Kapital Vier

1858 Words
KAPITEL VIER Dimitris Sicht Das Wort entfuhr mir wie ein Schuss. „WER?!“ Irina zuckte zusammen. Sie umarmte sich selbst, als könnte sie sich so vor meiner Wut schützen. Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihr ganzer Körper zitterte. „Dimitri, bitte …“, flüsterte sie. „Sag es mir.“ Ich trat näher. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt. „Sag mir, wer dich angefasst hat. Sag mir, wer es gewagt hat, mein Eigentum zu berühren.“ „Ich … ich kann nicht …“ „Das wirst du.“ Meine Stimme sank zu einem tödlichen Flüstern. „Du sagst es mir jetzt sofort, oder ich werde dieses ganze Anwesen verwüsten, bis ich sie selbst finde. Ich werde jeden Mann einzeln aufstellen und ihm eine Kugel in den Kopf jagen, bis jemand gesteht.“ „Es tut mir leid“, schluchzte sie. „Es tut mir so leid. Ich wollte nicht, dass das passiert. Ich wollte das nicht. Ich dachte …“ „Was dachtest du?“, fragte ich eindringlich. „Du dachtest, ich würde es nicht herausfinden? Du dachtest, du könntest eine Schwangerschaft vor mir verheimlichen?“ „Ich dachte, du wärst es!“, platzte es aus ihr heraus. „Ich schwöre es dir, Dimitri. Ich dachte, du wärst es.“ Die Welt schien stillzustehen. Ich starrte sie an und versuchte zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte, versuchte, den Worten einen Sinn zu geben, die keinen Sinn ergaben. „Was hast du gesagt?“, fragte ich kaum hörbar. Sie sah mich durch ihre Tränen hindurch an. Ihre bernsteinfarbenen Augen waren voller Schmerz und Verzweiflung. „In der Nacht der Party“, flüsterte sie. „Jemand kam in dein Zimmer. Es war dunkel. So dunkel. Er trug deinen Morgenmantel. Den schwarzen Seidenmorgenmantel, den ich dir zurechtgelegt hatte. Er war so groß wie du. So gebaut. Mit denselben Haaren. Und ich war mir so sicher, dass du es warst. Ich würde niemals … ich könnte niemals …“ Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Mein Bruder. Es musste so sein. Wir waren identisch. Dasselbe Gesicht. Derselbe Körper. Dieselben Haare. Nur unsere Augen waren anders. Und in der Dunkelheit hätte sie seine Augen nicht gesehen. „Nein“, hauchte ich. Meine Brust fühlte sich an, als würde sie mir in die Brust fallen. „Nein, er war es nicht …“ Bevor ich ausreden konnte, wurde die Tür mit solcher Wucht aufgerissen, dass der Rahmen riss. Alexei stand da und atmete schwer. Seine waldgrünen Augen waren wild. Er hatte es herausgefunden. Jemand hatte ihm erzählt, was los war. „Dimitri, warte …“, begann er. „Du.“ Das Wort kam leise und bedrohlich über seine Lippen. Ich drehte mich ganz zu ihm um. „Du warst es.“ Alexeis Gesicht wurde kreidebleich. Er öffnete den Mund. Schließte ihn. Öffnete ihn wieder. „Ich wusste es nicht“, sagte er schnell. „Ich schwöre, ich wusste nicht, dass sie es war. Ich war betrunken. Ich konnte nicht klar sehen. Ich dachte …“ „Was dachtest du?“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu. Dann noch einen. „Du bist in mein Zimmer gestolpert. Du hast meine Frau angefasst. Du hast mir genommen, was mir gehörte!“ „Ich wusste es nicht!“, rief er. „Woher sollte ich wissen, dass du sie in deinem Zimmer versteckt hast? Du hast mir nie von ihr erzählt. Du hast kein Wort gesagt!“ „Ich sollte dir nicht sagen müssen, dass du die Finger von meiner Zofe lassen sollst!“, brüllte ich. „Ich sollte dir nicht sagen müssen, dass sie tabu ist! Dass sie das Einzige in dieser ganzen dreckigen Welt ist, das mir gehört, und nur mir!“, brüllte ich. „Ich war betrunken“, sagte Alexei erneut, doch in seiner Stimme lag kein Hauch von Reue. „Ich erinnere mich an fast nichts mehr. Ich erinnere mich nur noch …“ Ich schlug ihn. Meine Faust traf mit der ganzen Wucht meiner Wut seinen Kiefer. Er taumelte zurück, Blut spritzte aus seiner aufgesprungenen Lippe. „Sprich nicht“, sagte ich leise, „über diese Nacht. Wage es nicht, darüber zu sprechen, was du ihr angetan hast.“ Alexei wischte sich das Blut vom Mund. Einen Moment lang dachte ich, er würde sich wehren. Wir hatten uns schon oft gestritten. Unzählige Male in unserer Kindheit. Aber wir stritten immer zusammen, nie gegeneinander. „Dima … wenn ich es gewusst hätte …“ „Aber du wusstest es nicht.“ Ich trat näher. So nah, dass wir fast Nase an Nase standen. „Du wusstest es nicht und es war dir egal. Du hast dir einfach genommen, was du wolltest, wie immer. Frauen, Territorium, alles. Du nimmst und nimmst und nimmst, ohne an die Folgen zu denken.“ „Das ist nicht fair …“ „Fair?“, lachte ich. Ein scharfes, bitteres Lachen. „Du willst von Fairness reden? Sie dachte, du wärst ich, Alexei. Sie hat sich dir hingegeben, weil sie dachte, du wärst ich. Und jetzt trägt sie dein Kind! Dein Bastard! Sag mir, Bruder, was daran ist fair?“ Alexei zuckte zusammen, als hätte ich ihn erneut geschlagen. Hinter mir hörte ich Irina schluchzen. Der Laut durchdrang mich wie ein Messerstich. „Ich werde das regeln“, sagte Alexei. Sein Kiefer war angespannt. Seine grünen Augen waren hart. „Ich übernehme die Verantwortung.“ „Verantwortung?“, wiederholte ich langsam. „Was soll das heißen?“ „Es heißt …“, er holte tief Luft. „Es heißt, sie gehört jetzt mir. Das Baby gehört mir. Ich werde mich um beide kümmern.“ Die Worte trafen mich wie Kugeln. Ich starrte meinen Bruder an. Meinen Zwilling. Die andere Hälfte meiner Seele. Und ich sah einen Fremden. „Nein“, sagte ich leise. „Dimitri …“ „Nein.“ Meine Stimme wurde lauter. „Sie gehört dir nicht. Sie wird dir nie gehören. Das war ein Fehler. Ein Unfall. Du hast kein Recht, sie für dich zu beanspruchen, nur weil du zu betrunken warst, um zu wissen, in wessen Bett du lagst.“ „Das Baby gehört mir“, sagte Alexei bestimmt. „Das macht sie auch zu meiner.“ „Sie gehört mir“, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Sie gehört mir seit vier Jahren. Ich habe sie gefunden. Ich habe sie gekauft. Ich habe sie beschützt. Sie ist MEINE!“ „Sie trägt mein Kind.“ Alexeis Stimme wurde leiser. Sie klang plötzlich so ernst, wie ich es noch nie zuvor erlebt hatte. „Das ändert alles.“ „Es ändert nichts.“ „Dimitri, sei vernünftig …“ „Vernünftig?“ Ich zitterte. Vor Wut. Vor Schmerz. Vor einem so tiefen Verrat, dass ich mich fühlte, als würde ich ertrinken. „Du willst, dass ich vernünftig bin, während du da stehst und die Frau, die ich liebe, für dich beanspruchst?“ Die Worte hingen in der Luft. Ich hatte es nie zuvor laut ausgesprochen. Ich hatte es mir selbst nie eingestanden. Aber jetzt war es ausgesprochen. Unverblümt und unwiderruflich. Alexei grinste. „Du liebst sie?“ „Natürlich liebe ich sie“, sagte ich leise. „Ich liebe sie, seit sie in mein Leben getreten ist. Ich habe sie vier Jahre lang jeden Augenblick geliebt. Und ich habe sie nie berührt. Ich habe sie nie gezwungen. Ich habe gewartet. Ich wollte, dass sie mich freiwillig wählt. Dass sie zu mir kommt, weil sie es will, nicht weil sie keine andere Wahl hat.“ „Dima …“ „Und das hast du mir genommen.“ Meine Stimme versagte. „Du hast sie mir genommen. Du hast ihr die Entscheidung genommen. Du hast ihr alles genommen.“ „Du weißt, dass ich es nicht so gemeint habe.“ „Aber du hast es getan.“ Ich sah meinen Bruder an. „Du hast es getan, und jetzt ist alles zerstört.“ Stille senkte sich zwischen uns. Schwere, erdrückende Stille. Hinter mir waren Irinas Schluchzer verstummt. Ich spürte, wie sie uns beobachtete. Abwartend, wie wir über ihr Leben entscheiden würden. Über ihre Zukunft. Als hätte sie keinerlei Mitspracherecht. „Sie gehörte zuerst mir“, flüsterte ich mit todernster Stimme. „Und du hast sie mir gestohlen.“ Alexei straffte die Schultern. Sein Kiefer war in dieser trotzigen Weise angespannt, die ich so gut kannte. „Sie gehört jetzt mir“, sagte er. Seine waldgrünen Augen waren ernst. Entschlossen. Die Worte hingen wie ein Todesurteil in der Luft. „Ich weiß.“ Alexeis Stimme war leise. „Aber das Baby verändert alles. Das weißt du doch. Sie trägt mein Kind, Dima. Das macht sie zu meiner. So funktioniert unsere Welt.“ Meine Faust ballte sich. Er hatte Recht. „Es ändert gar nichts.“ „Dimitri, sei vernünftig …“ „Vernünftig?“ Ich zitterte. Vor Wut. Vor Schmerz. Vor einem so tiefen Verrat, dass ich mich fühlte, als würde ich ertrinken. „Du willst, dass ich vernünftig bin, während du da stehst und die Frau, die ich liebe, für dich beanspruchst?“ Die Worte hingen in der Luft. Ich hatte es nie zuvor laut ausgesprochen. Ich hatte es mir selbst nie eingestanden. Aber jetzt war es ausgesprochen. Unverblümt und unwiderruflich. Alexei grinste. „Du liebst sie?“ „Natürlich liebe ich sie“, sagte ich leise. „Ich habe sie geliebt, seit dem Tag, an dem sie in mein Leben getreten ist. Ich habe sie jeden Augenblick, jeden Tag, vier Jahre lang geliebt. Und ich habe sie nie berührt. Ich habe sie nie gezwungen. Ich habe gewartet. Ich wollte, dass sie sich freiwillig für mich entscheidet. Dass sie zu mir kommt, weil sie es will, nicht weil sie keine andere Wahl hat.“ „Dima …“ „Und das hast du mir genommen.“ Meine Stimme versagte. „Du hast sie mir genommen. Du hast ihr die Entscheidung genommen. Du hast mir alles genommen.“ „Du weißt, dass ich es nicht absichtlich getan habe.“ „Aber du hast es getan.“ Ich sah meinen Bruder an. „Du hast es getan, und jetzt ist alles zerstört.“ Stille senkte sich zwischen uns. Schwere, erdrückende Stille. Hinter mir waren Irinas Schluchzer verstummt. Ich spürte, wie sie uns beobachtete. Darauf wartete, wie wir über ihr Leben entscheiden würden. Über ihre Zukunft. Als hätte sie überhaupt kein Mitspracherecht. „Sie gehörte zuerst mir“, flüsterte ich mit todernster Stimme. „Und du hast sie mir gestohlen.“ Alexei straffte die Schultern. Sein Kiefer verhärtete sich in dieser eigensinnigen Haltung, die ich so gut kannte. „Sie gehört jetzt mir“, sagte er. Seine waldgrünen Augen waren ernst. Entschlossen. Die Worte hingen wie ein Todesurteil in der Luft. „Ich weiß.“ Alexeis Stimme war leise. „Aber das Baby verändert alles. Das weißt du. Sie trägt mein Kind, Dima. Das macht sie zu meiner. So funktioniert unsere Welt.“ Meine Faust ballte sich. Er hatte Recht.
Free reading for new users
Scan code to download app
Facebookexpand_more
  • author-avatar
    Writer
  • chap_listContents
  • likeADD