ferien nie. Ich hatte keine Freunde, die ständig mit mir abhängen wollten oder Dinge, die ich jeden Tag tun konnte, was mich immer recht aus der Balance warf. Ich wusste, dass dieser Kontrollwahn nicht gut für mich war, und dass ich aufgrund dessen auch schlecht darin war spontan zu sein, was wahrscheinlich Grund war, warum ich keine Freunde hatte, doch ich konnte nicht anders. Alles andere brachte mir nur Chaos, Sorgen und Ängste. Ängste, die ich manchmal so überhaupt nicht in den Griff bekam. Es war auch schon mal so schlimm geworden, dass ich nicht nach draussen gehen konnte. Vielleicht wollte ich es auch nicht. Viele kamen mir damit, dass ich meine Gedanken einfach kontrollieren lernen musste, und auch wenn es die meiste Zeit funktionierte, hatte ich immer noch Momente, in denen es nicht ging und mein Kopf einfach Runden drehte. Ich schlug mit den Armen auf meine Matratze. Mensch, war ich müde. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft aufzustehen und noch meine Skincare hinter mich zu bringen. Ich brauchte nicht lange, bis ich dem Drang nachgab einzuschlafen und bis ich dann in das Land der Träume absankt. Es war schön friedlich und ich hatte seit langer, langer Zeit keinen so erholsamen Schlaf gehabt, wie ich ihn jene Nacht gehabt hatte. Ich konnte noch leise im Hintergrund hören, wie es angefangen hatte zu regnen. Der Regen schlug gegen mein Fenster und das Wasser prasselte an der Scheibe ab. Das war mein Paradis auf Erden. Mit einem Lächeln wurde alles um mich dunkel und ich schlief friedlich und zufrieden ein. 
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