Kapitel Zwei – Wo ist der Haken?

1692 Words
Andreas Sicht „Andrea, ist alles in Ordnung?“ Oma Catherines Stimme riss mich aus meiner Benommenheit. Seit dem Anruf von Zion machte ich mir ständig Sorgen um das bevorstehende Treffen. Ich wusste, dass er über mein Desinteresse verärgert war. Glaubte er ernsthaft, ich würde seinen Anweisungen folgen? Nach meiner Abfuhr hatte er einfach zugestimmt, mich am nächsten Tag zu treffen, und das Gespräch abrupt beendet. Seitdem hatte ich keine Ahnung, was in ihm vorging. Es war seltsam, dass er keinen konkreten Termin vereinbart hatte. „Ja, Oma!“ Ich errötete unter ihrem prüfenden Blick. Wie kam sie nur darauf, dass ich in einer psychischen Krise steckte? Schließlich hatte ich schon lange keinen engen Kontakt mehr zu ihr gehabt. Opa Vincent hatte Catherine Shelby vor sechs Jahren geheiratet. Ich war kurz darauf nach Athen aufgebrochen. Wir konnten kaum eine Bindung zueinander aufbauen. Doch inzwischen war sie ein unverzichtbarer Teil unserer Familie und kümmerte sich liebevoll um meine Söhne und Knox’ Kinder. Da Knox und seine Verlobte Danielle Hartford im Urlaub waren, konnte ich mich vor seiner ständigen Einmischung in meine Angelegenheiten verstecken. Knox hatte nach seinem Verrat vor fünf Jahren die Verbindung zu Zion, seinem besten Freund, abgebrochen. Jetzt, da er wieder in der Stadt war, fragte ich mich, wie mein Zwilling reagieren würde. „Bist du sicher? Dein Opa hat dich etwas gefragt, und du bist weggetreten, Liebes!“ Ich errötete noch mehr und warf Opa einen entschuldigenden Blick zu. „Oh, tut mir leid, Opa. Ich habe dich nicht gehört.“ In diesem Moment stürmten die Kinder aus dem Garten herein. Während Adrian in seinem Zimmer war, waren nur Zayden, Knox’ Kinder Zane und Angel da. Opa vergaß, was er mir sagen wollte, und schickte die Kinder weg, damit sie sich frischmachen konnten. Ich wandte mich wieder Oma Catherine zu, die mich immer noch besorgt ansah. „Ich habe gehört, Zion ist zurück. Hat er dich kennengelernt?“ Ich starrte sie einen Moment lang an. Woher wusste sie von Zions Rückkehr? „Ja, aber woher wusstest du das?“ Sie lächelte und zuckte mit den Schultern. „Er kam hierher, um dich zu suchen, nachdem du morgens gegangen warst.“ Ein entsetzter Schrei entfuhr mir. „Warum hast du es mir nicht vorher erzählt? Hat er die Zwillinge gesehen?“ Ich war sofort in höchster Alarmbereitschaft. Mein Herz zog sich vor Angst zusammen. Würde er sie mir wegnehmen, wenn er sie sähe? Schließlich ähnelten sie ihm so sehr. Seine Worte aus jener schicksalshaften Nacht hallten in meinem Kopf wider: „Wie zum Teufel bin ich für deine Schwangerschaft verantwortlich, Andrea? Du hast bestimmt schon mit vielen anderen geschlafen! Du warst keine Jungfrau! Erwartest du etwa, dass ich dich für einen One-Night-Stand heirate? Ich bezahle dich dafür, dass du das Baby loswirst, wenn du das willst!“ Ja, ich war Jungfrau gewesen. Er war der einzige Mann, den ich liebte – der erste und letzte, dem ich mich hingab. Und doch hatte er mir nicht geglaubt. Seine Anschuldigungen hatten mich damals zerstört. Flucht war mein einziger Ausweg gewesen. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt wusste ich, wie man kämpft. Ich würde meine Jungs nicht gehen lassen. Ich würde für sie kämpfen. „Nein, die Jungs schliefen noch oben.“ Ich atmete aus, unbewusst angehalten. Gott sei Dank – er hatte sie nicht gesehen. Ich wusste nicht, wie lange ich sie vor ihm verstecken konnte, aber ich würde lieber sterben, als sie aufzugeben. „Also, wo hast du ihn kennengelernt, Liebes?“ Ich seufzte und erwachte aus meiner Trance. „Er hat Conrad Architects übernommen, Oma. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Wenn ich keine Aufträge bekomme, geht mein Traumunternehmen pleite.“ „Hat er dir gesagt, dass er nicht mit dir arbeiten würde?“ Ich starrte sie einen Moment lang an und dachte über ihre Frage nach. Nein, Zion hatte das nicht ausdrücklich gesagt. Aber irgendwie wusste ich, dass meine Tage bei Conrad gezählt waren. Ich musste mich nach neuen Möglichkeiten umsehen. „Nein, hat er noch nicht. Dieser Vertrag entscheidet über meine Zukunft. Jedenfalls hat er mich gebeten, ihn morgen zu treffen. Mal sehen, was er dazu sagt.“ Obwohl ich nicht gerade begeistert war, ihn zu treffen, wirkte Oma aufgeregt. „Oh! Hat er das jetzt? Ich bin sicher, du bekommst alle Antworten, die du suchst. Man kann nie wissen! Vielleicht will er dich wieder in seinem Leben haben, dich heiraten und auch die Jungs akzeptieren.“ Ich stand mit einem Augenrollen auf. „Nein, Oma. Er betrachtet sie nicht als seine! Außerdem will ich ihn nicht in meinem Leben.“ Ich wandte mich zum Gehen, aber Oma Catherine schüttelte den Kopf über meine Bemerkung. „Sei nicht so streng mit dir selbst, Andy. Die Jungs brauchen eine Vaterfigur in ihrem Leben.“ Ich sprang sofort zu meiner Verteidigung. „Sie kommen mit mir klar. Es ist besser, ohne Vater zu sein als mit Zion.“ Ich ging weg, innerlich brodelnd vor Wut. Der Schmerz, den er mir zugefügt hatte, war zu viel für mich. Ich kämpfte darum, alles hinter mir zu lassen, aber Zions plötzliches Auftauchen machte alles kaputt, wofür ich so hart gekämpft hatte. Jetzt, nach so vielen Jahren, war der Schmerz wieder da, und ich wusste, dass es mir nicht gut ging. Meine kleinen Jungs mussten die Situation vergessen, in der ich steckte. Ich ging ins Kinderzimmer und setzte mich zu den Kindern, um den Abend mit ihnen zu verbringen. Es wirkte wie Magie. Am nächsten Morgen klingelte mein Telefon. Eine Nachricht von Zion. Andrea! Komm pünktlich um 9 in mein Büro! Dein Zion. Ich starrte die Nachricht an – und mein dummes Herz setzte einen Schlag aus. War das ein Scherz? Ich erinnerte mich an die kurzen Nachrichten, die er mir vor Jahren schrieb, als ich noch für ihn arbeitete. Das war, bevor er mich benutzte, zerstörte und für immer aus seinem Leben warf. „Ignorier es, Andy! Mach das nicht noch einmal!“, stachelte es mich innerlich an. Ich hetzte durch meine Morgenroutine mit den Zwillingen, und als ich das Haus verließ, war es bereits 8:55 Uhr. Mit nur fünf Minuten Zeit kämpfte ich mich mit klopfendem Herzen durch den Berufsverkehr. Ich hatte keine Ahnung, worum es bei diesem Meeting ging. Hatte der Kunde meine Entwürfe genehmigt? Warum bestellte er mich dann gleich nach der Präsentation in sein Büro? Er hatte erwähnt, es sei ein persönliches Treffen. Was meinte er damit? Ich kam trotz aller Bemühungen fünfzehn Minuten zu spät im Büro an. Die Spannung in der Luft war spürbar, als ich aus dem Aufzug trat und zu seiner Etage ging. War er wieder verärgert? Ich klopfte an seine Tür und hörte seine Stimme von der anderen Seite. Ich stieß die Tür auf, holte tief Luft und trat selbstbewusst ein. Ich würde ihm nie zeigen, wie sehr er mich beeinflusste. „Kommst du ständig zu spät? Änder das, Andrea! Ich bin ein vielbeschäftigter Mann und habe keine Zeit, ständig auf dich zu warten!“ „Tut mir leid. Ich wurde aufgehalten.“ Ich blieb schwer atmend an seinem Schreibtisch stehen. Wenn er nur wüsste, wie viel Marathon ich morgens laufen muss, bevor ich zur Arbeit komme. Doch wie immer spottete er und verstand mich falsch. „Setz dich!“ Er wirkte verärgert über meine fehlende Erklärung. Mein Blick wanderte über ihn, während er sich mit seinem Laptop beschäftigte. Sein schwarzes Designer-Sakko betonte seine breiten Schultern und muskulösen Arme. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie er mich einst anflehte, mit meinen Händen über diese Muskeln zu streichen. „Wie geht es dir, Andrea?“ Ich blinzelte und konzentrierte mich auf sein Gesicht, während ich mich ihm gegenüber niederließ. „Schon gut. Können wir bitte zum Punkt kommen? Ich bin auch beschäftigt.“ Ich wollte dieses Meeting so schnell wie möglich beenden. Zion wirkte verblüfft über meine Direktheit, während ich mich in der Enge seines Büros bereits eingeengt fühlte. Mit seinem unerschütterlichen Blick auf mir fühlte ich mich wie ein Wurm unter dem Mikroskop. Er erholte sich bald von seiner momentanen Verwirrung und schenkte mir ein breites, sexy Grinsen. „Wir könnten das woanders weiterführen. Wann hast du Zeit?“ Die Grübchen in seinen Wangen vertieften sich, während das Funkeln in seinen Augen wilder wurde. In diesem Moment hielt ich den Atem an und ermahnte mich, mich nicht noch einmal von ihm verführen zu lassen. „Ich bin nie frei. Also, was wolltest du mit mir besprechen, Zion?“ Sein Lächeln wurde breiter, als ich seinen Namen zum ersten Mal seit unserer Begegnung erwähnte. „Das ist unglaublich. Jeder hat ein Recht auf Freizeit. Du hast sicher auch deine.“ Ich hätte mir vor Frust am liebsten die Haare ausgerissen. Verstand er es denn nicht? Ich hatte kein Interesse daran, mit ihm auszugehen. „Halt die Klappe, Zion. Geh mit deiner Frau aus. Ich bin eine vielbeschäftigte Frau und habe keine Zeit für beschissene Dates mit dir!“ Sein Grinsen verschwand, als er mich aufmerksam beobachtete. „Ich bin nicht mehr verheiratet. Das weißt du doch sicher schon.“ Wütend stand ich auf. Sein Familienstand interessierte mich nicht. „Nein, tue ich nicht. Ich habe dich vor fünf Jahren verlassen, Zion. Nichts kann mich dazu bringen, diesen Weg noch einmal mit dir zu gehen. Also lass es einfach eine professionelle Zusammenarbeit sein. Wenn du nicht zur Sache kommst, gehe ich.“ Er stand auf, ging um den Schreibtisch herum und blieb nur wenige Zentimeter von mir entfernt stehen. Sein Gesichtsausdruck war ernst, wütend und drohend. „Na gut! Ich bin ehrlich. Deine Entwürfe sind ausgezeichnet, Andrea, aber du musst verstehen, dass die Konkurrenz extrem ist. Keine Sorge, ich werde dir Aufträge geben, damit du dein Portfolio erweitern kannst. Conrad Architects wird dich nach Kräften unterstützen, aber …“ Er hielt inne und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Ich wartete gespannt. Er wusste, dass er eine Gegenleistung für den Gefallen erwartete. Was könnte es sein? „Danke, Zion. Also, wo ist der Haken?“ Er grinste wieder, und ich wusste, ich war in Schwierigkeiten. Was auch immer es war, ich würde den Spieß sicher bald umdrehen. Ich würde mich um jeden Preis rächen.
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